Notariatskammer-notarity-Prozess vor Urteil: Startup sieht sich bestätigt
Der Prozess zwischen der Österreichischen Notariatskammer (ÖNK) und dem Wiener Startup notarity ist abgeschlossen. Vor der Urteilsverkündung äußert sich notarity-CEO Jakobus Schuster in einem Statement. Die ÖNK will dieses nicht kommentieren.
Die Nachricht schlug im vergangenen Herbst in der heimischen Startup-Szene hohe Wellen: Die Österreichischen Notariatskammer (ÖNK) klagte das Wiener Startup notarity. Dieses betreibt seit 2022 eine Plattform für die Online-Durchführung notarieller Dienstleistungen und gewann damit nach eigenen Angeben rund ein Viertel der heimischen Notariate als Kunden. Damit steht das Startup auch in direkter Konkurrenz zur IT-Tochter der Kammer.
notarity: Notarielle Dienstleistungen angeboten oder nur vermittelt?
In ihrer Klage führte die ÖNK mehrere Punkte an, in denen das Geschäftsmodell von notarity ihrer Ansicht nach nicht den geltenden gesetzlichen Regelungen entspreche. Zentraler Punkt war dabei, dass das Startup über seine Seite direkt notarielle Dienstleistungen anbietet und verrechnet. Dabei handle es sich aber lediglich um eine Vermittlung der besagten Dienstleistungen, die von Notariaten ausgeführt werden, argumentierte man beim Startup bereits damals und legte ein selbst in Auftrag gegebenes Gutachten vor.
In einigen weiteren beanstandeten Punkten setzte das Unternehmen noch vor Prozessstart Änderungen um. Dabei betonte CEO Schuster mehrmals öffentlich, dass man sich um eine außergerichtliche Einigung bemühe.
ÖNK argumentiert mittlerweile mit Vermittlungsverbot
Nun ist der Prozess nach drei Verhandlungen abgeschlossen. Das Urteil steht noch aus und wird im Sommer erwartet. notarity-CEO Schuster sieht seine Position jedoch bereits davor bestätigt, wie er in einer Aussendung darlegt. Mittlerweile habe auch ein von der ÖNK selbst beauftragtes Gutachten nämlich ergeben, dass es sich beim Angebot des Startups um eine Vermittlungstätigkeit handle. Nun argumentiert die Kammer aber mit einem “absoluten Vermittlungsverbot”, das Schuster als rechtlich nicht haltbar erachtet.
notarity-CEO Schuster: “Ursprüngliche Position nicht mehr haltbar”
“Die Kammer hat wohl erkannt, dass ihre ursprüngliche Position, die auf einem behaupteten Vertragsschluss zwischen dem Interessenten und notarity aufgebaut hat, nicht mehr haltbar ist. Jetzt stellt sie die Zulässigkeit der Vermittlung notarieller Dienstleistungen grundsätzlich in Frage – dabei war dieses angebliche absolute Vermittlungsverbot gar nicht Bestandteil der Urteilsbegehren der im September 2023 eingereichten Klage”, so Schuster in der Aussendung.
Die Kammer habe dieses “angebliche Vermittlungsverbot” erst danach “entdeckt”. “Da seit vielen Jahren auch andere Berufsgruppen regelmäßig mit Notariaten zusammenarbeiten und diesen dabei wohl auch unentgeltlich Klient:innen vermitteln werden, war dieser neue Standpunkt der Kammer überraschend. Ein explizites Verbot der Vermittlung wie von der ÖNK behauptet gibt es in der Notariatsordnung oder in anderen Gesetzen nicht”, so der notarity-CEO.
Gesprächsangebote abgelehnt
Schuster bekrittelt auch ein weiteres Mal, dass die Kammer insbesondere seit der Klage alle Gesprächsangebote des Startups abgelehnt habe. “Die ÖNK hat das ‘Recht ohne Streit’ in ihren Leitlinien verankert und viele Mediator:innen in ihren Reihen. Das Vorgehen der Kammerspitze können wir daher absolut nicht nachvollziehen. Auch Notariate, mit denen wir im guten Austausch stehen, halten diese Vorgangsweise für unrichtig”, meint er.
Investor Ruschin: “Kampf Goliath gegen David”
Auch Investor Benjamin Ruschin, dessen Big Cheese Venture am Startup beteiligt ist, äußert sich in der Aussendung kritisch gegenüber der ÖNK. Auseinandersetzungen wie jene der Notariatskammer gegen notarity würden Innovation im Land hemmen. “Immer wieder ziehen Kammern und Standesvertretungen gegen junge, innovative Unternehmen und oft sogar gegen die eigenen Pflichtmitglieder ins Feld, wenn es darum geht, Fortschritt zu verhindern. Einen solchen Kampf Goliath gegen David überleben viele Startups nicht”, so Ruschin.
