30.12.2022

Stimmen aus der Szene zum Jahreswechsel: “2023 wird brutal für Startups”

Ein forderndes Jahr 2022 neigt sich dem Ende zu - und möglicherweise wird das nächste nicht besser. Wir haben zum Jahreswechsel Stimmen in der Startup-Szene eingeholt.
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Wir haben zum Jahreswechsel Stimmen in der heimischen Startup-Szene eingeholt

Viele hätten sich wohl eine Verlängerung des Boom-Jahrs 2021 gewünscht (das auch seine Herausforderungen hatte). Doch es kam bekanntlich anders: Durch die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs, Energiekrise und Inflation wurde 2022 für viele Startups zur noch größeren Herausforderung, als es das Corona-Jahr 2020 gewesen war. Die VC-Investments gingen deutlich zurück. Das zuvor rapide Wachstum vieler Startups und Scaleups wurde dadurch massiv gebremst. Kostenreduktion war das Gebot der Stunde, was mitunter auch Massenkündigungen zur Folge hatte. Und glaubt man Prognosen, könnte der heimischen Wirtschaft mit 2023 ein weiteres schweres Jahr bevorstehen.

Auf die individuelle Ebene lässt sich dieser allgemeine Befund freilich nicht in jedem Fall umlegen. In diesem Krisenjahr gab es nicht nur Herausforderungen, es wurden auch große Erfolgsgeschichten geschrieben. Wir haben bekannte Gesichter aus der heimischen Startup-Szene um einen kurzen Rück- und Ausblick gebeten.


Oliver Holle, CEO Speedinvest

Speedinvest CEO Oliver Holle | (c) Klaus Vyhnalek
Speedinvest-CEO Oliver Holle | © Klaus Vyhnalek

2022 war ein extrem aufregendes und ja, auch aufreibendes Jahr für Speedinvest und mich persönlich. Einige unserer Portfolio-Firmen wurden in den Himmel gehoben, nur um wenige Monate später von den gleichen Investoren (und Medien) verteufelt zu werden. Wir sind und bleiben seit vielen Jahren mit diesen Gründern als enge Partner mit dabei und erlauben uns, hier eine andere Haltung an den Tag zu legen. Natürlich war für uns das große eigene Thema Fundraising, was letztlich nach viel Arbeit, Einsatz und Vertrauen sehr, sehr erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Dafür bin ich persönlich sehr dankbar und freue mich wirklich auf 2023 und die neuen Aufgaben.

Diese werden auf andere Art herausfordernd, aber ich bin mir sicher, dass unser Portfolio und Speedinvest das letztlich gut meistern werden. Mir ist sehr bewusst, dass dies leicht gesagt ist für einen Fonds – wir haben viele Wetten ausstehend, die Gründer nur eine. Aber wir werden um jede einzelne kämpfen und hoffentlich das eine oder andere Mal einen Unterschied machen. 

Hansi Hansmann, Business Angel-Legende

Hansi Hansmann © Maximilian Rosenberger
Hansi Hansmann | © Maximilian Rosenberger

Für Startups war es ein schweres Jahr. Anschlussfinanzierungen sind immer schwerer geworden, Cash und Runway haben enorm an Bedeutung gewonnen. Wir haben trotzdem viel investiert – rund 15 (!) Neuinvestments – weil ich überzeugt bin, dass der Startup-Trend wegen des Digitalierunsdruckes ungebrochen ist und noch stärker wird. Die Rahmenbedingungen für Finanzierung haben sich allerdings sehr geändert und es ist zu befürchten, dass Fundraising 2023 noch schwerer wird, bevor wir den Boden erreicht haben.

Diejenigen Startups und Business Angels, die die “neuen Regeln” schnell akzeptiert und verstanden haben, werden sich wohl leichter tun. Scaleups, die große monatliche Burnrates haben, werden wohl harte Einschnitte machen und auch Downrounds akzeptieren müssen, oder es nicht schaffen. Cash ist King! Das war schon heuer so und wird 2023 noch stärker so sein.

