23.09.2019

Reverse Pitch vor der Wahl: Das bieten Österreichs Parteien der Startup-Szene

Im Vorfeld der Nationalratswahl 2019 haben Vertreter der österreichischen Parteien vor der Startup-Community ihre Maßnahmen für das Ökosystem gepitched. Die wichtigsten Punkte werden hier zusammengefasst - als kleine Entscheidungshilfe für die Wahl.
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(c) Stefan Mey

Im Vorfeld der österreichischen Nationalratswahl haben diverse Vertreter der Startup-Szene ihre Forderungen an die Politik artikuliert. Doch wie wollen Österreichs Parteien die heimischen Gründer nach der Wahl wirklich unterstützen? Genau dieser Frage widmete der brutkasten vergangene Woche gemeinsam mit Own Austria, B&M TRICON und weXelerate eine eigene Veranstaltung.

Beim “Reverse Pitch” im Wiener weXelerate pitchten Vertreter der österreichischen Parteien jeweils für fünf Minuten ihre Startup-Programme vor über 140 Gästen und stellten sich anschließend den Fragen der Jury, bestehend aus den Veranstaltern sowie Vertretern von UNIQA Ventures und Austrian Startups.

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Inhaltlich mussten sich die Politiker auf Digitalisierung, Innovation und Forschung konzentrieren – also auf die Rahmenbedingungen für Startups. Themen wie der Wahlkampf (Ibiza, Schreddern, Parteispenden,…), Migration oder der Brexit waren tabu. Zudem galt eine weitere wichtige Pitch-Regel: Rede über dich selbst und nicht über die anderen.

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Andreas Ottenschläger (ÖVP), Sonja Hammerschmid (SPÖ), Yannick Shetty (NEOS), Thomas Nasswetter (JETZT) sowie Sabine Jungwirth (Die Grünen) stellten sich dieser Herausforderung, Gerhard Deimek als Vertreter der FPÖ musste krankheitsbedingt kurzfristig absagen.

Die Grünen

Für Sabine Jungwirth (Grüne Wirtschaft) steht die Vision der nachhaltigen Wirtschaft im Vordergrund. Wichtig ist den Grünen dabei, die Chancen der Digitalisierung zu nützen, globalen Wohlstand zu unterstützen und die Wirtschaft effizienter – und somit ressourcenschonender – zu machen.

Dafür braucht es diverse Maßnahmen und rechtliche Rahmenbedingungen – insbesondere für Startups, da diese teilweise in einer Sondersituation sind. Jungwirth betont dabei drei Themen.

Erstens das Thema Rot-Weiß-Rot-Karte: Diese ist laut Jungwirth “ein einziges Ärgernis” und hilft nicht dabei, die benötigten Fachkräfte ins Land zu bringen. Bezüglich der Anforderungen bei Fachkräften aus dem Ausland sollten laut Jungwirth die Vorgaben der Kollektivverträge ausreichen. Das Ersatzkräfteverfahren bedeutet laut Jungwirth nur Bürokratie, hier zweifelt sie auch – besonders bei Mangelberufen – die  Sinnhaftigkeit an. Auch sieht sie es als problematisch, dass es schwierig ist, ohne universitären Abschluss einen Zugang zum hiesigen Arbeitsmarkt zu bekommen. Es muss laut Jungwirth somit viel geändert werden, damit man Fachkräfte rasch ins Land holen kann.

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Das zweite Thema: Sandboxes. Das vielzitierte Thema der Sandboxes betrifft laut Jungwirth nicht nur Startups, sondern auch viele andere Unternehmen. Als wichtiges Thema nennt sie auch die Gewerbeordnung: Diese verhindere nur den Eintritt neuer Marktteilnehmer und müsse daher “entrümpelt ” werden. Künftig sollen nur jene Branchen darunter fallen, bei denen es um “Schutz von Leib, Leben und Gesundheit” geht.

Last, but not least: Rechtsform Neu. Jungwirth plädiert für einen Wegfall der Notariatspflicht, der Pflicht zum Firmenbucheintrag und der Berichtspflichten. Dies erzeuge viel Bürokratie und hohe Kosten.

Neos

Yannick Shetty betont, dass die Neos sich in den vergangene Monaten mit vielen Startups unterhalten haben und dass sich dabei immer die gleiche Kernaussage herauskristallisierte: “Wenn wir heute wieder gründen würden, dann würden wir nicht in Österreich gründen.” Auch er greift drei Themen heraus, mit denen sich die Situation nach Ansicht der Neos verbessern kann.

