13.07.2020

Wird das milliardenschwere TikTok zum Bauernopfer in einem Wirtschaftskrieg?

In immer mehr Staaten werden Rufe laut, die chinesische App TikTok zu verbieten. Als Grund wird oft Spionageverdacht genannt. Doch es steckt mehr dahinter.
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Tiktok - wirklich gefährlich in punkto Datenschutz? (c) Adobe Stock / prima91 / beigestellt

Sie kennen TikTok noch nicht selbst? Dann gehören Sie nach Everett Rogers´ Klassifizierung der Adaptions-Geschwindigkeit zur letzten Gruppe, den Innovations-Nachzüglern. Die App ist erfolgreicher als Facebook, hat heute über 2 Milliarden User und nicht weniger große Sorgen. Die Sorgen sind so groß, dass Sie sich womöglich nicht darüber ärgern müssen, nicht zu den „Early Adaptors“ gehört zu haben, denn die App könnte ihre internationale Präsenz womöglich bis 2021 verlieren und erstes Bauern-Opfer eines größeren, wirtschaftlichen Konfliktes werden. Aber der Reihe nach.

Was ist TikTok und woher kommt es?

Ursprünglich hieß die App etwas unrund „Musical.ly“ und war bis August 2018 ein beliebter Videostreaming-Dienst mit etwas über 100 Millionen Nutzern. Gegründet von 2 Chinesen in Shanghai, hatte die App von Beginn an ein Standbein in Los Angeles und war auf internationales Wachstum ausgerichtet. Im August 2018 wurde die App dann von der Pekinger Firma ByteDance übernommen und ihre Benutzer zu TikTok übersiedelt. Seit dem Transfer explodierten die Nutzerzahlen und das Unternehmen überschritt sogar die magische Bewertung von 100 Milliarden Dollar.

TikTok hat mächtige Feinde

Indien, der größte geschlossene Social Media User-Markt nach China, verbannte am 29. Juni die beliebte App, zusammen mit 28 weiteren chinesischen Apps. Die Regierung unterstellt diesen, den indischen Sicherheitsinteressen zu schaden und chinesischer Spionage zu dienen. Das Argument wurde just vorgebracht, nachdem sich ein lange schwelender Grenzkonflikt in der Region Ladakh zuspitzte. Bei einer Auseinandersetzung zwischen indischen und chinesischen Soldaten wurden 20 Inder getötet. Kurz danach sperrte man die 29 Apps und warf China vor, Daten indischer User missbräuchlich an die chinesische Regierung übermittelt zu haben.

Mike Pompeo sagte vergangenen Donnerstag gegenüber FOX News, die USA würden ebenfalls in Erwägung ziehen, TikTok zu sperren. Das Argument glich dem der Inder, ByteDance würde Userdaten an die chinesische Regierung übermitteln, was amerikanische Interessen bedrohe.  Er wolle nicht Daten von US-Bürgern in Händen chinesischer Kommunisten sehen, erläuterte der US Außenminister weiter ruppig. Und sei das noch nicht genug der schlechten Nachrichten für den App-Betreiber, haben australische Abgeordnete angekündigt, das Thema TikTok vor den Senat zu bringen und ebenfalls über einen Bann auf dem Kontinent zu diskutieren. Es dauerte keine 48 Stunden und die Forderung, die App zu verbieten, landete auch in Europa, genauer in UK, wie mehrere britische Zeitungen meldeten.

In Hongkong entschied TikTok von sich aus, sich zurückzuziehen. Als Begründung wurde genannt, dass man der dort immer aktiver werdenden, chinesischen Regierung nicht sensible Auskünfte über Hongkong-Chinesen erteilen wolle. Der Rückzug wird in einer Phase vollzogen, in der Honkong bürgerkriegsähnliche Zustände zu bewältigen hat. Unabhängig davon aber kann TikTok dort nur verlieren. Es ist ein kleiner, unbedeutender Markt – mit einem ungleich größeren Bedrohungspotential, zwischen die Räder der Konfliktparteien zu geraten.

