13.07.2020

Wird das milliardenschwere TikTok zum Bauernopfer in einem Wirtschaftskrieg?

In immer mehr Staaten werden Rufe laut, die chinesische App TikTok zu verbieten. Als Grund wird oft Spionageverdacht genannt. Doch es steckt mehr dahinter.
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Tiktok - wirklich gefährlich in punkto Datenschutz? (c) Adobe Stock / prima91 / beigestellt

Sie kennen TikTok noch nicht selbst? Dann gehören Sie nach Everett Rogers´ Klassifizierung der Adaptions-Geschwindigkeit zur letzten Gruppe, den Innovations-Nachzüglern. Die App ist erfolgreicher als Facebook, hat heute über 2 Milliarden User und nicht weniger große Sorgen. Die Sorgen sind so groß, dass Sie sich womöglich nicht darüber ärgern müssen, nicht zu den „Early Adaptors“ gehört zu haben, denn die App könnte ihre internationale Präsenz womöglich bis 2021 verlieren und erstes Bauern-Opfer eines größeren, wirtschaftlichen Konfliktes werden. Aber der Reihe nach.

Was ist TikTok und woher kommt es?

Ursprünglich hieß die App etwas unrund „Musical.ly“ und war bis August 2018 ein beliebter Videostreaming-Dienst mit etwas über 100 Millionen Nutzern. Gegründet von 2 Chinesen in Shanghai, hatte die App von Beginn an ein Standbein in Los Angeles und war auf internationales Wachstum ausgerichtet. Im August 2018 wurde die App dann von der Pekinger Firma ByteDance übernommen und ihre Benutzer zu TikTok übersiedelt. Seit dem Transfer explodierten die Nutzerzahlen und das Unternehmen überschritt sogar die magische Bewertung von 100 Milliarden Dollar.

TikTok hat mächtige Feinde

Indien, der größte geschlossene Social Media User-Markt nach China, verbannte am 29. Juni die beliebte App, zusammen mit 28 weiteren chinesischen Apps. Die Regierung unterstellt diesen, den indischen Sicherheitsinteressen zu schaden und chinesischer Spionage zu dienen. Das Argument wurde just vorgebracht, nachdem sich ein lange schwelender Grenzkonflikt in der Region Ladakh zuspitzte. Bei einer Auseinandersetzung zwischen indischen und chinesischen Soldaten wurden 20 Inder getötet. Kurz danach sperrte man die 29 Apps und warf China vor, Daten indischer User missbräuchlich an die chinesische Regierung übermittelt zu haben.

Mike Pompeo sagte vergangenen Donnerstag gegenüber FOX News, die USA würden ebenfalls in Erwägung ziehen, TikTok zu sperren. Das Argument glich dem der Inder, ByteDance würde Userdaten an die chinesische Regierung übermitteln, was amerikanische Interessen bedrohe.  Er wolle nicht Daten von US-Bürgern in Händen chinesischer Kommunisten sehen, erläuterte der US Außenminister weiter ruppig. Und sei das noch nicht genug der schlechten Nachrichten für den App-Betreiber, haben australische Abgeordnete angekündigt, das Thema TikTok vor den Senat zu bringen und ebenfalls über einen Bann auf dem Kontinent zu diskutieren. Es dauerte keine 48 Stunden und die Forderung, die App zu verbieten, landete auch in Europa, genauer in UK, wie mehrere britische Zeitungen meldeten.

In Hongkong entschied TikTok von sich aus, sich zurückzuziehen. Als Begründung wurde genannt, dass man der dort immer aktiver werdenden, chinesischen Regierung nicht sensible Auskünfte über Hongkong-Chinesen erteilen wolle. Der Rückzug wird in einer Phase vollzogen, in der Honkong bürgerkriegsähnliche Zustände zu bewältigen hat. Unabhängig davon aber kann TikTok dort nur verlieren. Es ist ein kleiner, unbedeutender Markt – mit einem ungleich größeren Bedrohungspotential, zwischen die Räder der Konfliktparteien zu geraten.

Ist die Bedrohung durch TikTok real?

Apps dieser Machart nutzen mitunter auch persönliche Daten, um zu funktionieren oder haben Fehler, die einen Missbrauch erlauben. Insofern könnten solche Bedenken begründet sein, vor allem für Menschen innerhalb Chinas.