Erstens: Die radikale Senkung der Lohnnebenkosten. Bei einem Bruttolohn von 2000 Euro verdient man in Österreich rund 1400 Euro netto. Für den Arbeitgeber entstehen durch den Dienstgeberanteil dabei aber Kosten in Höhe von rund 2600 Euro. Die Lohnnebenkosten sollen daher gesenkt werden. Shetty plädiert für die Abschaffung der U-Bahn-Steuer, der Kommunalsteuer und der Kammerumlage 2, sowie der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern.

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Zweitens: Neue Rechtsformen. Mit neuen Rechtsformen soll Österreich als Standort für ausländische Investoren und für ausländische Gründer attraktiver gemacht werden. Geplant ist eine “GmbH Zero” mit einem Stammkapital von null Euro, durch die eine GmbH in zwei Tagen gegründet werden kann, anstatt wie derzeit durchschnittlich in 20 Tagen. Auch eine “AG Light” soll eingeführt werden, da diese als Marke attraktiver ist als eine GmbH. Die AG Light hat im Modell der Neos ein Stammkapital von 20.000 Euro, sie soll bis zu einer gewissen Bilanzsumme nicht aufsichtsratspflichtig sein. Die “EU Limited” als gemeinsame europäische Rechtsform soll ein Handeln in Europa erleichtern.

Drittens sind Fachkräfte für die Neos ein wichtiges Thema. Auch Shetty bezeichnet die Regelung der Rot-Weiß-Rot-Karte als “katastrophal”. Derzeit muss man als Gründer “innovative Konzepte haben, die man in Österreich verwirklichen will”, wenn man über den Aufenthaltstitel der Rot-Weiß-Rot-Karte nach Österreich kommen will. Seit Beginn der Rot-Weiß-Rot-Karte haben von dieser Möglichkeit nur drei Personen Gebraucht gemacht. Das Konzept der Neos sieht ein modernes Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild vor – inklusive eines Punktesystems, mit dem man unbürokratisch nach Österreich einwandern kann.

Liste Jetzt

Der dreifache Unternehmensgründer Thomas Nasswetter präsentierte die Konzepte der Liste Jetzt für die österreichische Startup-Szene. Als erstes wichtiges Thema nennt er die Forschung: Die Liste Jetzt möchte das Forschungsbudget verdoppeln und einen Schwerpunkt in der Grundlagenforschung setzen, da diese den Kontext schafft, um auch langfristig wirtschaftlich bestehen zu können. Dies soll finanziert werden, indem auf die geplante Verringerung der KöSt verzichtet wird und dafür das Geld in die Forschung investiert wird.

Weiters liegt ein Schwerpunkt bei der betrieblichen Innovation und Forschung. Die Liste Jetzt würde dieses Thema gerne mit jenem des Klimaschutzes verbinden. Als Beispiel nennt er, dass bei der Solarthermie “billige Kollektoren aus China” gefördert werden, anstatt Hightech-Produkte, die einen deutlich höheren Ertrag über ihre Lebensdauer bringen. Dies müsse sich ändern.

In Sachen Digitalisierung betont er, dass die “digitalen Supermächte” allesamt in den Vereinigten Staaten, Russland und Asien sitzen. Hier könnte Europa durch Open-Source-Ansätze wettbewerbsfähiger werden. Im Förderungswesen sieht er die Haftungsübernahmen bei Startups als “nicht die richtigen Instrumente”, weil “die Grundlagen für diese Haftungsübernahmen fehlen”. Startup-Förderungen sollte daher mehr in Richtung Klimaschutz, Landwirtschaft, Biotechnologie und Verkehr gedacht werden.

Abschließend plädiert Nasswetter gegenüber der Startupszene auch für “nachhaltiges Wachstum”, anstatt sich auf kurzfristige Profite zu fokussieren.

SPÖ

Sonja Hammerschmid beobachtet, dass sich in den vergangenen 20 Jahren zwar viel getan hat, Österreich aber noch immer nicht das größte Gründerland ist. Als zentrale Stellschraube sieht sie die Unternehmens- und Gründungskultur in Österreich, inklusive der Risikobereitschaft. Das wesentliche Thema lautet dabei: Bildung. Also Schulen, in denen nicht nur Entrepreneurship Education und Financial Literacy auf dem Lehrplan stehen, sondern auch Kreativität und Neugier, sowie die Verbindung all dieser Themen. Diese Schulen sollen projektorientiert und themenspezifisch unterrichten. Nur so, sagt Hammerschmid, wird es Gründerinnnen und Gründer geben, die all diese Themen auch zusammen überdenken können. Auch digitale Kompetenzen, sowie der Frauenanteil in naturwissenschaftlichen Fächern sind wichtige Themen.

