10.06.2021

Morpher-Gründer Fröhler: So wird DeFi die Finanzbranche revolutionieren

Die Kryptobranche und die traditionelle Finanzwelt nähern sich einander zunehmend an. Doch es gibt eine Bewegung, der das nicht genug ist – sie will das Finanzsystem komplett auf den Kopf stellen: Decentralized Finance, kurz DeFi. Mittendrin: das Wiener Unternehmen Morpher rund um CEO Martin Fröhler.
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Morpher-CEO Martin Fröhler
Morpher-CEO Martin Fröhler | © brutkasten/Schauer-Burkart
Dieser Artikel erschien zuerst im brutkasten-Magazin #12 (05/21).

Fürchtet sich das etablierte Finanzsystem noch vor Bitcoin? Etwas hat sich jedenfalls verändert in den vergangenen Jahren. Lange hatten viele Branchenvertreter die Kryptowährung nicht ernst genommen. Bitcoin sei ein „Betrug“, der „nicht gut ausgehen wird“, hatte etwa Jamie Dimon 2017 gesagt, immerhin der Chef von JP Morgan, der größten Bank der USA. Jeden Trader der Bank, der mit der Kryptowährung handle, würde er sofort feuern, so Dimon weiter.

Heute ist er noch immer CEO der Großbank, aber diese arbeitet mittlerweile daran, einen eigenen Bitcoin-Fonds aufzulegen. Und das ist bei Weitem nicht das einzige Beispiel: Morgan Stanley bietet vermögenden Kunden Bitcoin-Fonds an, Citi denkt darüber nach, Goldman Sachs hat einen Tradingdesk für Kryptowährungen gestartet. Das für seine Aktienindizes bekannte Unternehmen S&P Dow Jones kündigte eigene Indizes für Kryptowährungen an. Der Bezahldienst PayPal wiederum unterstützt in den USA Zahlungen mit Kryptowährungen, und sowohl Visa als auch Mastercard experimentieren in dem Bereich. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Auf der anderen Seite nähern sich Kryptounternehmen der traditionellen Finanzwelt an. Die größte US-Kryptobörse Coinbase etwa ging im April selbst an die Börse – und zwar an eine traditionelle: die auf Tech-Aktien spezialisierte Nasdaq. Auch scheinen traditionelle Assetklassen für manche aus der Kryptobranche zunehmend interessant: So ermöglicht etwa das als Kryptobroker groß gewordene Wiener Fintech Bitpanda seinen Usern seit April, in Aktien und ETFs zu investieren. Auch die weltgrößte Kryptobörse Binance hat kürzlich erste tokenisierte Aktien in ihr Angebot aufgenommen. Vieles deutet also auf eine Verschmelzung der beiden Welten hin.

DeFi will Finanzwelt auf den Kopf stellen

Allerdings gibt es eine Bewegung innerhalb der Kryptowelt, der das nicht genug ist – und die gleich die gesamte Finanzwelt auf den Kopf stellen will. Der Name dieser Bewegung: Decentralized Finance, kurz DeFi. Mittendrin ist auch ein Unternehmen aus Wien: das 2018 gegründete Start-up Morpher rund um CEO Martin Fröhler.

Dieser hat nicht den geringsten Zweifel, dass DeFi die Finanzwelt von Grund auf umkrempeln wird: „Es ist eine Industrie, die gerade im Entstehen ist. Da gibt es so viele Möglichkeiten, und das wird die Finanzwelt revolutionieren in den nächsten zehn Jahren, auf eine Art und Weise, wie man es sich heute noch gar nicht vorstellen kann“, sagt Fröhler im Interview mit dem brutkasten.

DeFi sei die „vielleicht wichtigste Bewegung innerhalb von Krypto“, führt der Morpher-Gründer weiter aus. Die ersten Kryptoprotokolle – also Bitcoin und Ethereum – hätten noch versucht, Geld zu sein; ein Transaktionsmedium. Mit DeFi sei aber eine weitere Ebene dazugekommen: Eine gesamte globale dezentrale Finanzinfrastruktur soll aufgebaut werden, die nicht von individuellen Akteuren abhängt. Mittelsmänner – wie Banken und Broker – werden durch automatisierte Protokolle, Smart Contracts genannt, ersetzt. „So fallen sehr viele Gebühren weg, denn die Finanzindustrie besteht eigentlich nur aus Mittelsmännern“, sagt Fröhler.