Im Jänner diesen Jahres überraschte die New York Times mit einer Analyse der israelischen Cybersecurity-Firma CheckPoint. Diese habe schwere Sicherheitsmängel bei TikTok festgestellt, die sogar Zugriffe Dritter auf Daten erlaube. TikTok ging in die Offensive und beteuerte, alle Mängel beseitigt zu haben. Zudem kursieren Analysen einer Handvoll Tech-Blogs, wonach TikTok regelmäßig auf den Zwischenspeicher der Handynutzer zugreife, ohne allerdings zu sagen, ob dies nicht auch andere Gründe haben könne. (Auch Linkedin oder Reddit taten dies lange Zeit). Vor drei Wochen riet dann das Hacker-Kollektiv Anonymous User dazu, TikTok zu löschen.

Vor wenigen Tagen schickte sodann Amazon eine Aufforderung an seine Mitarbeiter, TikTok zu löschen, sollte die App auf Smartphones laufen, auf denen auch Firmen-Emails gelesen werden. Man fürchte Daten-Diebstahl. Doch Amazon konnte für keine Begründung erreicht werden und kommunizierte ebenfalls keine Details zu den Vorwürfen.

Auch wenn viele verschiedene Quellen vor TikTok warnen, ganz schlüssig ist vor allem die politische Reaktion nicht:

  • Der indische Bann der Apps erfolgte genau zum Zeitpunkt eines ernsthaften militärischen Konflikts mit China. Die Debatte in Indien ist zudem reichlich mit China-Ressentiments aufgeladen. TikTok ist bestimmt groß, aber sicher bei weitem nicht das datentechnisch kritischste chinesische Unternehmen, das in Indien aktiv ist. Es stand aber thematisch im Vordergrund.
  • Auch die Ankündigung der Trump-Regierung, TikTok zu verbannen, erfolgte just nachdem eine über TikTok akkordierte Aktion von Usern, dem US-Präsidenten seinen Wahlkampfauftakt in Tulsa (Oklahoma) praktisch zunichte gemacht hatte und Trump wegen Corona ohnedies auf Anti-China Frames setzte (siehe meine Analyse zu Trumps Wahlkampfauftakt). Zufall?
  • Weiters sollten wir nicht Opfer unserer eigenen Daten-Paranoia werden. Wenn ein Politiker heute sagt „Die missbrauchen eure Daten“, erhält er sofort grünes Licht für alle möglichen staatlichen Eingriffe und Verbote. Datenschutz ist sehr wichtig, aber wir vergessen oft, zu differenzieren und bei solchen doch erheblichen Vorwürfen tiefer zu graben. Sachliche und überprüfbare Beweise wären jedenfalls hilfreich bei der Einordnung eines derart schweren Spionagevorwurfs.

Um die App TikTok und deren Inhalte selbst kann es außerhalb Chinas wohl kaum gehen. Die Inhalte bestehen aus völlig trivialen, mehr oder weniger witzigen Kurz-Sing-Tanz-Blödel-Videos. Es gibt vereinzelt, sehr oberflächliche, politische Botschaften und auch die Chat-Funktion könnte man theoretisch für ernsthafte Themen nutzen. Dass diese App der chinesischen Regierung einen relevanten Spionage-Vorteil bringen soll, ist ohne harte Beweise aber schwer nachzuvollziehen.

Schließlich nutzt die Welt auch das chinesische Alibaba von Jack Ma. Diese digitale Plattform macht 40 Milliarden Umsatz und stellt einen richtigen ökonomischen Machtfaktor im globalen B2B-Geschäft dar. Dort werden wichtige Unternehmensdaten gespeichert und Personenregister geführt. Die Welt nutzt weiters Wechat, eine App welche ausführliche Chats, Einkäufe und Bezahlfunktionen vereint. Diese App, mit hochsensiblen Daten, nutzen neben rund 1 Milliarde Chinesen auch 100 Millionen Menschen außerhalb Chinas.

China verkauft darüber hinaus viele weitere Produkte, etwa Computer von Lenovo, Handys und Netzwerkausrüstung von Huawei oder ZTE und Geräte, die sensible, persönliche Daten der Enduser tracken, wie z.B. von Xiaomi. Hunderte Millionen Geräte und Software-Produkte verschickt China also in die ganze Welt, die allesamt hochsensible Daten nutzen, tracken und verarbeiten. Und ja, das alles kann sehr problematisch sein und sollte unsere Aufmerksamkeit bekommen. Aber von all den Geräten, Plattformen und Apps, soll ausgerechnet diese infantile Ulk-App TikTok verbannt werden, weil sie ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen soll?

