26.08.2024
CORPORATE VENTURING | FOLGE 6

So gelingt der Accelerator: Schlanke Verträge, klare Erwartungen und Community Building

Nachlese. Wie gelingt die Zusammenarbeit von Corporates und Startups und was gilt es bei Accelerator-Programmen zu beachten? Verbund, Uniqa und die ÖBB berichten aus ihren langjährigen Erfahrungen.
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Corporate Venturing Folge 6
v.l.n.r. Peter Schindlecker (Head of Innovation, ÖBB), Franz Zöchbauer (Managing Director, Verbund Ventures), Andreas Nemeth (CEO, UNIQA Ventures)

Corporate Venturing” is powered by AVL, Elevator Ventures, Flughafen Wien – Vienna Airport, ÖBB, Plug and Play Tech Center, Raiffeisen Bank International AG, UNIQA Ventures und VERBUND AG.


Mit der brutkasten-Serie Corporate Venturing widmen wir uns Innovationsaktivitäten von Großunternehmen wie der Zusammenarbeit mit Startups und Scaleups oder dem Venture Building. Wir arbeiten dabei heraus, wie unterschiedlichste Aktivitäten in diesem Feld als Innovationsmotor für die österreichische Volkswirtschaft fungieren können.

In dieser Folge sprechen Corporate-Vertreter über Kollaborationsmodelle mit Startups und Community Building. Sie beschreiben die Anforderungen für erfolgreiche Accelerator-Programme, erklären, wie Unternehmen von der Zusammenarbeit profitieren und ziehen Bilanz über ihre Pionierrolle im Corporate Venturing in Österreich.

Zu Gast bei brutkasten-Gründer und -CEO Dejan Jovicevic waren in dieser Folge Franz Zöchbauer, Managing Director bei Verbund Ventures, Andreas Nemeth, CEO von Uniqa Ventures, und Peter Schindlecker, Head of Innovation bei den ÖBB.


  1. Kollaborationsmodelle und ihre Bedeutung
  2. Erfolgsfaktoren von Accelerator-Programmen
  3. Vorteile und Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Startups
  4. Erfolgsbeispiele und Ergebnisse
  5. Community Management und Zukunftsperspektiven

1. Kollaborationsmodelle und ihre Bedeutung

Andreas Nemeth, heute CEO von Uniqa Ventures, erinnert sich zu Beginn des Talks an seine Anfänge bei Uniqa. Er sei damals ausgewählt worden, da er bereits bei drei Startups gearbeitet hatte, Uniqa Ventures war sozusagen das vierte Startup in seiner Karriere. Die Wahl sei wohl deswegen auch auf ihn gefallen: “Ich spreche die Sprache des Corporates und der Startups und wollte die Brücke zwischen den beiden bauen.” Mit dem Accelerator-Programm Health Hub habe man Schritt für Schritt begonnen, Startups und die Uniqa zusammenzubringen.

Für dieses Herantasten sind für Nemeth Kollaborationsmodelle wie ein Accelerator-Programm ein guter Start. Uniqa sei ein 200 Jahre altes Unternehmen mit 20.000 Mitarbeiter:innen, wenige davon hätten je in einem Startup gearbeitet. Gründer:innen hingegen hätten oft die besten Ideen um zwei Uhr nachts, außerhalb herkömmlicher Bürozeiten. “Das ist für beide Seiten durchaus ein Abenteuer”, sagt Nemeth. Da brauche es einen gemeinsamen Partner, der diesen Prozess moderiert.

Für Franz Zöchbauer, Managing Director bei Verbund Ventures, war die Etablierung des Verbund Accelerator ein “ganz wichtiger Schritt für die Entwicklung zur Innovation bei Verbund und in der Zusammenarbeit mit Startups”. Begonnen habe man bei Verbund mit einem neuen Innovationssetup und einer internen Initiative 2019, der Accelerator startete 2020. Das Unternehmen müsse bereit sein, mit Startups zu interagieren und zu kooperieren. Vor zwei Jahren sei in Folge des Verbund Accelerators dann Verbund Ventures gegründet worden.

Bei der Uniqa war dieser Prozess für Andreas Nemeth ein “gleitender Übergang”. Die Idee, Corporate Venturing zu betreiben sei aus der Idee heraus entstanden, das “Wesen Startup” zu verstehen und von Startups zu lernen. “Wir haben vermutet, dass Startups an innovativen Trends früher dran sind und wollten uns das zu nutzen machen”, erklärt Nemeth. Uniqa wollte Startups hereinholen, die bei manchen Themen bereits weiter waren und so Innovation im eigenen Unternehmen beschleunigen.

Im Gegensatz zu produzierenden Unternehmen gebe es bei Uniqa keine Forschungs- und Entwicklungsabteilung, Innovation werde in das Kerngeschäft eingebettet. Die eigenen 20.000 Leute seien das Kreativpotential, das durch die Zusammenarbeit mit Startups erweitert werden sollte. Nemeth fasst es so zusammen: “Was ein Startup auszeichnet, ist kreativ, schnell, innovativ zu sein. Was ein Corporate auszeichnet, ist beständig zu sein und über die ausreichenden Ressourcen zu verfügen, Dinge auch einmal auszuprobieren und vielen Menschen zugänglich zu machen.” Die Kombination dieser beiden Stärken sei am Beginn des Innovationsprogramms gestanden.

Bei den ÖBB gab es bereits vor dem bewussten Start eines Innovationsprogramms eine Open-Innovation-Strategie, wie Peter Schindlecker, Head of Open Innovation, erklärt. Das Programm an sich sei dann eine Verknüpfung eines Entrepreneurship-Programms mit Startup-Interaktionen geworden. Man habe bewusst kein Single-Corporate-Programm aufgebaut, da man festgestellt habe, dass hier oft Zeit auf der Strecke bleiben würde. Man sei daher von einem Use Case ausgegangen, habe den ausgebaut und sei danach ergebnisoffen. Das habe gut funktioniert, nun müsse man aber am eigenen Venture Clienting arbeiten und ein besserer Kunde werden. Für diese Transformation brauche man Unterstützung, das werde man vor einem Accelerator-Aufbau angehen.