Hammerschmid verweist weiter darauf, dass Österreichs Universitäten seit vielen Jahren an massiver Unterfinanzierung leiden und das Thema Entrepreneurship dort nicht abgekommen ist. Es braucht laut Hammerschmid daher Ziel- und Leistungsvereinbarungen in den Universitäten, die eben dieses Thema fördern, sowie einen Forschungsfonds, der entsprechend ausgestattet ist. Auch muss es in den Lebensläufen der Wissenschaftler Anerkennung finden, wenn diese ein Unternehmen gegründet haben.

Zum Thema Gründen per se betont Hammerschmid, dass die Startups der verschiedenen Branchen unterschiedliche Förderungen benötigen – eine LifeScience-Unternehmen hat zum Beispiel andere Anforderungen als ein Startup, das eine App entwickelt. Gerade in der frühen Phase gehe es darum, Unternehmen auf den Weg zu bringen durch Zuschussinstrumente, Seed Financing und Mezzanine-Kapital. Zugleich betont sie, dass es ein Finanzministerium braucht, welches das Risiko mit trägt: “Die Förderagenturen haben wunderbare Instrumente, aber sie sind nicht autonom bei der Ausformung. Zudem hinterlegt das Finanzministerium Ausfallsquoten, die völlig unrealistisch sind, wenn man die Themn Startups, Innovation und Technologie ernst nimmt”, sagt Hammerschmid.

Abschließend spricht auch sie sich für Maßnahmen der Entbürokratisierung und bei der Rot-Weiß-Rot-Karte aus.

ÖVP

Andreas Ottenschläger kommt aus der Immobilienwirtschaft und vergleicht das Startup-Ökosystem daher mit einem Hausbau: Das Fundament für gute Rahmenbedingungen ist das Thema Bildung. Hier braucht es Experten aus der Praxis, die Kinder für diese Themen begeistern und sie über Projekte an das Thema Unternehmertum heranführen. Zudem braucht es eine Begeisterung für die MINT-Fächer, bei denen es massive Nachwuchssorgen gibt.

Das zweite Thema ist die Gründung per se. Hier betont Ottenschläger, dass bereits viele Maßnahmen gesetzt wurden – zum Beispiel die E-Gründung. Zweifelsohne sei hier aber noch Luft nach oben.

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Der dritte Punkt wird nach der Gründung relevant: Die Finanzierung. In den ersten Runden sei man in Österreich bei der Finanzierung gut aufgestellt, bei der Midterm-Finanzierung wird die Luft jedoch wieder dünner. Ottenschläger spricht sich daher für eine steuerliche Begünstigung jener aus, die Risikokapital zur Verfügung stellen – dies sei der nachhaltigere Weg, als “immer irgendwelche Förderungen zu erfinden”.

Stichwort Fachkräfte: Auch Ottenschläger sieht bei der Rot-Weiß-Rot-Karte Nachholbedarf. Zum Beispiel bezweifelt auch er die Sinnhaftigkeit der Akademikerquote bei der Rot-Weiß-Rot-Karte, bei dem Thema Mindestgehalt müsse man auch eine etwaige Gewinnbeteiligung mit berücksichtigen.

A propos: Generell spricht sich die ÖVP für Freibeträge bei der Mitarbeiterbeteiligung aus. Weiters wichtig: Rechtssicherheit für Unternehmer und eine weitere Steuerentlastung.

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Rituale, Rituale der Startup-Welt, Ritual, Howard, Factinsect, Hadia, Storebox, Instahelp, monkee, Dental Armor, Coinpanion
(c) Hello Again/zVg/Hadia/Die Abbilderei/Storebox/schon nice gmbh/Victor Malyshev - (o.v.l.) Franz Tretter von Hello Again, Romana Dorfer von Factinsect, Anna Lauda von Hadia, Bernadette Frech von Instahelp/ Johannes Braith von Storebox, Saad Wohlgennannt von Dental Armor und Martin Granig von monkee.

Dieser Artikel ist im brutkasten-Printmagazin von Dezember 2024 erschienen. Eine Download-Möglichkeit des gesamten Magazins findet sich am Ende dieses Artikels.


