19.12.2019

Die größten Startup-Investments in Österreich 2019

Zwar blieb das Jahr 2019 in Sachen Investments in österreichische Startups klar hinter dem Vorjahr zurück. Für zumindest 5 (bzw. 1) heimische Startups gab es dennoch auch dieses Jahr einen achtstelligen Grund zur Freude. Wir haben die (der Redaktion bekannten) 47 größten Investments des Jahres aufgelistet.
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Die größten Startup-Investments in Österreich 2019
Kollage: Fünf achtstellige Finanzierungsrunden in Österreich 2019

Mit einem Anstieg um satte 62 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 16,9 Milliarden Euro boomten Startup-Investments im ersten Halbjahr dieses Jahrs in Europa laut EY regelrecht. In ganz Europa? Nein, in einer kleinen Republik inmitten des Kontinents sank das Volumen – von 103 auf 90 Millionen Euro. Und auch im zweiten Halbjahr 2019 kamen in Österreich nicht ausreichend Mega-Finanzierungsrunden nach, die die Statistik noch drehen hätten können – eine endgültige Beurteilung steht hier freilich noch aus. Dennoch ist klar: Für die betroffenen Unternehmen waren die größten Startup-Investments in Österreich 2019 natürlich keineswegs enttäuschend.

+++ aktuelle Startup-Investments +++

Lange Liste siebenstelliger Investments

Immerhin zumindest fünf Startups (oder so) holten sich dieses Jahr eine achtstellige Kapitalspritze von Investoren. Das sind nur jene Mega-Finanzierungsrunden, die der Redaktion mit ausreichenden Angaben zum Betrag, bekannt sind. Entsprechend gilt: Diese Auflistung von insgesamt 47 Kapitalrunden, insbesondere die (sehr lange) tabellarische zu den weiteren Millioneninvestments am Ende des Beitrags, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Explizit nicht berücksichtigt werden nicht-Millioneninvestments sowie Investments in ausländische Startups mit österreichischen Gründern, etwa die 300 Millionen US-Dollar-Runde von N26 im Jänner 2019.

Die größten Startup-Investments in Österreich 2019 – so ungefähr

Auch bei den fünf bekannten achtstelligen Investment-Runden lässt sich fast durchgehend darüber streiten, ob es sich um (1.) österreichische (2.) Startups handelt. Dominiert wird die Liste der größten Startup-Investments in Österreich 2019 von zwei BioTechs. Mit Bluecode konnte ein Startup seine Top-Listung aus dem Vorjahr wiederholen.


1. Platz – 40 Mio. Euro: Wiener BioTech Themis

Themis, Krebs, Virus, Themis Bioscience Founder und CEO Erich Tauber.
(c) Oleksandr Hnatenko: Themis Bioscience Founder und CEO Erich Tauber

Mit genau zehn Jahren im Geschäft kann das Wiener BioTech Themis zugegebenermaßen nur mehr schwer als Startup durchgehen – laut EY-Definition tut es das gerade noch. Nachdem es sich im Sommer schon eine Förderung über 18,7 Millionen Euro geholt hatte, kommunizierte es im September seiner 40 Millionen Euro Serie D-Runde mit der Platz 1 in der Liste der größten Startup-Investments in Österreich 2019 gelingt. Themis entwickelt Impfstoffe gegen Tropenkrankheiten wie etwa das Zika-Virus und zuletzt auch gegen Darmkrebs.

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2. Platz – 33 Mio. Euro: Wiener BioTech Hookipa

Hookipa
(c) fotolia – Sebastian Kaulitzki: T-Zellen attackieren Krebszelle (Illustration)

Die 2011 in Wien gegründete Hookipa wiederum ist seit 2018 kein österreichisches Unternehmen mehr. Es legte diesen Frühling sogar einen soliden IPO an der New Yorker Börse hin. Noch davor hatte es sich mit den 33 Millionen Euro Eigenkapital versorgt, um an seiner Krebs-Impfung mittels modifizierter Viren weiterzuarbeiten. Unter den Gründern ist übrigens ein Nobelpreisträger.

