31.03.2021

Holle und Hansmann: Österreich ist “spät dran mit dem ersten Unicorn”

Oliver Holle und Hansi Hansmann, zwei Top-Investoren aus Österreich, über aktuelle Trends und Entwicklungen in der Welt der Startups und VCs.
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Oliver Holle und Hansi Hansmann © Speedinvest, kacy, Montage: brutkasten
Oliver Holle und Hansi Hansmann © Speedinvest, kacy, Montage: brutkasten

Oliver Holle, Co-Founder und CEO des Wiener VCs Speedinvest und Business Angel Hansi Hansmann gehören zu den Pionieren der österreichischen Startup-Szene. Im großen brutkasten-Talk reden sie über das erste Unicorn in Österreich und über das Potenzial, das noch in ihren Portfolios schlummert. Sie sprechen darüber, warum sich US-Investoren immer stärker für europäische Startups interessieren und warum gerade generell viel Kapital im Markt ist.

Wie ist euer bisheriges Fazit zur Coronakrise aus Investorensicht?

Hansi Hansmann: Nach einem Schockmoment, der die Branche schon getroffen hat, haben wir bemerkt, dass Startups auch remote gut funktionieren und wir haben alle schnell gelernt, mit dieser neuen Situation umzugehen. Geld ist in Massen vorhanden und es wird investiert. 

Oliver Holle: Wir haben in den letzten 12 Monaten deutlich mehr investiert als jemals zuvor. Das war das bisher aktivste Jahr von Speedinvest. Wir haben alleine im DACH-Raum in einem Jahr 86 Transaktionen gemacht. Da sind wir nicht die einzigen. Das war wahrscheinlich das größte Momentum-Jahr in der Geschichte der europäischen Venture-Szene. 

Ich habe gehört, dass viele Investoren aus dem Silicon Valley mittlerweile Offices in Europa aufmachen.

Holle:  Da kommen mehrere Dinge zusammen: Der Digitalisierungsschub, der die Kapital-Allokation auf allen Ebenen Richtung Technologie verschoben hat – man braucht sich nur die Börsenwerte der großen Tech-Aktien anschauen. Das zweite Thema ist die Geldpolitik. Die Niedrigzinspolitik spült massiv Geld ins System und das fließt immer stärker in Private Equity und dort immer mehr in die Early Stage und Technologiewerte, weil dort noch Geld zu verdienen ist. Hinzu kommt, dass in den letzten drei Jahren die Frage, ob man aus Europa heraus globale Marktleader bauen kann, eindeutig beantwortet wurde. 

Hansmann: Die großen VCs haben vor Covid geraist und hatten zu Beginn der Krise die Taschen voll. Wenn man als VC eine Milliarde Dollar hat, muss man die investieren. Es ist also ein massiver Investitionsdruck da, der Silicon-Valley-VCs umso mehr nach Europa geführt hat. Bei den großen Millionenrunden der letzten 15 bis 18 Monate in österreichische Startups hat jedes Mal ein US-VC den Lead gehabt – Adverity, PlanRadar, Bitpanda, GoStudent. 

Für die Gründerinnen und Gründer ist das sicher ein Vorteil, was heißt das aber für das Geschäftsmodell von VCs? Müsst ihr noch schneller sein und mehr Geld in die Hand nehmen?

Holle: Beides. Die Konkurrenzsituation hat sich in Europa dramatisch verändert. Die Runden haben sich im Seed-Bereich in den letzten 12 Monaten durchschnittlich verdoppelt. Wir reden von Seed-Runden jenseits der 3 Millionen Euro. Wir müssen auch immer schneller entscheiden – inzwischen geht das bei uns unter einer Woche. Auch Folgerunden passieren in einer Schlagzahl und Größenordnung, wie man das vorher noch nicht gesehen hat. 

Was heißt das für die Business Angels, wenn die (Pre-)Seed-Phase für die VCs interessant wird?