2. Erfolgsfaktoren von Accelerator-Programmen

Was macht nun den Erfolg von Accelerator-Programmen aus? Franz Zöchbauer erzählt, dass ihm zum Start des Verbund X Accelerators vor allem wichtig gewesen sei, kein Startup-Programm von Verbund zu machen, sondern Startups eine Plattform zu bieten. Von Anfang an sollte es ein Multi-Corporate-Accelerator werden. Im Gespräch mit den Business-Units habe man herausgearbeitet, wer interessante Corporate-Kunden sind, die gemeinsam mit Verbund Innovation betreiben wollen.

Diese breite Aufstellung habe es dann auch für Startups interessanter gemacht, sich zu bewerben. Generell wichtig ist für Zöchbauer ein klar strukturiertes Programm. Das Startup muss wissen, wie viel Zeit investiert werden muss, wie der Ablauf weitergeht, sollten sie ausgewählt werden, oder wie das Budget aufgestellt ist. Geht man hier als Startup eine längerfristige Partnerschaft ein oder ist das Programm nach drei, vier Monaten abgeschlossen?

Die Erwartungshaltungen beider Seiten müssen für Zöchbauer klar kommuniziert werden. Auch als Organisation müsse man sich vorbereiten. Im besten Fall liege am letzten Abend des Innovation Camps ein fertiger Vertrag vor, den das Startup nur noch unterschreiben müsse. “Diese Fast Lane sicherzustellen war unsere Aufgabe als Innovationsabteilung, das ist unser Wertversprechen gegenüber dem Startup”, sagt Zöchbauer. Angesprochen auf das Budget meint Zöchbauer, bei Verbund zahle man für den Proof of Concept bzw. den Piloten. Dieses Budget könne innerhalb weniger Tage freigegeben werden. Über eine Finanzierung werde eine Kooperation insgesamt ernsthafter.

Für Andreas Nemeth gibt es zwei Modelle: Corporates, die ein eigenes Programm wie ein Innovation Championship starten und gezielt nach Startups suchen, die sich passenden Themen widmen. Oder der Open-Innovation-Ansatz, für den sich Uniqa entschieden hat. “Wir wollen Innovation ja nicht nur bei uns machen, wir wollen uns öffnen”, fasst Nemeth es zusammen. Durch die Suche in einem Multi-Corporate-Accelerator sei man viel attraktiver und sehe außerdem viel mehr Startups.

Manche bewerben sich vielleicht für ein anderes Corporate, passen dann aber besser zu einem selbst. Das Wichtigste ist für Nemeth die klare Definition der Suchfelder und interessanter Themen. Innerhalb der Organisation sollten auch bereits früh zuständige Personen identifiziert und mit einem Budget ausgestattet werden, die dann der Corporate Buddy des Startups sind. Und die schnell realisierbare Aufgabenstellungen definieren können.

Genau wie Zöchbauer spricht Nemeth über die Bedeutung eines klaren Erwartungsmanagements: Was soll das Startup beitragen? Wozu verpflichtet sich das Corporate? Was sind die verfügbaren Ressourcen? “Eines der Erfolgskriterien ist aus unserer Sicht, schnell – innerhalb eines Accelerator-Programms spricht man meist von drei bis sechs Monaten – gemeinsam auf die Bühne zu treten und gemeinsam zu präsentieren, was erreicht wurde”, sagt Nemeth. Das müssten kleine, schnelle Projekte sein. Es sei besser, in drei Monaten einen kleinen Erfolg zu erzielen als auf das bahnbrechende Projekt zu warten.

Für Peter Schindlecker ist ein wichtiges Erfolgskriterium die Abnahme eines Projekts. Bleibe ein Projekt weiter in der eigenen Abteilung hängen und werde durch das eigene Budget finanziert, sei das nur eine Übergangslösung. Denn der Mehrwert entstehe erst im Kundenzugang. Auch bei Verbund sei das eine offizielle KPI, sagt Franz Zöchbauer: Je mehr Projekte oder Themen man abgebe, desto erfolgreicher sei man. Wandert ein Thema von der Innovation auf die Business-Seite, bringt es Geschäft.

An dieser Stelle wirft Schindlecker ein, was sich Unternehmen stets fragen sollten: “Was können wir anbieten, worin sind wir gut?” Gerade bei den ÖBB habe man die Situation, dass im Bahnwesen Projekte oft in einer sehr geschützten Testumgebung entstehen würden. Da sei es oft nicht so leicht, seine Erfolge und seine Kompetenz zu zeigen. Als Corporate könne man aber Expert:innenzugänge bieten. Ob eine Lösung erfolgreich sei, könne man dann daran messen, dass sie auch außerhalb dieses abgeschirmten Bereichs funktioniere.

3. Vorteile und Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Startups

Um auch ein Startup zu Wort kommen zu lassen, wird während des brutkasten-Talks ein Statement von Marcus Weixelberger eingeblendet. Er ist CEO und Founder von andys.cc, die Office-as-a-Service-Lösungen anbieten, und arbeitet mit den ÖBB zusammen. Zu Beginn habe man Corporate Venturing nicht im Fokus gehabt, sondern Kapital als klassisches Work for Equity aufgestellt. Man wollte mit Unternehmen zusammenarbeiten, die einen verstehen und als Sparring-Partner dienen. In ihrem Fall habe das geholfen, das Geschäftsmodell weiterzuentwickeln und kritisch zu hinterfragen.