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3. Platz – 12 Mio. Euro: Wiener FinTech Bluecode

Bluecode-CEO Christian Pirkner äußert sich zum Apple Pay-Launch
(c) Bluecode International / Tanzer: CEO Christian Pirkner

Gerade noch rechtzeitig für dieses Ranking kam die Meldung über eine erneute achtstellige Kapitalrunde von Bluecode herein. Auch dieses Unternehmen ist kein Wiener Stzartup im engeren Sinn, steht hinter der Wiener GmbH, die das operative Geschäft erledigt, doch eine Schweizer AG als Besitzer. Nachdem das Unternehmen sich mit seiner Payment-Lösung als ernsthafter Konkurrent zu Visa, Mastercard, Google und Apple positionieren will, ist genau dieses Land als formeller Sitz wahrscheinlich auch die beste Wahl innerhalb Europas.

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4. Platz – 11 Mio. Euro: Wiener Marketing-SaaS-Startup Adverity

Adverity: v.l.n.r.: Co-Founder Adverity GmbH: Andreas Glänzer (CSO), Martin Brunthaler (CTO), Alexander Igelsböck (CEO)
(c) Adverity: v.l.n.r.: Co-Founder Adverity GmbH: Andreas Glänzer (CSO), Martin Brunthaler (CTO), Alexander Igelsböck (CEO)

Adverity ist – 2016 gegründet – definitiv ein “echtes Startup” und hat seinen Hauptsitz auch wirklich in Wien. Streng genommen könnte es in dieser Liste also auch einsam als einziger Eintrag stehen. Im April verkündete es den Abschluss seiner Serie B-Runde, nachdem bereits im Vorjahr 3,2 Millionen Euro aufgenommen worden waren. Geführt wurde die 11 Millionen Euro-Runde von Londoner VC-Fonds Felix Capital, der bereits in Unternehmen wie Spotify oder Deliveroo investiert hat. Auch ein ehemaliger LinkedIn-Investor kam in der Runde an Bord.

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Unbekannt: Steirer E-Commerce-Scaleup Niceshops

niceshops: Co-Geschäftsführer Christoph Schreiner
(c) niceshops: Co-Geschäftsführer Christoph Schreiner

2007 gegründet ist Niceshops aus der Steiermark nach gängiger Definition definitiv kein Startup. Zumindest kann das E-Commerce-Unternehmen, das rund 40 (Nischen-)Onlineshops betreibt – einige davon zugekauft – in dieser Liste dafür sorgen, dass nicht nur Wiener Unternehmen enthalten sind. Zu dem Deal, der es hier in die größten Startup-Investments in Österreich 2019 des brutkasten hineinbringt wurden keine Details genannt. Bei den Unternehmenskennzahlen von Niceshops ist aber mit Sicherheit davon auszugehen, dass er hier weiter oben einzuordnen wäre.

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20 weitere Millioneninvestments 2019 (Summe bekannt)

Summe Startup zum Artikel
ca. 9 Mio. Euro USound Grazer USound holte sich weitere 10 Mio. US-Dollar Kapital
6 Mio. Euro SteadySense SteadySense: 6 Mio. Euro Kapital für Grazer Kinderwunsch-Startup
5 Mio. Euro Medicus AI 2,75 Mio. Euro Investment für Wiener MedTech-Startup Medicus AI (nach Artikel auf 5 Mio. ausgeweitet)
4 Mio. Euro bsurance 4 Mio. Euro Investment für Wiener InsureTech-Startup bsurance
4 Mio. Euro CheckYeti 4 Millionen Euro Kapital für Wiener Buchungsportal-Startup CheckYeti
4 Mio. Euro Holo-Light AR-Startup Holo-Light sammelt vier Millionen Euro bei Series A-Finanzierung ein
3 Mio. Euro Instahelp Drei Millionen Euro für Online-Psychologieberatung Instahelp
3 Mio. Euro Longevity Labs Androsch investiert 3 Mio. Euro in Grazer Lebensverlängerungs-Startup
3 Mio. Euro smaXtec smaXtec: 3 Mio. Euro Kapitalspritze für Grazer Rinder-HealthTech-Startup
ca. 2,3 Mio. Euro Storyblok 2,5 Mio. US-Dollar Investment für Linzer Startup Storyblok
2 Mio. Euro Anyline Anyline: 2 Mio. Euro “zwischendurch-Investment” für Wiener KI-Startup
2 Mio. Euro Refurbed Refurbed: 2 Mio. Euro Seed-Investment u.a. von Skype-Gründer-VC
2 Mio. Euro Leftshift One Zwei Millionen Euro Investment für Grazer AI-Scaleup Leftshift One
1,5 Mio. Euro Phagomed PhagoMed: 1,5 Mio. Investment für Wiener Biotech-Startup
1,25 Mio. Euro der brutkasten der brutkasten schließt 1,25 Millionen Euro-Finanzierungsrunde ab
1,2 Mio. Euro Medicus AI Medicus AI: Millioneninvestment von chinesischem VC für Wiener MedTech
1,1 Mio. Euro Waytation Waytation: Millioneninvestment und Großaufträge für Wiener IoT-Startup
1 Mio. Euro carbomed Grazer MedTech Carbomed doppelt 2M2M-Investment auf Millionenbetrag auf
1 Mio. Euro MoonVision MoonVision: Millioneninvestment für Wiener AI-Startup
1 Mio. Euro Andmetics Millioneninvestment für Kosmetik-Startup aus Oberösterreich

