21.12.2023

Wo bei Klaus Buchroithner die Fäden zusammenlaufen

Portugal ist in Europa ein Mekka für die Produktion nachhaltiger Mode. Auch der österreichische Gründer Klaus Buchroithner lässt die Kollektionen seiner beiden Fashion-Startups Das Merch und Vresh in dem westeuropäischen Land produzieren und nimmt die Kontrolle der Lieferkette selbst in die Hand.
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Die Mode wird nachhaltig und fair in Portugal produziert | (c) Vresh GmbH

Wer sich mit Mode in der österreichischen Startup-Szene beschäftigt, der kommt um ihn nicht herum: Die Rede ist von Klaus Buchroithner. Bereits 2012 gründete er das Fashionlabel Vresh und bietet seit 2017 mit seiner Mitstreiterin Michaela Geiseder über die B2B-Schiene Das Merch nachhaltiges Merchandise für Firmen an. Zu den Kunden zählen zahlreiche bekannte Unternehmen und Startups wie beispielsweise Neoom rund um den oberösterreichischen Gründer Walter Kreisel oder das Greentech-Festival rund um Nico Rosberg. Auch die Wiener Linien setzen auf das Linzer Fashion-Startup und präsentierten Mitte Oktober mit der „WL23 Liquid Collection“ eine eigene Modekollektion, die im Fanshop des Verkehrsbetriebs erhältlich ist.

Während Buchroithner in seiner Anfangszeit mit lokalen Druckereien in Österreich zusammenarbeitete, um standardisierte T-Shirts zu bedrucken, stiegen in den ersten zwei Geschäftsjahren von Vresh schnell die Anforderungen und der Wunsch nach mehr Designmöglichkeiten. „Um wirklich unsere eigenen Kollektionen herstellen zu können, benötigten wir damals einen echten Textilproduzenten, und diesen zu finden war zunächst schwieriger als gedacht“, erzählt Buchroithner über die Anfangsphase seiner Unternehmerlaufbahn.

Mitte 2014 begab sich der Gründer daher auf die Suche nach einem Produzenten. Warum fiel schlussendlich die Wahl auf Portugal als Produktionsstandort? Wie so oft im Unternehmerleben spielten dabei der Zufall und persönliche Kontakte eine entscheidende Rolle. „Der Onkel meiner damaligen Freundin hatte einen Schulfreund, der vor 25 Jahren beruflich nach Portugal gegangen ist, um dort eine Strumpfhosenfabrik aufzubauen. Als ich ihm davon erzählte, dass ich das Thema faire Mode voranbringen möchte, lud er mich kurzerhand nach Portugal ein“, so der Gründer über seinen ersten Kontaktmann vor Ort, den er auch liebevoll als seinen „portugiesischen Onkel“ bezeichnet.

(c) Das Merch

Vom Erasmus für Jungunternehmer

An die erste Reise nach Portugal kann sich Buchroithner noch gut erinnern. „Bei meinem ersten Besuch habe ich keine einzige Fabrik besichtigt. Ich glaube, mein ‚portugiesischer Onkel‘ wollte damals einfach nur abchecken, ob er mir überhaupt helfen will und ob ich auch etwas Gutes im Sinn habe.“ Trotz der verpassten Chance, eine entsprechende Fabrik für sein Modelabel zu finden, sollte die erste Reise ein wichtiger Baustein für Buchroithners künftige Unternehmerkarriere werden: Zwischen dem jungen Gründer und seinem „portugiesischen Onkel” baute sich damals ein Vertrauensverhältnis auf. Nach weiteren Besuchen in Portugal beschloss Buchroithner, im Betrieb seines Bekannten für ein halbes Jahr ein „Erasmus für Jungunternehmer“ zu absolvieren.

(c) Das Merch

Um die eigene Produktion in Gang zu setzen, baute der Gründer Schritt für Schritt ein Netzwerk von Partnern auf. “Wir wollten keine große Fabrik damit beauftragen, sondern setzten auf eine gut selektierte Auswahl an kleinen Teilbetrieben.“ Zu diesen Betrieben zählt unter anderem eine Schneiderei, die sich in der Nähe der Ortschaft Fafe im Norden Portugals befindet. „In diesem Ort ist kaum eine Tür verschlossen. Wenn der Nachbar irgendetwas braucht, dann kommt er einfach und borgt es sich aus“, so Buchroithner. „Auch in unseren Partnerbetrieben geht es sehr familiär zu. Die Arbeiter:innen gehen mittags meist nach Hause und essen mit ihren Familien. Am Nachmittag kommen sie dann wieder in den Betrieb und setzen ihre Arbeit fort.”