Fazit

TikTok kann theoretisch für sensible Informationen genutzt werden und greift auch gewisse Userdaten ab, vergleichbar etwa mit Facebook oder Instagram. Auch hat die App vergleichbare Bugs zu beseitigen gehabt. Insofern, vor allem wegen seiner großen Verbreitung, könnten persönliche Daten missbräuchlich an die chinesische Regierung übermittelt werden. Diese Logik eines möglichen Datenmissbrauchs müsste man aber, wenn schon, auf alle digitalen Produkte Chinas umlegen. Es gibt bestimmt Dutzende, die sehr viel sensiblere Daten verarbeiten als TikTok und auf relevanteren Geräten installiert sind, als jenen von mehrheitlich Teenagern und Twens.  Würde es zudem stimmen, dass immer noch offene Mängel bestünden, die sogenannte „Malware“ erlaube, stellt sich die Frage, weshalb dazu keine echten Beweise veröffentlicht werden, handelt es sich doch um das größte soziale Netzwerk der Welt.

Wären Sie der Präsident der USA oder jener Indiens und Sie hätten gerade einen mächtigen Konflikt mit China und wollten dem Land einen Schaden zufügen oder sich für einen erlittenen Schaden revanchieren – wie würden Sie vorgehen? Sie würden vermutlich eine Taktik wählen, die Ihnen und der eigenen Wirtschaft am wenigstens schadet, oder? Und, Zufall oder nicht, genau das ist mit TikTok möglich. Es ist ein chinesisches Unternehmen mit Milliardengewinnen aus B2C, ohne jegliche wirtschaftliche Bedeutung für Länder außer China. Keiner macht B2B-Geschäfte über TikTok und die TikTok-Arbeitsplätze außerhalb Chinas, etwa in L.A., haben keine relevante Größe. Das ist wohl Pech.

TikTok hin oder her, professionelle globale Spionage ist eine permanente, wenn auch unsichtbare,  Realität seit dem Zweiten Weltkrieg. Nachrichtendienste aus aller Welt spionieren alles aus, was möglich ist. Sie sitzen an unseren Internet-Daten-Knoten, lesen alle unsere Bank-Überweisungen mit oder werben enge Mitarbeiter unserer Politiker als Spitzel an, wie vor 3 Tagen wieder im Fall Angela Merkel aufgedeckt wurde.  Das ist alles bekannt. Seit Edward Snowden und dem Aufdecker Glenn Greenwald wissen wir zudem, dass man mikroskopisch kleine Spionage-Implantate auf Hardware bekannter Marken im Netzwerkbereich anbringen hat können. Es ist für Nicht-Politiker schwer zu verstehen, aber auch zwischen befreundeten Staaten ist diese echte, breite sowie richtig tiefgehende Spionage Gang und Gäbe. Man kann das für hoch problematisch halten in einer freien Welt. Denn es geht nicht nur um die Verletzung staatlicher Souveränität, sondern auch um unsere höchst privaten Bürgerrechte, die sehr wahrscheinlich von Dutzenden Diensten permanent mit Füßen getreten werden.

Ich wage also die These, die „Wow, you can really dance”-App TikTok steht auf der realen Gefährdungsskala der Menschen nicht in vorderster Reihe. Zumindest nicht technisch, vielleicht aber politisch. Denn wirtschaftspolitisch würde die Welt China, mit dem auf allen Kontinenten diskutierten Bann, einen milliardenschweren Schaden zufügen.

Das kommunistische Ein-Parteien-Regime in China tut bestimmt vieles, was uns Sorge bereiten sollte. Aber dieser nicht wirklich konsistent begründete, mögliche Bann der größten Social-Media-App, riecht nach dem inszenierten Beginn eines Wirtschaftskrieges, bei dem TikTok das Bauernopfer werden könnte und in dem, wie in jedem Krieg, die Wahrheit das erste Opfer ist.


Über den Autor

Mic Hirschbrich ist CEO des KI-Unternehmens Apollo.AI, beriet führende Politiker in digitalen Fragen und leitete den digitalen Think-Tank von Sebastian Kurz. Seine beruflichen Aufenthalte in Südostasien, Indien und den USA haben ihn nachhaltig geprägt und dazu gebracht, die eigene Sichtweise stets erweitern zu wollen. Im Jahr 2018 veröffentlichte Hirschbrich das Buch „Schöne Neue Welt 4.0 – Chancen und Risiken der Vierten Industriellen Revolution“, in dem er sich unter anderem mit den gesellschaftspolitischen Implikationen durch künstliche Intelligenz auseinandersetzt.


