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Dieser Artikel ist die Coverstory aus dem aktuellen brutkasten-Printmagazin (Download-Möglichkeit am Ende des Artikels). Er basiert auf der ersten Folge der neuen Interview-Serie “Das Leben nach dem Exit“, in der Reinhold Baudisch zu Gast war.
Am 24. Februar 2022 fielen Bomben auf Kiew – in den frühen Morgenstunden startete Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Einige Hundert Kilometer westlich, in Wien, verfolgte Reinhold Baudisch die Nachrichten auf dem Weg zum Anwalt. Baudisch war einer der Gründer der Vergleichsplattform durchblicker. Diese war erst wenige Wochen zuvor verkauft worden. Zumindest war das Signing erfolgt – im Dezember 2021.
Nun stand aber noch das Closing an. „Da fragt man sich schon: Wird die Gegenseite auftauchen? Wird das Closing überhaupt stattfinden oder wird man sagen, vielleicht sollte man eine Pause machen und sich alles noch einmal gut überlegen?“, erinnert sich Baudisch im brutkasten-Gespräch im Rahmen der neuen Interviewserie „Das Leben nach dem Exit“.
Er fand sich mit seinem Mitgründer Michael Doberer in der Innenstadtkanzlei eines renommierten Rechtsanwalts ein. Baudischs Sorgen waren aber unberechtigt: Die drei Anwälte der Käuferin, der ungarischen Netrisk Group, erschienen wie geplant in der Kanzlei. Dort wurde „über nichts anderes gesprochen“ als über den Kriegsausbruch, erzählt Baudisch. Den Deal stellte aber niemand mehr infrage. „Ich bin mir nicht sicher, was passiert wäre, hätten wir das Closing zwei oder drei Monate später gehabt“, sagt Baudisch. „Ich gehe davon aus, dass die Transaktion nicht mehr statt gefunden hätte.“
So aber lief der Prozess wie geplant ab; „recht unspektakulär“, wie Baudisch sagt. Zunächst ging man ein sogenanntes Closing Memorandum durch – eine Art Checkliste mit Punkten, die im Vorfeld des Termins erfüllt sein mussten, damit der Deal tatsächlich abgeschlossen werden konnte. Das lief reibungslos.
„Du hast dann halt ein paar Nuller mehr“
Der nächste Schritt: Die Netrisk Group bekam einen Anruf – mit der Bitte, das Geld umgehend zu überweisen. Der Verkaufspreis wurde nie öffentlich gemacht. Nach brutkasten-Informationen dürfte er sich aber im hohen zweistelligen Millionenbereich bewegt haben.
“Und dann beginnt die Phase des Wartens“, schildert Baudisch. „Du gehst nämlich von diesem Closing nicht weg, bis alle Shareholder die Kohle am Konto haben“. Er und Mitgründer Doberer warteten „sicher zwei Stunden dort, wenn nicht drei“. Sie checkten ständig ihre OnlineBankingApp. Und dann war das Geld da. „Du hast dann halt ein paar Nuller mehr und freust dich recht“, sagt Baudisch.
Damit war die Angelegenheit aber noch nicht erledigt. Alle anderen Anteilseigner mussten eben falls noch bestätigen, das Geld bekommen zu haben. Baudisch hatte den Shareholdern bereits im Vorfeld eingeschärft, dass sie zu dem Termin zu Hause und erreichbar sein sollten. Und tatsäch lich meldeten alle Bestandsaktionäre den beiden Gründern den Eingang des Gelds. Alle – bis auf einen. „Einer war nicht erreichbar. Nach dem fünften Anruf haben wir ihn dann aufgetrieben. Er hat uns gesagt: ‚Ich stehe gerade an der Kreuzung und kann gerade leider nicht reinschauen, ich bin unterwegs‘.“ Schließlich bestätigte aber auch dieser Aktionär den Kontoeingang.
„Ich komme an meine körperlichen Grenzen“
Damit war die Sache erledigt – und vor allem der Exit-Prozess abgeschlossen. Diesen beschreibt Baudisch als „wahnsinnig anstrengend“. Und mehr noch: „Ich bin ein Mensch, der sich durch eine ziemlich optimistisch-positive Lebensart und eine sehr hohe Resilienz auszeichnet. Sonst hätte ich den Startup-Rollercoaster nicht durchgestanden.“
Über den Unternehmens verkauf sagt Baudisch heute: „Es war die einzige Phase meines Lebens, in der ich wusste und gesehen habe: Ich komme an meine körperlichen Grenzen.“ Insbesondere, wenn man einen professionellen Käufer auf der Gegenseite habe, sei der Prozess sehr anspruchsvoll. „Da wird bis zum letzten Drücker verhandelt.“
Eine Finanzierungsrunde von durchblicker im Jahr 2013 sei vergleichsweise unkompliziert ab gelaufen. Beim Verkauf wurde nun aber „bis kurz vor dem Signing noch wild herumdebattiert“. Zwei Wochen vor dem geplanten Termin wurden die Verhandlungen sogar zwischenzeitlich abgebrochen – „mit dem Glauben: Jetzt ist es vorbei“, erinnert sich Baudisch. US-Miteigentümer vermittelten, und die Verhandlungen gingen doch weiter. Keine leichte Zeit, denn Baudisch hatte als CEO weiterhin das Tagesgeschäft von durchblicker zu leiten.