“Wenn man tagtäglich in seinem eigenen Saft kocht, braucht man Menschen, die Fragen stellen, die vielleicht kritisch sind und wehtun, aber einem dabei helfen, über gewisse Situationen und Entwicklungen nochmal nachzudenken”, sagt Weixelberger. Peter Schindlecker von den ÖBB erzählt, dass diese Kooperation im ÖBB Immobiliengeschäft entstanden sei, weil die dortigen Kolleg:innen dafür gekämpft hätten. Schindlecker freut es, dass hier gegenseitiges Vertrauen entstanden sei und auch das Startup den Kundenkontakt schätzt.

Aber hat man als Corporate und Startup innerhalb eines Accelerators genug Zeit, dieses Vertrauen aufzubauen und gemeinsam ins Tun zu kommen? Für Franz Zöchbauer ist es ein erster Schritt in die richtige Richtung, da Vertrauen über eine Vielzahl von Kontakten entstehe. Beim Verbund Accelerator arbeite man zum Beispiel in der ersten Phase drei Tage zusammen und befindet sich danach drei bis vier Monate in der Acceleration Phase. Hier gebe es viele Anknüpfungspunkte.

Längerfristiges Vertrauen entstehe dann über Jahre innerhalb der entstandenen Partnerschaft. Denn gerade große Unternehmen fragen sich, wie stabil ein Startup ist und ob es in zwei bis drei Jahren noch aktiv ist. Man habe beim Verbund einige Beispiele für jahrelange Zusammenarbeit, aus der richtiges Vertrauen und intensiver Austausch entstanden sei. Zöchbauer nennt eFriends oder eologix-ping als Beispiele, in die Verbund investiert hat. Mit dem Schweizer Startup SmartHelio habe man eine erfolgreiche Kooperation. Nach einem ersten Piloten habe man nun ein gemeinsames Projekt bei einer PV-Anlage von Verbund in Spanien.

Das Sichten so vieler Startups kann für Corporates auch als externe Innovationsunit dienen, wie brutkasten-CEO Dejan Jovicevic anmerkt. Für Andreas Nemeth ist ein Accelerator ein guter Anfang in diese Richtung, das sei auch bei Uniqa der erste Schritt gewesen: “Das ist ein Speed-Dating-Programm.” Man versuche, die Mitarbeiter:innen eines Unternehmens möglichst schnell mit einem Startup zu vernetzen und umgekehrt die Business-Development-Verantwortlichen des Startups mit möglichst vielen Entscheidungsträger:innen im Unternehmen zu vernetzen.

Hat man in dieser Phase bereits erste Erfolge, mache das Appetit auf mehr. Wichtig sei auch der Übergang am Ende des Accelerators. Hier sollte man sich zusammensetzen und fragen, wie man in weiterer Folge zusammenarbeiten könne. Könnte man als Corporate ein Investment tätigen? Bei Uniqa habe man durchaus in Startups aus dem Accelerator später investiert, zum Beispiel doctorly oder Tele Media. Gerade Startups würden von diesem direkten Zugang in ein Corporate profitieren.

Nemeth betont an dieser Stelle erneut die Rolle des Erwartungsmanagements: “Nach dem Accelerator kommt in den wenigsten Fällen der Millionenauftrag.” Daher sei der Übergang und die Pflege der Beziehungen zueinander so wichtig. In manchen Fällen zahle sich der lange Atem aus: Omnius war im Accelerator von Uniqa dabei, in Summe habe es über zwei Jahre gedauert bist die Lösung des Startups auch in Produktion gegangen sei.

Für Peter Schindlecker ist ein Proof of Concept eine gute Basis, da man damit beweisen könne, ob eine Idee überhaupt möglich sei. Ein “Das kriegt ihr ja nie hin!” könne man damit wegwischen. Danach brauche es aber die Verankerung und ein gemeinsames Team, das die Lösung dann baue. Bei den ÖBB positioniere man sich nicht allein als Investor, sondern brauche immer auch diesen Business Background.

Das Open-Innovation-Team bei Uniqa habe es Andreas Nemeth zufolge geschafft, diese fortlaufende Interaktion zwischen Corporate und Startup zu unterstützen und zum Beispiel Standardverträge zu konzipieren. Damit komme man schneller in die Umsetzungsphase. Das sei aus der Überlegung heraus entstanden, einen Papierkrieg zwischen Startup und Corporate zu vermeiden, wenn beide doch an der Zusammenarbeit interessiert sind. “Unsere Prozesse in einem großen Unternehmen sind oft darauf ausgerichtet, mit anderen großen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Aber ich muss auch eine Andockstelle schaffen, wie ein 20.000 Mann-und-Frau-Unternehmen mit einem Startup mit zwölf Mitarbeitern interagieren kann”, sagt Nemeth.

Wie erzeugt man nun eine Win-Win-Situation für beide Partner auf Augenhöhe? Für Franz Zöchbauer braucht es hier zuerst einmal Transparenz, was die eigenen Zielvorstellungen als Corporate angeht. Hier dürfe es keine Hidden Agenda geben. Zweitens müsse man die Freiräume und die Formate schaffen, um gemeinsam Win-Win-Situationen zu schaffen.

Für Peter Schindlecker sind schlanke Verträge ein Muss. Hat man das als Corporate nicht vorbereitet, wird das von einem Startup als nicht respektvoll wahrgenommen. Hier stehe auch ein anderes Grundverständnis als bei klassischen Startup-Pitches dahinter: Man müsse als Corporate zuerst Unternehmen finden, zu deren Wachstumsidee man auch passe. Im europäischen Speditions- und Logistikbereich gebe es mittlerweile so starke Teams, da müsse man sich auch als ÖBB bemühen. Diese Einstellung als Unternehmen sei vor fünf Jahren noch sehr anders gewesen.