Bei notarity sei das aber nicht der Fall gewesen: “Letztlich hat notarity die Klage stärker gemacht – sie haben ihre Prozesse noch einmal intensiv überarbeitet, massiv an Bekanntheit gewonnen und ihre Internationalisierung vorangetrieben”, meint der Investor. Das Startup setzte zuletzt mehrere Internationalisierungsschritte, wie brutkasten berichtete. Mittlerweile habe man Nutzer:innen aus rund 100 Ländern, heißt es vom Unternehmen.
Kein Kommentar von der Notariatskammer
Brutkasten fragte bei der ÖNK um ein Statement zu Schusters Aussagen an. Von der Kammer heißt es aber lediglich: “Das Gericht hat am letzten Verhandlungstag ein schriftliches Urteil für Anfang August 2024 angekündigt. Da es sich entsprechend nach wie vor um ein laufendes Verfahren handelt, wird die Österreichische Notariatskammer keine Stellungnahme abgeben. Wir bitten um Verständnis.”
Dass es für Startups auch im Jahr 2024 vergleichsweise schwierig war, an Risikokapital zu kommen, zeigen entsprechende Statistiken. Der EY Startup Barometer wies für das erste Halbjahr einen weiteren Rückgang bei der Anzahl der Finanzierungsrunden und beim Gesamtvolumen in Österreich aus. Die Zahlen aus dem zweiten Halbjahr stehen noch aus. Fest steht: Die seit Mitte 2022 anhaltende Risikokapitalkrise bleibt weiterhin spürbar – vor allem wenn man die Situation mit der Boom-Phase von Ende 2020 bis Anfang 2022 vergleicht.
Doch wie sieht es auf der Seite der Business Angels und VCs aus? Tatsächlich waren keineswegs alle so investmentscheu. Ein brutkasten-Rundruf zum Jahresende ergibt ein differenziertes Bild, das von “sehr zurückhaltend” bis “zweitbestes Jahr unseres Bestehens” reicht.
Hansmann: 5 Mio. Euro in “Ösiland” investiert – “wohl manchmal mehr als vernünftig wäre”
Einer jener Investoren, die sich durch den Krisenzustand nicht allzu sehr bremsen ließen, ist Österreichs bekanntester Business Angel Hansi Hansmann. “Wir haben mit der Hans(wo)mengroup 2024 wieder viel Geld in die Hand genommen, ein paar Neuinvestments getätigt und bei etlichen Follow-on- oder Bridge-Runden den Lead übernommen oder uns beteiligt”, sagt er auf brutkasten-Anfrage. Ob man bei letzteren dabei sei, mache den Unterschied für später und als privater Investor mit “just Hansi-Money” sei man zum Glück sehr flexibel.
Insgesamt fünf Millionen Euro habe man allein in “Ösiland” investiert. Dazu komme noch Geld, das die Hans(wo)mengroup in heimische VCs wie Speedinvest, Push Ventures, Calm/Storm und Fund F steckte. “Da uns Österreich sehr am Herzen liegt und wir die hiesige Szene befeuern wollen, machen wir – relativ gesehen – wohl manchmal mehr, als vernünftig wäre. Andere Länder haben ja auch schöne Töchter”, so Hansmann. Die Neuinvestments waren Fynk, Propcorn, Quantum Industries “und noch andere, die noch nicht publik sind”.
tecnet: 1,9 Millionen Euro und mehr Zurückhaltung
Bei der besagten Finanzierungsrunde für das niederösterreichische Startup Propcorn war auch der niederösterreichische Landes-VC tecnet equity dabei. Für diesen war es jedoch das einzige Neuinvestment im Jahr 2024. Man habe “in einem schwierigen Umfeld erneut Stärke bewiesen” und 1,9 Millionen Euro investiert, heißt es von tecnet auf brutkasten-Anfrage. Neben dem Neuinvestment floss das Geld in sieben Folgefinanzierungen. Mit Sheepblue gab es auch einen Exit im Portfolio.
“Natürlich spüren auch wir die Vorsicht im Markt, doch genau jetzt ist es wichtig, unseren Unternehmen verlässlich zur Seite zu stehen. Unsere Überzeugung: In turbulenten Zeiten entstehen die stärksten Innovationen. Deshalb setzen wir weiterhin auf Deep Tech, Software und Life Science”, kommentiert Geschäftsführerin Doris Agneter. Für das kommende Jahr stehe weiterhin die Stärkung des bestehenden Portfolios im Fokus, zugleich wolle tecnet aber auch neue Chancen nutzen.
