10.09.2020

Halb Österreich ist ahnungslos

Das Finanzwissen der Österreicher ist eine Katastrophe. Die Hälfte weiß nicht mal, was Zinsen sind. Ändern wir das!
/artikel/zinsen-sparbuch-erklaerung
Nikolaus Jilch erklärt Zinsen
Ältere Menschen kennen Zinsen noch vom Sparbuch, die Jungen bestenfalls aus der Theorie. (c) Adobe Stock / v.poth / Georg Schober

Es ist keine zwei Jahre her, da schrieb die „Presse“: „91 Prozent der Österreicher wissen nicht, was Anleihen sind. 70 Prozent ist der Begriff Fonds unklar. 62 Prozent der Befragten sind mit dem Wort Aktien überfordert. 48 Prozent haben mit dem Begriff Zinsen Probleme. 35 Prozent wissen nicht, was Inflation bedeutet.“ Wer zumindest Prozentrechnung versteht, sieht sofort: Wir haben ein Problem.

Man kann vielleicht durchs Leben gehen, ohne den Begriff „Anleihe“ zu verstehen. Und dass Aktien einfach Unternehmensbeteiligungen sind, kann man rasch begreifen. Aber jeder zweite weiß nicht mal, was Zinsen sind. Und die von der „Presse“ zitierte Studie der Erste Bank ist keine Ausnahme. In jeder einzelnen Erhebung zum Thema Finanzwissen offenbaren sich brutale Lücken. Dass die Regierung das Thema jetzt endlich in die Schulen bringen will, ist löblich. Aber für alle Erwachsenen, die nicht wissen was Zinsen sind, ist das zu spät. Darum heute: Grundkurs Zinsen.

Der Zins ist der Preis des Geldes

Aktuell hört man ja stetig, dass die Zinsen auf Jahrzehnte tot sind. Dass die Notenbanken sie künstlich drücken. Dass es eh nichts mehr gibt am Sparbuch. Wozu müssen wir also lernen, was Zinsen eigentlich sind? Ganz einfach: Um die negativen Effekte ihrer Abwesenheit zu begreifen.

In einem Satz: Der Zins ist der Preis des Geldes. Viele Menschen, Firmen oder auch Staaten brauchen fremdes Geld, um Vorhaben umzusetzen. Sie holen sich einen Kredit. Dafür zahlen sie Zinsen. Sie borgen sich Kapital aus und bezahlen es mit Aufschlag zurück. So können wir Unternehmen gründen, Immobilien kaufen und sogar Urlaube buchen – auch wenn von solchen „Konsumkrediten“ in der Regel abzuraten ist.

Dass viele Menschen mit dem Begriff Probleme haben, ist nicht verwunderlich. Schon die Herkunft des deutschen Wortes sorgt für Verwirrung. Es stammt vom lateinischen Wort census ab. Das steht für eine frühe Art der Steuer bzw. Vermögensabgabe in der Form von Naturalien (also Tiere, Getreide etc.). Im gebräuchlichen Ausdruck „Mietzins“ hat sich die ursprüngliche Bedeutung des Wortes noch gehalten. Aber Steuern sind eigentlich keine Zinsen. Mietzahlungen auch nicht, weder für den Mieter noch den Vermieter. Im Kern geht es bei Zinsen immer darum, wie teuer die Rückzahlung von geborgtem Geld ist.

Das „System Sparbuch“ funktioniert längst nicht mehr

Zinsen sind in ihrer Urform ein natürliches Phänomen. Wenn ich 100 Euro her borge, muss ich auf sofortigen Konsum verzichten, damit der Schuldner in dessen Genuss kommt. Dafür erwarte ich mir eine Gegenleistung. Das ist der Zins. Je stärker man den heutigen Konsum gegenüber dem zukünftigen schätzt, desto höher ist der Zins. Bekomme ich nach einem Jahr 110 Euro zurück, betrug er 10 Prozent. Die älteren von uns kennen das noch vom Sparbuch. Die Jüngeren nur aus der Zeitung. Und das ist das Problem, vor dem wir heute stehen.