Ist die Bedrohung durch TikTok real?

Apps dieser Machart nutzen mitunter auch persönliche Daten, um zu funktionieren oder haben Fehler, die einen Missbrauch erlauben. Insofern könnten solche Bedenken begründet sein, vor allem für Menschen innerhalb Chinas.

Im Jänner diesen Jahres überraschte die New York Times mit einer Analyse der israelischen Cybersecurity-Firma CheckPoint. Diese habe schwere Sicherheitsmängel bei TikTok festgestellt, die sogar Zugriffe Dritter auf Daten erlaube. TikTok ging in die Offensive und beteuerte, alle Mängel beseitigt zu haben. Zudem kursieren Analysen einer Handvoll Tech-Blogs, wonach TikTok regelmäßig auf den Zwischenspeicher der Handynutzer zugreife, ohne allerdings zu sagen, ob dies nicht auch andere Gründe haben könne. (Auch Linkedin oder Reddit taten dies lange Zeit). Vor drei Wochen riet dann das Hacker-Kollektiv Anonymous User dazu, TikTok zu löschen.

Vor wenigen Tagen schickte sodann Amazon eine Aufforderung an seine Mitarbeiter, TikTok zu löschen, sollte die App auf Smartphones laufen, auf denen auch Firmen-Emails gelesen werden. Man fürchte Daten-Diebstahl. Doch Amazon konnte für keine Begründung erreicht werden und kommunizierte ebenfalls keine Details zu den Vorwürfen.

Auch wenn viele verschiedene Quellen vor TikTok warnen, ganz schlüssig ist vor allem die politische Reaktion nicht:

  • Der indische Bann der Apps erfolgte genau zum Zeitpunkt eines ernsthaften militärischen Konflikts mit China. Die Debatte in Indien ist zudem reichlich mit China-Ressentiments aufgeladen. TikTok ist bestimmt groß, aber sicher bei weitem nicht das datentechnisch kritischste chinesische Unternehmen, das in Indien aktiv ist. Es stand aber thematisch im Vordergrund.
  • Auch die Ankündigung der Trump-Regierung, TikTok zu verbannen, erfolgte just nachdem eine über TikTok akkordierte Aktion von Usern, dem US-Präsidenten seinen Wahlkampfauftakt in Tulsa (Oklahoma) praktisch zunichte gemacht hatte und Trump wegen Corona ohnedies auf Anti-China Frames setzte (siehe meine Analyse zu Trumps Wahlkampfauftakt). Zufall?
  • Weiters sollten wir nicht Opfer unserer eigenen Daten-Paranoia werden. Wenn ein Politiker heute sagt „Die missbrauchen eure Daten“, erhält er sofort grünes Licht für alle möglichen staatlichen Eingriffe und Verbote. Datenschutz ist sehr wichtig, aber wir vergessen oft, zu differenzieren und bei solchen doch erheblichen Vorwürfen tiefer zu graben. Sachliche und überprüfbare Beweise wären jedenfalls hilfreich bei der Einordnung eines derart schweren Spionagevorwurfs.

Um die App TikTok und deren Inhalte selbst kann es außerhalb Chinas wohl kaum gehen. Die Inhalte bestehen aus völlig trivialen, mehr oder weniger witzigen Kurz-Sing-Tanz-Blödel-Videos. Es gibt vereinzelt, sehr oberflächliche, politische Botschaften und auch die Chat-Funktion könnte man theoretisch für ernsthafte Themen nutzen. Dass diese App der chinesischen Regierung einen relevanten Spionage-Vorteil bringen soll, ist ohne harte Beweise aber schwer nachzuvollziehen.