Zweite Welle an DeFi-Projekten

Im Sommer des Vorjahrs kam es zu einem ersten kleinen Hype um DeFi. Der Schwerpunkt der damaligen Projekte: dezentrale Kreditvergabe – vergleichsweise einfache Anwendungen, bei denen es um den Verleih von Kryptowährungen ging. Die Euphorie ebbte wieder ab. In den vergangenen Monaten kam es nun zu einer neuen Welle von DeFi-Projekten: „Jetzt entsteht die Generation der Broker und der Börsen auf DeFi, die reale Assets nachbildet“, sagt Fröhler. Vergleiche man dies mit dem etablierten Finanzsystem, sei die erste DeFi-Welle so etwas gewesen wie die US-Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac. Jetzt komme aber der nächste Schritt: „Es wird der Aktienmarkt gespiegelt, es wird der Kryptomarkt gespiegelt, es wird die ganze Trading- und Investmentinfrastruktur kommen“, erläutert Fröhler. Sein Unternehmen Morpher ist ein Teil davon.

600 Assets auf Morpher-Plattform

Was macht das Startup genau? Zunächst einmal ist Morpher eine Tradingplattform. Auf dieser können über 600 Assets (von Aktien über Rohstoffe und Kryptowährungen bis hin zu Devisen) gehandelt werden. Oder genauer gesagt: virtuelle Kopien dieser Assets. Das Morpher-Protokoll überwacht die Preisentwicklung der Assets und repliziert sie auf der Blockchain. „Der größte Vorteil für den User ist, dass es erstmals keine Gegenpartei gibt“, erläutert Fröhler. Normalerweise könne man an einer Börse nur so viele Aktien kaufen, wie jemand verkaufen möchte. Zudem sei man auf Broker und Börsen angewiesen, die ebenfalls Geld verdienen wollen. „Unser Protokoll ist der Ersatz für die Gegenpartei. User handeln mit unendlicher Liquidität, jede Order wird sofort akzeptiert, ohne dass der darunterliegende Markt beeinflusst wird“, führt Fröhler weiter aus.

Praktisch funktioniert das so: Anleger können über den eigenen Morpher-Token auf die Kursentwicklung von Assets setzen. Wettet ein Anleger etwa auf einen fünfprozentigen Kursanstieg der Tesla-Aktie und setzt 1.000 Morpher-Token, werden diese zu 1.050 Morpher-Token, wenn die Wette aufgeht. Sinkt der Kurs dagegen beispielsweise um fünf Prozent, verliert er Token und sein Bestand schrumpft auf 1.950 Morpher-Token. Das Protokoll schafft und zerstört Token – je nach Handelserfolg.

Wie verdient Morpher dabei Geld? „Unser Geschäftsmodell ist vergleichbar mit dem anderer Kryptoprotokolle. Wir erzeugen neue Token, die von uns dann in den Markt hineinverkauft werden“, erläutert Fröhler. Das ist analog zum Geschäftsmodell von Minern bei anderen Blockchains: Bei Bitcoin verifizieren Miner die Richtigkeit einer Transaktion, indem sie komplexe Rechenaufgaben durchführen – und erhalten dafür als Belohnung Bitcoin. Bei Morpher wiederum wird jährlich eine bestimmte Menge an Token geschöpft und an Trader verkauft – die diese brauchen, um auf der Plattform handeln zu können.

Aktuell 59 Mrd. Dollar in DeFi-Anwendungen auf Ethereum-Blockchain

Außerhalb des Morpher-Systems wird der Token außerdem auf zwei Kryptobörsen gehandelt – eine davon ist der dezentrale Handelsplatz Uniswap, eines der bekanntesten DeFi-Projekte. Auf diesem sind zahlreiche Token verfügbar, die – wie jener von Morpher – auf der Ethereum-Blockchain basieren. Uniswap hat auch einen eigenen Token, UNI. Mit einer Marktkapitalisierung von derzeit rund 15 Mrd. US-Dollar gehört dieser bereits jetzt zu den 15 größten Kryptowährungen der Welt. Laut Zahlen des Analyseunternehmens Dune Analytics haben dezentrale Börsen im Mai 2021 ein Handelsvolumen von über 140 Mrd. Dollar abgewickelt – dreimal so viel wie noch vor einem halben Jahr.