VERBUND X Ventures: Rund 9 Millionen Euro für sechs Startups
Während die eingangs erwähnte Zurückhaltung – zumindest bei Neuinvestments – also bei einigen heimischen VCs durchaus ein Thema ist, startete ein Corporate VC dieses Jahr mit einem gewissen Tempo in den Aufbau seines Portfolios: Verbund X Ventures.
Nachdem die Organisation davor aufgebaut worden war, schloss der Investment-Arm von Österreichs größtem Energieanbieter dieses Jahr gleich mit sechs Startups Kapitalrunden ab, darunter Necture, eologix-ping und Easelink aus Österreich (ein Investments für e.friends wurde zudem bereits vergangenes Jahr abgeschlossen, aber Anfang des Jahres kommuniziert), sowie Reduxi aus Slowenien, das seinen Hauptsitz nach Wien verlegt hat. Bei den meisten dieser Investments wurde die Summe konkret mit 1,5 Millionen Euro beziffert. Davon ausgehend, das die Höhe der weiteren Investments ähnlich war, ergeben sich geschätzt rund 9 Millionen Euro im Jahr 2024.
Und es dürfte so weiter gehen. “Wir haben darüber hinaus bereits zwei Investitionsentscheidungen getroffen, die wir im ersten Quartal 2025 bekanntgeben werden”, sagt Verbund X Ventures Managing Director Franz Zöchbauer auf brutkasten-Anfrage. “Unser Ziel ist der Aufbau eines Beteiligungsportfolios von 15 Startup-Investments bis 2026. Hierfür hat Verbund 30 Millionen Euro vorgesehen, die zur Verfügung stehen”, so Zöchbauer. “Gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten sind Investitionen in Innovation von hoher Bedeutung. Wichtig dabei ist, dass ein klare Perspektive für einen Wertbeitrag durch das Startup-Investment gegeben ist.” Neben weiteren Investments wolle man aber natürlich auch die Portfolio-Startups bei der Skalierung unterstützen.
ROI Ventures: 750.000 Euro investiert – alles außerhalb Österreichs
Nicht allzu zurückhaltend war auch ROI Ventures dieses Jahr. “2024 war unser zweites vollständiges Investmentjahr. Unser Portfolio umfasst nun insgesamt 24 Unternehmen: drei Investments aus 2022, zwölf aus 2023 und neun aus diesem Jahr”, sagt Gründerin und Managing Partner Laura Raggl auf brutkasten-Anfrage.
Das Kapital floss dabei zur Gänze ins Ausland, wie Raggl beschreibt: “Insgesamt haben wir 2024 750.000 Euro investiert, allerdings ohne ein Investment in Österreich. Die neun Neuzugänge verteilen sich auf zwei in der Schweiz, zwei in Großbritannien, drei in den USA und zwei in Deutschland.” Aus den Portfolio-Unternehmen der Jahre 2022 und 2023 hätten zudem acht erfolgreiche Anschlussfinanzierungsrunden abgeschlossen werden können. Auch strategisch entwickelte sich ROI Ventures weiter. “Unser Investmentfokus hat sich weiter spezifiziert. Wir konzentrieren uns nun auf Software-Infrastruktur, etwa DevTools, Data und AI, auf DeepTech, PropTech und FinTech”, so Raggl.
Uniqa Ventures: 12,5 Mio. Euro Investment und ein prominenter Exit
Ebenfalls einen starken Auslandsfokus hat Österreichs größter Corporate-VC Uniqa Ventures, der aktuell 42 aufrechte Beteiligungen mit einem Marktwert von rund 140 Millionen Euro hat und bereits auf 16 Exits verweisen kann. CEO Andreas Nemeth gibt sich mit dem ablaufenden Jahr auf brutkasten-Anfrage sehr zufrieden: “2024 war für Uniqa Ventures das zweitbeste Jahr unseres Bestehens. Nur übertroffen durch das Ausnahmejahr 2021. Wir haben dieses Jahr erneut eine mehr als zweistellige Rendite für unsere Investoren und Gewinn in zweistelliger Millionenhöhe erwirtschaftet.” Konkret habe man 17 Transaktionen abgewickelt und 12,5 Millionen Euro investiert. Aktuell arbeite man an einem Investment in ein FemTech-Unternehmen, über das man im Jänner mehr sagen könne.
