04.08.2023

Gleam-Gründer: “Insolvenz eines Hightech-Startups ist nicht mit Insolvenz einer Möbelkette vergleichbar”

Interview. Nach dem Scheitern des Sanierungsverfahrens spricht Gleam-Gründer Mario Eibl im brutkasten-Interview offen über die Hintergründe zur Insolvenz und warum er die Entscheidung des Masseverwalters, das Unternehmen zu schließen, persönlich nicht nachvollziehen kann. Zudem erläutert Eibl, welche Szenarien jetzt noch möglich sind.
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Wohl kaum ein Posting auf LinkedIn sorgte in der heimischen Startup-Szene in den vergangenen Wochen für so viel Aufsehen wie Mario Eibls Aufruf, um Geld für seine in die Insolvenz gerutschte Firma Gleam zu sammeln. Der Beitrag wurde über 100 Mal geteilt und erzielte laut dem Gründer über 120.000 Impressions im sozialen Netzwerk. Am 26. Juli gab es dann allerdings für Eibl die bittere Gewissheit: Das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung ist gescheitert. Das Unternehmen wurde auf Ansuchen des Masseverwalters geschlossen (brutkasten berichtete). Die Entscheidung zur Schließung der Firma kann Eibl allerdings nicht nachvollziehen, wie uns der Gründer im Interview erläutert hat.


Wie geht es dir persönlich mit dem Scheitern von Gleam?

Anfang 2022 haben wir uns entschieden, die Strukturen in Wien auszubauen. Zudem haben wir unser Team auf 20 Leute aufgestockt. Ende letzten Jahres wurde uns allerdings klar, dass dies nicht die Finanzierung bringen wird, die wir benötigen. Wir haben dann sofort angefangen Strukturen wieder abzubauen, um Kosten zu sparen. Das war natürlich bitter.

Mittlerweile habe ich das aber schon halbwegs verkraftet. Wenn es jetzt wirklich einen Totalausfall geben würde, dann wäre das natürlich emotional schwierig. Ich habe zehn Jahre meines Lebens in Gleam investiert und viel Herzblut reingesteckt. Daher wäre mir wichtig, dass dieses “Baby” weiterlebt. Für mich wäre das zumindest ein emotionaler Erfolg.

Die Sanierung ist nun gescheitert, wie kam es dazu?

Zu Beginn des Sanierungsverfahrens haben wir dem Masseverwalter ein gewisses Startkapital zur Verfügung gestellt und eine Fortführungsrechnung geliefert, um ausreichend Zeit für das Abschließen der Investorengespräche zu haben. Kurz zum Hintergrund: Wir haben bereits vor dem Sanierungsverfahren intensive Gespräche mit Investoren geführt und wollten ihnen mit dem Sanierungsverfahren auch die entsprechende Zeit geben, die sie für ihre Investitionsentscheidung gebraucht hätten.

Ab einem gewissen Punkt hat der Masseverwalter dann allerdings gesagt, dass wir pro Woche nicht positiv wirtschaften. Das hatten wir aber von Beginn an nicht vor. Wir wussten, dass wir kein profitables Unternehmen sind, sondern ein Unternehmen, das sich im Aufbau befindet. Aber wir hatten zumindest genügend Kapital, um uns mit der Fortführungsrechnung die entsprechende Zeit zu holen.

Vor rund zwei Wochen hat der Masseverwalter dann aber zu uns gesagt, dass er 75.000 Euro braucht, weil er sich das Fortführen des Unternehmens aus seiner Sicht nicht mehr leisten kann. Anfang letzter Woche hat er uns dann mitgeteilt, dass er die Firma schließen muss. Der Masseverwalter möchte die Prozesse nun so schnell wie möglich abschließen.

Ich habe immer gedacht, dass der Masseverwalter im Sinne der Gläubiger handeln muss. Aus meiner Sicht hat er dies allerdings nicht getan. Aber das ist nur meine subjektive Einschätzung. Meiner Meinung nach darf man die Insolvenz eines Hightech-Startups nicht mit der Insolvenz einer Möbelkette vergleichen.

Was bedeutet die Schließung der Firma nun für die Mitarbeiter:innen?