Hannah Wundsam, Managing Director AustrianStartups

Hannah Wundsam | © Moore

Die Energiekrise hat 2022 auch das Startup-Ökosystem stark geprägt. Während Investor:innen, statt nach Hypergrowth zu streben, vermehrt Wert auf Profitabilität und Cash Flow-Management legen, hat sich in der Startupszene ein positiver Trend gezeigt: Immer mehr neue Lösungen für die Energiewende stammen von österreichischen Startups. Allerdings zeigt der Austrian Startup Monitor für dieses Jahr, dass die Zahl der Neugründungen in Österreich allgemein stagniert. Dass es wirtschaftlich wichtig wäre dies zu ändern, macht eine Studie von EcoAustria, die 2022 veröffentlicht wurde deutlich. Sie zeigt auf, dass das BIP Österreichs nach zehn Jahren um 3,8 Mrd. Euro höher liegen würde, wenn in Österreich genauso viele Startups gegründet würden wie in den Niederlanden. Erste Schritte in die richtige Richtung wurden von der Politik durch die Reformierung der Rot-Weiß-Rot Karte unternommen. Dadurch sollte es jetzt deutlich einfacher sein, die besten Köpfe ins Land zu holen.

Für AustrianStartups war 2022 das Jahr der Zahl 100. Beim AustrianStartups Summit konnten wir auf die letzten 100 Stammtische zurückblicken und sehen, wie wir gemeinsam mit dem Startup-Ökosystem gewachsen sind. Im Herbst fand die 100. Youth Entrepreneurship Week statt, in der die nächste Generation von Entrepreneuren entsteht und durch unseren Fast Track für Gründer:innen, dem Entrepreneurial Leadership Program, haben wir mittlerweile über 100 Teilnehmer:innen bei ihrem Start ins Ökosystem begleitet.

2023 wird AustrianStartups zehn Jahre alt. Save the Date für unsere Geburtstagsfeier am 3. Mai. im Zuge des nächsten AustrianStartups Summit! Ein gutes Geschenk wäre eine bessere steuerliche Behandlung der Mitarbeiter:innenbeteiligung. Das nächste Jahr wird weiterhin herausfordernd für die Startup-Szene, deshalb braucht es klare Anreize, um die besten Köpfe für neue, innovative Unternehmen zu gewinnen, sowie zusätzliche Anreize wie einen Investitionsfreibetrag, damit mehr privates Risikokapital in österreichische Startups investiert wird.

Kambis Kohansal Vajargah, Head of Startup-Services WKO

Kambis Kohansal Vajargah, | © Christoph Steinbauer

2022 erlebten wir, genauso wie im Vorjahr, starke Veränderungen am Markt – Krisen über Krisen und mittendrin zielstrebige Gründer:innen samt ihren Startups, die Lösungen dafür bieten. Es ist großartig, wie sehr sich die heimische Szene gemeinsam bemüht, mit Innovation neue Standards für uns zu schaffen. Mit ihnen an der Speerspitze findet das gesellschaftliche Umdenken statt. Die Szene ist reifer, professioneller und stärker. In der Wirtschaftskammer konnten wir darüber hinaus unsere Flagship-Initiativen înno up sowie Born Global Academy weiter ausbauen und die neue Startup Landscape Austria realisieren.

Natürlich gibt es aktuell auch große Herausforderungen. Auch hier gilt wieder, dass Startups mehr zielgerichtete, rechtspolitische Maßnahmen erhalten sollten, die sie im Wachstum unterstützen. Die Reform der Rot-Weiß-Rot Karte ist ein Erfolg, Punkte wie eine vereinfachte Mitarbeiter:innenbeteiligung und der Beteiligungsfreibetrag können und sollten unbedingt nachfolgen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen bleibt weiterhin eine unserer wichtigsten Aufgaben im nächsten Jahr.

Wir werden 2023 unter anderem den fortlaufenden Aufstieg von DeepTech und Spin-offs erleben und einen viel stärkeren Fokus auf frühere Profitabilität bei Startups sehen. Außerdem rücken Diversity, Equality and Inclusion, kurz DEI, in den Fokus. Es gilt auch weiterhin: mehr Startups in der Quantität und Qualität, mehr Initiativen für Entrepreneurship Education und vor allem eine größere, europäische Verflechtung mit anderen Tech-Hubs.