Hansmann: Für Business Angels gibt es einen großen Unterschied. So wie ich als Business Angels zwischen 2010 und 2013/14 investiert habe, könnte ich heute nicht mehr investieren. Mein eigenes Geschäftsmodell würde heute nicht mehr funktionieren. Ich bin sehr früh hineingegengen und habe die erste Runde oft ganz alleine gemacht. Bei der nächsten Runde habe ich dann üblicherweise nicht mehr mitgezogen, sondern verwässern lassen bis zum Exit. Das war bei Runtastic, MySugr und Shpock so. Das wird heute nicht mehr gehen, weil eine Early-Stage-Runde nicht mehr zu einer Bewertung von 2 Millionen Euro möglich ist. Heute braucht man für einen guten Anteil schon zwei, drei Millionen Euro. Würde ich heute noch investieren, würde ich versuchen noch früher rein zu gehen. 

Brauchen wir in Europa mehr Investments aus Europa oder ist es okay, wenn das Geld aus den USA kommt?

Hansmann: Als Startup ist mir das egal. Seit einem halben Jahr haben wir da leider mit dem Investitionskontrollgesetz eine Bremse. Die großen VCs von außerhalb Europas sind sich dessen noch gar nicht so bewusst. Wenn ihnen das bewusst wird, fragen sich die nicht nur, ob sie jetzt investieren dürfen, sondern auch: Wer wird das später einmal kaufen, wenn die Zustimmung der österreichischen Regierung notwendig ist? Das kann langfristig eine sehr negative Wirkung auf die Zukunft unserer Startups haben. 

Gab es da bereits Fälle, wo das ein Thema war?

Holle: Das große Problem ist die Planbarkeit. Wenn man sich jetzt schon bei einigen Scaleups den Bescheid geben lassen könnte, dass man nicht in diesen kritischen Infrastrukturbereich hineinfällt und somit bei einem Exit kein Problem hat, dann wäre das eine Variante. Diese Unklarheit hilft aber wirklich niemandem. 

Bitpanda ist jetzt das erste Startup-Unicorn aus Österreich. Was heißt das für den Standort?

Hansmann: Dass es ein Unicorn gibt, ist großartig für uns, weil es eine große Vorbildwirkung hat – ähnlich wie der große Runtastic-Exit an Adidas. Da werden neue Founder motiviert und auch die Politik bewegt, wieder mehr für Startups zu machen. Außerdem schauen ausländische Investoren dadurch mehr nach Österreich. Es gibt viele Statistiken, in denen wir erst jetzt aufscheinen. Es wird aber auch in Österreich die Bewertungen hochtreiben. 

Was bedeutet es, dass es sich dabei um ein Krypto-Startup handelt?

Holle: Bei ICOs waren wir noch sehr zurückhaltend und die vielen Scams haben uns Recht gegeben. Mit Bitpanda waren wir schon lange in Kontakt, haben leider in der Angel-Runde nicht investiert. Wir sind dann relativ spät aber doch hinein und haben mit den Gründern am Feinschliff gearbeitet. Das in Kombination mit dem Kryptoboom und der unfassbaren Exzellenz, mit der diese Firma operiert, war einfach ein perfect storm.

GoStudent hat jetzt eine 70 Millionen Euro Runde gemacht. Oliver, da habt ihr sehr früh investiert. Wie viele solche Leuchturm-Beispiele gibt es noch in der Pipeline?

Holle: Es gibt in Österreich tatsächlich noch ein, zwei, die von solchen Dimensionen nicht weit weg sind. Auch in unserem Portfolio. In GoStudent haben wir schon vor vier Jahren investiert. Wir haben die Seed-Runde mitgemacht und haben immer weiter investiert, obwohl lange unklar war, wie damit Geld verdient werden kann. GoStudent ist in der Coronazeit in einem Ausmaß gewachsen, das ganz selten zu sehen ist. Für uns ist GoStudent gerade einmal bei fünf Prozent von dem Potenzial, wo sie sein können. Die haben einen Markt vor sich, der in Europa völlig unbeackert ist. 