Seit dem Zweiten Weltkrieg waren Zinsen etwas, das man für mehr oder minder risikolose Spareinlagen kassieren konnte. Je banaler das Banksystem, desto einfacher ist es zu verstehen. Sparer legen Geld bei der Bank an, die verleiht es weiter, kassiert Zinsen vom Kreditnehmer und gibt einen Teil dieser Zinsen an die Sparer weiter. Der Vorgang ist in der heutigen Realität natürlich viel komplizierter. Inzwischen brauchen die Banken kaum noch Einlagen, um Geld als Kredit zu vergeben. Aber das ist das Prinzip. Ein Vorgang, der jedem rasch einleuchten dürfte.

Deswegen gehört das Sparbuch fast zur österreichischen DNA. Dass Jahrzehnte lang massiv dafür geworben wurde, war sicher auch hilfreich. Aber heute ist es ein Problem. Denn wenn der Zinssatz unterhalb der Inflationsrate liegt, verliert der Sparer an Kaufkraft. Nun weiß ein Drittel der Österreicher nicht, was Inflation ist. Hier und hier findet man ausführliche Erklärungen, aber um es abzukürzen: Inflation führt dazu, dass das Leben immer teurer wird.

Ganz langsam engagieren sich die Österreicher mit der neuen Realität

Dass die Zinsen aktuell nonexistent sind, hat verschiedene Gründe. Die Notenbanken sind nicht alleine schuld. Sie legen zwar einen Leitzins fest, müssen sich dabei aber am Markt orientieren. Die Überalterung der Gesellschaft im Westen drückt den Zins ebenfalls. Die Leute müssen mehr sparen, weil sie älter werden. Gleichzeitig gibt es weniger Junge, die Kredite nachfragen, was den Preis des Geldes drückt.

Wann werden die Zinsen zurückkehren? Das kann Jahre dauern. Vielleicht Jahrzehnte. Heißt: Das Modell „Sparbuch“ hat im Grunde ausgedient. Alternativen sind Fonds und Aktien, aber auch da herrschen katastrophale Wissenslücken. Immerhin: Der wachsende Druck auf die Sparbuch-Sparer, sich etwas einfallen zu lassen, scheint schon Früchte zu tragen. Aktuellere Umfragen zeigen, dass die Österreicher sich inzwischen mit der neuen Realität engagieren. Aber nur langsam.

Deswegen braucht es mehr Finanzbildung. Viel mehr. In der Schule. Davor. Danach. In den Medien auch. Denn wer ohne Wissen durchs Leben geht, muss sich aufs Glück verlassen. Keine gute Strategie.

Über den Autor

Niko Jilch ist Finanzjournalist, Podcaster und Speaker. Website: www.nikolausjilch.com Twitter: @nikojilch

Disclaimer: Dieser Text sowie die Hinweise und Informationen stellen keine Steuerberatung, Anlageberatung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar. Sie dienen lediglich der persönlichen Information. Es wird keine Empfehlung für eine bestimmte Anlagestrategie abgegeben. Die Inhalte von brutkasten.com richten sich ausschließlich an natürliche Personen.

Deine ungelesenen Artikel:
19.09.2024

Strohboid: Luxus-Zelt-Startup muss Insolvenz anmelden

Strohboid aus Graz, das Luxus-Zelte und Gastro-Pavillons baut, musste Insolvenz anmelden. Verzögerte Aufträge und Rezessions-Folgen waren die Gründe dafür.
/artikel/strohboid-luxus-zelt-startup-muss-insolvenz-anmelden
19.09.2024

Strohboid: Luxus-Zelt-Startup muss Insolvenz anmelden

Strohboid aus Graz, das Luxus-Zelte und Gastro-Pavillons baut, musste Insolvenz anmelden. Verzögerte Aufträge und Rezessions-Folgen waren die Gründe dafür.
/artikel/strohboid-luxus-zelt-startup-muss-insolvenz-anmelden
Ein
Ein "Glamping"-Zelt von Strohboid | © Strohboid

Strohboid aus Graz produziert Luxus-Zelte (“Glamping”), Gastronomie-Pavillons und “Outdoor-Lounges”. Und hat mit Single Use Support Co-Founder Thomas Wurm einen prominenten Investor an Bord. Das 2018 von Maximilian Schade und Fritz Walter gegründete Startup legte besonderen Wert darauf, dass es auf nachhaltige Materialien setzt, und bezeichnete sich als “Nachhaltigkeits-Scaleup”. Nun hat es Insolvenz angemeldet.