Alle Mitarbeiter wurden vom Masseverwalter gekündigt bzw. sind selbst ausgetreten. Wir sind auch zur Arbeiterkammer gegangen, die das nun gut abwickelt. Die Mitarbeiter sind dort sehr gut betreut. Sie haben sich auch die jeweiligen Optionen erklären lassen und sind zudem über den Insolvenzentgeltfonds abgedeckt. 

Wie geht es nun Gleam und bestehenden Vermögenswerten weiter?

Diese Woche kommt der Verwerter, der auf jeden Sessel und jede Blume einen Sticker klebt. Wir haben jetzt eine Frist bis zum 9. August. Hier müssen dann Angebote für einen Asset-Deal vorliegen, sonst werden alle Bauteile, die wir haben, für die Auktion im Auktionshaus freigeschaltet. Sofern es zu dieser Auktion kommt, würde diese rund zwei Wochen dauern.

Dennoch besteht die Chance, dass ein neuer Investor gefunden wird? 

Ja, diese besteht. Für einen neuen Investor ist dies eine riesige Chance. Er wäre alle Altgesellschafter, Verpflichtungen und Gewährleistungen los und könnte mit den vorhandenen Assets eine neue Firma starten. Dazu zählen beispielsweise die Brand, IP sowie das Produkt. Aktuell erhalte ich über mein LinkedIn-Profil sehr viel gutes Feedback. Zudem haben sich auch schon Interessenten gemeldet. Derzeit haben wir knapp zehn Interessenten, mit denen wir aktiv in Kontakt stehen.

Welche Reaktionen hast du auf dein LinkedIn-Posting bekommen, das in der Startup-Szene für Aufsehen gesorgt hat?

Ich hatte vor knapp zehn Tagen das bekannte LinkedIn-Posting abgesetzt und daraufhin wurde auch mein Netzwerk aktiv. Wir haben 120.000 Impressionen und über 100 Reposts. Dadurch sind sehr viele in der Bikebranche auf Gleam aufmerksam geworden. Ich habe auch mit vielen Personen in der Branche Kontakt aufgenommen. Wir haben ein gutes Produkt und könnten Gleam nun mit neuen Partnern auf ein ganz neues Level holen.

Was wäre dann deine Rolle künftig?

Ja, das ist eine gute Frage. Das kommt jetzt darauf an, wer von diesen Targets den Zuschlag bekommt. Dafür ist allerdings der Masseverwalter zuständig. Wenn jetzt beispielsweise eine asiatische Bike Company oder ein großes Konglomerat übernehmen würde, dann ändern sich natürlich auch die Strukturen. Womöglich wäre dann meine Rolle die eines Produkt-Leads. Für gewisse Dinge, beispielsweise Accounting, wäre ich auch froh, wenn ich sie nicht mehr machen müsste. Als Gründer muss man derartige Dinge natürlich immer mitbetreuen.

Welche Konsequenz hat das Scheitern der Sanierung nun für die Kunden?

Ja, das ist eine sehr wichtige und gute Frage. Wir haben das auch intern heiß diskutiert. Rein rechtlich dürfen wir eigentlich keine Serviceleistungen mehr anbieten. Also keine Kosten mehr in Kauf nehmen. Wartungen müssen normalerweise nur an zugekauften Teilen durchgeführt werden. Dies trifft beispielsweise auf die Polini-Motoren zu. Wenn Kunden ein Polini-Service brauchen, dann können sie sich direkt bei Polini melden. Was wir nun gemeinsam mit dem Masseverwalter noch anbieten, sind sogenannte After-Sales Packages. Diese können von Kunden aus der Masse erworben werden. Das haben auch schon einige Kunden gemacht. 

Kommen wir nochmals zur Insolvenz. Was waren schlussendlich die Gründe dafür?

Ein Grund waren sicherlich die langen Lieferzeiten der Zulieferer. Teilweise musste man 24 Monate auf einzelne Bauteile warten. Natürlich kannst du kein Bike ausliefern, wenn es keine Bremsen oder keinen Sattel hat. Plötzlich waren wir gezwungen, einen Forecast für zwei bis drei Jahre zu machen und die Teile auch im Vorhinein einzukaufen. Das haben wir auch gemacht auf Basis des Business-Plans, den wir mit unseren Key-Account-Kunden hatten.