Andreas Nemeth und Franz Zöchbauer nennen das “Angleichen der Geschwindigkeiten” als Faktor. Was heißt das? Nemeth erklärt, dass “so schnell wie möglich” in einem Startup vielleicht “über Nacht” heißen kann – in einem großen Unternehmen kann das aber auch “einige Woche oder Monate” heißen. Dieses Übersetzen und Angleichen der unterschiedlichen Erwartungen sei wichtig. Für Franz Zöchbauer sind diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten auch ein Grund, warum der Verbund Accelerator zwei Mal im Jahr angeboten wird. Damit sei es leichter, einen Zeitpunkt zu finden, zu dem die Business Units auch Zeit für die Startups haben.

“Ein schnelles Nein ist eher hilfreich als zu lange unklar nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen”, fügt Andreas Nemeth hinzu. Auch Absagen sollten klar kommuniziert werden, das zeuge vom Reifegrad eines Unternehmens. Startups seien außerdem eine fragile Organisation, die man durch monatelanges Warten auf eine Entscheidung auch “umbringen” könne. Hier müsse man auch innerhalb des Corporates Verständnis für die andere Seite schaffen und seine Sprache auch dementsprechend anpassen. “Drei oder sechs Monate können bei einem Startup über Sein und Nicht-Sein entscheiden”, sagt auch Franz Zöchbauer. In einem großen Unternehmen mache das vielleicht keinen großen Unterschied, aber für Startups kann diese Zeit bedeutend sein.

4. Erfolgsbeispiele und Ergebnisse

Zu Beginn habe man mit Blick auf die Acceleratoren-Programme quantitative KPIs gemessen, sagt Franz Zöchbauer von Verbund Ventures: Wie viele Pilotprojekte schafft man? Wie viele Proof of Concepts? Mittlerweile sei man dazu übergegangen zu messen, ob sich langfristige Partnerschaften entwickelt haben. Wurde eine Technologie wirklich in der Business Unit eingesetzt?

Dann könnte man im nächsten Schritt auch messen, ob dadurch Kostenersparnisse erreicht wurden oder neues Umsatzpotential erreicht wurde. War man mit Produkten geschwinder am Markt? Das seien viel interessantere KPIs, da sie den Inhalt abbilden würden, meint Zöchbauer. Ob es durch die Zusammenarbeit von Corporate und Startup auch Wettbewerbsvorteile entstanden sind, könne man vor allem durch Zeit messen: Wie lange hätten eine Business Unit oder Verbund gebraucht, um ein neues Produkt einzuführen und um wie viel konnte man das über eine Kooperation mit einem Startup beschleunigen?

Auch Andreas Nemeth erzählt, dass Uniqa anfangs vor allem Neues lernen wollte und sich verschiedene Startups ansehen wollte. Über die Jahre ist Uniqa so mit über 2.000 Unternehmen in Kontakt gekommen, in 58 davon habe man investiert – und 14 Exits geschafft. Mit 60 bis 70 Unternehmen habe man Partnerschaften diskutiert und umgesetzt. Hier sei in neun Jahren viel mehr entstanden, als man erwartet hätte. Zu Beginn wäre die strategische Überlegung im Vordergrund gestanden, sich Zugang zu neuen Ideen zu verschaffen und zukünftige Wachstumsfelder zu erschließen.

Mittlerweile mache man das “ganz klar aus finanziellen Motiven”, der Return der Investments liege mittlerweile im zweistelligen Millionenbereich. Uniqa-CEO Andreas Brandstetter würde nicht nur die Internal Rate of Return beachten, sondern auch die schwieriger messbare Innovation Rate of Return. Die sogenannte digitale Dividende – zusätzlich zur finanziellen Dividende – messe die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Die Vision hinter der Innovationsstrategie bei Uniqa sei es, nicht nur für die jetzigen zwölf Millionen Kund:innen relevant zu sein, sondern das auch in Zukunft zu bleiben. Durch die Zusammenarbeit mit Startups habe man sich auch selbst verändert, mit der Mavie-Gruppe habe man zum Beispiel das Geschäftsfeld der digitalen Gesundheit neu eröffnet.

Für Nemeth ist die Uniqa so zu einem zukunftsfitten Unternehmen geworden, dass heute auch als Arbeitgeber spannender und attraktiver sei. Corporate Venturing kann also auch im Employer Branding zu Verbesserungen führen, selbst wenn das anfangs nicht als KPI festgelegt wurde. Nemeth erzählt, dass Uniqa Ventures zum Beispiel für eine ausgeschriebene Stelle 321 Bewerbungen erhalten habe. Die Zusammenarbeit mit Startups sei für viele Bewerber:innen attraktiv. Auch Franz Zöchbauer erzählt, dass er für zwei ausgeschriebene Stellen raschere und sehr hochqualitative Bewerbungen erhalten habe. “Das ist ein extrem gutes Signal.” Für Zöchbauer wird hier sichtbar, dass die Startup-Kollaborationen auch nach außen in die Peer Group hinein wirken. “Das ist wichtig für neue Talente, die wir in Zukunft brauchen”, resümiert er.

Bei den ÖBB habe man ebenfalls nicht aus dem Employer Branding heraus Corporate Venturing angefangen, meint Peter Schindlecker. Heute sehe man diesen Einfluss aber sehr wohl. Das Team ziehe neue Leute an, die ebenfalls bei den ÖBB arbeiten wollen. Für Schindlecker ist auch Community Building eines der wichtigsten Themen. Gerade in der Mobilität würde man viele Player:innen zusammenholen wollen – nicht nur Startups, auch Vereine oder ähnliche Organisationen. Neben der Community sind für Schindlecker vor allem die gelaunchten Produkte ein Erfolgsfaktor. Die meisten Launches seien durch Kooperationen mit Startups entstanden, der Vorstand liebe diese neuen Features heiß.