(c) Das Merch

Trotz der familiären Stimmung machte der Gründer die Erfahrung, wie hart die wirtschaftlichen Bedingungen insbesondere für die kleineren Produktionsbetriebe vor Ort sind. „Meist kommen Agenturen mit Aufträgen zu den kleinen Betrieben und sagen: ‚Hier habe ch einen Auftrag für dich. Liefere uns 5.000 Teile. Das ist der Preis und hier ist der Liefertermin!‘ Einen wirklichen Hebel für Verhandlungen gibt es für die Schneidereien nicht.”

Faire Mode erfordert faire Bezahlung

Buchroithner wollte jedoch einen anderen Weg einschlagen. „Wenn du nicht den Mindestlohn von aktuell rund 760 Euro zahlst, sondern da und dort 50 bis 100 Euro im Monat mehr gibst, dann macht das am Ende des Jahres schon etwas aus.“ Dahingehend hat er bei seinem eigenen Partnerbetrieb initiiert, dass die Schneiderei ihre Mitarbeiter:innen über dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt. “Die Schneiderei kann sich das leisten, weil wir sehr gut für die Aufträge zahlen. Wir liefern auch einen Weihnachts- und Osterbonus, was es sonst nicht geben würde.“ Am Ende des Tages würde es jedoch den Händler:innen obliegen, ob sie dafür auch bereit sind, zu zahlen.

(c) Das Merch

Obwohl sein Startup am Papier nur ein Händer und kein Produzent sei, ist Buchroithner bei den Partnerbetrieben sehr eng in die Produktionsprozesse eingebunden. Dies erfordert jedoch auch physische Präsenz vor Ort. “Im Schnitt verbringe ich zwei Monate im Jahr in Portugal. Heuer waren es aber schon mehr“, so der Gründer. Und er fügt an: „Wir können bei unseren Partnerbetrieben sehr viel steuern und haben auch Mitspracherecht.”

(c) Das Merch

Einer möglichen Beteiligung seines Startups an der Schneiderei steht er jedoch mit gemischten Gefühlen gegenüber. „Wir könnten uns an der Schneiderei jederzeit beteiligen. Sofern dies der Fall ist, würden wir allerdings zwangsläufig ein Stück von deren Gewinn abschneiden. Es handelt sich daher um ein zweischneidiges Schwert.“ Am Ende des Tages sei es das Ziel, faire Arbeitsbedingungen zu ermögichen. Diesbezüglich verfolgt der Gründer auch ein ambitioniertes Ziel: „Unsere Kern-Mission ist es, 1.000 faire Arbeitsplätze zu schaffen.”

Geht sozialer Anspruch auch mit Nachhaltigkeit einher?

Neben dem Anspruch, faire Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, achtet Buchroithner in der Produktion seiner Mode zudem auch auf den Nachhaltigkeitsaspekt. Diesbezüglich merkt er allerdings an, dass es sich um einen fortlaufenden Entwicklungsprozess handelt: „Derzeit ist bei uns die soziale Komponente noch immer stärker aus geprägt als die Umweltkomponente.“ Dennoch verfolgt Buchroithner in Sachen Nachhaltigkeit einen hohen Anspruch.

(c) Das Merch

Für die Produktion der eingangs erwähnten „WL23 Liquid Collection“ der Wiener Linien setzte sein Startup beispielsweise auf wassersparenden digitalen Textildruck. Zudem wurden die Stoffe der Kollektion in Portugal nach GOTS-Standards produziert und bestehen zu 100 Prozent aus Biobaumwolle. GOTS steht für Global Organic Textile Standard und ist ein weltweit anerkanntes Textilsiegel, das für die Verarbeitung von Textilien aus biologisch erzeugten Naturfasern steht. Für viele kleinere Partner sei eine derartige Zertifizierung allerdings mit großen Herausforderungen verbunden. Buchroithner: “Eine GOTS-Zertifizierung kostet kleinere Betriebe oftmals den Jahreslohn eines ganzen Mitarbeiters.“ Dementsprechend könnten sich insbesondere kleinere Unternehmen in Portugal eine derartige Zertifizierung nicht leisten, obwohl sie eigentlich bereits nach nachhaltigen Kriterien produzieren würden.