Laura Egg, Managing Director aaia

Laura Egg, Managing Director der aaia.
Laura Egg, Managing Director der aaia | © aaia

Das Jahr 2022 war durch ein Investment-intensives erstes Halbjahr und ein von Unsicherheit getriebenes zweites Halbjahr geprägt. Startup Investor:innen hatten speziell mit Verlusten in anderen Asset-Klassen zu kämpfen und Anschlussfinanzierungen im eigenen Portfolio hatten zudem Priorität.

Für 2023 bleibt zu hoffen, dass sich die wirtschaftliche Gesamtsituation und der Finanzierungsmarkt erholen. Für Gründer:innen, welche sich auf Lösungen für fundamentale Probleme wie Energie, Klima oder Sicherheit fokussieren, gibt es es im nächsten Jahr vermutlich weiterhin gute Möglichkeiten, erfolgreich zu wachsen.

Bernhard Lehner, Co-Founder startup300

Bernhard Lehner | © startup300

Für startup300 war 2022 das Jahr der Re-Fokussierung auf das Investment-Portfolio. Mit erfolgreichen Management Buyouts haben Conda, Pioneers und Minted durchgestartet, die factory300 wurde ein pulsierender Coworkingspace und Innovationshub in der Tabakfabrik.

2023 wird brutal für Startups. VC-Kapital liegt derzeit auf Eis. Ich fürchte, viele in den letzten Jahren viel zu hoch bewertete Startups werden ein schlimmes Erwachen erleben. Im nächsten Jahr trennt sich die Spreu vom Weizen.

Sander van de Rijdt, Co-Founder PlanRadar

PlanRadar Co-Founder und CEO Sander van de Rijdt
PlanRadar Co-Founder und CEO Sander van de Rijdt | © der brutkasten / Martin Pacher

2022 war sowohl wirtschaftlich als auch persönlich für viele Menschen ein sehr herausforderndes Jahr. Bei PlanRadar haben wir trotzdem an unseren strategischen Zielen festgehalten und fünf neue Standorte in den USA, Brasilien, den Emiraten, Singapur und Australien eröffnet. Unser Team hat sich 2022 mehr als verdoppelt und auch umsatzseitig konnten wir trotz längerer Sales Cycle im sehr hohen zweistelligen Prozentbereich zulegen. Massenentlassungen gab es bei uns keine, im Gegenteil auch für 2023 sind bereits wieder ca. 80 offene Positionen ausgeschrieben.

Insgesamt bin ich positiv gestimmt, dass sich die allgemeine Marktlage ab Q2 wieder verbessern wird. Für die Bau- und Immobilienbranche sehen wir 2023 einige Herausforderungen, speziell im Wohnbau, aber die vielerorts geschnürten Maßnahmen- und Infrastrukturpakete werden die Industrie wieder ankurbeln bzw. für Ausgleich sorgen. Bei PlanRadar planen wir für 2023 mit einem Umsatzwachstum von ca. 70 bis 80 Prozent und haben uns auch auf der Produktseite einiges vorgenommen.

Petra Dobrocka, Co-Founder byrd

Petra Dobrocka | © Byrd

Dieses Jahr war haben wir bei byrd wieder einige neue Meilensteine erreicht. Dank unserer Series C Investmentrunde von 50 Millionen Euro im Mai konnten wir unter anderem mit Italien und Spanien zwei neue Fulfillment-Märkte launchen. Damit sind wir nun mit fast 30 Lagern in sieben Märkten der führende Anbieter für E-Commerce Fulfillment in Europa. Zusätzlich haben wir mehr als zehn neue Integrationen mit Versanddienstleistern, Shop- und ERP-Systemen hinzugefügt, mehr als 100 neue Kunden gewonnen und einige Millionen Pakete in (fast) jedes Land dieser Welt verschickt.