Ein Pythonkopf aus Stein ragt aus der Dunkelheit hervor. In Kreisen angeordnete, farbenfrohe Speerspitzen verzieren den kalten Höhlenboden; manche davon stammen aus Hunderte Kilometer entfernten Gegenden. Am Ende der Höhle erstreckt sich ein kleiner, versteckter Raum, der Platz für eine Person bietet; üblicherweise versteckt sich ein Schamane darin und spricht zu seinem Stamm, sodass es scheint, die steinerne Schlange selbst lasse donnernde Worte erklingen.

Diese Verehrung des majestätischen Reptils fand vor rund 70.000 Jahren in der Kalahari-Wüste am Fuße der Tsodilo Hills im heutigen Botswana statt. Dies hat im Jahr 2012 die Archäologin Sheila Coulson herausgearbeitet und, so heißt es, damit das älteste wissenschaftlich belegte Ritual der Welt entdeckt.

Seitdem haben sich Rituale in Gesellschaften im Großen und Kleinen gehalten und weiterentwickelt – von religiösen Gepflogenheiten über politisches Zeremoniell bis hin zu privaten, sich wiederholenden Gewohnheiten sind sie in tausendfacher Weise etabliert. Das Küssen des Balls im Sport, das Aufstehen mit dem „richtigen Fuß“, Salz über die Schulter werfen, auf Holz klopfen, Dinge nicht verschreien, Braut und Bräutigam nicht vor der Hochzeit sehen, zu bestimmten Jahreszeiten fasten, den Jahreswechsel laut feiern oder die zum Ritual gewordene Morgen-Rou­tine wiederholen.

Spiritualität und Ordnung

All dies lässt sich komprimiert und per Definition in zwei Bedeutungen unterteilen: in eine spirituelle Handlung und in ein „wiederholtes, immer gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung“. Exakt diese Ordnung (also die zweite Definition) ist es, die auch manchen Startup-Gründer:innen dabei hilft, den stressigen Joballtag zu bewältigen, Klarheit zu schaffen und Erfolge zu erreichen.

Sohlen und Poster

So zeigt sich etwa Johannes Braith vom österreichischen Scaleup Storebox als großer Anhänger davon, sich klare Ziele zu setzen und diese zu visualisieren.

„Dabei halte ich es für wichtig, einerseits eine große Vision zu definieren und diese in kleinere Meilensteine herunterzubrechen“, sagt er. „Diese verhältnismäßig kleinen Meilensteine sind leichter zu erreichen, greifbarer und man kann entsprechend auch früher Erfolge verbuchen. Das Wichtigste ist, konstant dranzubleiben. Erfolg ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“

Das Visualisieren definierter Ziele wurde bereits früh als Ritual bei Storebox eingeführt: Im Office des Logistikunternehmens prangen Vision und Werte als Poster an der Wand und OKRs (Objectives and Key Results) werden in Echtzeit mittels Soll/Ist-Vergleich auf Bildschirmen angezeigt.

Zudem gibt Braith noch eine weitere Besonderheit aus seiner Ritualwelt preis: „Habe ich ein Etappenziel für mich definiert, schreibe ich es mir auf die Sohlen meiner Schuhe“, sagt er. „Das hilft mir, mich daran zu erinnern, dass jeder kleine Schritt zählt.“

Der Knopf des Erfolgs

Franz Tretter, Gründer des Kundenbindungs-Startups Hello Again, nutzt Rituale dazu, um Ziele und Kultur in seinem Team zu verankern. Dazu gehört ein „Global Success Button“, der bei jedem neuen Kunden gedrückt wird, mit anschließender Feier im Büro. Mitarbeiter:innen, die remote arbeiten oder unterwegs sind, werden per Mail oder Smartphone ebenso informiert; „einfach, damit man Bescheid weiß“, sagt Tretter.

Auch etwas namens „Howard 1000“ gehört zum regelmäßigen Ritual des Linzer Teams dazu. Dabei handelt es sich um eine Wand bestehend aus 1.000 Kästchen mit einer besonderen Bedeutung. „Wir haben diese aufgebaut, als wir 120 Kunden hatten. Mit jedem Kunden, den wir gewonnen haben, haben wir ein Logo hinzugefügt und haben nun knapp 900 Kästchen voll“, erklärt Tretter.

