22.04.2024
DAS LEBEN NACH DEM EXIT

Martin Klässner: Die Geschichte hinter dem 250-Mio.-Euro-Exit von has.to.be

Der 250 Mio. Euro schwere Verkauf des Salzburger Elektromobilitäts-Unternehmen has.to.be im Jahr 2021 gilt als der größte Exit der österreichischen Startup-Geschichte. In der brutkasten-Interviewserie "Das Leben nach dem Exit" gab Co-Founder Martin Klässner Einblicke in die Geschichte hinter dem Verkauf - und wie es danach weiterging.
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Aus den meisten Urlaubs-Flirts entsteht nichts Ernsthaftes. Im Fall von Martin Klässer führte dagegen einer zu einem 250 Mio. Euro schweren Unternehmen. Zumindest indirekt. Der gebürtige Münchner war nach seinem Abitur in Österreich auf Urlaub – und lernte dort seine spätere Freundin kennen. Klässner entschied kurzerhand: Er zog zu ihr nach Österreich – “zumindest mal für das eine Jahr, bis sie mit der Schule fertig ist”.

Von der Millionenstadt München ging es ins 400-Seelen-Dorf Hüttau in Salzburg. Dort fing Klässner dann an, für Kunden Auftragsentwicklung zu machen. Die Beziehung zu seiner Salzburger Freundin überstand das angepeilte Jahr in Österreich nicht. “Aber nach einem Jahr war dann die Firma da. Ich habe Kunden gehabt und weitergemacht”. 

Klässner blieb also in Österreich. Das ursprüngliche angedachte Studium der Elektrotechnik verwarf der Münchner wieder. “Ich bin dann eigentlich nie zu einer Ausbildung gekommen. Was dazu geführt hat, dass ich immer wieder Firmen gegründet habe, weil ich eine schwer vermittelbare Arbeitskraft bin”.

Klässner gründete zwei Wochen nach Insolvenz neu

Klässners Firma entwickelte Lösungen für Selbstbedienungsterminals – und setzte dann schon Projekte für BMW und Daimler um. Doch nicht alle angedachten Use Cases ließen sich umsetzen: Ein Pilotprojekt bei McDonald’s verlief im Sand: “Uns wurde erzählt, dass gedrucktes Hochglanzpapier das beste Medium sei, um einen Burger zu verkaufen”. Bildschirme oder Terminals werde es nie in McDonald’s-Filialen geben. “Heute gibt es nur Terminals. Wir waren wahrscheinlich einfach 20 Jahre zu früh an dem Thema dran”, sagt Klässner. Sein Unternehmen schlitterte schließlich in die Insolvenz.

Für Klässner aber kein Grund aufzugeben – ganz im Gegenteil: “Ich habe zwei Wochen nach der Insolvenz wieder neu gegründet”. Diesmal nahm Klässner einen Markt in den Blick, der ihn länger begleiten sollte: Elektromobilität.

Sein Ziel: Die Kenntnisse aus dem ersten Unternehmen nun auf diesen Markt zu übertragen. “Rückblickend war es wahrscheinlich auch hier zu früh”. In den Folgejahren kam jedoch Bewegung in den Markt. Klässner gründete dann ein Unternehmen, das sich auf die Herstellung von Ladestationen spezialisierte – und verkaufte die Firma 2013. “Aus dem geringen Verkaufserlös hatte ich dann das Startkapital für has.to.be”.

has.to.be: “War einziger Anbieter, der ganz Europa mit einer Software-Plattform abbilden konnte”

has.to.be spezialisierte sich auf Software für Ladestationen für Elektroautos. Für Klässner gab es dabei zwei wichtige Faktoren: “Wir haben gesagt, unsere Software muss so gestaltet sein, dass sie klimaneutrale Mobilität unterstützt. Und der zweite wichtige Faktor in unserer Vision war, dass klimaneutrale Mobilität grenzüberschreitend ist”.

Das habe sich im Nachhinein auch als der wichtigste Aspekt herausgestellt: Das Unternehmen stellte bei seiner Software immer sicher, dass sie europaweit funktionierte. “Das war am Schluss der Grund, warum wir alle Großprojekte gewonnen haben. Wir waren der einzige Anbieter, der ganz Europa mit einer einzigen Softwareplattform abbilden konnte”. So habe sich das Unternehmen mit Sitz in Radstadt als Marktführer etablieren können.

Zu Beginn war dies jedoch noch nicht absehbar. Im Gegenteil: “Wir haben uns damals bei der Gründung extra für das kleinere Büro entschieden, das wir zur Auswahl hatten”. Was zur Folge hatte, dass das Jungunternehmen bereits nach neun Monaten wieder umziehen musste. Die Dynamik sei mit dem Marktwachstum gekommen, erinnert sich Klässner heute. Von einem Exit war damals noch nicht die Rede.