„Du musst bis zum Schluss bereit sein, das Ding abzusagen“
Schließlich einigten sich die beiden Seiten. „Zum ersten Mal echt“ wurde es für den Gründer aber erst, als das Geld auf dem Konto landete. „Ich habe mich immer wahnsinnig gezwungen, zu glauben, dass es diesen Deal nicht gibt, bis das Geld am Konto ist“, blickt der frühere durchblicker-CEO zurück.
Er kenne Gründer, die mitten im Verkaufsprozess schon anfangen würden, auf der Website von Porsche die Farbe ihres Wunschmodells aus zuwählen; ein grober Fehler, so Baudisch: „In dem Moment hast du dich in der Verhandlung schon aufgegeben. Du musst aber bis zum Schluss hart bleiben und bereit sein, das Ding abzusagen.“ Wenn man dies nicht sei, würde man einen schlechten Deal machen.
Hier nüchtern zu bleiben sei emotional sehr fordernd: „Du bist ständig mit dir selbst im Zwiespalt in dieser Phase“. Mit dem Closing sei dann „die erste Geröllhalde abgefallen“.
„Konnte erstmals nachvollziehen, wie sich Angestellte fühlen“
Nach dem Verkauf blieb Baudisch noch sieben Monate als CEO bei durchblicker. Zu seiner eigenen Überraschung stellte er fest: Irgendetwas war plötzlich anders. “Ich habe jahrelang für die Firma gelebt, gebrannt – und konnte mir nicht vorstellen, dass sich irgendwas mit dem Hergeben der Gesellschaftsanteile verändert”, blickt er heute zurück. Aber ein paar Wochen nach dem Closing bemerkte er: “Ich hab mir die Website-Visits und die Abschlüsse seit ein, zwei Wochen nicht mehr angeschaut und das ist mir vorher nicht passiert”.
Davor hatte er diese Zahlen mehrfach täglich im Blick. “Auf einmal bin ich draufgekommen: Na hoppla, irgendwas ist passiert mit der Motivation, mit dem Involvement, mit der Emotionalität”. Bereits mit dem Closing habe er emotional losgelassen. Und so kam Baudisch zu einer für ihn ungewohnten Erkenntnis: “Ein bisschen böse gesagt konnte ich erstmals nachvollziehen, wie sich Angestellte fühlen”.
Im Sommer 2022 schied Baudisch endgültig aus – und übergab die CEO-Rolle an Andrew Fuchs, einen vom Käufer Netrisk eingesetzten Nachfolger. Für den heute 47-jährigen Oberösterreicher und früheren McKinsey-Berater endete ein Kapitel, das insgesamt fast 13 Jahre gedauert hatte: Im Oktober 2009 ist die “YOUSURE Tarifvergleich GmbH” ins Firmenbuch eingetragen worden. Daraus sollte einige Monate später durchblicker entstehen. Ebenfalls 2010 beteiligte sich Business Angel Hansi Hansmann als Investor am Unternehmen. 2013 folgte eine weitere Finanzierungsrunde. Vier Jahre später war das Portal profitabel.
„Ich möchte noch mehr zu Hause sein“
Nun kam der durchblicker-Gründer endgültig im Leben nach dem Exit an. Tag eins nach dem Ausscheiden “war fast ein bisschen fad”, erinnert er sich heute. “Weil ich im ersten Moment gar nicht wusste, was ich tun sollte”. Dann folgten Urlaube, neue Hobbys – und “ganz wichtig, ich hab einfach auch entschieden, ich möchte noch mehr zu Hause sein”. Er sei “ein Jahr Hausmann” gewesen, sagt Baudisch.
Ganz so einfach war der Umstieg ins neue Leben aber nicht: Als Hilfe strukturierte sich Baudisch in der Früh den Tag schriftlich: “Welche Dinge möchte ich erledigen, welche Dinge möchte ich abarbeiten, was möchte ich für meinen Körper machen?” Baudisch stellte sich also eine To-Do-Liste zusammen: “Mit der bin ich super über die Runden gekommen”.