DeFi ist aber mehr als nur Börsenhandel: Die Datenplattform DeFi Pulse schätzt, dass aktuell rund 59 Mrd. Dollar in Smart Contracts von dezentralen Finanzanwendungen auf der Ethereum-Blockchain liegen. Ein Massenphänomen ist DeFi damit noch nicht: In einer weiteren Studie identifizierte das Blockchain-Unternehmen ConsenSys für Ende März 2021 rund 1,75 Mio. Nutzer von Ethereum-basierten DeFi-Anwendungen. Die Zahl hat sich damit innerhalb eines Jahres verzehnfacht.

Ökonom sieht bei DeFi noch einige kritische Punkte

Auch Zentralbanken verfolgen das Phänomen mittlerweile. Der Ableger der US-Notenbank Federal Reserve in St. Louis etwa hat Anfang Mai ein Paper des Ökonomen Fabian Schär von der Universität Basel in seinem wissenschaftlichen Journal wiederveröffentlicht. Schär schreibt darin, dass DeFi „bestehende Finanzdienstleistungen auf eine offenere und transparentere Art“ repliziere. Vereinbarungen würden über Code durchgesetzt, Transaktionen auf eine sichere, verifizierbare Art umgesetzt und legitime Veränderungen eines Zustands über eine öffentliche Blockchain fortgeschrieben. Gleichzeitig sieht der Wissenschaftler aber noch einige kritische Punkte: Smart Contracts könnten beispielsweise Sicherheitslücken aufweisen.

Außerdem könnten Skalierungsprobleme die Anzahl der User beschränken. Der Begriff „dezentralisiert“ sei außerdem in einigen Fällen irreführend: Manche Protokolle würden externe Datenquellen nutzen, bestimmte Administratorenrechte zum Managen des Systems verwenden oder gelegentlich sogar Notfallabschaltungen des Systems durchführen. „Obwohl das nicht unbedingt ein Problem darstellt, sollte Usern bewusst sein, dass in vielen Fällen viel Vertrauen involviert ist“, schreibt Schär. Allerdings: Wenn diese Probleme gelöst werden, könnte DeFi seiner Ansicht nach zu einem „Paradigmenwechsel in der Finanzbranche und potenziell zu einer robusteren, offeneren und transparenteren Finanzinfrastruktur führen“.

Morpher-CEO: “Trading oft unfair und teuer”

Morpher-CEO Martin Fröhler
Morpher-CEO Martin Fröhler beim brutkasten-Interview im 2. Bezirk in Wien | © brutkasten/Schauer-Burkart

Dass dies die traditionelle Finanzbranche nötig hat, davon ist Morpher-CEO Fröhler überzeugt – und er kennt sie aus langjähriger eigener Erfahrung. Seit seinem 16. Lebensjahr investiert er in Aktien. Nach seinem Studium der Technischen Mathematik in Wien schlug er eine Karriere in der Finanzbranche ein und entwickelte als Analyst Trading-Algorithmen. Später ging er in die Schweiz, dann in die USA, wo er einen dezentralen Hedgefonds aufbaute. Trotz – oder gerade wegen – seiner langjährigen Erfahrung an den Finanzmärkten sagt Fröhler: „Trading ist oft unfair und teuer.“ Als Privatanleger habe man oft Probleme, sein Portfolio ausreichend zu diversifizieren. Viele Finanzprodukte seien für Kleinanleger nicht zugänglich – selbst, wenn sie das nötige Wissen dafür haben. In manchen Märkten gebe es Minimuminvestments, um überhaupt daran teilnehmen zu können. In anderen müsse man überhaupt erst ein akkreditierter Investor sein. „Das Spielfeld ist zugunsten der Großinvestoren gestaltet“, schlussfolgert er.