“Man muss eine Firma gründen, um sie groß zu machen”

Ausgeschlossen hatte Klässner einen Verkauf aber ebenso wenig: “Ganz am Anfang haben wir es ehrlich gesagt offen gelassen”, blickt der Gründer heute zurück. Eines der wichtigsten Learnings aus seiner Insolvenz sei gewesen, dass man wieder loslassen müsse. Daher hätten sich die Gründer nicht darauf versteift, das Unternehmen ein Leben lang zu halten. Ebenso wenig habe man sich aber zu Beginn das Ziel gesetzt, das Unternehmen unmittelbar wieder zu verkaufen.

“Ich glaube, es ist auch ganz wichtig, eine Firma eben nicht zu gründen, um sie zu verkaufen. Sondern man muss eine Firma gründen, um sie groß zu machen”, sagt Klässner. Ein Verkauf sei dann ein möglicher oder logischer Schritt, der sich daraus ergebe. Ganz wichtig sei aber, die Zielsetzung klar zu machen: “Wir haben uns ganz klar die Vision gesetzt, dass wir Mobilität klimaneutral gestalten”.

Klässners Learning: Startups brauchen Cash-Reserven für mindestens ein Jahr

Ebenfalls von Anfang an klar war für Klässner, dass das neue Unternehmen über Cash-Reserven für mindestens ein Jahr verfügen müsse. “Sonst ist eine Firma meiner Meinung nach nicht mehr führbar”, sagt der Gründer. Dies sei das wichtigste Learning aus der Insolvenz seines früheren Unternehmens gewesen. has.to.be finanzierte sich im ersten Jahr “rein über einen positiven Cashflow”. Das Unternehmen war damals ausschließlich im Projektgeschäft tätig.

“Als es dann aber darum ging, international oder überhaupt mal nach Deutschland sinnvoll zu skalieren, haben wir sofort Investoren an Bord geholt, um immer ein Jahr Cash in der Hand zu haben”, sagt Klässner. Eine Kapitalrunde abzuschließen, dauere jedenfalls zwischen neun und zwölf Monaten. “Alles darunter ist unrealistisch”, sagt Klässner. Daher brauche man Cash-Reserven für ein Jahr: “Ansonsten muss man eine Kapitalrunde mit Druck machen”. 

Auch bei has.to.be lief nicht jede Finanzierungsrunde völlig reibungslos: “Auch bei den Kapitalrunden, die wir gemacht haben, gab es immer auf den letzten fünf Metern irgendwelche Themen, die das nochmal um drei Monate nach hinten geschoben haben.” Wenn man diese drei Monate nicht als Spielraum habe, könnte auch bei einer gut vorbereiteten Kapitalrunde auf den letzten Metern Schluss sein.

Nach VW-Einstieg begannen Exit-Vorbereitungen

2019 stieg dann mit Volkswagen (VW) einer der größten Namen der Mobilitätsbranche beim Salzburger Startup ein. Für Klässner sei dies der Moment gewesen, an dem er sich gesagt habe: “OK, wir haben jetzt die bestimmende Mehrheit im Gesellschafterkreis mehr oder weniger verloren”. Die Folge: Er begann an einen Exit zu denken. “Ich bin immer nur selbstständig gewesen, wollte nie in Konzernstrukturen enden”, erzählt der Gründer. Klässners Schlussfolgerung: Nun war der Zeitpunkt gekommen, den Exit vorzubereiten. Dies tat er dann über die folgenden zwei Jahre.

In dieser Phase begann Klässner, sich operativ ersetzbar zu machen. Zu dem Zeitpunkt, in dem man in Verhandlungen einsteige, sollte die Firma so strukturiert sein, dass man als Gründer kein operatives Geschäft mehr habe, empfiehlt er: “Mein Ziel ist immer gewesen, dass ich zum Zeitpunkt des Exits in der Firma nicht mehr gebraucht werde.” Ab 2019 begann er, unterschiedliche Methoden zu entwickeln, um dies sicherzustellen. “Weil ich immer wollte, dass die Führungsebene unter mir plus die Mitarbeiter eigenständig Entscheidungen treffen können, die im Sinne der Strategie liegen”. Als Geschäftsführer müsse er dann nicht mehr miteinbezogen werden. “Nur dadurch habe ich die Zeit gehabt, mich überhaupt diesem Verkaufsprozess qualitativ widmen zu können”.

AOA statt OKR

has.to.be setzte dabei zunächst auf den populären Ansatz Objectives and Key Results (OKR). Es stellte sich aber heraus: Das System funktionierte für das Startup nicht. Also entwickelten Klässner und seine Mitstreiter einen eigenen Ansatz – genannt Art of Acceleration (AOA). Das Ziel dabei: “Wir müssen die Leute ermächtigen und ihnen ein Rahmenwerk geben, in dem sie frei entscheiden können. Dazu brauchen sie einerseits eine Shared Reality, das heißt sehr viel Kontextinformation. Und du brauchst ein Regelwerk, mit dem die Mitarbeiter gerne arbeiten und das sie unterstützt, aber nicht behindert”, erläutert Klässner. Innerhalb von neun Monaten wurde das System bei has.to.be implementiert. Mit Erfolg: “Ab Mitte 2020 haben wir ein Unternehmen gehabt, das ohne C-Level-Interventionen funktioniert hat”. 