5. Community Management und Zukunftsperspektiven

Für Peter Schindlecker ist Community Building essentiell: “Du musst es machen, sonst bekommst du die Leute nicht. Sonst bist du unglaubwürdig und uninteressant.” Niemand würde heute nur für Geld mitarbeiten, man brauche einen Impact und eine Mission dahinter. Herausforderungen wie die Klimakrise, die Mobilitätskrise – das ziehe Leute an. Franz Zöchbauer stimmt dem zu, vor allem die Bereiche Nachhaltigkeit, Health und KI würden “irrsinnig viele” Talente anziehen, die an diesen großen, schwierig zu lösenden Problemen arbeiten wollen.

Bei Verbund würde die Mission Klimaschutz und nachhaltige Energie Menschen anziehen, die hier einen konkreten Beitrag leisten wollen. Community Management betreibe man nicht aus Nächstenliebe, sondern weil es einen Return für die eigenen Aktivitäten gebe. Als Corporate könne einem nichts besseres passieren, als von Startups weiterempfohlen zu werden oder als guter Investor bezeichnet zu werden. Bei Verbund beginne man im Moment damit, auch den Net Promoter Score zu messen und sich anzusehen, ob man weiterempfohlen werde. Eine Empfehlung von einer Business Unit oder Ansprechpartner:innnen – “das ist für uns die beste Benchmark”, sagt Zöchbauer.

Auf die Frage nach der Zukunft der Corporate-Venturing-Aktivitäten sagt Zöchbauer nur: “Das einzig Konstante ist der Wandel.” Man müsse sich ständig weiterentwickeln und laufend anpassen. Für Andreas Nemeth sind Acceleratoren und Corporate Venturing die Zukunft, deswegen sei es wichtig und mache Spaß. Und: “Spaß macht es ja deswegen, weil es erfolgreich ist und erfolgreich ist es, weil es die Antwort auf die Organisationsform der Zukunft ist.”

Unternehmen könnten heute nicht mehr alleine am Markt stehen und hinter den eigenen Mauern ihre Produkte entwickeln. Wertschöpfung sei heute vernetzt und passiere in Netzwerken über die Unternehmensgrenzen hinaus. Teilweise müsse man in Partnerschaft mit Konkurrenten arbeiten. Aus diesem Grund seien Acceleratoren und Multi-Corporate-Programme die richtige Antwort: “Niemand kann die Probleme der Zeit heute alleine bewältigen, sondern nur noch gemeinsam.”

Genau deswegen sei ein Ökosystem, wie es sich heute in Österreich etabliert hat, so wichtig. Früher habe man für Beispiele nach Deutschland oder in die USA blicken müssen, heute gebe es in Österreich genug Unternehmen, die dem Beispiel von Uniqa gefolgt seien und mit ihrem Corporate Venturing mittlerweile auf breiten Beinen stehen würden. Auch als Uniqa habe man viel von anderen Unternehmen gelernt: “Wir waren wahnsinnig dankbar, dass wir uns austauschen konnten und es eine offene Kultur zwischen den Innovationsabteilungen oder auch Corporate-Venturing-Abteilungen gibt.”

Nicht die Konkurrenz, sondern der gemeinsame Erfolg stehe im Vordergrund. Nemeth lädt auch andere Unternehmen ein, an die Uniqa heranzutreten, um Fragen zu stellen. Genau wir die anderen Unternehmen dieser brutkasten-Serie sei man gerne Testimonial für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Corporates und Startups. Warum? “Das wird die Zukunft sein. In Zukunft wird es keine andere Form der Zusammenarbeit geben.”


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Die Serie wird von brutkasten in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung unserer Partner:innen produziert.

Corporate Venturing
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Das Team von Diamens (v.l.n.r.): Clara Ganhör, Marlene Rezk-Füreder, Angelika Lackner, Peter Oppelt und Eva Scharnagl (c) Diamens

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Eine Download-Möglichkeit befindet sich am Ende des Artikels.


Das Linzer Startup Diamens entwickelt einen nicht-invasiven Selbsttest zur Diagnose von Endometriose. In den folgenden Zeilen liest sich ihre Geschichte über Hürden rund um Entwicklung und Zulassung eines Medizinproduktes sowie eine Forderung nach mehr Unterstützung für Medtech-Startups.

400 Millionen Frauen sind erkrankt.

Bei Endometriose handelt es sich um eine Krankheit, bei der Schleimhaut um die Gebärmutter und sogar um umliegende Organe wuchern kann. Das bewirkt bei Betroffenen Schmerzen, irreguläre und starke Begleitsymptome, eine deutlich reduzierte Lebensqualität bis hin zu Unfruchtbarkeit. Bislang kann man Endometriose nicht ohne Operation leistbar diagnostizieren. Heilmittel gibt es keine. Weltweit ist jede zehnte Frau betroffen. Das entspricht 400 Millionen Frauen, wobei ein hohe Dunkelziffer vermutet wird.


„Das stärkste, das Sie im Sortiment haben, bitte.“ Die Augen der Dame hinter der Theke vergrößern sich. Das stärkste. Schon wieder? „400 Milligramm, 800 Milligramm. Egal – das stärkste, das sie haben.“ Die Apothekerin wundert sich, dass Lisa alle dreieinhalb Wochen um die stärkste Dosis Ibuprofen fragt.

„Derzeit haben wir nur die 400erDosis im Sortiment. Reicht das?“ Lisa kneift die Augen zusammen. Ein Stich zieht sich durch ihren Unterleib. „Ja, ist okay. Kann ich davon zwei auf einmal nehmen?“ Lisas Fall ist keine Seltenheit. Sie ist wie sehr viele Frauen im gebärfähigen Alter. Einmal im Monat steht ihre Welt für fünf bis sieben Tage kopf; manchmal sind es auch zehn.