Schließlich nutzt die Welt auch das chinesische Alibaba von Jack Ma. Diese digitale Plattform macht 40 Milliarden Umsatz und stellt einen richtigen ökonomischen Machtfaktor im globalen B2B-Geschäft dar. Dort werden wichtige Unternehmensdaten gespeichert und Personenregister geführt. Die Welt nutzt weiters Wechat, eine App welche ausführliche Chats, Einkäufe und Bezahlfunktionen vereint. Diese App, mit hochsensiblen Daten, nutzen neben rund 1 Milliarde Chinesen auch 100 Millionen Menschen außerhalb Chinas.

China verkauft darüber hinaus viele weitere Produkte, etwa Computer von Lenovo, Handys und Netzwerkausrüstung von Huawei oder ZTE und Geräte, die sensible, persönliche Daten der Enduser tracken, wie z.B. von Xiaomi. Hunderte Millionen Geräte und Software-Produkte verschickt China also in die ganze Welt, die allesamt hochsensible Daten nutzen, tracken und verarbeiten. Und ja, das alles kann sehr problematisch sein und sollte unsere Aufmerksamkeit bekommen. Aber von all den Geräten, Plattformen und Apps, soll ausgerechnet diese infantile Ulk-App TikTok verbannt werden, weil sie ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen soll?

Fazit

TikTok kann theoretisch für sensible Informationen genutzt werden und greift auch gewisse Userdaten ab, vergleichbar etwa mit Facebook oder Instagram. Auch hat die App vergleichbare Bugs zu beseitigen gehabt. Insofern, vor allem wegen seiner großen Verbreitung, könnten persönliche Daten missbräuchlich an die chinesische Regierung übermittelt werden. Diese Logik eines möglichen Datenmissbrauchs müsste man aber, wenn schon, auf alle digitalen Produkte Chinas umlegen. Es gibt bestimmt Dutzende, die sehr viel sensiblere Daten verarbeiten als TikTok und auf relevanteren Geräten installiert sind, als jenen von mehrheitlich Teenagern und Twens.  Würde es zudem stimmen, dass immer noch offene Mängel bestünden, die sogenannte „Malware“ erlaube, stellt sich die Frage, weshalb dazu keine echten Beweise veröffentlicht werden, handelt es sich doch um das größte soziale Netzwerk der Welt.

Wären Sie der Präsident der USA oder jener Indiens und Sie hätten gerade einen mächtigen Konflikt mit China und wollten dem Land einen Schaden zufügen oder sich für einen erlittenen Schaden revanchieren – wie würden Sie vorgehen? Sie würden vermutlich eine Taktik wählen, die Ihnen und der eigenen Wirtschaft am wenigstens schadet, oder? Und, Zufall oder nicht, genau das ist mit TikTok möglich. Es ist ein chinesisches Unternehmen mit Milliardengewinnen aus B2C, ohne jegliche wirtschaftliche Bedeutung für Länder außer China. Keiner macht B2B-Geschäfte über TikTok und die TikTok-Arbeitsplätze außerhalb Chinas, etwa in L.A., haben keine relevante Größe. Das ist wohl Pech.

TikTok hin oder her, professionelle globale Spionage ist eine permanente, wenn auch unsichtbare,  Realität seit dem Zweiten Weltkrieg. Nachrichtendienste aus aller Welt spionieren alles aus, was möglich ist. Sie sitzen an unseren Internet-Daten-Knoten, lesen alle unsere Bank-Überweisungen mit oder werben enge Mitarbeiter unserer Politiker als Spitzel an, wie vor 3 Tagen wieder im Fall Angela Merkel aufgedeckt wurde.  Das ist alles bekannt. Seit Edward Snowden und dem Aufdecker Glenn Greenwald wissen wir zudem, dass man mikroskopisch kleine Spionage-Implantate auf Hardware bekannter Marken im Netzwerkbereich anbringen hat können. Es ist für Nicht-Politiker schwer zu verstehen, aber auch zwischen befreundeten Staaten ist diese echte, breite sowie richtig tiefgehende Spionage Gang und Gäbe. Man kann das für hoch problematisch halten in einer freien Welt. Denn es geht nicht nur um die Verletzung staatlicher Souveränität, sondern auch um unsere höchst privaten Bürgerrechte, die sehr wahrscheinlich von Dutzenden Diensten permanent mit Füßen getreten werden.