Das nächste Jahr wird sicherlich wieder spannend und herausfordernd zugleich. Herausfordernd aufgrund der aktuellen Marktsituation, in der es nicht leicht ist, die Marktbedingungen vorherzusagen, die sowohl uns, als auch auf unsere E-Commerce Händler beeinflussen. Wir rechnen deshalb für 2023 mit einem etwas konservativeren Wachstum, aber erwarten trotzdem dass die E-Commerce Branche weiter wachsen wird. In Krisenzeiten kristallisieren sich die erfolgreichsten Unternehmen heraus, deswegen sehen wir 2023 als die Gelegenheit unsere Stärken zu zeigen und weiter unsere Marktführerschaft auszubauen. Wir werden neue Services launchen, neue Schnittstellen bauen und unser Service auch 2023 weiter verbessern, indem wir auch weiter neue Lagerstandorte an unser Netzwerk anbinden.

Johannes Braith, Co-Founder Storebox

Johannes Braith | © Storebox

2022 stand für Storebox ganz im Zeichen des strukturellen Wachstums. Wir haben unser Filialnetzwerk um über 50 Filialen in sechs Ländern in Europa erweitert, die Anzahl unserer Mitarbeiterinnen verdoppelt und uns in allen Unternehmensbereichen stark entwickelt und weiter professionalisiert. Das forderte uns stark, unsere Strukturen und Prozesse akkurat zu halten, um dieser raschen Skalierung nichts entgegenzusetzen. Weiters hervorzuheben ist unsere anhaltende Transformation hin zu einer Logistikplattform, die neben Storage-Services für Consumer, auch eine zentrale Rolle im Bereich Click&Collect auf der letzten Meile spielt.

2023 wird in vielen Belangen ein herausforderndes Jahr. Wir stehen vor einem wirtschaftlichen Downturn, der leider noch nicht seinen Tiefstand erreicht hat. Ich bin allerdings ein unverbesserlicher Optimist und bin daher überzeugt, dass sich in jeder Krise auch viele Chancen und Möglichkeiten verbergen. Diese zu nutzen wird vermutlich für viele nicht ohne Schmerzen möglich sein. 

Christoph Schreiner, Geschäftsführer Niceshops

niceshops: Co-Geschäftsführer Christoph Schreiner
Co-Geschäftsführer Christoph Schreiner | © niceshops

2022 war für uns ein sehr zwiegespaltenes Jahr. Auf der einen Seite stehen tolle neue Kunden (z.B. Almdudler) in unserer Dienstleistungssparte, Platz 1 bei Great Place to Work und ein Marketing Staatspreis für unsere Employer Branding-Kampagne. Auf der anderen Seite stehen Kosten- und Margendruck zusammen mit einem eingetrübten Konsumverhalten.

Wir sehen herausfordernde, aber auch chancenreiche Monate vor uns, in denen es gilt, möglichst viel Handlungsspielraum zu bewahren bzw. aufzubauen.

Martina Fischer, Tractive

Martina Fischer | © Tractive

2022 war ein spannendes Jahr für Tractive. Neben Einführung der 4-Tage-Woche und Eröffnung des Unternehmens-Campus in Pasching ist das Team an den Standorten in Österreich und den USA auf mittlerweile 200 Mitarbeiter:innen angewachsen. Die Geschäftsführer Michael Hurnaus und Wolfgang Reisinger sind besonders stolz auf den Zusammenhalt des Teams, das die Umstellung auf das neue Arbeitszeitmodell bravourös gemeistert und mitgetragen hat. Erfolgreiche TV-Kampagnen und die Etablierung auf dem amerikanischen Markt haben die Weichen für das weitere Wachstum gestellt.

Für 2023 haben wir uns ähnlich ambitionierte Ziele gesteckt. Der Launch neuer Hardware-Produkte für Hunde und Katzen ist in Planung und in der Tractive GPS App wird es neue Features rund um Wellness- und Fitness-Tracking für Haustiere geben. Besonderer Fokus wird im neuen Jahr auf dem Ausbau und der Organisation des Teams an allen Unternehmensstandorten liegen. Tractive wächst nach wie vor stark und sucht noch in vielen Bereichen neue Mitarbeiter:innen. Für uns ist es dabei wichtig, auch 2023 die besondere Unternehmenskultur zu bewahren und weiter zu stärken.