Nachdem das allerdings nicht so aufgegangen ist und die Lieferanten gesagt haben, ihr müsst jetzt abnehmen, mussten wir hohe Stornogebühren zahlen. Das hat aber nicht nur uns betroffen, sondern auch andere in der Branche. Während wir auf der einen Seite keine Bikes ausliefern konnten, hatten wir auf der anderen Seite zu viele Teile auf Lager – also eine Asymmetrie im Lagerbestand.

Wir hatten 4.000 Bikes mit Key-Account-Kunden in der Pipeline und teilweise haben diese aufgrund der Wirtschaftskrise Investitionen verschoben. Die Umsätze sind daher nicht so gelaufen wie geplant. Hier stellte sich für uns immer die Frage, ob man für einen Key-Account-Kunden vorab einkauft, damit wir schlussendlich auch die Ware ausliefern können. Letztendlich ist es ein Working-Capital-Thema.

Der E-Bike-Markt ist sicherlich ein Zukunftsmarkt. Wir konnten halt Breakeven noch nicht erreichen und hatten schlussendlich zu wenig Finanzierung, um aus eigener Kraft fortbestehen zu können. Nachdem auch der Kapitalmarkt im Hardwarebereich ausgetrocknet ist, hat dies schlussendlich zu dieser Situation geführt.


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Notariatskammer-Präsident Michael Umfahrer und notarity-CEO Jakobus Schuster | (c) ÖNK/Klaus Ranger Fotografie / notarity
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In der heimischen Startup-Szene wurde es mitunter eher belustigt kommentiert: Als im September das erstinstanzliche Urteil des Handelsgerichts im Prozess der Österreichischen Notariatskammer (ÖNK) gegen das Wiener Startup notarity ausgesprochen wurde, sahen sich beide Seiten bestätigt. Und wenn alle gewonnen haben, ist ja alles gut, könnte man meinen. Tatsächlich aber kommt die jüngste Entwicklung für die meisten Beobachter:innen wohl nicht wirklich überraschend: Sowohl Kammer als auch Startup legen nun Berufung gegen das Urteil ein.

Beide Seiten sahen sich in “wesentlichen Punkten” bestätigt

Nach der Klage vor etwa einem Jahr und den bis Juni dieses Jahres andauernden Verhandlungen erging vor etwa einem Monat das Urteil – brutkasten berichtete. Das Ergebnis in erster Instanz: Während sämtliche Hauptbegehren der ÖNK vom Handelsgericht abgewiesen wurden, bekam sie bei einer ganzen Reihe von Unterpunkten, sogenannten “Eventualbegehren”, Recht. Die Kammer sah sich damit “in wesentlichen Punkten bestätigt”. Und auch bei notarity meinte man “in allen für uns wesentlichen Punkten” Recht bekommen zu haben. Die sich durch die Stattgabe der Eventualbegehren ergebenden Änderungen habe man zudem bereits im Winter, kurz nach der Klage, umgesetzt, hieß es vom Startup.

Berufung: “Ignoranz und Geringschätzung des notariellen Standes”

Nun geht der Prozess aber in die nächste Instanz. 55 Seiten umfasst die Berufung der ÖNK laut einer Aussendung von notarity – die Kammer äußerte sich bislang noch nicht öffentlich zur neuen Entwicklung. Darin werde dem Startup unter anderem “Ignoranz und Geringschätzung des notariellen Standes” vorgeworfen. Es sei in den “geschützten Berufsstand eingedrungen und habe sich‚ entgegen der unrichtigen Ansicht des Erstgerichts nicht auf eine vertretbare Rechtsansicht berufen”.

Eigene Berufung von notarity

Man wolle nun mit einer eigenen Berufung “dagegenhalten”, heißt es von notarity. “Damit wollen wir für das digitale Notariat und unsere Kundinnen und Kunden weitere Verbesserungen wie z.B. eine erhöhte Preistransparenz und eine vereinfachte Leistungsverrechnung erreichen”, kommentiert CEO Jakobus Schuster. Auch die Verpflichtung zur Urteilsveröffentlichung ganz oben auf der Startseite der Website und die Teilung der Gerichtskosten halte man für ungerechtfertigt.

Man sehe sich mittlerweile mit “horrenden Anwalts- und Verfahrenskosten” konfrontiert, heißt es von notarity. Aufgrund des zunehmenden internationalen Erfolgs und “der Rückendeckung unserer Investoren”, könne man aber weitermachen, so Schuster. Bezüglich des Ausgangs des Berufungsverfahrens sei man “zuversichtlich”.

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