13 weitere Millioneninvestments 2019 (Summe unbekannt, Reihung chronologisch)

Summe Startup zum Artikel
siebenstellig Findologic Millioneninvestment für Salzburger E-Commerce-Scaleup Findologic
siebenstellig WeAreDevelopers WeAreDevelopers erhält Millionen-Investment
siebenstellig AdScanner Millioneninvestment in Startup AdScanner durch South Central Ventures
siebenstellig Txture Siebenstelliges Investment für Innsbrucker Startup Txture
siebenstellig hokify Millioneninvestment: karriere.at kauft Mehrheit von HR-Startup hokify
siebenstellig Blockpit Linzer RegTech-Startup Blockpit erhält Millioneninvestment
siebenstellig Agilox Raiffeisen OÖ investiert Millionenbetrag in Logistik-Startup Agilox
siebenstellig Kompany Elevator Ventures (RBI) und Uniqa Ventures steigen bei kompany ein (Anm. Secondary)
siebenstellig a:head Wiener BioTech a:head erhält siebenstelliges Investment von red-stars
siebenstellig Platomics Platomics: Siebenstelliges Investment für digitale Gendatenanalyse-Plattform
siebenstellig Secureo Siebenstelliges Investment für Security-Startup Secureo aus Tirol
siebenstellig Credi2 Millioneninvestment: Volkswagen Bank steigt bei Wiener FinTech cashpresso ein
siebenstellig 123sonography Siebenstellige Kapitalerhöhung für MedTech-Startup 123sonography (Anm. Startup mittlerweile in Konkurs)

9 vermutliche Millioneninvestments in unbekannter Höhe 2019 (Reihung chronologisch)

Summe Startup zum Artikel
unbekannt Energy Hero Energy Hero: Haselsteiner übernimmt Mehrheit von Steinberger-Kern-Startup
unbekannt Atmos Aerosol Research Immobilien-Konzern Soravia investiert in Startup Atmos Aerosol Research
unbekannt Journi KI-Fotobuch-Startup Journi holt Kapital von deutschem VC MairDumont Ventures
unbekannt Finventum BAWAG P.S.K. kauft 49 Prozent des Wiener FinTech-Startups Finventum
unbekannt BimSpot BIMspot: Haselsteiner, i5invest und BitStone investieren in Wiener PropTech
unbekannt has to be VW-Tochter kauft ein Viertel von Salzburger E-Mobility-Startup has to be
unbekannt contextflow contextflow: VCs aus London und Barcelona für Wiener AI-MedTech
unbekannt 7lytix 7lytix und newsadoo: 2 Millionen Euro Investment für Linzer KI-Startups
unbekannt newsadoo 7lytix und newsadoo: 2 Millionen Euro Investment für Linzer KI-Startups
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18.12.2024

“Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?”

Am diesjährigen Global Leaders Summit haben wir mit der dänischen Founderin Ida Tin gesprochen. Wie sie zur Mother of Femtech wurde und warum sie glaubt, Europa fehle die Vision.
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Ida Tin, Co-Founderin von Clue (c) Valerie Maltsev

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Ein Link zum Download findet sich am Ende des Artikels.