Highlights seien zudem unter anderem der Einstieg von Uber beim Portfolio-Unternehmen Moove im Rahmen einer 100 Millionen US-Dollar-Kapitalrunde und der Exit des Wiener Portfolio-Startups Eversports an Verdane gewesen. Doch auch externe Entwicklungen sieht Nemeth positiv: “Der Ausgang der US-Wahlen und der Höhenflug des Bitcoin sowie die Zinswende der US-Fed und EZB waren weitere wichtige Meilensteine, die wir als positive Signale für die Startup Community werten. Wir sind zuversichtlich das sich 2025 oder spätestens 2026 auch das IPO-Fenster wieder öffnen könnte, was für das gesamte Ökosystem von elementarer Bedeutung wäre.”
Er blicke also positiv ins Jahr 2025, meint Nemeth. Doch er betont auch: “Im Hinblick auf die Politik und die neue Bundesregierung bleibt es spannend. Themen wie der Dachfonds und die Förderung von Corporate-Venture-Capital waren wichtige Anliegen der Community. Zweifelsohne braucht es mehr Kapital für Startups – gerade in der Later Stage – und es braucht meiner Meinung nach auch potente neue Venture-Capital-Unternehmen, um diese Lücke zu schließen.”
Christiane Holzinger: Drei Neu-Investments und Stärkung bestehender Beteiligungen
Für Business Angel Christiane Holzinger war 2024 “geprägt von Herausforderungen”. “Als Angel-Investor habe ich mich in diesem Jahr auf drei neue Startups fokussiert, die nachhaltige Geschäftsmodelle und innovative Technologien in den Vordergrund stellen. Gleichzeitig lag mein Augenmerk darauf, bestehende Beteiligungen zu stärken” – etwa durch zusätzliche Kapitalaufstockungen oder intensive strategische Unterstützung. Bridgerunden und schwierige Finanzierungsphasen im Portfolio seien “anspruchsvoll” gewesen.
Die anhaltende wirtschaftliche Unsicherheit habe sie auch dazu gebracht, Entscheidungen noch bewusster und datengetriebener zu treffen, sagt Holzinger. “Besonders wichtig waren dabei die Themen Team & Leadership sowie die langfristige Stabilität der Geschäftsmodelle. Manchmal bedeutete dies auch, Entscheidungen aufzuschieben, um alle relevanten Faktoren umfassend zu prüfen.”
2025 wolle sie ihren Fokus weiter schärfen, sagt die Investorin: “Frühphasen-Investitionen werden eine noch zentralere Rolle spielen. Ich sehe enorme Potenziale in Co-Investments mit anderen Angels und institutionellen Investoren, besonders in der heimischen VC-Szene.” Auch Holzinger mahnt politische Maßnahmen ein: “Es braucht bessere steuerliche Anreize, einfachere Zugänge zu Kapital und mehr Bildung rund um das Thema Unternehmertum, damit Investieren als ganzheitliches Konzept in der Bevölkerung ankommt.”
Venionaire Capital: “sehr zurückhaltend bei neuen Investments”
Wiederum auf der vorsichtigen Seite war dieses Jahr Venionaire Capital, wie Gründer und CEO Berthold Baurek-Karlic auf brutkasten Anfrage ausführt. “Das Jahr 2025 war sicherlich kein einfaches. Wir haben das schwache Sentiment (Anm. Baurek-Karlic verweist auf den von Venionaire erstellten “Venture Sentiment Index”) gespürt. Investoren waren sehr zurückhaltend bei neuen Investments, wir waren da keine Ausnahme.” Man habe sich auf die Restrukturierung bzw. den Turnaround bei den zuvor insolventen Portfolio-Startups Eloop, Fretello und Cybertrap, sowie auf die Stärkung der starken Portfoliofirmen, darunter etwa Blockpit, konzentriert. In das letztgenannte Scaleup habe man in Summe rund eine Million über das Jahr hinweg investiert. Mit dem Schweizer Unternehmen Flovtec gelang zudem ein Exit.
Doch Baurek-Karlic bleibt optimistisch: “Im Venture-Capital-Portfolio erwarten wir nächstes Jahr mehr Momentum für größere Exits und sehen auch, dass sich bis 2026 sogar ein IPO-Fenster öffnen könnte.” Der Investor betont jedoch auch die Wichtigkeit eines anderen Geschäftszweigs für Venionaire: “Neben den klassischen Ventures haben wir unser Engagement im Web3 in unserem Fonds Venionaire Web3 – Österreichs erster Krypto-AIF – verstärkt, indem wir einen Gründungsgesellschafter herausgekauft haben.” Zum Jahresende zeige der Web3-Fonds wieder eine sehr starke Performance “und sollte auch im Jahr 2025 gut laufen”, so Baurek-Karlic.
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