„Bitte das Geld doch woanders hinschicken“
Bleibt noch eine weitere Frage: Wohin mit dem Geld? Das erste Problem trat schon vor dem Geldeingang auf Baudischs Konto auf: Weil es sich um eine größere Summe handelte, gab der durchblicker-Gründer seiner Regionalbank in Oberösterreich schon im Vorfeld Bescheid. Die Antwort war überraschend: „Der Bankdirektor hat mir im Wesentlichen gesagt, er freue sich für mich, aber ich möge das Geld doch bitte woanders hinschicken, er möchte es nämlich nicht annehmen.“
Hintergrund dürften bürokratische Anforderungen beispielsweise bei der Prüfung von Geldwäsche einerseits und die damals noch negativen Einlagezinsen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) andererseits gewesen sein, vermutet Baudisch. Mittlerweile ist er nicht mehr Kunde der Bank.
Das Geld hätte er aber ohnehin nicht am Girokonto liegen gelassen. Am wichtigsten war für Baudisch: Er wollte sich möglichst nicht selbst darum kümmern, ob er Aktie A oder ETF B kauft. „Da ich gewusst habe, ich werde wieder andere Dinge tun; ich habe eigentlich gar keine Zeit, mich ordentlich darum zu kümmern“, erläutert Baudisch. Dazu kommt: Trotz eines Wirtschaftsstudiums und Erfah rung mit Corporate Finance – verglichen mit jemandem, der 20 Jahre Er fahrung in dem Bereich habe, „bin ich einfach ein totaler Noob“, wie Baudisch sagt. „Ich wollte mich gleichzeitig aber auch nicht an einen Partner ausliefern.“
Die Lösung: Der Gründer teilte das Geld nach dem Maßstab 40/40/20 auf – und erstellte einen Liquiditätsplan für die nächsten 15 Jahre. Darin stellte er visuell Zahlungseingänge und Steuerfälligkeiten dar. Für die beiden 40-Prozent-Anteile seiner geplanten Portfolio-Allokation wandte sich Baudisch an Privatbanken: „Ich habe mit vier oder fünf Banken Gespräche geführt und dann zwei herausgepickt. Diesen habe ich dann jeweils rund 40 Prozent der Assets übertragen, in ent sprechende Vehikel.“ Den Rest legte er sich auf die Seite, einerseits für Urlaub und Lifestyle, andererseits auch für Startup-Investments und Venture-Capital-Fonds. Baudisch investierte dabei direkt in sechs Startups und steckte zusätzlich Geld in drei VC-Fonds.
„Ich bin als Konzernmensch gar nicht sozialisierbar“
Nach seinem Ausscheiden bei durchblicker plante Baudisch für sich zwölf Monate Pause ein. Würde er das auch anderen Gründer:innen nach dem Exit empfehlen? „Unbedingt. Man kann darüber reden, ob es nicht viel leicht 18 oder 24 Monate sein sollten.“ Die unternehmerische Reise des Gründers hat inklusive Projekten vor durchblicker 15 Jahre gedauert: „Es waren unfassbar harte 15 Jahre und die drei Jahre davor war mir bei McKinsey auch nicht wirklich langweilig.“ Nach dieser Zeit „einmal auch zu erfahren, wie es ist, nicht zu arbeiten, ist schon fast life changing“, so Baudisch heute.
Ganz so lange hielt er es dann aber doch nicht aus. Schon etwas mehr als ein halbes Jahr nach dem operativen Ausstieg bei durchblicker bekam Baudisch wieder das Gefühl, etwas angehen zu wollen. Ein Wechsel in einen Konzern kam nicht infrage: Er sei „gar nicht sozialisierbar als Konzernmensch“, sagt Baudisch: „Wenn du mich richtig verärgern möchtest, sagst du mir nicht, was ich tun soll, sondern wie ich es tun soll.“ Er sei „von der Genetik ein Unternehmer“. Daher war ihm bald klar: Wofür er brennen würde, sei wieder ein Business: „Man muss wissen, was man kann, was man will – und was nicht.“
Aber er kam auch noch zu einer zweiten Erkenntnis: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit Mitte 40 noch einmal den vollen Startup-Rollercoaster haben möchte – werde ich in 15 Jahren wirklich noch diese Energie haben?“ Wahrscheinlich nicht, lautete seine Antwort. Daher: „Ich wollte etwas, das zeitlich ein bisschen kondensierter ist.“ Seine Schlussfolgerung: Anstatt ein Unternehmen von null auf neu zu gründen, könnte es für ihn interessanter sein, einem bestehenden Unternehmen zu helfen, sein Potenzial voll auszuschöpfen.