Zwei Investmentrunden zu je 1,25 Mio. Dollar

Morpher stellt für sich den Anspruch, dies zu ändern. Gegründet hat Fröhler das Unternehmen gemeinsam mit Denis Bykov, einem früheren Produktmanager bei Apple. Die beiden Co-Founder lernten sich beim StartX Accelerator der Universität Stanford kennen. Fröhler hatte an diesem mit seinem vorigen Unternehmen teilgenommen. Noch in den USA gründeten sie 2018 Morpher, dann ging es weiter nach Wien. Gleich zu Beginn konnten sich die beiden Gründer von Investoren eine 1,25 Mio. Dollar schwere Seed-Runde sichern – unter den Investoren war Tim Draper, der zuvor unter anderem bei Tesla, Coinbase oder Robinhood investiert hatte.

„Wir waren damals nur zwei Gründer mit einer Idee und hatten sonst noch nichts“, sagt der Morpher-CEO. 2020 folgte eine weitere Investmentrunde, erneut in der Höhe von 1,25 Mio. Dollar. Draper war wieder an Bord. Auch der Wiener VC Apex beteiligte sich. Derzeit laufen Gespräche zu einer weiteren Finanzierungsrunde. Vergangenen Sommer startete die Morpher-Tradingplattform offiziell. Heute hat Morpher 24.000 aktive Nutzer; 4.500 davon sind täglich, 15.000 wöchentlich und 30.000 monatlich aktiv. „Das Wachstum basiert rein auf Empfehlungen“, sagt Fröhler.

Anspruch von Morpher: Börsenhandel öffnen

Er formuliert den Anspruch von Morpher so: „Wir wollen den Börsenhandel öffnen und für jeden auf der Welt demokratisieren. Nur 20 Prozent der Weltbevölkerung sind in der privilegierten Situation, Zugriff auf die Finanzmärkte zu haben. Viele in Südamerika, Afrika, Teilen Asiens und Europas sind ausgeschlossen.“ Diesen Zugriff zu haben ist aber nach Meinung Fröhlers mittlerweile essenziell; durchaus auch in Mitteleuropa, wo es ihn grundsätzlich gibt, er aber von vielen nicht wahrgenommen wird: „In Zeiten wie diesen, in denen die Zinssätze bei null sind, ist eigentlich jeder in der global verordneten Armutsfalle“, so Fröhler. Wenn man Geld auf ein Sparbuch lege, verliere man pro Jahr zwei bis drei Prozent. Berücksichtige man Häuser- und Wohnungspreise, sei die Inflationsrate noch wesentlich höher.

„Alle, die jetzt im Erwerbsleben stehen, haben kaum mehr eine Möglichkeit, sich etwas aufzubauen“, sagt der Morpher-Gründer. Mit einem normalen Erwerbseinkommen in Österreich könne man eine 70-Quadratmeter-Eigentumswohnung in Wien wahrscheinlich erst kurz vor der Pension abbezahlen, wenn man nie arbeitslos war. „Daher ist es notwendig, dass es eine Möglichkeit gibt, sich ein – wenn auch nur bescheidenes – Vermögen aufzubauen. Oder sich zumindest vor der Inflation zu schützen.“

“Sind jetzt dort, wo das Internet 1995 war”

Dass DeFi dazu beitragen wird, daran zweifelt er nicht: „Wie bei allem, was neu und innovativ ist, gibt es einen Wildwuchs an sehr vielen verschiedenen Konzepten und Ideen. Aus dem werden sich dann die dominanten Player der nächsten zehn bis 20 Jahre herauskristallisieren.“ Fröhler erwartet eine ähnliche Entwicklung wie in der Frühphase des Internets: Viele Unternehmen, die zur Zeit der Dotcom-Blase entstanden sind, verschwanden wieder – doch einige etablierten sich dauerhaft als führende Akteure der Branche. „Das wird in DeFi genauso sein: Ein paar Ideen werden sich durchsetzen und in zehn Jahren dann das Amazon oder Google des DeFi-Bereichs sein“, so Fröhler.

Bis dahin müsse noch viel geschehen; technisch etwa bei der Skalierbarkeit der Blockchains, auf denen die Anwendungen laufen, oder bei der User Experience. Auch, was die staatliche Regulierung angeht, stehe man erst am Anfang. „Wir sind jetzt dort, wo das Internet 1995 oder 1996 war.“ Bis 2030 wird es eine weltumspannende DeFi-Infrastruktur geben, erwartet Fröhler.