„Wir könnten uns an der Schneiderei jederzeit beteiligen. Sofern dies der Fall ist, würden wir allerdings zwangsläufig ein Stück von deren Gewinn abschneiden. Es handelt sich daher um ein zweischneidiges Schwert.“

Klaus Buchroithner

Ein Betrieb mit nur zehn Mitarbeiter:innen hätte demnach im Verhältnis viel höhere Kosten für die Zertifizierung zu tragen als ein Betrieb mit 100 Mitarbeiter:innen. “Für uns wäre es wahrscheinlich einfacher, mit großen Betrieben zusammenzuarbeiten, die sich eine derartige Zertifizierung leisten können. Unsere Philosophie ist es jedoch, kleine Betriebe zu fördern“, so Buchroithner

Die Bereitschaft der Kund:innen und die Krise

Am Ende des Tages müssen die Konsument:innen natürlich auch bereit sein, für faire und nachhaltige Mode zu zahlen. Angesichts der allgemeinen Teuerung steige der wirtschaftliche Druck auf Firmen, die nachhaltig produzieren, zusätzlich. Buchroithner, der auch gut mit anderen Gründer:innen von nachhaltigen Modelabels vernetzt ist, hält diesbezüglich fest: „In der Krise werden nicht nur weniger biologische Lebensmittel konsumiert – natürlich ist auch die Nachfrage nach nachhaltiger Mode rückläufig.“

(c) Das Merch

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen rechnet der Gründer für 2023 mit einem leichten Wachstum, das ohne die derzeit vorherrschenden wirtschaftlichen Herausforderungen allerdings viel stärker ausgefallen wäre. „Natürlich spüren auch wir die Krise, insbesondere auch bei unserer B2B-Schiene ‚Das Merch‘. Budgets für HR und Marketing fallen aktuell geringer aus.“ 2021 erzielte das Startup mit Vresh und Das Merch übrigens seine erste Million Euro an Jahresumsatz.

Lieferkettengesetz und faire Spielregeln

Damit der Wachstumskurs trotz der wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen dennoch fortgesetzt werden kann, brauche es für alle Player am Markt klare Spielregeln: Die größte Herausforderung ist laut dem Gründer aktuell der unfaire Wettbewerb, den Billiganbieter wie Primark, Kik und Co betreiben. „Sie vermitteln den Konsumenten ein komplett verzerrtes Bild vom Preis. Derart billige Mode kann nur auf den Kosten von Menschen und Umwelt produziert werden.“ Dahingehend begrüßt der Gründer die EU-weite Einführung des Lieferkettengesetzes, obgleich die konkrete Ausgestaltung noch nicht feststeht. Hier sei die Politik klar gefordert: „Ganz nüchtern betrachtet ist es derzeit für ein kleines Modelabel eher ein wirtschaftlicher Nachteil, nachhaltig zu sein.“ Dennoch sei genau jetzt ein guter Zeitpunkt, eine Nische zu besetzen und eine nachhaltige Marke aufzubauen. Dafür braucht es jedoch ein „Zukunftsinvestment“, das von Gründer:innen eine Menge unternehmerischen Mut abverlangt.

Digitale Tools, direkter Kontakt

Große Unternehmen sowie börsennotierte Unternehmen mit einem Nettoumsatz von mehr als 40 Millionen Euro und mehr als 250 Beschäftigten müssen in der EU ab 2025 verpflichtend einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen. Obwohl sein Startup nicht darunterfällt, möchte Buchroithner mit einem positiven Beispiel vorangehen und gemeinsam mit seinem Team bereits nächstes Jahr seinen ersten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen. Die größte Herausforderung sei dabei, an die entsprechenden Daten zu kommen. “Die Daten manuell zu erheben ist eine Mammutaufgabe und fast unmöglich. Daher entwickeln wir gerade ein digitales Tool, das die entsprechenden Daten erhebt und unsere Lieferkette transparenter gestaltet.“ Den direkten Kontakt vor Ort mit den Produzenten in Portugal, den der Gründer fast familiär pflegt, wird das Tool in Zukunft jedoch auch nicht ersetzen. Erst Anfang November machte sich Buchroithner daher wieder auf den Weg nach Portugal: “Gestern Abend bin ich in Porto gelandet, und natürlich werde ich von meiner Crew abgeholt. Die Managerin der Schneiderei ist für mich mittlerweile zu einer Art Schwester geworden.”