Ich wage also die These, die „Wow, you can really dance”-App TikTok steht auf der realen Gefährdungsskala der Menschen nicht in vorderster Reihe. Zumindest nicht technisch, vielleicht aber politisch. Denn wirtschaftspolitisch würde die Welt China, mit dem auf allen Kontinenten diskutierten Bann, einen milliardenschweren Schaden zufügen.

Das kommunistische Ein-Parteien-Regime in China tut bestimmt vieles, was uns Sorge bereiten sollte. Aber dieser nicht wirklich konsistent begründete, mögliche Bann der größten Social-Media-App, riecht nach dem inszenierten Beginn eines Wirtschaftskrieges, bei dem TikTok das Bauernopfer werden könnte und in dem, wie in jedem Krieg, die Wahrheit das erste Opfer ist.


Über den Autor

Mic Hirschbrich ist CEO des KI-Unternehmens Apollo.AI, beriet führende Politiker in digitalen Fragen und leitete den digitalen Think-Tank von Sebastian Kurz. Seine beruflichen Aufenthalte in Südostasien, Indien und den USA haben ihn nachhaltig geprägt und dazu gebracht, die eigene Sichtweise stets erweitern zu wollen. Im Jahr 2018 veröffentlichte Hirschbrich das Buch „Schöne Neue Welt 4.0 – Chancen und Risiken der Vierten Industriellen Revolution“, in dem er sich unter anderem mit den gesellschaftspolitischen Implikationen durch künstliche Intelligenz auseinandersetzt.


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Ida Tin, Co-Founderin von Clue (c) Valerie Maltsev

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Ein Link zum Download findet sich am Ende des Artikels.

Bunte Hosenanzüge, gepaart mit hohen Absätzen, Sneakers, langen Locken und eleganten Kurzhaarschnitten – beim diesjährigen Global Leaders Summit, organisiert von the female factor und unterstützt von der Stadt Wien, gleicht das Publikum einem bunten Bällebad. An diesem ungewöhnlich warmen September­donnerstag füllt sich das Wiener Rathaus mit über 500 weiblichen Führungskräften aus 50 Nationen.

Is this how a leader looks like?

Mittendrin ragt die dänische Founderin Ida Tin aus der Menge. In einem grau-weiß gestreiften Blazer und mit elegantem Hair-Updo setzt sie kontrollierte Schritte auf den roten Teppich, der Besucher:innen den Weg ins Rathaus markiert. Links und rechts stehen weiß bezogene Stehtische, vor einer türkisen Fotowall tummeln sich Hosenanzüge. „This is how a leader looks like“ steht auf der Fotowand.

„Schriftstellerin“ ist die Berufsbezeichnung, die aus diverser Berichterstattung rund um die dänische Gründerin hervorgeht. In ihrem ersten Buch schrieb sie über Motorradreisen. In Dänemark wurde es zum Bestseller. Ihre Geschichte ist eine, die von vielen gehört und gelesen gehört – denn Ida heißt heute „Mother of Femtech“.

Mother of Femtech

Ida wurde im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro geboren und war einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lebens auf dem Motorrad unterwegs. Mit ihren Eltern und ihrem Bruder hat sie so mehrere Länder der Welt bereist.

Zusammen mit ihrem Vater ­arbeitete sie später für Moto Mundo, einen ­ Motorrad-Reiseveranstalter. In den frühen 2000ern organisierte sie Motor­radtouren durch Vietnam, die USA, Kuba, Chile oder die Mongolei; 2009 erschien ihr besagtes Buch „Direktøs“, in dem sie von ihren Reiseerfahrungen erzählt.