„Danke – bis in drei Wochen“, bringt Lisa noch über die Lippen, bevor sie die außergewöhnlich schwere Apothekentür nach außen aufdrückt. Sie verzieht das Gesicht. Noch ein Stich. Das Ibu muss schnell wirken, sonst schafft sie es nicht nach Hause. Ihr Unterleib krampft, sticht, schmerzt. Sie hockt sich auf den Gehsteig, fummelt ihre Wasserflasche aus der Tote-Bag und drückt sich zwei rosa Tabletten aus dem silbernen Alu-Blättchen. Drei Schlucke und die Tabletten sind unten. „Bitte macht schnell“, flüstert Lisa in ihren Schoß. Ihr Kopf ist nach unten geneigt, ihr wird schwarz vor Augen.

Was Lisa erlebt, ist weit mehr als herkömmlicher Periodenschmerz. Überdies ist es schon ein Warnzeichen, dass Frauen einen Schmerz, der alle vier Wochen an die Tür klopft und erst nach fünf bis sieben Werktagen wieder verschwindet, als herkömmlich bezeichnen.

Lisa hat nicht nur ihre Periode, sie hat auch Endometriose. So wie jede zehnte Frau auf der Welt. Viele der Betroffenen wissen es nicht, viele wollen es nicht wahrhaben, viele haben Angst vor der Diagnose und ihren Folgen.

Endometriose muss man nämlich immer operieren, um sie diagnostizieren und dann eventuell therapieren zu können. Eine Heilung ist nicht möglich. Minimal oder nicht invasive Diagnosemethoden gibt es bislang erst eine: Ein Speichelabstrich für 800 Euro – die Krankenkassa übernimmt davon nichts.

Zur Diagnose braucht es also eine Operation. Und mit einer ist es meistens nicht getan: Bei jeder zweiten Patientin können innerhalb von fünf Jahren nach der OP neue Endometrioseherde auftreten. Denn bei Endometriose wuchert die Schleimhaut rund um die Gebärmutter. Manchmal strahlt die Wucherung auch auf Darm, Blase und andere Organe aus. Das verstärkt die Symptome und macht die Krankheit meistens intensiver, kann Diagnosen verfälschen und den Leidensweg der Betroffenen intensivieren. Konkret: Unterleibsschmerzen, Übelkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Schmerzen beim Sex. Und: Unfruchtbarkeit.

Im Jahr 2022 wurde bei Lisa nach einem mehrjährigen Leidensweg Endometriose diagnostiziert. Eine Operation hat sie schon hinter sich. Seither haben sich die Schmerzen beruhigt; auch, wenn ihr ihre Periodenkrämpfe hie und da unnormal intensiv erscheinen. Zum Arzt will sie vorerst nicht wieder. Sie manifestiert: „Es sind nur Periodenschmerzen.“ Lisa ist eine reale Person und will anonym bleiben. Ihre Situation gleicht allerdings Zigtausenden anderen.

Warum Endometriose genau entsteht, ist bislang noch nicht wissenschaftlich erforscht. Ohne Operation lässt sich in den meisten Fällen nichts sagen. Ein Ultraschall hilft wenig, denn die wuchernde Schleimhaut schwillt unregelmäßig an und ab.

Wertlos?

“Das kann’s nicht sein. Das kann es einfach nicht sein! Es gibt zu allem und jedem Studien und Forschungsergebnisse, aber zu Endometriose nicht”, meint Clara Ganhör. Sie ist Co-Founderin eines Linzer Startups, das Frauen wie Lisa helfen möchte. Das Team von Diamens arbeitet an einem nicht invasiven Endometriose-Test.

Unser Thema ist kein Wellness-Thema. Es betrifft so viele, wird aber so selten vor den Vorhang geholt.

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

„Es gibt eine extreme Lücke, was Daten von Frauen betrifft“, erklärt Clara. Untersuchungen zeigennämlich: Eine Vielzahl an Studien inkludiert weibliche Probandinnen nicht. Weibliche Zellen werden oft auch bei Zellkulturversuchen in Laboren ausgeschlossen.

„In Summe führt das dazu, dass wir einen Gender Data Gap haben. Viele Normen und viel Wissen zu typischen Erkrankungszeichen basieren auf den Daten von Männern“, erklärt Clara. Das bringt Nachteile im Hinblick auf die Gesundheit von Frauen: „Angefangen von falscher Interpretation bei Symptomen, etwa bei einem Herzinfarkt, bis hin zu falscher Medikamentendosierung.“

Dementsprechend seltener wird auch das Blut von Frauen in Studien verwendet. Der Grund: „Dessen Zusammensetzung divergiert je nach Zyklusphase. Bei Tierversuchen werden hauptsächlich männliche Mäuse verwendet. Denn weibliche Mäuse haben einen Zyklus und das bringt keine konsistenten, sondern zyklusabhängige Ergebnisse – und damit natürlich eine riesengroße Lücke an Daten“, merkt Clara weiter an.

„Stell dir vor, jeder zehnte Mann hätte monatlich solche Schmerzen. Was würde dann passieren? Wir hätten sicherlich keinen Gender Data Gap mehr und viel mehr Grundlagenforschung zu Endometriose. Es gäbe klinische Studien dazu und schon lange eine nicht invasive Diagnosemethode“, so die Co-Founderin.

Das will sie sich nicht länger gefallen lassen. Sie ist Grundlagenforscherin in der Biomedizin und lebt in Linz. Sie selbst ist nicht von Endometriose betroffen – aber sie will es Frauen wie Lisa ersparen, sich für eine Diagnose gleich unters Messer legen zu müssen. Deshalb hat sich Clara drei ihrer Kolleginnen an der Johannes-Kepler-Universität (JKU) in Linz angeschlossen.

Das Team von Diamens (v.l.n.r.): Clara Ganhör, Marlene Rezk-Füreder, Angelika Lackner, Peter Oppelt und Eva Scharnagl (c) Diamens

Alle vier forschen aktuell am dortigen Zentrum für Medizinische Forschung an ihren Doktorarbeiten in den Bereichen Gynäkologie, Pathophysiologie, Tumorforschung und Dermatologie. Gemeinsam mit Peter Oppelt, Professor für Gynäkologie und Leiter des Endometriosezentrums am Kepler Universitätsklinikum (KUK), will das Team eine Lösung finden, um Endometriose nicht-invasiv zu diagnostizieren.