Könnte DeFi auch scheitern? „Individuelle Projekte ja, aber DeFi als Idee und als Konzept nein“, ist er sicher. Daher ist für ihn auch klar, unabhängig davon, ob sich Morpher durchsetzen wird oder nicht: Er wird jedenfalls im DeFi-Bereich bleiben: „Jeder andere Sektor in der Finanzbranche wäre Zeitverschwendung.“

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Andreas Buchta-Kadanka, stellvertretender Sektionsleiter in der Sektion III - öffentlicher Dienst und Verwaltungsinnovation, Leitung der Gruppe III/C (c) BMKÖS 2024

Sie ist ein Trainingslager für Innovation. Sie steht für Wertschätzung und Anerkennung und hebt die Arbeit von Innovator:innen ins Rampenlicht. Und sie zeigt, wie gut sich Innovation hands-on umsetzen lässt. Die Rede ist von der Innovate 2024 – der jährlich stattfindenden Innovationskonferenz des öffentlichen Sektors.

Am 28. November 2024 dreht sich auf der Konferenz für Verwaltungsinnovation alles um die nächste Generation: “nextGen – Wer gestaltet die Zukunft der Verwaltung?” ist das Motto, unter dem diskutiert, gebrainstormed, vernetzt und gemeinsam gestaltet wird.

Im Vorfeld dazu haben wir mit Andreas Buchta-Kadanka gesprochen – tätig in der Sektion III – öffentlicher Dienst und Verwaltungsinnovation, Leitung der Gruppe III/C, die sich unter anderem mit dem wirkungsorientierten und innovativen Verwaltungsmanagement befasst.

Im Interview mit brutkasten erwähnt er einige Aspekte, warum die “nextGen” in das Rampenlicht der Verwaltungsinnovation gehört und wie es jungen Menschen gelingen kann, den öffentlichen Sektor zu transformieren.


brutkasten: Sehr geehrter Herr Buchta-Kadanka, letztes Jahr hat die Verwaltungsinnovation ihr 100-jähriges Jubiläum gefeiert. Mit welchen Erkenntnissen startet die Verwaltung nun in das nächste Jahrhundert?

Andreas Buchta-Kadanka: Ich glaube, die vielleicht charakteristischste Entwicklung der letzten 100 Jahre war der Wandel von einem Durchsetzen der Obrigkeit hin zu einer immer stärker bürgerzentrierten Verwaltung. Der Dienstleistungsgedanke hat sich sehr stark durchgesetzt. Die Verwaltung ist Dienstleister der Bevölkerung. Und die Bevölkerung nimmt das Verwaltungshandeln nicht einfach hin, sondern verdient Transparenz, Erklärung und das proaktive Beseitigen von Widersprüchen. Diese Entwicklung ist eine entscheidende in unserer Geschichte.

Welche Herausforderungen muss sich die Verwaltung angesichts dessen stellen?

Ich glaube, eine wesentliche Challenge für die Verwaltung und das Regieren generell ist die schnellere Taktzahl, die höhere Geschwindigkeit unseres Apparates. Das beginnt schon bei der Erwartungshaltung von Bürger:innen: Wir versuchen, Transparenz und Schnelligkeit so gut es geht in unser Handeln zu integrieren. Das optimieren wir auch kontinuierlich, wie internationales Benchmarking zeigt.

Das heißt: Je schneller die Verwaltung reagiert, desto besser?

Jein. Ich würde sagen, so korrekt und schnell wie möglich. Grundsätzlich besteht die mediale Erwartungshaltung, dass zu verwaltungspolitischen Themen sehr schnell Stellung genommen wird. Sei es durch Politiker:innen oder durch die Verwaltung selbst. Diese Schnelligkeit ist zumindest meiner Meinung nach eine der größten Herausforderungen: Schnell und korrekt reagieren und bei all der Schnelligkeit Qualität zu sichern. Gerade dafür wollen wir auf innovative Lösungen der nextGen setzen.

Inwiefern könnte diese Umsetzung aussehen?