Weil auf Reisen kein Tag ist wie der andere, stand Ida vor einem Problem: Woher weiß sie, wann ihre Monats­blutung kommt? Händisch mitzuschreiben ging nicht, am Motorrad war kaum Platz. Sie brauchte etwas Handliches; etwas, das immer dabei ist. Und etwas, das selbst mitdenkt.

Ida kam auf eine Idee – ­ wenige Jahre später startete sie eine der weltweit ersten Tracking-Apps für Frauengesundheit. Ida gründete Clue als App für menstruierende Personen im Jahr 2012 in Berlin, gemeinsam mit Hans Raffauf, Moritz von Buttlar und Mike LaVigne. Über die Jahre wurde Clue zu einer der berühmtesten Apps unter Menstruierenden. Damit schuf Ida eine technologische Lösung zur Verbesserung von Frauengesundheit – eine Femtech-Lösung.

Forgive me, but I think there is a little bit of a lack of vision for Europe.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Zurück am Global Leaders Summit höre ich Ida zu, wie sie auf der Global Stage des Großen Festsaals im Wiener Rathaus spricht. Ida setzt ihre Worte gezielt; im Trubel des Summits sticht sie nicht mit Lautstärke hervor, sondern mit Präsenz. Ohne ihre Stimme zu heben, finden Idas Worte ihren Weg durch die Geräuschkulisse des Festsaaltreibens. Sie spricht von einer Reform unseres Ökosystems.

„Let’s invite men into our world“ und „Sense your body, pay tribute to your mental health“ sind nur zwei der Aussagen, die man selten von Gründer:innen im Business-Kontext hört. Mit dem Aufbau ihres Unternehmens hat sie den Begriffen „Gründung“ und „Unternehmensführung“ eine neue Bedeutung verliehen. Sie hat sie menschlicher gemacht.

Nach dem Panel bleibt Zeit für ein kurzes Interview. Wieder schafft es Ida, mit bewusst gesetzten Wortkombinationen eine wichtige Message zu kommunizieren: „Wir müssen aufpassen, was wir als erfolgreich betrachten. Früher war Erfolg Geld, ein hoher Return on Investment; noch größere Finanzierungsrunden. Doch wenn wir ehrlich sind, ist der eigent­liche Reichtum unsere Gesundheit.“

Wie ein System funktioniert

Unverkennbar geht es in unserem Gespräch nicht nur um Geld: „Mehrere Studien zeigen, dass Investitionen in die Gesundheit von Frauen die Wirtschaft ankurbeln. Erst dieses Jahr hat McKin- sey einen Report herausgebracht, der zeigt: Wir würden uns jedes Jahr eine Billion Dollar sparen, wenn die Gesundheitsbedürfnisse von Frauen an- gemessen erfüllt würden.“

Ida zeigt in unserem Interview, dass sie das Thema bewegt: „Frauengesundheit ist teuer, gar keine Frage. Aber wir wissen mittlerweile auch: Wenn es Frauen gut geht, geht es ihren Unternehmen gut, ihren Familien und schließlich auch der Gesellschaft. Viel­fältige Teams begünstigen integrative Unternehmen, bringen weniger Voreingenommenheit und tatsächlich bessere Geschäftsergebnisse.“

Als ob das nicht schon selbsterklärend genug wäre, betont Ida mit einem Kopfnicken: „Wenn wir also Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.“

“Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und engstirnig.”

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Gesundheit!

Dass das in der Corporate-Bubble schwierig umzusetzen ist, weiß Ida. Auch alle bunten Hosenanzüge, die sich zum Global Leaders Summit im Wiener Rathaus versammelt haben, wissen es. Dass nicht tatenlos zugesehen werden darf, wie Frauen, ihre Gesundheit und ihr Potenzial im Unternehmertum vernachlässigt werden, weiß auch jede vor Ort.