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Das Gründerteam Christian Hill und Gerhard Prossliner © BRAVE Analytics, Leljak

Das Grazer Spin-off BRAVE Analytics wurde von Christian Hill und Gerhard Prossliner im Jahr 2020 gegründet. Den Gedanken an ein gemeinsames Unternehmen gab es schon einige Zeit davor an der MedUni Graz. Nach erfolgreicher Dissertation und dem FFG Spin-off Fellowship kam es zur Ausgründung, zu ersten Kund:innen und einem Standortwechsel. Und schließlich zur erfolgreichen Einbindung in den Life Science Cluster Human.technology Styria unterstützt von der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG.

Mittlerweile zählt BRAVE Analytics ein 14-köpfiges Team und sitzt im ZWT Accelerator in Graz, einem Kooperationsprojekt zwischen SFG und Medizinischen Universität Graz.

Das Team von BRAVE Analytics (c) © BRAVE Analytics, Leljak

Mut in der Geschäftsphilosophie

BRAVE Analytics steht für Mut in der Geschäftsphilosophie der beiden Gründer und des gesamten Teams: Christian Hill und Gerhard Prossliner fühlen sich “zu Entdeckungen hingezogen und lieben es, die Dinge aus einem völlig neuen Blickwinkel zu betrachten. Und genau diesen Spirit leben wir auch im Team.”

Wahrlich hat das Gründerduo mit seinem Spin-off das Forschungsgebiet Life Science in ein neues Licht gerückt: Denn BRAVE Analytics beschäftigt sich mit der automatisierten Qualitätssicherung für Pharma-, BioTech-Produkte, Wasser, Mineralien und Chemikalien. “Und das auf Partikel-Ebene. Das Ganze nennt sich Partikel-Charakterisierung und -Analytik”, erklärt Co-Founder Hill im Gespräch mit brutkasten.

Neu ist die Technologie insofern, als dass die Partikel-Analyse direkt im Herstellungsprozess von Pharmaprodukten passiert. Also integriert, das heißt weder vor- noch nachgelagert, und damit effizient und kostensparend. “Damit machen wir eine sogenannte Prozessanalytik im Nano-Bereich”, erklärt Co-Founder Hill.

Die Lösung für ein Bottleneck

Damit haben die beiden Gründer zusammen mit ihrem Team eine Lösung für ein bis dato bestehendes “Bottleneck in der Industrie” geschaffen. Mit den modularen Messgeräten von BRAVE Analytics kann die Qualität von Produkten im Pharma- und BioTech-Sektor nämlich in Echtzeit gemessen werden. Das Kernstück der Lösung bildet die vom Spin-off eigens entwickelte, mehrfach patentierte OF2i Technologie.

Doch bekannterweise benötigen Life-Science-Lösungen wie diese einen breiten Umfang an Forschungsinfrastruktur, der sich gerade für frisch gegründete Spin-offs schwer stemmen lässt. Und: Es braucht die richtigen Verträge, das richtige Kapital und das richtige Team. Auf der Suche danach gab es für BRAVE Analytics einige Schlüsselmomente, wie Co-Founder Hill im Gespräch mit brutkasten erzählt.

Der Standort für Life Science Startups

Die ersten Hardware-Aufbauten und Experimente fanden an der Medizinischen Universität Graz statt, die von den Anfängen mit Infrastruktur und Forschungspersonal unterstützte, die Universität Graz deckte die Bereiche Theorie und physikalisches Modelling und in Kooperation mit dem FELMI/ZFE der Technischen Universität Graz wird seit 2022 ein Zusatzmodul entwickelt.

Beim Schutz des geistigen Eigentums standen die Medizinische Universität Graz, die Steirische Wirtschaftsförderung SFG und die Forschungsförderungsgesellschaft FFG als helfende Hände zur Seite. Konkret mit Unterstützung für die Erarbeitung von Exklusiv-Lizenzen, Agreements und generell mit dem Know-how, wie man eine Firma aufbaut. Hier waren uns auch das Unicorn der Universität Graz, die Gründungsgarage und der Science Park Graz eine große Hilfe”, so Prossliner.