Aus dem Willen der jungen Doktorandinnen entstand ein Weg, aus dem Weg mittlerweile ein Startup – nämlich das FemtechStartup Diamens. CEO und Co-Gründerin Marlene Rezk-Füreder ist ausgebildete Molekularbiologin; an ihrer Seite sind die Chemikerin Clara Ganhör, die Physikerin Angelika Lackner und die medizinische Biologin Eva Scharnagl.

Offiziell steht Diamens seit dem 15. November dieses Jahres im Firmenbuch. „Marlene hat angefangen, Studien zu Endo metriose neu zu analysieren. Sie hat alle bestehenden Daten zusammengefasst, neu ausgewertet und Biomarker im Blut von Menstruierenden mit Endometriose gesucht“, erzählt Clara über die ersten Forschungsschritte.

Biomarker sind Substanzen, die bei Betroffenen einer Krankheit häufiger vorkommen als bei Gesunden. „Menstruationsblut ist so nah an Endometriose dran. Es besteht aus Blut und aus Gebärmutterschleimhaut, die so ist wie jene, die bei Endometriose wuchert. Wir verwenden so oft venöses Blut beim Arzt und beim Blutabnehmen; Menstruationsblut aber wird immer als Abfallprodukt gesehen. Bislang gibt es noch keinen diagnostischen Test, der auf Menstruationsblut basiert.

Diamens arbeitet an einer nicht-invasiven Methode zur Diagnose von Endometriose – basierend auf Menstruationsblut. (c) Diamens

Und das finden wir extrem schade, denn dieses Blut kann uns so viel sagen.“ Selbsttest Das fünfköpfige Team entwickelt einen Test, der Endometriose auf Basis des Menstruationsbluts diagnostiziert. Der Plan: Bei Krankheitsverdacht können sich Frauen ein Testkit von Diamens in der Apotheke oder online kaufen; mit dem Kit wird Menstruationsblut gesammelt, in Probenröhrchen stabilisiert und dann in einem Briefkuvert per Post an ein Partnerlabor von Diamens geschickt.

Das Testergebnis kommt innerhalb weniger Tage per Mail zurück. Der Prototyp des Produkts steht, der Launch soll 2027 erfolgen. Gestartet hat das Forschungsteam bereits vor zweieinhalb Jahren. Mittlerweile konnte Diamens beweisen, dass Biomarker im Menstruationsblut funktionieren und auch der Prototyp anschlägt, aber: „Wir würden nie behaupten, dass die Forschung abgeschlossen ist. Diamens ist eine laufende Entwicklung. Jetzt braucht es klinische Studien und eine Sammlung an Menstruationsblut von Gesunden und Erkrankten.“

Bis zum Launch heißt es also, das Medizinprodukt mit viel Geduld zu zertifizieren. Denn das dauert. „Und das ist – zum Glück – nicht so einfach wie vor 20, 30 Jahren. Ein Medizinprodukt muss sicher sein“, meint Clara. Gleichzeitig ist die Zulassung und Zertifizierung allerdings eine große finanzielle Hürde. Im nächsten Jahr will das Team den Prototyp weiter optimieren. Biomarker werden im finalen Produkt noch einmal validiert, damit genauer feststeht, wie spezifisch und sensitiv der Test ist. Erst dann wird zertifiziert.

Der Markteinführung steht nicht nur der lange Zulassungsprozess im Weg, sondern auch fehlende Daten in der Gesundheitsforschung rund um Frauengesundheit. „Der Gender Gap in der Forschung hat uns immer schon gestört; schon damals, als wir angefangen haben, an unseren Doktorarbeiten zu forschen. Daten von Frauen werden so selten in der Forschung berücksichtigt, denn der Zyklus könnte ja ‚nicht zu den Ergebnissen passen‘“, sagt Clara. „Frauen haben einen Zyklus. Das ist halt einfach so. Das ist kein Ausreißer und keine Lücke, sondern das betrifft gut 50 Prozent der 14- bis 49-Jährigen.“

„Frauen haben einen Zyklus. Das ist halt einfach so. Das ist kein Ausreißer und keine Lücke, sondern das betrifft gut 50 Prozent aller 14-bis 49-Jährigen.“

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

Schamgefühl

Das Thema Frauengesundheit ist allerdings kein viel diskutiertes – schon gar nicht in der Business-Bubble, meint Clara: „In der StartupSzene sind wir viel häufiger von Männern umgeben. Da macht es uns schon Freude, mal über ein Thema zu reden, über das unsere männlichen Kollegen bislang noch eher selten geredet haben. Da erklärst du die Symptome von Endometriose, plötzlich geht es um Menstruation, Schmerzen beim Sex und Unfruchtbarkeit. Und wenn du dann vor Männern stehst und ‚Periode‘ und ‚Sex‘ sagst, kommt meistens ein ‚Oh mein Gott!‘ zurück – oder Wangen werden rot. Dann merkt man, dass da ein Schamgefühl mitschwingt und das Thema im Businesskontext ein Tabu ist.“

