Die Nachricht schlug im vergangenen Herbst in der heimischen Startup-Szene hohe Wellen: Die Österreichischen Notariatskammer (ÖNK) klagte das Wiener Startup notarity. Dieses betreibt seit 2022 eine Plattform für die Online-Durchführung notarieller Dienstleistungen und gewann damit nach eigenen Angeben rund ein Viertel der heimischen Notariate als Kunden. Damit steht das Startup auch in direkter Konkurrenz zur IT-Tochter der Kammer.

notarity: Notarielle Dienstleistungen angeboten oder nur vermittelt?

In ihrer Klage führte die ÖNK mehrere Punkte an, in denen das Geschäftsmodell von notarity ihrer Ansicht nach nicht den geltenden gesetzlichen Regelungen entspreche. Zentraler Punkt war dabei, dass das Startup über seine Seite direkt notarielle Dienstleistungen anbietet und verrechnet. Dabei handle es sich aber lediglich um eine Vermittlung der besagten Dienstleistungen, die von Notariaten ausgeführt werden, argumentierte man beim Startup bereits damals und legte ein selbst in Auftrag gegebenes Gutachten vor.

In einigen weiteren beanstandeten Punkten setzte das Unternehmen noch vor Prozessstart Änderungen um. Dabei betonte CEO Schuster mehrmals öffentlich, dass man sich um eine außergerichtliche Einigung bemühe.

ÖNK argumentiert mittlerweile mit Vermittlungsverbot

Nun ist der Prozess nach drei Verhandlungen abgeschlossen. Das Urteil steht noch aus und wird im Sommer erwartet. notarity-CEO Schuster sieht seine Position jedoch bereits davor bestätigt, wie er in einer Aussendung darlegt. Mittlerweile habe auch ein von der ÖNK selbst beauftragtes Gutachten nämlich ergeben, dass es sich beim Angebot des Startups um eine Vermittlungstätigkeit handle. Nun argumentiert die Kammer aber mit einem “absoluten Vermittlungsverbot”, das Schuster als rechtlich nicht haltbar erachtet.

notarity-CEO Schuster: “Ursprüngliche Position nicht mehr haltbar”

“Die Kammer hat wohl erkannt, dass ihre ursprüngliche Position, die auf einem behaupteten Vertragsschluss zwischen dem Interessenten und notarity aufgebaut hat, nicht mehr haltbar ist. Jetzt stellt sie die Zulässigkeit der Vermittlung notarieller Dienstleistungen grundsätzlich in Frage – dabei war dieses angebliche absolute Vermittlungsverbot gar nicht Bestandteil der Urteilsbegehren der im September 2023 eingereichten Klage”, so Schuster in der Aussendung.

Die Kammer habe dieses “angebliche Vermittlungsverbot” erst danach “entdeckt”. “Da seit vielen Jahren auch andere Berufsgruppen regelmäßig mit Notariaten zusammenarbeiten und diesen dabei wohl auch unentgeltlich Klient:innen vermitteln werden, war dieser neue Standpunkt der Kammer überraschend. Ein explizites Verbot der Vermittlung wie von der ÖNK behauptet gibt es in der Notariatsordnung oder in anderen Gesetzen nicht”, so der notarity-CEO.

Gesprächsangebote abgelehnt

Schuster bekrittelt auch ein weiteres Mal, dass die Kammer insbesondere seit der Klage alle Gesprächsangebote des Startups abgelehnt habe. “Die ÖNK hat das ‘Recht ohne Streit’ in ihren Leitlinien verankert und viele Mediator:innen in ihren Reihen. Das Vorgehen der Kammerspitze können wir daher absolut nicht nachvollziehen. Auch Notariate, mit denen wir im guten Austausch stehen, halten diese Vorgangsweise für unrichtig”, meint er.

Investor Ruschin: “Kampf Goliath gegen David”

Auch Investor Benjamin Ruschin, dessen Big Cheese Venture am Startup beteiligt ist, äußert sich in der Aussendung kritisch gegenüber der ÖNK. Auseinandersetzungen wie jene der Notariatskammer gegen notarity würden Innovation im Land hemmen. “Immer wieder ziehen Kammern und Standesvertretungen gegen junge, innovative Unternehmen und oft sogar gegen die eigenen Pflichtmitglieder ins Feld, wenn es darum geht, Fortschritt zu verhindern. Einen solchen Kampf Goliath gegen David überleben viele Startups nicht”, so Ruschin.

Bei notarity sei das aber nicht der Fall gewesen: “Letztlich hat notarity die Klage stärker gemacht – sie haben ihre Prozesse noch einmal intensiv überarbeitet, massiv an Bekanntheit gewonnen und ihre Internationalisierung vorangetrieben”, meint der Investor. Das Startup setzte zuletzt mehrere Internationalisierungsschritte, wie brutkasten berichtete. Mittlerweile habe man Nutzer:innen aus rund 100 Ländern, heißt es vom Unternehmen.

Kein Kommentar von der Notariatskammer

Brutkasten fragte bei der ÖNK um ein Statement zu Schusters Aussagen an. Von der Kammer heißt es aber lediglich: “Das Gericht hat am letzten Verhandlungstag ein schriftliches Urteil für Anfang August 2024 angekündigt. Da es sich entsprechend nach wie vor um ein laufendes Verfahren handelt, wird die Österreichische Notariatskammer keine Stellungnahme abgeben. Wir bitten um Verständnis.”