Bunte Hosenanzüge, gepaart mit hohen Absätzen, Sneakers, langen Locken und eleganten Kurzhaarschnitten – beim diesjährigen Global Leaders Summit, organisiert von the female factor und unterstützt von der Stadt Wien, gleicht das Publikum einem bunten Bällebad. An diesem ungewöhnlich warmen September­donnerstag füllt sich das Wiener Rathaus mit über 500 weiblichen Führungskräften aus 50 Nationen.

Is this how a leader looks like?

Mittendrin ragt die dänische Founderin Ida Tin aus der Menge. In einem grau-weiß gestreiften Blazer und mit elegantem Hair-Updo setzt sie kontrollierte Schritte auf den roten Teppich, der Besucher:innen den Weg ins Rathaus markiert. Links und rechts stehen weiß bezogene Stehtische, vor einer türkisen Fotowall tummeln sich Hosenanzüge. „This is how a leader looks like“ steht auf der Fotowand.

„Schriftstellerin“ ist die Berufsbezeichnung, die aus diverser Berichterstattung rund um die dänische Gründerin hervorgeht. In ihrem ersten Buch schrieb sie über Motorradreisen. In Dänemark wurde es zum Bestseller. Ihre Geschichte ist eine, die von vielen gehört und gelesen gehört – denn Ida heißt heute „Mother of Femtech“.

Mother of Femtech

Ida wurde im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro geboren und war einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lebens auf dem Motorrad unterwegs. Mit ihren Eltern und ihrem Bruder hat sie so mehrere Länder der Welt bereist.

Zusammen mit ihrem Vater ­arbeitete sie später für Moto Mundo, einen ­ Motorrad-Reiseveranstalter. In den frühen 2000ern organisierte sie Motor­radtouren durch Vietnam, die USA, Kuba, Chile oder die Mongolei; 2009 erschien ihr besagtes Buch „Direktøs“, in dem sie von ihren Reiseerfahrungen erzählt.

Weil auf Reisen kein Tag ist wie der andere, stand Ida vor einem Problem: Woher weiß sie, wann ihre Monats­blutung kommt? Händisch mitzuschreiben ging nicht, am Motorrad war kaum Platz. Sie brauchte etwas Handliches; etwas, das immer dabei ist. Und etwas, das selbst mitdenkt.

Ida kam auf eine Idee – ­ wenige Jahre später startete sie eine der weltweit ersten Tracking-Apps für Frauengesundheit. Ida gründete Clue als App für menstruierende Personen im Jahr 2012 in Berlin, gemeinsam mit Hans Raffauf, Moritz von Buttlar und Mike LaVigne. Über die Jahre wurde Clue zu einer der berühmtesten Apps unter Menstruierenden. Damit schuf Ida eine technologische Lösung zur Verbesserung von Frauengesundheit – eine Femtech-Lösung.

Forgive me, but I think there is a little bit of a lack of vision for Europe.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Zurück am Global Leaders Summit höre ich Ida zu, wie sie auf der Global Stage des Großen Festsaals im Wiener Rathaus spricht. Ida setzt ihre Worte gezielt; im Trubel des Summits sticht sie nicht mit Lautstärke hervor, sondern mit Präsenz. Ohne ihre Stimme zu heben, finden Idas Worte ihren Weg durch die Geräuschkulisse des Festsaaltreibens. Sie spricht von einer Reform unseres Ökosystems.

„Let’s invite men into our world“ und „Sense your body, pay tribute to your mental health“ sind nur zwei der Aussagen, die man selten von Gründer:innen im Business-Kontext hört. Mit dem Aufbau ihres Unternehmens hat sie den Begriffen „Gründung“ und „Unternehmensführung“ eine neue Bedeutung verliehen. Sie hat sie menschlicher gemacht.