Hansi, Bitpanda, GoStudent, PlanRadar – die ersten großen Namen in Österreich, wo du nicht dabei bist. Das ist auch eine neue Ära für die Szene, lange war das undenkbar. 

Hansmann: Abgesehen von der ersten kurzen Kränkung, dass ich da nicht dabei bin, ist es ein Zeichen dafür, dass die Szene viel größer geworden ist. Sie hängt nicht mehr von einzelnen Namen ab. Die Szene ist erwachsen geworden. Es fließt mehr Geld hinein, obwohl die steuerlichen Incentives dafür noch nicht da sind. Das ist ein gutes Zeichen. Ich hab seit 2017 nicht mehr selbst investiert, aber beobachtet, dass es jetzt viel schneller geht, von der Gründung zum ersten Investment. Ich habe in meinem Portfolio noch einige mature companies – da gibt es heuer auch noch gute Nachrichten. 

Schlummert in deinem Portfolio noch Unicorn-Potenzial?

Hansmann: Eindeutig, ja. Zwei bis drei, würde ich sagen.

Wie ist das bei Speedinvest?

Holle: (lacht) Sagen wir so: Wir brauchen sie. Wir haben jetzt einen 195 Millionen Euro Seedfonds laufen, der funktioniert nur, wenn wir da einige drinnen haben. In Österreich sehe ich noch ein, zwei weitere. In Europa haben wir schon einige. 

Rechnet ihr aufgrund der neuen Dynamik in der österreichischen Startupszene jetzt mit einer exponentiellen Entwicklung?

Holle: Ich hoffe. Wir sind spät dran, mit unserem ersten Unicorn. Diese exponentielle Entwicklung gibt es in jedem europäischen Land und die muss es auch in Österreich geben. Tourradar, Bitmovin, Adverity, wir haben schon viele Startups auf einem guten Kurs. 

Hansmann: Ich bin schon bei zwei meiner Portfolio-Companies von US-SPACs kontaktiert worden. Das ist eine komplizierte Sache, denn da ist man dann innerhalb von drei Monaten an der Börse. Ist man dafür überhaupt bereit? Das sind Dinge, die waren vor zwei Jahren noch unmöglich. Es gibt so unglaublich viel Geld im Markt. 

Oliver, was heißt das für VCs?

Holle: Es ist eine Beschleunigung des Exit-Parts und letztlich brauchen wir alle Exits. Das ist eine enorm wichtige Entwicklung. 

Wo seht ihr die großen Trends für 2021?

Hansmann: Logistik im weitesten Sinn, getrieben durch den Online-Shopping-Boom. Das ist sicher einBereich, wo was passieren wird. Auch das Thema Gender Equality ist etwas, wo man jetzt einen schönen Vorsprung herausarbeiten kann – sowohl bei Startups, als auch bei VCs. 

Holle: Bei uns ist neben HealthTech sicher ClimateTech ein großes Thema. Das ist bei uns im Deal Flow von kaum vorhanden auf zehn Prozent gewachsen. Und das bei 9.000 Deals, die wir uns letztes Jahr angeschaut haben. Da geht auch die Energie der nächsten Generation hin. 

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Analyser, CSRD, EU-Taxonomie
(c) - PwC Österreich -Das Konsortium des Projekts "Analyser" beim Kick-Off.

Die Regeln der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die in den kommenden Jahren sukzessive schlagend werden, bedeuten für zahlreiche österreichische Unternehmen eine Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Bei vielen von diesen – auch jene, die freiwillig schon früher als erforderlich mit der Umsetzung starten – werden Schwierigkeiten erwartet, die Anforderungen zu erfüllen, da insbesondere KMU nicht über ausreichend Kapazitäten für interne Nachhaltigkeitsabteilungen verfügen würden.

CSRD und Taxonomie

Dies gilt im Besonderen für die EU-Taxonomie, die ergänzend zur CSRD anzuwenden ist. Gemäß ihr müssen die wirtschaftlichen Aktivitäten eines Unternehmens als nachhaltig oder nicht-nachhaltig deklariert werden.