Aktive Missionsarbeit leistet Diamens dabei gar nicht gezielt, sondern organisch: „Warum sollen wir in unserem Pitch Deck andere Begriffe als Menstruation, Blut oder Sex verwenden? Warum sollte das ein Tabu sein? Niemand muss deshalb rot anlaufen oder sich verlegen räuspern, niemand muss Blickkontakt vermeiden. Das ist die Realität, die endlich normalisiert und zum Gegenstand der Forschung gemacht gehört“, so Clara. Neben Räuspern und roten Wangen sammelt Diamens aber auch andere Erfahrungen: „Wir sind immer wieder erstaunt, wie viele Menschen nach einem Pitch auf uns zukommen und sagen, dass bei der Partnerin oder einer guten Freundin Verdacht auf Endometriose vorliegt. Wir merken, dass das Thema viele bewegt, die unseren Pitch hören. Teilweise stecken extreme Leidensgeschichten hinter den Menschen, die im Investor:innenBoard sitzen, oder ihren Angehörigen. Unser Thema ist kein Wellness-Thema. Es betrifft so viele, wird aber so selten vor den Vorhang geholt.“

„Teilweise stecken extreme Leidensgeschichten hinter den Menschen, die im Investor:innenBoard sitzen, aber nicht darüber reden.“

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

Selten vor den Vorhang geholt wird auch die Summe an Geld, die Clara und ihr Team zur Produktentwicklung benötigen. Bekannterweise haben Medizinprodukte rund um Forschung, Zulassung und Zertifizierung einen relativ langen Entwicklungsweg. „Dafür braucht man einen ziemlich hohen Betrag“, meint Clara.

Ein Medizinprodukt entwickelt sich nicht über eine einzelne Förderung

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

„Alleine ISO-Normen kosten sehr viel Geld; genauso wie die Beratungsleistungen, die man dazu in Anspruch nimmt. Wir sprechen hier nicht von Hunderten, sondern von Tausenden Euros. Das hindert so viele Startups daran, klinische Studien durchzuführen. Ein großes Unternehmen kann diesen Kostenpunkt meist viel leichter stemmen. Da wäre aus unserer Sicht eine gezielte Förderung für Studien gut; oder Zulassungsstellen verlangen bei Startups geringere Summen“, so Clara.

Forscherseele

„Aus der Forscherseele gesprochen sehe ich es positiv, dass es Hürden zur Zulassung gibt; dass man ein Medizinprodukt nicht ‚einfach so‘ schnell auf den Markt bringen kann“, meint Clara weiter.

„Allerdings braucht es auch schon ewig, um überhaupt herauszufinden, in welche MedizinproduktKlasse wir fallen; es braucht ewig, bis wir einen Zulassungsberater finden, den wir uns leisten können. Und es braucht ewig, bis wir wissen, wie eine klinische Studie zu unserem Thema ausschauen darf. Diese Informationen sind nicht gut zugänglich oder kosten enorme Summen.“

Finanziert hat sich das Startup bislang über Förderungen des oberösterreichischen Inkubators tech2b. Diamens war auch Teil des aws First Incubators und des #glaubandich Accelerators der Sparkasse Oberösterreich; weitere Förderungen stehen in Aussicht.

Auch mit Investor:innen sei man im Gespräch: „So ehrlich muss man sein: Ein Medizinprodukt entwickelt sich nicht über eine einzelne Förderung. Das Gesamtvolumen, das benötigt wird, ist extrem groß“, sagt Clara. Der rein wirtschaftliche Nutzen steht damit – zumindest kurzfristig – infrage: „Bis es uns erlaubt ist, unser Produkt zu verkaufen und Umsätze zu machen, müssen wir ein sehr großes Investment aufnehmen, das für viele Investor:innen unattraktiv ist. Das geht in anderen Ländern einfacher.“ Investor:innen sucht das Startup deshalb auch über europäische Grenzen hinweg.

In Österreich bleiben will Diamens vorerst allerdings schon. Markttechnisch will man sich auf Österreich und Deutschland konzentrieren. Irgendwann soll der Diamens-Selbsttest auch europaweit oder sogar global erhältlich sein.

Schmerzverzerrt

Der Prozess gestaltet sich schwierig, die Hürden sind groß und die finanziellen Mittel klein. Warum Clara und ihr Team dennoch an Diamens festhalten? Damit es Menschen, die wie Lisa schmerzverzerrt am Gehsteigrand hocken und auf den IbuKick warten, schneller besser geht. Damit Menschen wie Lisa schnell Klarheit über ihre Gesundheit erlangen. Doch damit es auch Menschen wie Clara und ihren Kolleginnen leichter fällt, jeder zehnten Frau auf der Welt bei der Diagnose von Endometriose zu helfen, braucht es Rahmenbedingungen, wie wir sie aktuell noch nicht vorfinden.

„Es braucht klare und effektive Prozesse, offene Kommunikation und leichter erhältliche Informationen, die nicht nur von teuren Zulassungsberatern kommen, sondern öffentlich zugänglich sind. Es braucht geringere finanzielle Hürden für Medtech-Startups, ja, vielleicht braucht es sogar ein Startup-Budget. Überprüfung, Regulierung und Zertifizierung sind nichts Schlechtes – eine Umschichtung finanzieller Mittel allerdings auch nicht.“

Immerhin arbeiten Clara und ihr Team für knapp 50 Prozent der Bevölkerung: „Wir merken wirklich jeden Tag, dass diese Zahl ‚eine von zehn Frauen‘ real ist. Eine von zehn Frauen weltweit belastet diese Krankheit im täglichen Leben. Und weit mehr Frauen leben täglich in der schmerzenden Ungewissheit, ob sie an Endometriose erkrankt sind oder nicht.“

Für die Zukunft hat Clara deshalb einen ganz besonderen Wunsch: „Dass bei jedem Stammtisch und bei jedem Startup-Event so offen über Themen der Frauengesundheit und Female Technology geredet wird wie über alles andere auch. So viele geniale Menschen arbeiten im Femtech-Bereich, und trotzdem werden wir behandelt, als wären wir eine Nische. Sind wir aber nicht. Wenn wir also das nächste Mal die Worte ‚Periode‘, ‚Menstruationsblut‘ oder ‚Unfruchtbarkeit‘ in den Mund nehmen, braucht es kein ‚Oh Gott‘, sondern Akzeptanz, Verständnis und Unterstützung.

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