Nach dem Panel bleibt Zeit für ein kurzes Interview. Wieder schafft es Ida, mit bewusst gesetzten Wortkombinationen eine wichtige Message zu kommunizieren: „Wir müssen aufpassen, was wir als erfolgreich betrachten. Früher war Erfolg Geld, ein hoher Return on Investment; noch größere Finanzierungsrunden. Doch wenn wir ehrlich sind, ist der eigent­liche Reichtum unsere Gesundheit.“

Wie ein System funktioniert

Unverkennbar geht es in unserem Gespräch nicht nur um Geld: „Mehrere Studien zeigen, dass Investitionen in die Gesundheit von Frauen die Wirtschaft ankurbeln. Erst dieses Jahr hat McKin- sey einen Report herausgebracht, der zeigt: Wir würden uns jedes Jahr eine Billion Dollar sparen, wenn die Gesundheitsbedürfnisse von Frauen an- gemessen erfüllt würden.“

Ida zeigt in unserem Interview, dass sie das Thema bewegt: „Frauengesundheit ist teuer, gar keine Frage. Aber wir wissen mittlerweile auch: Wenn es Frauen gut geht, geht es ihren Unternehmen gut, ihren Familien und schließlich auch der Gesellschaft. Viel­fältige Teams begünstigen integrative Unternehmen, bringen weniger Voreingenommenheit und tatsächlich bessere Geschäftsergebnisse.“

Als ob das nicht schon selbsterklärend genug wäre, betont Ida mit einem Kopfnicken: „Wenn wir also Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.“

“Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und engstirnig.”

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Gesundheit!

Dass das in der Corporate-Bubble schwierig umzusetzen ist, weiß Ida. Auch alle bunten Hosenanzüge, die sich zum Global Leaders Summit im Wiener Rathaus versammelt haben, wissen es. Dass nicht tatenlos zugesehen werden darf, wie Frauen, ihre Gesundheit und ihr Potenzial im Unternehmertum vernachlässigt werden, weiß auch jede vor Ort.

„Wir wissen doch alle, dass man mehr Perspektiven in Führungsebenen bringt, wenn man Frauen dort reinsetzt. Wenn man sie einfach machen lässt und niemanden zu formen versucht. Wir leben in einer Kultur, vor allem in der Tech-Szene, in der wir Menschen formen. Du stellst jemanden an, du formst dir deine Arbeitskraft so, wie du sie willst, drückst sie in interne Strukturen. Du etablierst Arbeitsmodelle, die sich nach 40 Wochenstunden richten und Menschen gesundheitlich belasten. Und nicht selten endet das im Burnout. Ich denke, wir müssen uns in dieser Hinsicht mehr am Gesundheitsaspekt unserer Arbeit orientieren. Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“, so Ida.

Wenn wir Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Langsam lasse ich mir Idas Worte durch den Kopf gehen. „Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“ Ja, der Satz kommt wahrlich aus dem Mund einer der erfolgreichsten Founder:innen unserer Zeit. Das ist das Mindset jener Unternehmerin, die mit ihrer Tracking-App den Begriff Femtech prägte und den Grundstein für eine ganze Branche schuf. Sogar Apple war von Idas Technologie begeistert und bat um Zusammenarbeit.

Idas Mindset kommt nicht von irgendwo: „Meine Eltern waren ein Beispiel für Menschen, die genau das taten, was sie wirklich gerne machten; auch, wenn das in den Augen mancher als verrückter kleiner Traum schien. Mit ihrem Traum haben sie sich immerhin ihren Lebensunterhalt verdient. Und ich denke, wenn einem als Kind die Chance gegeben wird, die Welt zu sehen, bekommt man ein Gefühl dafür, wie viele Realitäten es da draußen gibt; und wie viele Dinge miteinander verknüpft sind.“

Der Mangel an Vision

Stichwort Verknüpfung: Sollten wir nicht zuerst anfangen, auf nationaler Ebene zu denken, bevor wir uns die ganze Welt vorknöpfen? Ida sieht das anders:

„Wie soll ein kleines, noch so starkes Land in einem schwachen Europa überleben? Wenn es zu politischen Unruhen auf europäischer Ebene kommt, sind wir alle verwundbar. Wenn die Wirtschaft in Europa zusammenbricht, werden auch einzelne Staaten zusammenbrechen. Es macht keinen Sinn, in nationalen Einheiten zu denken. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns in Zukunft versorgen können. Wir müssen ein bisschen mehr an unseren Planeten denken. Ich glaube, es mangelt an einer Vision für Europa; und an gutem Storytelling.“