Der Artikel erschien zuerst in unserem neuen Printmagazin in der Ausgabe Dez/2023. Mehr darüber könnt ihr hier erfahren.

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Ida Tin, Co-Founderin von Clue (c) Valerie Maltsev

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Ein Link zum Download findet sich am Ende des Artikels.

Bunte Hosenanzüge, gepaart mit hohen Absätzen, Sneakers, langen Locken und eleganten Kurzhaarschnitten – beim diesjährigen Global Leaders Summit, organisiert von the female factor und unterstützt von der Stadt Wien, gleicht das Publikum einem bunten Bällebad. An diesem ungewöhnlich warmen September­donnerstag füllt sich das Wiener Rathaus mit über 500 weiblichen Führungskräften aus 50 Nationen.

Is this how a leader looks like?

Mittendrin ragt die dänische Founderin Ida Tin aus der Menge. In einem grau-weiß gestreiften Blazer und mit elegantem Hair-Updo setzt sie kontrollierte Schritte auf den roten Teppich, der Besucher:innen den Weg ins Rathaus markiert. Links und rechts stehen weiß bezogene Stehtische, vor einer türkisen Fotowall tummeln sich Hosenanzüge. „This is how a leader looks like“ steht auf der Fotowand.

„Schriftstellerin“ ist die Berufsbezeichnung, die aus diverser Berichterstattung rund um die dänische Gründerin hervorgeht. In ihrem ersten Buch schrieb sie über Motorradreisen. In Dänemark wurde es zum Bestseller. Ihre Geschichte ist eine, die von vielen gehört und gelesen gehört – denn Ida heißt heute „Mother of Femtech“.

Mother of Femtech

Ida wurde im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro geboren und war einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lebens auf dem Motorrad unterwegs. Mit ihren Eltern und ihrem Bruder hat sie so mehrere Länder der Welt bereist.

Zusammen mit ihrem Vater ­arbeitete sie später für Moto Mundo, einen ­ Motorrad-Reiseveranstalter. In den frühen 2000ern organisierte sie Motor­radtouren durch Vietnam, die USA, Kuba, Chile oder die Mongolei; 2009 erschien ihr besagtes Buch „Direktøs“, in dem sie von ihren Reiseerfahrungen erzählt.

Weil auf Reisen kein Tag ist wie der andere, stand Ida vor einem Problem: Woher weiß sie, wann ihre Monats­blutung kommt? Händisch mitzuschreiben ging nicht, am Motorrad war kaum Platz. Sie brauchte etwas Handliches; etwas, das immer dabei ist. Und etwas, das selbst mitdenkt.

Ida kam auf eine Idee – ­ wenige Jahre später startete sie eine der weltweit ersten Tracking-Apps für Frauengesundheit. Ida gründete Clue als App für menstruierende Personen im Jahr 2012 in Berlin, gemeinsam mit Hans Raffauf, Moritz von Buttlar und Mike LaVigne. Über die Jahre wurde Clue zu einer der berühmtesten Apps unter Menstruierenden. Damit schuf Ida eine technologische Lösung zur Verbesserung von Frauengesundheit – eine Femtech-Lösung.

Forgive me, but I think there is a little bit of a lack of vision for Europe.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Zurück am Global Leaders Summit höre ich Ida zu, wie sie auf der Global Stage des Großen Festsaals im Wiener Rathaus spricht. Ida setzt ihre Worte gezielt; im Trubel des Summits sticht sie nicht mit Lautstärke hervor, sondern mit Präsenz. Ohne ihre Stimme zu heben, finden Idas Worte ihren Weg durch die Geräuschkulisse des Festsaaltreibens. Sie spricht von einer Reform unseres Ökosystems.

„Let’s invite men into our world“ und „Sense your body, pay tribute to your mental health“ sind nur zwei der Aussagen, die man selten von Gründer:innen im Business-Kontext hört. Mit dem Aufbau ihres Unternehmens hat sie den Begriffen „Gründung“ und „Unternehmensführung“ eine neue Bedeutung verliehen. Sie hat sie menschlicher gemacht.

