22.05.2020

Der Aufstieg und Fall unserer Weltordnung

Hedgefonds-Legende Ray Dalio hat eine faszinierende Vogelperspektive auf das Finanzsystem erarbeitet. Er sieht uns am Ende eines großen Schuldenzyklus, der seit 76 Jahren läuft. Jetzt wird’s rumpelig.
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Nikolaus Jilch: Lehren aus Monopoly.
Nikolaus Jilch: Lehren aus Monopoly. (c) Georg Schober / Adobe Stock / Stephan Dinges

Als Kinder haben wir gerne Monopoly gespielt. Das lief immer nach demselben Muster. Am Anfang hat jeder die gleiche Summe. Grundstücke werden gekauft und getauscht, Häuser gebaut, dann Hotels. Das Würfelglück entscheidet. Wenn das Geld aufgebraucht ist – kein Problem! Bei Monopoly kann man Hypotheken aufnehmen, um sich Geld zu besorgen. Aber das ist mühsam, langweilig und bringt nicht viel Geld. Wir haben irgendwann einen Zettel rausgeholt und neue Schulden einfach aufgeschrieben.

Das war die Inflation.Die Geldmenge ist gestiegen.

Diese Schulden wurden dann hin und her geschoben, je nachdem wer bei wem gelandet war und Miete zahlen musste. So konnten wir tagelang spielen. Manchmal stieg jemand aus, weil er keine Lust mehr hatte. Das war eine echte Krise. Ein Spieler weniger, sein Vermögen und seine Schulden wurden gestrichen.

Das war die Deflation. Die Geldmenge ist gefallen.

Der Schock war aber stets schnell überwunden. Weiterwürfeln, weiterzahlen, weiter verschulden. Geht doch. Aber irgendwann war dann der Punkt erreicht, an dem die immer höheren Geldsummen, das ewige Schuldenmachen und Schuldenverschieben keinen Spaß mehr machte. Die Nummern, die eigentlich über Sieg und Niederlage entscheiden sollten, verloren ihre Bedeutung. Da jeder sich endlos bei einer imaginären Zentralbank verschulden konnte, war das ganze Spiel sinnlos geworden. Das Geld war für uns wertlos.

Das war die Hyperinflation.

Wir beendeten das Spiel.

Das war die Währungsreform.

Und fingen das nächste an.

Die neue Weltordnung.

Kaum ein Verschwörungsvideo kommt ohne eine Referenz zu dieser “neuen Weltordnung” aus. Aber das ist Angstmache. Milliardär und Hedgefonds-Legende Ray Dalio nutzt den Begriff in seiner neuesten Analyse ganz lapidar für das, was er den Beginn eines “langen Schuldenzyklus” nennt. Und der Begriff ist passend. Denn nichts ist wichtiger für das globale Zusammenleben als das Geldsystem. Laut Dalio ist 1944 in Bretton Woods, wo der Dollar als an Gold gebundene Weltwährung etabliert wurde, eine „neue Weltordnung“ entstanden. Die Details dieses Systems und seine konkrete Entwicklung seither, habe ich hier auf Twitter zusammengefasst.

Aber heute bleiben wir in der Vogelperspektive. Und fragen uns: Wenn diese Phase seit 1944 ein Monopolispiel wäre – wo stehen wir dann circa? Seit 2000 häufen sich die Krisen, Gelddrucken und Schulden nehmen immer extremere Ausmaße an. 2008 war ein lauter Warnschuss, ein Herzinfarkt des Finanzsystems, das nur durch riesige Mengen intravenösen Adrenalins wiederbelebt werden konnte. Von 2008 bis 2020 haben die Staaten und Notenbanken Geld in den Markt gepumpt und es von diesem verteilen lassen. “Das drückt die Preise von Finanzassets typischerweise nach oben, ist aber sehr ineffizient, wenn es darum geht, Geld zu denen zu bringen, die es wirklich benötigen”, so Dalio.

Es läuft seit Jahrtausenden immer nach demselben Drehbuch

Aktuell stecken wir mitten in der letzten Phase des Spiels. Corona hat alles nur beschleunigt. Jetzt greift der Staat direkt ein und schickt das Geld dorthin, wo er glaubt, dass es benötigt wird. Das hat in den USA am 9. April 2020 begonnen, sagt Dalio. Dies ist die Phase von Helikoptergeld, Grundeinkommen und MMT – und sie hat gerade erst begonnen.

Der Vorteil dieser Methode: Es ist effizienter und politisch einfacher als die Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern zur Umverteilung von Geld. Der Nachteil: Das ganze Gelddrucken geht auf Kosten der Währung und der Staatsanleihen. Geld wird in unserer Wahrnehmung und in der Realität immer weniger wert.