Der neue Erfolg

Ida redet Klartext über Tatsachen, die eigentlich jeder kennt, aber niemand wirklich wahr­ haben möchte. Mit einem weiteren Kopfnicken teilt sie Lösungsansätze:

„Wenn wir unsere Wirtschaft in etwas Nachhaltiges verwandeln wollen, müssen wir Erfolg neu definieren. Zurzeit feiern wir Investments, wir feiern finanzielle Rendite. Wir feiern Unicorns. Aber die Welt verlangt nach einer mehrdimensionalen Vorstellung von Erfolg.“

Ida meint: sich selbst nach eigenen Maßstäben als erfolgreich zu bezeichnen; Gesundheit als Erfolg zu bezeichnen. Und: „Unternehmen aufzubauen, in denen Menschen gesund sein können, in denen Menschen offen queer sein können, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen; in denen man sie nicht zwingt, Alkohol zu trinken – und in denen eine integrative Kultur geschaffen wird.“

Wir brauchen weniger

Mit Clue hat Ida genau das versucht, und zwar mit einem der wohl umstrittensten New-Work-Themen unserer Zeit: der Vier-Tage-Woche. „Wir haben gesehen, dass unsere Leute an vier Tagen in der Woche genauso viel geleistet haben wie an fünf.“

Ida bot ihrem Team neben vier Arbeitstagen damit auch drei freie Tage, die Möglichkeit für Side Projects und mehr Zeit für Sport, Familie und Ruhe. „Viele hatten das Gefühl, dass ihr Leben eine ganz neue Qualität gewonnen hat. Und zusätzlich gibt es auch eine Menge an Studien und Daten, die zeigen, dass das funktioniert“, so Ida.

Wie in Island

So wie in Island, wo seit 2020 51 Prozent der Arbeitnehmenden reduzierte Wochenarbeitszeiten von 35 bis 36 Stunden bei gleichem Lohn wie zuvor hatten. Heute soll der Anteil noch etwas höher liegen, heißt es von einer Studie des britischen Autonomy Institute und der isländischen Association for Sustainability and Democracy (Alda). Im vergangenen Jahr soll die Wirtschaft Islands um fünf Prozent gewachsen sein – damit verzeichnet der Staat eine der höchsten Wachstumsraten in Europa.

In Idas Office gab es an den vier Arbeitstagen außerdem schuhfreie Zonen, einen Meetingraum ohne Tisch sowie Schwimm- und Fitnessstunden für ihre Mitarbeiter:innen. „Es sind die kleinen Dinge, die die Leute zusammen und zum Lachen bringen. Irgendwann hatten wir sogar eine Vorstandssitzung im tischlosen Raum.“

Kannst du acht Stunden am Tag sitzen?“ Ida reißt mich aus meinem kurzen Tagtraum. „Ich kann es nicht!“, wirft sie hinterher. „Auch jeder Sportler weiß, dass man Erholung braucht, um Höchstleistung zu erbringen. Warum sollte man das als arbeitender Mensch also vernachlässigen?“

Die Planeten-Perspektive

Nach fast 40 Minuten werden wir von zwei bunten Hosenanzügen unterbrochen. Die Zeit für das Interview ist um, das nächste steht an. Eine Frage fehlt uns aber immer noch: Wie lässt sich unsere Gesellschaft nun nachhaltig umbauen?

„Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und sie macht uns engstirnig. Niemand auf diesem Planeten muss exorbitant viel besitzen. Alles über einem bestimmten Betrag könnte in Klimafonds fließen, in Sozialprojekte, in die gerechte Verteilung von Vermögen. Die Monopolisierung von Reichtum schafft ein großes demokratisches Problem; und schließlich auch ein Problem für Innovation.“

Was uns Ida sagen will: Man kann keine Gesellschaft aufrechterhalten, in der zu wenige zu viel und zu viele zu wenig haben. „Ich wünsche mir, dass wir an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Manchmal frage ich mich: Warum haben wir nicht eine gemeinsame Marke für unseren Planeten? Einen gemeinsamen Plan mit einer gemeinsamen Perspektive. Das wäre etwas, das uns in unserem Tun sicherlich einiges an Klarheit und Ambition geben würde.“

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