Nach dem Panel bleibt Zeit für ein kurzes Interview. Wieder schafft es Ida, mit bewusst gesetzten Wortkombinationen eine wichtige Message zu kommunizieren: „Wir müssen aufpassen, was wir als erfolgreich betrachten. Früher war Erfolg Geld, ein hoher Return on Investment; noch größere Finanzierungsrunden. Doch wenn wir ehrlich sind, ist der eigent­liche Reichtum unsere Gesundheit.“

Wie ein System funktioniert

Unverkennbar geht es in unserem Gespräch nicht nur um Geld: „Mehrere Studien zeigen, dass Investitionen in die Gesundheit von Frauen die Wirtschaft ankurbeln. Erst dieses Jahr hat McKin- sey einen Report herausgebracht, der zeigt: Wir würden uns jedes Jahr eine Billion Dollar sparen, wenn die Gesundheitsbedürfnisse von Frauen an- gemessen erfüllt würden.“

Ida zeigt in unserem Interview, dass sie das Thema bewegt: „Frauengesundheit ist teuer, gar keine Frage. Aber wir wissen mittlerweile auch: Wenn es Frauen gut geht, geht es ihren Unternehmen gut, ihren Familien und schließlich auch der Gesellschaft. Viel­fältige Teams begünstigen integrative Unternehmen, bringen weniger Voreingenommenheit und tatsächlich bessere Geschäftsergebnisse.“

Als ob das nicht schon selbsterklärend genug wäre, betont Ida mit einem Kopfnicken: „Wenn wir also Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.“

“Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und engstirnig.”

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Gesundheit!

Dass das in der Corporate-Bubble schwierig umzusetzen ist, weiß Ida. Auch alle bunten Hosenanzüge, die sich zum Global Leaders Summit im Wiener Rathaus versammelt haben, wissen es. Dass nicht tatenlos zugesehen werden darf, wie Frauen, ihre Gesundheit und ihr Potenzial im Unternehmertum vernachlässigt werden, weiß auch jede vor Ort.

„Wir wissen doch alle, dass man mehr Perspektiven in Führungsebenen bringt, wenn man Frauen dort reinsetzt. Wenn man sie einfach machen lässt und niemanden zu formen versucht. Wir leben in einer Kultur, vor allem in der Tech-Szene, in der wir Menschen formen. Du stellst jemanden an, du formst dir deine Arbeitskraft so, wie du sie willst, drückst sie in interne Strukturen. Du etablierst Arbeitsmodelle, die sich nach 40 Wochenstunden richten und Menschen gesundheitlich belasten. Und nicht selten endet das im Burnout. Ich denke, wir müssen uns in dieser Hinsicht mehr am Gesundheitsaspekt unserer Arbeit orientieren. Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“, so Ida.

Wenn wir Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Langsam lasse ich mir Idas Worte durch den Kopf gehen. „Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“ Ja, der Satz kommt wahrlich aus dem Mund einer der erfolgreichsten Founder:innen unserer Zeit. Das ist das Mindset jener Unternehmerin, die mit ihrer Tracking-App den Begriff Femtech prägte und den Grundstein für eine ganze Branche schuf. Sogar Apple war von Idas Technologie begeistert und bat um Zusammenarbeit.

Idas Mindset kommt nicht von irgendwo: „Meine Eltern waren ein Beispiel für Menschen, die genau das taten, was sie wirklich gerne machten; auch, wenn das in den Augen mancher als verrückter kleiner Traum schien. Mit ihrem Traum haben sie sich immerhin ihren Lebensunterhalt verdient. Und ich denke, wenn einem als Kind die Chance gegeben wird, die Welt zu sehen, bekommt man ein Gefühl dafür, wie viele Realitäten es da draußen gibt; und wie viele Dinge miteinander verknüpft sind.“

Der Mangel an Vision

Stichwort Verknüpfung: Sollten wir nicht zuerst anfangen, auf nationaler Ebene zu denken, bevor wir uns die ganze Welt vorknöpfen? Ida sieht das anders:

„Wie soll ein kleines, noch so starkes Land in einem schwachen Europa überleben? Wenn es zu politischen Unruhen auf europäischer Ebene kommt, sind wir alle verwundbar. Wenn die Wirtschaft in Europa zusammenbricht, werden auch einzelne Staaten zusammenbrechen. Es macht keinen Sinn, in nationalen Einheiten zu denken. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns in Zukunft versorgen können. Wir müssen ein bisschen mehr an unseren Planeten denken. Ich glaube, es mangelt an einer Vision für Europa; und an gutem Storytelling.“