Konkret geht es darum, abzuwägen: Wie schnell müssen wir sein, was wollen wir transformieren oder digitalisieren und wie machen wir das richtig. Wir wollen schlechte Prozesse nicht einfach digital machen, sondern digitalisieren und optimieren. Wir wollen “Arbeit” anders denken und technologische Vorteile mitnehmen.

Inwiefern glauben Sie, dass Ihnen die diesjährige Innovate Antworten auf diese Fragen liefert?

Ganz klar ist es der Austausch und die Inspiration voneinander. Das physische Zusammenbringen von Innovator:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und Verwaltung. Das Lernen voneinander, das Bilden eines Netzwerkes. Das sind Dinge, die man nicht rein online oder bilateral macht. Dafür braucht es Veranstaltungen wie die Innovate.

Wie passieren Fortschritt und Innovation?

Ich bin davon überzeugt, Innovation passiert vor allem aufgrund des informellen Austausches. Netzwerken ist etwas Persönliches. Inspiration und das Diskutieren darüber, was funktioniert und was nicht, das hat eine ganz starke zwischenmenschliche Komponente. Und diese Art von Innovation braucht keinen Frontalvortrag und keine Jubelbroschüre, sondern persönlichen Austausch.

Der persönliche Austausch soll dieses Jahr ja vor allem mit der nextGen – also der nächsten Generation – passieren. Was will die diesjährige Innovate damit bewirken?

Für uns ist das ein sehr naheliegendes Thema. Wir stehen vor massiven demografischen Umwälzungen. In den nächsten 13 Jahren werden 44 Prozent des Personals in der Verwaltung in Pension gehen. Fachkräfte am Arbeitsmarkt sind ja ohnehin schon gefragt. Es besteht bei uns großer Rekrutierungsbedarf.

Inwiefern könnte die Verwaltung mit der Pensionswelle umgehen?

Indem wir weiterhin ein attraktiver Arbeitgeber sind und unsere Stellung kontinuierlich verbessern. Auf der Nachfrageseite, aber auch für unser bestehendes Personal. Wir wollen für den Bund begeistern und personalwirtschaftliche Themen sehr stark mit dem Innovationsaspekt verbinden. Wir schauen stark darauf, Innovation nicht nur in klassischen personellen Disziplinen wie Bezahlung, Arbeitszeit und New Work zu verankern. Wir stellen als Arbeitgeber auch sicher, unser Personal aktiv in den Innovationsprozess einzubinden und generationenübergreifende Bedürfnisse zu erfüllen. Und dafür bietet die Innovate eine hervorragende Bühne.

Das heißt, auf der Innovate können Teilnehmende die Verwaltung aktiv mitgestalten?

Ganz richtig. Innovation heißt, wir sind für alle Ideen offen und wollen das auch im Personalkontext fördern. Bei der diesjährigen Innovate geht es deshalb primär um das Thema demografischer Wandel, Wissensmanagement, Recruiting und Führung. Unser Schwerpunkt ist die nextGen – und wir befassen uns intensiv damit, wie man altes Wissen sichern, weitergeben und mit den gegenwärtig verfügbaren Mitteln (Stand der Technik) aufbereiten kann.

Das klingt nach einem sehr universellen Thema.

In der Tat. Wir decken damit nicht nur die Bedürfnisse der Verwaltungscommunity, sondern auch jene der Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Wir wissen, dass Wissenstransfer und Modernisierung nicht nur Herausforderungen in unserem Feld sind, sondern sektorenübergreifend stattfinden müssen.

Welche Themenbereiche rücken zukünftig noch weiter ins Zentrum?

Ein ganz wichtiges Thema, mit dem wir uns dieses Jahr auch befassen, ist die Sinnhaftigkeit im Arbeiten. Diese Komponente ist gerade für die nextGen besonders wichtig. Junge Menschen wollen in ihrem Wirken die Möglichkeit haben, einen nachhaltigen Beitrag für Österreich und die Gesellschaft leisten zu können- und das tun sie bei der Verwaltung.

Wo braucht es besonderen Innovationsbedarf?