„Wir wissen doch alle, dass man mehr Perspektiven in Führungsebenen bringt, wenn man Frauen dort reinsetzt. Wenn man sie einfach machen lässt und niemanden zu formen versucht. Wir leben in einer Kultur, vor allem in der Tech-Szene, in der wir Menschen formen. Du stellst jemanden an, du formst dir deine Arbeitskraft so, wie du sie willst, drückst sie in interne Strukturen. Du etablierst Arbeitsmodelle, die sich nach 40 Wochenstunden richten und Menschen gesundheitlich belasten. Und nicht selten endet das im Burnout. Ich denke, wir müssen uns in dieser Hinsicht mehr am Gesundheitsaspekt unserer Arbeit orientieren. Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“, so Ida.

Wenn wir Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Langsam lasse ich mir Idas Worte durch den Kopf gehen. „Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“ Ja, der Satz kommt wahrlich aus dem Mund einer der erfolgreichsten Founder:innen unserer Zeit. Das ist das Mindset jener Unternehmerin, die mit ihrer Tracking-App den Begriff Femtech prägte und den Grundstein für eine ganze Branche schuf. Sogar Apple war von Idas Technologie begeistert und bat um Zusammenarbeit.

Idas Mindset kommt nicht von irgendwo: „Meine Eltern waren ein Beispiel für Menschen, die genau das taten, was sie wirklich gerne machten; auch, wenn das in den Augen mancher als verrückter kleiner Traum schien. Mit ihrem Traum haben sie sich immerhin ihren Lebensunterhalt verdient. Und ich denke, wenn einem als Kind die Chance gegeben wird, die Welt zu sehen, bekommt man ein Gefühl dafür, wie viele Realitäten es da draußen gibt; und wie viele Dinge miteinander verknüpft sind.“

Der Mangel an Vision

Stichwort Verknüpfung: Sollten wir nicht zuerst anfangen, auf nationaler Ebene zu denken, bevor wir uns die ganze Welt vorknöpfen? Ida sieht das anders:

„Wie soll ein kleines, noch so starkes Land in einem schwachen Europa überleben? Wenn es zu politischen Unruhen auf europäischer Ebene kommt, sind wir alle verwundbar. Wenn die Wirtschaft in Europa zusammenbricht, werden auch einzelne Staaten zusammenbrechen. Es macht keinen Sinn, in nationalen Einheiten zu denken. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns in Zukunft versorgen können. Wir müssen ein bisschen mehr an unseren Planeten denken. Ich glaube, es mangelt an einer Vision für Europa; und an gutem Storytelling.“

Der neue Erfolg

Ida redet Klartext über Tatsachen, die eigentlich jeder kennt, aber niemand wirklich wahr­ haben möchte. Mit einem weiteren Kopfnicken teilt sie Lösungsansätze:

„Wenn wir unsere Wirtschaft in etwas Nachhaltiges verwandeln wollen, müssen wir Erfolg neu definieren. Zurzeit feiern wir Investments, wir feiern finanzielle Rendite. Wir feiern Unicorns. Aber die Welt verlangt nach einer mehrdimensionalen Vorstellung von Erfolg.“

Ida meint: sich selbst nach eigenen Maßstäben als erfolgreich zu bezeichnen; Gesundheit als Erfolg zu bezeichnen. Und: „Unternehmen aufzubauen, in denen Menschen gesund sein können, in denen Menschen offen queer sein können, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen; in denen man sie nicht zwingt, Alkohol zu trinken – und in denen eine integrative Kultur geschaffen wird.“

Wir brauchen weniger

Mit Clue hat Ida genau das versucht, und zwar mit einem der wohl umstrittensten New-Work-Themen unserer Zeit: der Vier-Tage-Woche. „Wir haben gesehen, dass unsere Leute an vier Tagen in der Woche genauso viel geleistet haben wie an fünf.“

Ida bot ihrem Team neben vier Arbeitstagen damit auch drei freie Tage, die Möglichkeit für Side Projects und mehr Zeit für Sport, Familie und Ruhe. „Viele hatten das Gefühl, dass ihr Leben eine ganz neue Qualität gewonnen hat. Und zusätzlich gibt es auch eine Menge an Studien und Daten, die zeigen, dass das funktioniert“, so Ida.