“Wir sind klassische Science-Preneure”

Die fachspezifische Unterstützung kam im richtigen Moment: “Wir sind die klassischen Science-Preneure. Unser Background ist das Universitäts- und Ingenieurswesen. Für uns war es wichtig zu lernen, wie man in das Unternehmertum reinkommt und den Produkt-Market-Fit findet. Man muss diese Produktverliebtheit, die man als Erfinder meistens hat, loswerden. Und das passiert ganz viel durch Learning by Doing.”

Besonders hilfreich habe sich vor allem das Bootcamp des FFG-Spin-off-Fellowship und das LBG Innovator’s Road Programme erwiesen, welche “eine schrittweise Einführung für den Weg von der Wissenschaft in Richtung Unternehmung” geboten haben, so Hill. Förderungen erhielt das Spin-off außerdem von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, der Austria Wirtschaftsservice aws, der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG und auf EU-Ebene.

Die Szene, die “Gold wert” ist

Nicht nur “by doing”, sondern vor allem auch “von anderen, die die gleichen Themen, Probleme und Potenziale haben”, hat das Startup im Aufbau sehr viel an Know-how und Erfahrung gewonnen. “Das Peer-Learning ist für uns einer der wichtigsten Wissensfonds”, so Co-Founder Prossliner im Interview.

Ein dafür zugeschnittenes Netzwerk gibt es in der Grazer Life Science Szene: “Auch abseits institutioneller Veranstaltungen befinden wir uns hier in einem sehr lebendigen Startup-Umfeld. Vieles passiert auf Eigeninitiative von Gründer:innen. Das Startup-Leben hier ist wirklich Gold wert.”

Global Player nur “fünf Rad-Minuten entfernt”

“Wir sind Hardware-Hersteller, wir brauchen Hochpräzisionsfertiger für unsere Prozesstechnologie. Die Steiermark und insbesondere Graz haben sich zu einem Stakeholder-Nest der besonderen Vielfalt entwickelt. Kooperationspartner aus Industrie, Wirtschaft und Forschung sitzen hier in unmittelbarer Nähe. Wir finden Experten, Lieferanten und Fertiger mit extremer Präzision und einer super Verlässlichkeit”, erzählt Prossliner und meint weiter: “Wir arbeiten hier in einem sehr engen Umfeld mit einer sehr schnellen Dynamik. Das ist unglaublich wertvoll.”

Ein ganzes Stakeholder-Feld mit internationaler Spitzenstellung findet sich also im Grazer Becken. Oder, wie es Gründer Prossliner erneut unterstreicht: “Da sind Global Player dabei, die wir in wenigen Rad-Minuten erreichen. Man muss also nicht gleich nach Asien oder in die USA, das Netzwerk gibt es hier auch.” Nicht umsonst spricht man seit geraumer Zeit von der “Medical Science City Graz” – mit Playern wie der Medizinischen Universität und dem Zentrum für Wissens- und Technologietransfer ZWT im Netzwerk.

Gerhard Prossliner (links) und Christian Hill (rechts) mit der Geschäftsführung des ZWT – Anke Dettelbacher (Mitte rechts) und Thomas Mrak (Mitte links) ©ZWT/Lunghammer.

Besenrein eingemietet

Grund genug auch für BRAVE Analytics, sich hier als aufstrebendes Life-Science-Startup niederzulassen. Nach seinen Anfängen in den Räumlichkeiten der MedUni Graz hat sich BRAVE Analytics nämlich im ZWT Accelerator einquartiert: “Wir waren unter den Ersten, die hier eingezogen sind. Als alles noch ziemlich besenrein war.”

Mittlerweile wird auch mit anderen dort sitzenden Startups stockwerkübergreifend genetzwerkt. Sei es im Stiegenhaus, bei Weihnachtsfeiern oder informellen ZWT-Treffen. Manchmal wird auch gemeinsam gefrühstückt und in den Abendstunden philosophiert. Daneben gibt es regelmäßige Get-Together-Formate wie das ZWT-Frühstück. Im Zuge der Startupmark finden auch themenspezifische Kooperationsformate wie der Life Science Pitch Day, ein exklusives Pitchingevent für Startups und Investor:innen aus dem Life Science-Bereich, statt.