„Schneid die alten Zöpfe ab, gib noch einmal Gas“
Bei einem Netzwerktreffen von Hansi Hansmanns Hans(wo)men Deutschland Group kam Baudisch dann mit Reinhard Nowak ins Gespräch. Nowak ist Gründer und CEO von LineMetrics, einem 2012 gegründeten Sensorik-Unternehmen mit Sitz im niederösterreichischen Haag, zu dessen Investoren Hansmann zählt. Baudisch war von dem Unternehmen angetan. Gleichzeitig hatte er aber den Eindruck, dass dieses sein Potenzial noch nicht völlig ausschöpfte. „Die Entwicklung von LineMetrics war okay, aber nicht stellar“, so Baudisch.
Also appellierte er an den Gründer: „Du musst echt noch einmal durchstarten. Schneid die alten Zöpfe ab. Gib noch einmal Gas. Du hast jetzt eine Wahnsinns-Opportunity vor dir.“ Bei LineMetrics-Gründer Nowak dürfte dies Eindruck hinterlassen haben: Zwei Wochen später läutete Baudischs Handy, Nowak war dran. „Es geht mir nicht aus dem Kopf, was du gesagt hast“, sagte der LineMetricsGründer. „Gleichzeitig kann ich mir nur einen Partner vorstellen, mit dem ich das wirklich gerne machen würde – und das bist du.“
Baudisch war sich zunächst nicht sicher, ob er schon wieder eine solch aktive Rolle einnehmen wollen würde. Nach ein paar Besuchen am Firmenstandort in Haag und weiteren Gesprächen beschloss er aber: „Die Chemie passt, es kann funktionieren.“ Er einigte sich mit Nowak auf eine Auf gabenverteilung: Baudisch bringt Expertise in Vertrieb und Marketing ein, Nowak konzentriert sich stärker auf die Produktentwicklung. Die Bestandsinvestoren, darunter Hansi Hansmann, gaben ebenfalls ihre Zustimmung. Im Spätsommer 2023 wurden die Verträge aufgesetzt, Anfang Oktober war es offiziell: Baudisch stieg bei LineMetrics ein. Neben 25 Prozent der Anteile am Unternehmen übernahm Baudisch auch gleich die CEO-Rolle.
„Eine Riesen-Opportunity“
LineMetrics betreibt eine Platt form für Sensoren, die Daten sammeln und in der Cloud speichern, um Echtzeit-Monitoring zu ermöglichen. „Das kann die Überwachung eines Kühl raums sein, das kann der CO2-Gehalt der Büroluft sein – oder auch Stromzähler, Gaszähler, Wasserzähler, Wär mezähler“, führt Baudisch aus. „Man kann also Energie damit monitoren und sich beispielsweise ansehen, wo in welchem Gebäude Verbrauchsenergie anfällt.“ Die Technologie sei außerdem „perfekt für den Einbau in Bestands gebäuden“.
Baudisch erwartet für LineMetrics regulatorischen Rückenwind in den kommenden Jahren, sowohl auf EU-Ebene als auch beispielsweise in Deutschland, wo ab 2025 für bestimmte Gebäude Energiemonitoring vorgeschrieben wird. Er sieht hier „eine Riesen-Opportunity“. „Vielleicht ist der Markt noch nicht ganz hier, aber übermorgen ist er da. Davon bin ich überzeugt, und ich will Teil dieser Energiewende sein.“
„Ein viel entspannterer Chef – und gleichzeitig einer, der sich viel schneller bewegt“
In seiner neuen Rolle baut Baudisch nun auf seinen langjährigen Erfahrungsschatz mit durchblicker. „Ich bin von mir selbst wahnsinnig überrascht, wie schnell ich Entscheidungen treffe und mit welcher Sicherheit und Gewissheit ich das tue“, erzählt der LineMetricsCEO. „In 15 Jahren Management und Aufbauerfahrung nimmt man so viel mit, dass man für gewisse Dinge einfach nicht mehr lang braucht.“ Dinge wie das Erstellen von Finanzplänen seien beim ersten Mal schwierig – und würden beim zweiten Mal „in einem Zehntel der Geschwindigkeit“ funktionieren.
Und auch er selbst habe sich verändert: „Ich gehe es jetzt entspannter an“, sagt Baudisch. Er müsse nicht mehr alles selbst wissen und nicht mehr zu allem eine Meinung haben. Insgesamt habe er weniger Kontrollbedürfnis und lasse die Leute vor Ort Entscheidungen treffen. „Ich bin ein viel entspannterer Chef – und gleichzeitig einer, der sich viel schneller bewegt.“ Fest steht dennoch: Zur Ruhe kommt Reinhold Baudisch auch im Leben nach dem Exit nicht.