Wie in Island

So wie in Island, wo seit 2020 51 Prozent der Arbeitnehmenden reduzierte Wochenarbeitszeiten von 35 bis 36 Stunden bei gleichem Lohn wie zuvor hatten. Heute soll der Anteil noch etwas höher liegen, heißt es von einer Studie des britischen Autonomy Institute und der isländischen Association for Sustainability and Democracy (Alda). Im vergangenen Jahr soll die Wirtschaft Islands um fünf Prozent gewachsen sein – damit verzeichnet der Staat eine der höchsten Wachstumsraten in Europa.

In Idas Office gab es an den vier Arbeitstagen außerdem schuhfreie Zonen, einen Meetingraum ohne Tisch sowie Schwimm- und Fitnessstunden für ihre Mitarbeiter:innen. „Es sind die kleinen Dinge, die die Leute zusammen und zum Lachen bringen. Irgendwann hatten wir sogar eine Vorstandssitzung im tischlosen Raum.“

Kannst du acht Stunden am Tag sitzen?“ Ida reißt mich aus meinem kurzen Tagtraum. „Ich kann es nicht!“, wirft sie hinterher. „Auch jeder Sportler weiß, dass man Erholung braucht, um Höchstleistung zu erbringen. Warum sollte man das als arbeitender Mensch also vernachlässigen?“

Die Planeten-Perspektive

Nach fast 40 Minuten werden wir von zwei bunten Hosenanzügen unterbrochen. Die Zeit für das Interview ist um, das nächste steht an. Eine Frage fehlt uns aber immer noch: Wie lässt sich unsere Gesellschaft nun nachhaltig umbauen?

„Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und sie macht uns engstirnig. Niemand auf diesem Planeten muss exorbitant viel besitzen. Alles über einem bestimmten Betrag könnte in Klimafonds fließen, in Sozialprojekte, in die gerechte Verteilung von Vermögen. Die Monopolisierung von Reichtum schafft ein großes demokratisches Problem; und schließlich auch ein Problem für Innovation.“

Was uns Ida sagen will: Man kann keine Gesellschaft aufrechterhalten, in der zu wenige zu viel und zu viele zu wenig haben. „Ich wünsche mir, dass wir an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Manchmal frage ich mich: Warum haben wir nicht eine gemeinsame Marke für unseren Planeten? Einen gemeinsamen Plan mit einer gemeinsamen Perspektive. Das wäre etwas, das uns in unserem Tun sicherlich einiges an Klarheit und Ambition geben würde.“

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AI Summaries

Wird das milliardenschwere TikTok zum Bauernopfer in einem Wirtschaftskrieg?

  • TikTok ist erfolgreicher als Facebook, hat heute über 2 Milliarden User und nicht weniger große Sorgen.
  • Die indische Regierung unterstellt TikTok, den indischen Sicherheitsinteressen zu schaden und chinesischer Spionage zu dienen. Bei einer Auseinandersetzung zwischen indischen und chinesischen Soldaten wurden zuletzt 20 Inder getötet.
  • Im Jänner diesen Jahres überraschte die New York Times mit einer Analyse der israelischen Cybersecurity-Firma CheckPoint: Diese habe schwere Sicherheitsmängel bei TikTok festgestellt, die sogar Zugriffe Dritter auf Daten erlaube.
  • Es gibt aber bestimmt dutzende Unternehmen, die sehr viel sensiblere Daten verarbeiten als TikTok und auf relevanteren Geräten installiert sind, als jenen von mehrheitlich Teenagern und Twens.
  • Keiner macht B2B-Geschäfte über TikTok und die TikTok-Arbeitsplätze außerhalb Chinas, etwa in L.A., haben keine relevante Größe.

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