Und zu guter Letzt sind bei Hello Again die „Compliment Cards“ ein weiteres internes Ritual: „Wertschätzung ist total wichtig bei uns“, erklärt Tretter. „Wir haben eigene Kärtchen beim Eingang, da schreibt man gelegentlich etwas Nettes drauf und legt es am Abend Kollegen auf den Tisch. Die freuen sich am nächsten Morgen.“

An diesen beiden Beispielen bemerkt man bereits eine kleine Gemeinsamkeit, die zwischen den Zeilen mitschwingt: Wiederkehrendes, etwas Konstantes ist nicht bloß eine Orientierungshilfe für Startup-Gründer:innen, sondern kann als einer von mehreren Bausteinen eines spezifischen Mindsets gesehen werden; eines Mindsets, das von einem ruhigen Leadership-Skill zeugt und deutlich zeigt, dass manchmal das wilde Gefüge in einem selbst sowie auch das Äußere, das sich unter Mitarbeitenden am Arbeitsplatz entwickelt, gepflegt werden muss.

Gemeinschaft fördern

Das weiß auch Anna Maria Lauda von Hadia, einem Wiener Verein, der weibliches Unternehmertum in Afghanistan fördert. Ihr hilft eine tägliche zehnminütige Meditation, den Tag entschleunigt, entspannt und fokussiert zu beginnen.

„Dadurch kann ich klarere Prioritäten setzen und produktiver arbeiten“, sagt sie. „Früher lag mein Schwerpunkt vor allem auf individuellen Praktiken wie dem Selbstmanagement und der strikten Zeitplanung durch To- do-Listen. Doch im Laufe meiner Reise als Gründerin habe ich erkannt, dass Flexibilität und der wertvolle Austausch mit dem Team genauso entscheidend sind. Heute schätze ich Rituale, die nicht nur den persönlichen Fokus stärken, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl fördern.“

Daher veranstaltet Lauda wiederkehrende Onlinemeetings mit ihren Weberinnen in Afghanistan. „Regelmäßige Check-ins mit den Frauen sind inspirierend und motivierend. Allzu leicht verliert man in der Hektik des Alltags den Bezug zu den Menschen, für die man arbeitet. Und diese Gespräche erinnern mich daran, was unser gemeinsames Ziel ist und wie viel wir schon erreicht haben“, sagt sie.

Saad Wohlgenannt, Gründer und CEO des Zahn-Startups Dental Armor und der Kryptobörse Coinpanion, hatte im Lauf der Zeit verschiedene Rituale, die er jedoch mittlerweile fast alle ab- gelegt hat; darunter eine wöchentliche „Rückschau“, um zu überlegen, was er besser machen könnte, oder Journaling (Anm.: Blick nach innen mit schriftlicher Aufzeichnung, was in einem vorgeht).

Heute plant er an jedem Geburtstag, was er im kommenden Jahr erreichen möchte. Meistens setzt sich der Founder dabei ein monetäres Ziel für sein Business sowie ein paar persönliche Ziele, wie etwa einen neuen Sport zu erlernen, ein Land zu bereisen oder ein bestimmtes Problem zu lösen.

„Die wichtigsten Rituale, die mir langfristig helfen, meine Ziele zu erreichen, haben meistens den Effekt, mich kurzfristig vom Arbeiten abzuhalten“, sagt er. „Zum Beispiel beginne ich meinen Tag mit ein paar Mobility-Übungen, Liegestützen, Klimmzügen und einer kalten Dusche – erst danach schaue ich in meine E-Mails und starte richtig durch. Ab 20.30 Uhr ist mein Handy auf ‚Nicht stören‘, und dann bin ich nur noch schwer erreichbar.“

Drei und nicht mehr

Romana Dorfer beschäftigt sich mit ihrem Startup Factinsect damit, die Fülle an Fake News im Netz aufzulösen und User:innen gesicherte Informationen zur Verfügung zu stellen. Sie selbst hat sich früher oft viele, unspezifische und große Ziele vorgenommen, die jedoch innerhalb eines Tages kaum zu erreichen waren. Dabei waren Fortschritte nur schwer messbar und am Ende des Tages wurde kein Ziel erledigt, wie sie gesteht. Dadurch ist oft das Gefühl entstanden, wenig erreicht zu haben.

Heute greift sie maximal auf drei Vorhaben pro Tag zurück. „Der Vorteil ist, dass ich fast immer alle Ziele für den Tag erreiche und dadurch meine Motivation steigt. Meistens arbeite ich dann noch an weiteren Themen“, sagt Dorfer.