Die Verordnung umfasst umfangreiche und detaillierte Kriterien, die für Ungeübte nicht leicht zu verstehen sind. Deshalb will in einem kürzlich gestarteten Forschungsprojekt namens “AI Enabled Sustainability Jurisdiction Demonstrator” (Analyser) ein Forschungskonsortium KI-basierte Module entwickeln. Die sollen es auch ungeschulten Anwenderinnen und Anwendern ermöglichen, die gesetzlichen Meldepflichten zu erfüllen. So soll eine Erleichterung für Unternehmen erzielt werden.

“Das oberste Ziel unseres Projekts ist es, die Zahl der KMU zu erhöhen, die selbstständig in der Lage sind, die EU-Taxonomie in guter Qualität zu berichten”, erklärt Maximilian Nowak, der das Projekt bei Fraunhofer Austria leitet.

Das Konsortium

Das Konsortium, bestehend aus Fraunhofer Austria, Universität Innsbruck, Technischer Universität (TU) Wien, Leiwand AI, PwC Wirtschaftsprüfgesellschaft, der Wirtschaftsagentur Niederösterreich ecoplus, Murexin und Lithoz wird dafür Teile des Prozesses mithilfe von Künstlicher Intelligenz automatisieren. Ein Chatbot, der auf einem eigens kreierten Sprachmodell beruht, soll mit den Anwenderinnen und Anwendern im Dialog stehen und sicherstellen, dass alle benötigten Dokumente vorliegen.

Es sind nämlich viele Fragen im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu klären: Welche wirtschaftlichen Aktivitäten gibt es im Unternehmen? Wie umfangreich sind diese? Welche davon sind taxonomiefähig, können also überhaupt nach den Kriterien bewertet werden?

Josef Baumüller, der von Seiten der TU Wien an dem Projekt beteiligt ist, sagt: “Es ist vielen noch nicht bewusst, wie komplex die Anforderungen zunächst an die Datenerhebung und anschließend an die Klassifizierung sind. Die Prozesslandschaft im Unternehmen muss erfasst und auf die Vorgaben der EU-Taxonomie übergeleitet werden, darüber hinaus gilt es, relevante Datenbedarfe zu identifizieren und im Sinne der Effizienz v.a. bereits vorhandene Datenbestände zu nützen.”

CSRD-Berichterstattung eine Herausforderung

Dass eine Unterstützung der Unternehmen unumgänglich ist, sagt auch Stefan Merl von der PwC Österreich GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft: “Wir spüren bereits jetzt eine massive Zunahme in den Anfragen von Unternehmen, insbesondere von KMU, die sehen, dass die Erfüllung der CSRD-Berichterstattungspflichten eine große Herausforderung ist. Es führt kein Weg daran vorbei, eine automatisierte Lösung zu entwickeln, die weit über den Automatisierungsgrad bestehender Tools hinausgeht. Genau das wollen wir im Projekt ‘Analyser’ verwirklichen.”

Dabei ist essenziell, dass die im Tool eingesetzte KI fair, nachvollziehbar und korrekt arbeitet. Dafür soll Leiwand AI GmbH die nötige Expertise in das Projekt einbringen.

“In einer so kritischen Angelegenheit wie der Nachhaltigkeitsberichterstattung ist es besonders wichtig, dass auch Maßnahmen hinsichtlich einer zuverlässigen und fairen KI-Lösung getroffen werden. Durch den Einsatz verschiedener Methoden rund um nachhaltige und vertrauenswürdige KI werden wir dazu beitragen, dass der ‘Analyser’ gesicherte Informationen liefert, fair in Bezug auf Bias und Diskriminierung ist und im Einklang mit dem EU AI Act steht”, sagt Mira Reisinger, Data Scientist bei Leiwand AI.

Das Projekt ist im Herbst 2024 gestartet, läuft über drei Jahre und wird durch die FFG aus Mitteln des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie gefördert.

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