+++Mehr zur Reihe “Junges Geld”+++

Dalio hat für sein neuestes Buch, das erst im September erscheint, den Aufstieg und Fall mehrerer “Weltordnungen” (Rom, China, USA) untersucht und festgestellt, dass der Mensch dasselbe Drehbuch immer wieder abspielt: Wir starten mit hartem Geld, meistens Gold. Dann kommen die Banknoten, die einen Anspruch auf Gold darstellen. Von denen werden ohne Ausnahme mehr gedruckt als die Geldbasis (das Gold) erlaubt. Dann kommt der Umstieg auf reines Papiergeld und der Schuldenturbo wird gezündet. Das geschah im August 1971, als Richard Nixon die Dollar-Gold-Bindung beendete.

“Gelddrucken, das muss die Lösung sein!”

Die Krisen werden häufiger, die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander, die sozialen Spannungen verschärfen sich – aber die Finanzmärkte feiern eine große Party. Bis die Blase platzt. Dann wird nochmal gegengesteuert, alles mobilisiert: Geld, Geld, Geld und noch mehr Geld soll es richten. Nach jeder Blase werden die Ideen extremer. Im Jahr 2020 haben wir die Phase erreicht, in der auch einige Ökonomen ernsthaft überzeugt sind: “Gelddrucken, das muss die Lösung sein!”

Wie geht es jetzt also weiter? Das ist die Kernfrage. Solange es keinen totalen Zusammenbruch gibt oder eine Währungsreform kommt, läuft das Spiel. Was wir nicht wissen: Werden die frischen Geldmengen in der Lage sein, eine weitere wirtschaftliche Expansion anzufeuern, wie wir sie nach 2000 und 2008 gesehen haben? Oder sehen wir schwaches Wachstum bei hoher monetärer Inflation? Das zweite Szenario würde dann das echte Endspiel einleiten. Eine Flucht aus Anleihen und Währungen in Sachwerte wie Gold, Immobilien und bestimmte Aktien.

Langsam wird das Spiel langweilig, oder?

“Die Verwässerung der Währung führt zu einer Abwertung und die Menschen flüchten aus den Währungen und Anleihen in diesen Währungen. (…) Irgendwann werden die Schulen einfach gestrichen, meistens indem man das Geld, mit dem sie zurückgezahlt werden, sehr billig macht, was Geld und Schulden abwertet. Wenn das so extrem wird, dass das Geld und Kreditsystem anfängt, zusammenzubrechen, muss der Staat zu irgendeiner Form von harter Währung zurück finden, etwa indem er sein Geld an eine Leitwährung oder Gold bindet”, schreibt Dalio.

Dann beginnt ein neues Spiel. Wenn Entwicklungsländer das machen, sehen wir es als “Emerging Market Krise”. Das kommt immer wieder mal vor. Wenn die Industriestaaten das machen, entsteht eine “neue Weltordnung”. Dalio sagt, dass dieser Zyklus seit tausenden von Jahren zu beobachten ist. Schon im alten Testament war von einer Schuldenstreichung alle 50 Jahre die Rede. Laut dem Hedgefondsmanager dreht sich die Weltordnung seitdem alle 50 bis 75 Jahre. Unsere aktuelle läuft seit 1944. Also schon 76 Jahre. Und langsam wird das Spiel langweilig, oder?

==> Hier geht es zur ganzen extrem lesenswerten Analyse von Ray Dalio.


Disclaimer: Dieser Text sowie die Hinweise und Informationen stellen keine Anlageberatung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar. Sie dienen lediglich der persönlichen Information und geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder. Es wird keine Empfehlung für eine bestimmte Anlagestrategie abgegeben. Die Inhalte von derbrutkasten.com richten sich ausschließlich an natürliche Personen.


Über den Autor

Niko Jilch ist Wirtschaftsjournalist, Speaker und Moderator. Nach acht Jahren bei der „Presse“ ging er Ende 2019 zum Thinktank „Agenda Austria“, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Bereiche „Geldanlage und digitale Währungen“ abdeckt, sowie digitale Formate aufbaut, etwa einen neuen Podcast. Twitter: @jilnik

==> Mehr über die Kolumne „Junges Geld“

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


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AI Summaries

Der Aufstieg und Fall unserer Weltordnung

  • Kaum ein Verschwörungsvideo kommt ohne eine Referenz zu dieser “neuen Weltordnung” aus. Aber das ist Angstmache.
  • Milliardär und Hedgefonds-Legende Ray Dalio nutzt den Begriff in seiner neuesten Analyse ganz lapidar für das, was er den Beginn eines “langen Schuldenzyklus” nennt.
  • Laut Dalio ist 1944 in Bretton Woods, wo der Dollar als an Gold gebundene Weltwährung etabliert wurde, eine „neue Weltordnung“ entstanden.
  • Von 2008 bis 2020 haben die Staaten und Notenbanken Geld in den Markt gepumpt und es von diesem verteilen lassen.
  • Aktuell stecken wir mitten in der letzten Phase des Spiels. Corona hat alles nur beschleunigt.

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