Bei Martin Granig, Gründer der Spar-App monkee und Vater einer siebenjährigen Tochter, sehen die Morgen oftmals chaotisch aus. Um dem entgegenzuwirken, hat er eine Morgenroutine entwickelt: „Ich stehe meist 30 Minuten früher auf. Das gibt mir die Gelegenheit, mich in Ruhe im Bad fertig zu machen“, sagt er. „Während des Zähneputzens mache ich ein paar Übungen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen, bevor ich Frühstück für meine Tochter und Kaffee für meine Frau und mich zubereite. So habe ich noch ein paar ruhige Momente für mich, bevor der Trubel beginnt.“

Am Ende seines Arbeitstags führt der Gründer einen kurzen Check-in durch und klärt für sich, was er heute schaffen möchte, was er tatsächlich geschafft hat und was er noch anpassen muss.

„Das hilft mir, mein Time-Boxing im Kalender zu optimieren, gerade für die Aufgaben, die zwar wichtig sind, aber erst in der Zukunft anstehen“, erklärt er. „Ich habe gelernt, dass es notwendig ist, solche Dinge bewusst zu planen, bevor sie von den dringenden, aber weniger wichtigen Aufgaben verdrängt werden.“

Raus aus der Bubble

Für Granig gibt es zudem noch ein persönliches Highlight der Woche: Freitagabend-Basketball. „Das mag zwar kein typisches Gründer-Ritual sein, aber für mich ist es essenziell. Es hilft mir, Stress abzubauen, den Kopf frei zu bekommen und in einer entspannten Atmosphäre mit Freunden zu lachen. Danach starte ich erfrischt ins Wochenende – und am Montag wieder voller Energie in die neue Woche“, so der Tiroler, der früher oft von „dringenden Dingen“ stark getrieben war, die dazu führten, dass wichtige strategische Aufgaben oftmals zu kurz kamen.

„Man arbeitet in so einem Fall zu viel ‚in the business‘ statt ‚on the business‘“, sagt er. „Heute habe ich meine Timeboxing-Routine deutlich verbessert, damit genau diese wichtigen Dinge nicht untergehen. Früher musste ich auch keine Rücksicht auf Familie und Kind nehmen. Das hat sich natürlich geändert, und ich musste Wege finden, trotz all der Verantwortung auch noch Zeit für mich zu schaffen. Daher meine Morgenroutine und mein Freitagabend-Basketball. Dort geht es einfach nur ums Spielen und um entspannte Gespräche über deutlich unkompliziertere Dinge als Startups, Karriere oder Business. Das tut gut und gibt mir Energie.“

Ankerpunkte fürs Wesentliche

Ähnlich ergeht es Instahelp-Founderin Bernadette Frech. Für die Gründerin des Grazer Health-Startups sind Rituale bewusste Ankerpunkte, um den Fokus auf dem Wesentlichen zu halten – im Beruf wie im Privatleben.

„Eines der wichtigsten Rituale habe ich mit meinen Kindern: Jeden Morgen beginnen wir den Tag mit einer vollen Minute Umarmung, ohne Worte, nur Nähe. Das stärkt unsere Bindung und gibt uns einen liebevollen Start in den Tag“, sagt Frech. „Abends reflektieren wir gemeinsam: Beim Rückenkraulen sprechen wir über Belastendes, bei der kitzligen Fußmassage teilen wir schöne oder lustige Momente und bei der Kopfmassage besprechen wir, wofür wir dankbar sind und was uns gut gelungen ist.“

Ambition vs. Balance

Auch bei ihr haben sich Rituale über die Jahre verändert und sich immer wieder ihren Lebensumständen angepasst. Früher, als berufliche Ambitionen im Vordergrund standen, hatten Frechs Rituale viel mit persönlicher Effizienz und beruflicher Zielerreichung zu tun. Heute, als dreifache Mama und Unternehmerin, haben sich die Prioritäten verschoben.

„Es geht mir jetzt viel stärker darum, eine Balance zwischen Karriere und Familie zu finden, ohne den Fokus auf meine eigene mentale Gesundheit zu verlieren“, erklärt sie. Das Ritual mit ihren Kindern sei ein Beispiel dafür, wie sich Rituale an neue Lebensphasen anpassen.

„Früher hätte ich vielleicht nicht gedacht, dass eine Umarmung am Morgen oder ein Ritual vor dem Schlafengehen so kraftvoll sein könnten. Heute sind es genau diese Momente, die mich erden und mir und meinen Kindern Energie geben“, erzählt sie. „Was sich jedoch nie geändert hat, ist meine wöchentliche psychologische Beratung. Sie ist seit Jahren eine Konstante, die mich sowohl beruflich als auch persönlich auf Kurs hält, auch wenn sich die Themen im Laufe der Zeit wandeln.“

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