Kompetenzen und Skills ständig ändern. Wir wissen, Kompetenzorientierung ist auch auf europäischer Ebene ein großes Thema. Da gilt es, heute schon die Kompetenzfelder von morgen ausfindig zu machen und Entwicklungen bestmöglich zu antizipieren. Denn wenn wir jetzt falsch ausbilden oder schlecht rekrutieren, sind wir auch schlecht für die Zukunft aufgestellt.

So ganz Hals über Kopf darf man sich allerdings nicht ins Wasser stürzen. Gerade in der Verwaltung ist es uns sehr wichtig, das Vertrauen der Bürger:innen zu halten und nicht durch zu riskante Neuerung zu verspielen. Sei es in puncto Datenschutz, Rechtsstaatlichkeit, Rechtssicherheit, Fairness oder Gleichbehandlung. Wenn man in diesen Bereichen schlechte Produkte produziert, kann das Vertrauen der Bevölkerung erodieren.

Das heißt, lieber langsam und sicher als zu schnell und zu riskant?

Das Vertrauen in Institutionen ist ein derzeit sehr wichtiges Thema. Insofern muss man sich bei innovativen Prozessen als Staat schon etwas vorsichtiger und mit klaren Guidelines – auch aus ethischer Sicht – bewegen. Als konkretes Beispiel der Einsatz von KI: Wenn ich auf meiner Spotify-Playlist einen unpassenden Vorschlag erhalte, ist das etwas anderes, als wenn das bei einem Gerichtsurteil der Fall wäre – das hat eine ganz andere Dramatik.

Welche Highlights bietet die Innovate dieses Jahr?

Die Innovate soll ja nicht nur so heißen, sondern auch so sein, dass wir nicht nur Vorträge halten, sondern auch ein gestaltendes Element einbringen. Wir haben dafür heuer ein neues Format: Den sogenannten Innovate Sprint, einen interaktiven Workshop, der sich mit dem Thema nexGen & Verwaltung befasst.

Und beim Innovate Sprint können Teilnehmende aktiv “mit sprinten”?

Genau. Der Innovate Sprint ist ein Workshop-Format, bei dem Teilnehmer:innen in interdisziplinäre Teams aufgeteilt werden. So kommen viele unterschiedliche Hintergründe und Perspektiven zusammen. Die Teams entwickeln dann je eine Idee, die mit künstlicher Intelligenz visualisiert wird. Über die beste Idee wird dann im Zuge der Innovate und mit unserer Verwaltungs-Community abgestimmt und der Sieger wird prämiert.

Was bekommen die Sieger:innen des Innovate Sprint?

Die Siegergruppe wird die Möglichkeit haben, mit uns nächstes Jahr zum Creative Bureaucracy Festival nach Berlin zu fahren. Das ist eines der weltweit größten Veranstaltungen im Bereich der Verwaltungsinnovation.

Das klingt nach einem tollen Siegerpreis! Und nach einem großen Mehrwert für die Verwaltung Österreichs.

Die Teilnehmer:innen der Innovate Sprint können mit ihren Ideen Einiges bewirken. Wichtig ist uns dabei auch, dass wir als wertbasierte Verwaltung das Vertrauen in staatliche Strukturen aufrechterhalten. Das ist eine unserer Kernfunktionen.

Warum ist gerade die Innovate der richtige Ort, um diesen gemeinsamen Fortschritt zu erzielen?

Die Innovate ist wie ein Trainingslager: Natürlich kann ich meinen Sport alleine betreiben und ich kann darin alleine besser werden. Aber ich finde, es ist das Mindeste, einmal im Jahr gemeinsam zu “trainieren”, sich auszutauschen und sich gemeinsam auf zukünftige Challenges vorzubereiten.

Die Innovate ist also quasi ein Trainingslager für die Zukunft der Verwaltung?

Nicht nur: Die Innovate stellt alle, die über das Jahr an Innovation, Sicherheit und digitalem Fortschritt arbeiten, ins Rampenlicht. Die Innovate ist auch ein Stück weit ein Dankeschön für all die Arbeit, die geleistet wird. Und sie zeigt, dass tolle Konferenzen nicht nur etwas für die Privatwirtschaft sind, sondern dass es innovatives Denken und gemeinsames Schaffen auch im Bundeskontext gibt.

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