Strohboid mit 4.620.775,00 Passiva

Laut dem Kreditschutzverband (KSV) und dem Alpenländischen Kreditorenverband (AKV) hat die Firma Strohboid GmbH beim Landesgericht für ZRS Graz ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung beantragt.

Das Unternehmen beschäftigt 21 Dienstnehmer und von der Insolvenz sind 117 Gläubiger betroffen. Die Passiva betragen EUR 4.620.775,00, denen Aktiva von EUR 3.193.600,00 gegenüberstehen sollen. Angestrebt wird eine Weiterführung und der Abschluss eines Sanierungsplans.

“Der zu bestellende Insolvenzverwalter wird nunmehr zu prüfen haben, ob eine Fortführung im Interesse der Gläubiger liegt und der vorgelegte Sanierungsplan eingehalten werden kann“, so René Jonke, Leiter Region Süd beim KSV.

USA-Expansion zwar gelungen, aber Aufträge mit Verzögerung

Strohboid war vorwiegend in Österreich und Europa tätig. Durch die Rezession habe man versucht zunehmend das Geschäft nach Nordamerika zu verlagern. Dies sei nach den Angaben im Insolvenzantrag zwar gelungen, jedoch sei es durch die Anlaufzeit zu Liquiditätslücken und durch Auftragsverzögerungen letztlich zur Zahlungsunfähigkeit gekommen, so der AKV.

Beim Kreditschutzverband liest man, dass das Unternehmen seit seiner Gründung auf Wachstum ausgerichtet war. Die dafür notwendigen Anlaufinvestitionen seien im Wesentlichen dadurch finanziert, dass seitens der Gründer und nunmehrigen Gesellschaftergeschäftsführer auf Gesellschafterebene Investoren in das Unternehmen genommen wurden.

Strohboid-Kunden stark von Rezession betroffen

“Die Kunden sind insbesondere Beherbergungs- und Tourismusbetriebe sowie Eventveranstalter. Diese Branche war von der im letzten Jahr eingetretenen Rezession mit am stärksten betroffen und Investitionen wurden in diesen Bereichen faktisch eingestellt. Hinsichtlich der Produkte der Antragstellerin kann man von einer deutlichen Konjunkturabkühlung ab 2023 mit einem Umsatzeinbruch ab 2024 in Europa sprechen”, schreibt der KSV konkret zu den Insolvenzursachen.

Und führt weiter aus: “Wenngleich man einen neuen Absatzmarkt in Nordamerika erschließen konnte, hat die umsatzschwache Phase zwischen dem Einbruch des europäischen Marktes und dem Anlaufen des Nordamerika-Geschäfts sich auf die Liquiditätsdecke der Gesellschaft empfindlich ausgewirkt. Letztlich zeigte sich Ende August, dass erwartete Aufträge aus den USA – insbesondere ein Auftrag mit siebenstelligem Umsatzvolumen – sich in Richtung Ende 2024 verzögern werden. Diese Liquiditätslücke konnte von der schuldnerischen Gesellschaft kurzfristig nicht abgefangen werden, sodass die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist.”

Toll dass du so interessiert bist!
Hinterlasse uns bitte ein Feedback über den Button am linken Bildschirmrand.
Und klicke hier um die ganze Welt von der brutkasten zu entdecken.

brutkasten Newsletter

Aktuelle Nachrichten zu Startups, den neuesten Innovationen und politischen Entscheidungen zur Digitalisierung direkt in dein Postfach. Wähle aus unserer breiten Palette an Newslettern den passenden für dich.

Montag, Mittwoch und Freitag

AI Summaries

Halb Österreich ist ahnungslos

AI Kontextualisierung

Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Halb Österreich ist ahnungslos

AI Kontextualisierung

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Halb Österreich ist ahnungslos

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Innovationsmanager:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Halb Österreich ist ahnungslos

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Investor:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Halb Österreich ist ahnungslos

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Politiker:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Halb Österreich ist ahnungslos

AI Kontextualisierung

Was könnte das Bigger Picture von den Inhalten dieses Artikels sein?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Halb Österreich ist ahnungslos

AI Kontextualisierung

Wer sind die relevantesten Personen in diesem Artikel?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Halb Österreich ist ahnungslos

AI Kontextualisierung

Wer sind die relevantesten Organisationen in diesem Artikel?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Halb Österreich ist ahnungslos