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(c) Liquid AI - (v.l.) Mathias Ledhner, Eva Rus, Alexander Amini und Ramin Hasani von Liquid AI.

Liquid AI CEO Ramin Hasani war von 2016 bis 2020 “Machine Learning Researcher” an der TU Wien; sein CTO Mathias Lechner machte von 2018 bis 2022 am “Institute of Science and Technology Austria (ISTA) seinen PhD – davor in der österreichischen Hauptstadt seinen Master, ebenfalls an der Technischen Universität.

Liquid AI: Weniger Daten und Rechenleistung nötig

Nun vermelden beide ein 250 Millionen US-Dollar Investment für ihr Bostoner MIT-Spin-off (Liquid AI hat im Vorjahr bereits rund 46,6 Millionen US-Dollar an Startkapital erhalten): “Diese Finanzierung wird uns dabei helfen, die Entwicklung, Skalierung und Bereitstellung von ‘Liquid Foundation Models’ (LFMs: Allzweck-KI-Modelle, die weniger Daten und Rechenleistung benötigen) zu beschleunigen, unseren leichtgewichtigen, universell einsetzbaren KI-Modellen, die private, effiziente und zuverlässige KI auf Unternehmensniveau für alle ermöglichen”, teilen sie per Blogeintrag mit.

Das Ziel von Liquid AI, dessen Bewertung nun laut Bloomberg bei über zwei Milliarden US-Dollar liegt, ist es, das leistungsfähigste und effizienteste “KI-System in jeder Größenordnung” zu entwickeln.

“Wir sind stolz darauf, dass unsere neuen, branchenführenden Partner unserer Mission vertrauen; gemeinsam wollen wir souveräne KI-Erfahrungen für Unternehmen und Nutzer freisetzen”, sagt Hasani.

Skalierbarkeit

Seit der Gründung des KI-Startups hat das Duo daran gearbeitet, zu beweisen, dass ihre Wissenschaft und Technologie skalierbar sei: “Wir haben unsere textbasierten Modelle veröffentlicht, multimodale LFMs angekündigt und begonnen, unsere KI-Produkte mit wichtigen Partnern auf dem Markt zu testen, um ihre Wirkung in der Praxis zu demonstrieren”, heißt es weiter.

In der nächsten Phase möchte Liquid AI die Series-A nutzen, um ihre Recheninfrastruktur zu skalieren, die Produktbereitstellung im Edge- und On-Premise-Bereich zu beschleunigen, z. B. LFM-Inferenz- und Feinabstimmungs-Stacks, und um ihre KI-Angebote über Partnerschaften einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Liquid AI: Vorteile ausdehnen

“Wir werden unsere KI-Produkte in geschäftskritische Workflows in vielen Bereichen wie Unterhaltungselektronik, Telekommunikation, Finanzdienstleistungen, E-Commerce und Biotechnologie integrieren”, so das Team weiter. “Die Finanzierung wird auch die wissenschaftliche und technologische Entwicklung von Liquid AI beschleunigen und die Vorteile von LFMs auf mehr Modellgrößen und Datenmodalitäten ausdehnen.”

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AI Summaries

Wird das milliardenschwere TikTok zum Bauernopfer in einem Wirtschaftskrieg?

  • TikTok ist erfolgreicher als Facebook, hat heute über 2 Milliarden User und nicht weniger große Sorgen.
  • Die indische Regierung unterstellt TikTok, den indischen Sicherheitsinteressen zu schaden und chinesischer Spionage zu dienen. Bei einer Auseinandersetzung zwischen indischen und chinesischen Soldaten wurden zuletzt 20 Inder getötet.
  • Im Jänner diesen Jahres überraschte die New York Times mit einer Analyse der israelischen Cybersecurity-Firma CheckPoint: Diese habe schwere Sicherheitsmängel bei TikTok festgestellt, die sogar Zugriffe Dritter auf Daten erlaube.
  • Es gibt aber bestimmt dutzende Unternehmen, die sehr viel sensiblere Daten verarbeiten als TikTok und auf relevanteren Geräten installiert sind, als jenen von mehrheitlich Teenagern und Twens.
  • Keiner macht B2B-Geschäfte über TikTok und die TikTok-Arbeitsplätze außerhalb Chinas, etwa in L.A., haben keine relevante Größe.

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