Fußläufig flexibel

Thomas Mrak, Geschäftsführer des ZWT, erzählt dazu: “Vernetzung steht bei uns an erster Stelle. Und zwar nicht nur unter Foundern, sondern auch zwischen bereits etablierten Firmen, Unis, Instituten, Professor:innen und Ärzt:innen, die alle flexibel und fast fußläufig zu erreichen sind. Ich würde sagen, das ist die Essenz der Medical Science City Graz und bildet das optimale Umfeld, um als Spin-off Fuß zu fassen.”

Unterstützung gibt es im Grazer ZWT auch mit einer optimalen Infrastruktur und “startup freundlichen” Mietverträgen und Mietkonditionen: “Wir bieten Startups, die bei uns einziehen, ein einzigartiges Preis-Leistungsverhältnis, eine perfekte Ausstattung und sehr flexible Bedingungen. Vor allem hohe Investitionskosten und lange Bindungszeiten sind für Startups schon aufgrund ihrer dynamischen und teils volatilen Entwicklungen sehr kritisch, dabei helfen wir. Je nach Möglichkeit stellen wir nicht nur Büros und Laborinfrastruktur, sondern auch Seminar- und Besprechungsräume zur Verfügung.”

“Wir verstehen uns hier einfach sehr gut”

Unverkennbar gestaltet sich der Life Science Bereich in Graz als multidimensionaler Hub für Startups und Spin-offs – und das nicht nur auf akademischer Ebene: “Wir verstehen uns hier alle untereinander sehr gut. Es gibt kurze Wege, kurze Kommunikationswege und wir arbeiten zusammen auf Augenhöhe. Es klappt einfach zwischenmenschlich”, so Mrak.

BRAVE Analytics-Co-Founder Prossliner empfiehlt dahingehend: “Nutzt das tolle österreichische Förderungssystem. Wir haben hier vonseiten der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, des Austria Wirtschaftsservice aws und der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG tolle Unterstützung erhalten. Vom ZWT, der MedUni Graz, der Uni Graz und der TU Graz ganz zu schweigen.”

Und: “Bindet schon frühzeitig Kund:innen ein. Nur so ermittelt man die real-life Kundenbedürfnisse potentieller Märkte, und man kann vielleicht auch erste Umsätze generieren, die man wiederum mit Förderungen hebeln kann. Man muss sich schließlich auch finanziell stabilisieren, um für Investor:innen attraktiv zu sein.”

Der Asia Pull für Life Science

Aktuell erarbeitet BRAVE Analytics eine Investitionsrunde. Mittlerweile hält das Spin-off unterschiedliche Produkte und Kunden am Markt. Auch Industriepartner sind vorhanden. Aktuell befinde man sich in der Prescaling-Phase – mit einem starken “Asia Pull”. Interesse kommt nämlich zunehmend von Abnehmern aus Asien, wie Christian Hill erzählt:

“Unsere Technologie eignet sich nicht nur für die Pharmaindustrie, sondern auch für Wasser, Kläranlagen und Mikroplastik – und sogar für die Halbleiterindustrie. Wir bewegen uns hier in einem multidimensionalen Anwendungsfeld, gerade für das Umwelt- und Wassermonitoring. Das zieht viele Kunden aus Übersee an. Jetzt heißt es: die richtigen Schritte setzen und klug skalieren.”

Damit Christian Hill und Gerhard Prossliner ihre Ziele auch weiter verfolgen können, braucht es Menschen, die in den Life Science Sektor investieren: “Life Science ist ein Technologie- und Wissenschaftsfeld, das uns in Zukunft noch viel intensiver begleiten wird. Und auf das wir angewiesen sind”, so Thomas Mrak. Der ZWT-Geschäftsführer appelliert indes: “Es arbeiten so viele tolle Menschen mit persönlicher Motivation in diesem Feld. Diese haben das Potenzial, die Zukunft maßgeblich zu verändern. Doch dafür braucht es finanzielle Unterstützung, fundierte Netzwerke und noch mehr Aufmerksamkeit.”

Mehr Informationen zum steirischen Startup-Ökosystem und der Startupmark sind hier zu finden.

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