Der neue Erfolg

Ida redet Klartext über Tatsachen, die eigentlich jeder kennt, aber niemand wirklich wahr­ haben möchte. Mit einem weiteren Kopfnicken teilt sie Lösungsansätze:

„Wenn wir unsere Wirtschaft in etwas Nachhaltiges verwandeln wollen, müssen wir Erfolg neu definieren. Zurzeit feiern wir Investments, wir feiern finanzielle Rendite. Wir feiern Unicorns. Aber die Welt verlangt nach einer mehrdimensionalen Vorstellung von Erfolg.“

Ida meint: sich selbst nach eigenen Maßstäben als erfolgreich zu bezeichnen; Gesundheit als Erfolg zu bezeichnen. Und: „Unternehmen aufzubauen, in denen Menschen gesund sein können, in denen Menschen offen queer sein können, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen; in denen man sie nicht zwingt, Alkohol zu trinken – und in denen eine integrative Kultur geschaffen wird.“

Wir brauchen weniger

Mit Clue hat Ida genau das versucht, und zwar mit einem der wohl umstrittensten New-Work-Themen unserer Zeit: der Vier-Tage-Woche. „Wir haben gesehen, dass unsere Leute an vier Tagen in der Woche genauso viel geleistet haben wie an fünf.“

Ida bot ihrem Team neben vier Arbeitstagen damit auch drei freie Tage, die Möglichkeit für Side Projects und mehr Zeit für Sport, Familie und Ruhe. „Viele hatten das Gefühl, dass ihr Leben eine ganz neue Qualität gewonnen hat. Und zusätzlich gibt es auch eine Menge an Studien und Daten, die zeigen, dass das funktioniert“, so Ida.

Wie in Island

So wie in Island, wo seit 2020 51 Prozent der Arbeitnehmenden reduzierte Wochenarbeitszeiten von 35 bis 36 Stunden bei gleichem Lohn wie zuvor hatten. Heute soll der Anteil noch etwas höher liegen, heißt es von einer Studie des britischen Autonomy Institute und der isländischen Association for Sustainability and Democracy (Alda). Im vergangenen Jahr soll die Wirtschaft Islands um fünf Prozent gewachsen sein – damit verzeichnet der Staat eine der höchsten Wachstumsraten in Europa.

In Idas Office gab es an den vier Arbeitstagen außerdem schuhfreie Zonen, einen Meetingraum ohne Tisch sowie Schwimm- und Fitnessstunden für ihre Mitarbeiter:innen. „Es sind die kleinen Dinge, die die Leute zusammen und zum Lachen bringen. Irgendwann hatten wir sogar eine Vorstandssitzung im tischlosen Raum.“

Kannst du acht Stunden am Tag sitzen?“ Ida reißt mich aus meinem kurzen Tagtraum. „Ich kann es nicht!“, wirft sie hinterher. „Auch jeder Sportler weiß, dass man Erholung braucht, um Höchstleistung zu erbringen. Warum sollte man das als arbeitender Mensch also vernachlässigen?“

Die Planeten-Perspektive

Nach fast 40 Minuten werden wir von zwei bunten Hosenanzügen unterbrochen. Die Zeit für das Interview ist um, das nächste steht an. Eine Frage fehlt uns aber immer noch: Wie lässt sich unsere Gesellschaft nun nachhaltig umbauen?

„Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und sie macht uns engstirnig. Niemand auf diesem Planeten muss exorbitant viel besitzen. Alles über einem bestimmten Betrag könnte in Klimafonds fließen, in Sozialprojekte, in die gerechte Verteilung von Vermögen. Die Monopolisierung von Reichtum schafft ein großes demokratisches Problem; und schließlich auch ein Problem für Innovation.“

Was uns Ida sagen will: Man kann keine Gesellschaft aufrechterhalten, in der zu wenige zu viel und zu viele zu wenig haben. „Ich wünsche mir, dass wir an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Manchmal frage ich mich: Warum haben wir nicht eine gemeinsame Marke für unseren Planeten? Einen gemeinsamen Plan mit einer gemeinsamen Perspektive. Das wäre etwas, das uns in unserem Tun sicherlich einiges an Klarheit und Ambition geben würde.“

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