Für Klässner bedeutete dies: Zeit für die Exit-Gespräche. “Ich habe den Exit-Prozess bei uns intern fast komplett alleine gemacht”, erzählt der Gründer über die Verhandlungen mit dem späteren Käufer, dem US-Unternehmen ChargePoint. Unterstützung erhielt er im rechtlichen Bereich und bei der Due Diligence, “aber die Grundverhandlungen habe ich alleine gemacht”. Es flossen dabei über die Dauer von neun Monaten rund 60 Stunden pro Woche von Klässners Zeit hinein. “Das war ein absoluter Full-Time-Job”.

Klässner: Thema Steuern im Verkaufsprozess berücksichtigen

Learnings aus dieser Zeit hat Klässner mehrere: Wie bei Finanzierungsrunden brauche auch hier das Unternehmen ausreichend Cash-Reserven, um Drucksituationen zu vermeiden. “Du brauchst die Flexibilität, auch in Verhandlungen dreimal ‘nein’ sagen zu können”.

Außerdem sollten Gründer:innen im Verkaufsprozess das Thema Steuern berücksichtigen. “Es ist sehr wichtig, darauf zu achten, dass es ausreichend Cash gibt, um die Steuer zu zahlen. Weil die ersten, die nach dem Verkauf anklopfen, sind die vom Finanzamt”. Hier braucht es Liquidität – denn die Steuerlast entsteht beim Closing – selbst, wenn der Kaufpreis ganz oder teilweise in Aktien des Käuferunternehmens bezahlt werde, wie es bei has.to.be der Fall war.

Ein weiterer Tipp von Klässner: Erfahrene, pragmatische Anwälte hinzuziehen. “Wenn die Gegenseite nicht pragmatisch ist, musst zumindest du pragmatische Lösungen auf den Tisch bringen”, erläutert er. Auch beim Notar sei Pragmatismus wichtig.

Verkauf für 250 Mio. Euro an ChargePoint dann besiegelt

Klässner einigte sich jedenfalls mit ChargePoint: has.to.be wurde für 250 Mio. Euro an das US-Unternehmen verkauft. Der Verkauf gilt als der größte Exit in der österreichischen Startup-Geschichte.

“Es war natürlich eine gewisse Erleichterung, weil die Verträge zumindest mal unterschrieben waren”, sagt Klässner heute. “Aber ein Deal ist eigentlich immer erst dann abgeschlossen, wenn das Closing vollzogen ist, die Shares eingebucht und das Geld am Konto ist”. Bis dahin könne noch viel schief gehen. Acht Wochen nach dem Signing erfolgte dann auch das Closing. Diese Wochen verliefen für Klässner “arbeitsintensiv, weil es noch sehr viel Dokumentation war, die man in dem Zeitraum aufbringen musste”, gleichzeitig aber war die Phase “vom Komplexitätsgrad nicht mehr so hoch”.

Das Closing selbst dauerte fast einen ganzen Tag – danach ging’s zum Essen mit Notar und Anwalt. “Das war dann eigentlich auch unsere Closing-Feier”, sagt Klässner. Schon am Folgetag ging es dann mit der Integration von has.to.be in ChargePoint los. Klässner wirkte daran noch mit. Mit den US-Käufern war vereinbart, dass er so lange in der Gesellschaft blieb, wie nötig. “Wir haben dann aber nach fünf Monaten identifiziert, dass es für mich eigentlich nichts mehr zu tun gab, weil wir unsere Firma so strukturiert haben, dass ich nicht gebraucht werden”. Nach den verschiedenen Übergabe-Prozessen “war ich fast nur noch noch zum Kaffee trinken in der Firma”. Klässner schied daraufhin operativ aus dem Unternehmen aus.

Fünf Monate Übergangszeit: “Die einzigen Monate, wo ich ohne Druck ins Büro ging”

Die fünf Monate Übergangszeit beschreibt Klässner im Nachhinein als schöne Zeit: “Das waren die einzigen Monate, wo ich ins Büro gegangen bin, ohne Druck gehabt zu haben.” Bei has.to.be hätten die Gründer von Anfang “jeden Tag Druck” gehabt. Der fiel nun weg. Klässner war in der Zeit der Übergabe wichtig, dass die Kultur von has.to.be erhalten blieb – und auch Angebote wie Kantine oder Kindergarten weiter bestehen. “Das meiste haben wir auch wirklich gut erreicht”, sagt er heute.

Nach seinem Ausstieg war für Klässner bald klar, dass er weiter unternehmerisch aktiv bleiben wollte: “Ich bin eigentlich immer Unternehmer gewesen, ich habe nichts anderes gekannt”. Durch einen Exit schaffe man für sich auch neue Möglichkeiten: Für Klässner etwa das Thema Startup-Investments. “Ich habe immer gerne mit jungen, motivierten Menschen gearbeitet, die selber die Motivation und den Druck gehabt haben, etwas zu bewegen”, erzählt Klässner. 

Und so kam es zur Gründung der Investmentfirma make visions capital. Sie hat bisher Kapital in zwölf Startups gesteckt. Klässner und seine Partner verstehen sich dabei als aktive Investoren, die sich bei den jeweiligen Startups auch einbringen. Der Investment-Schwerpunkt liegt auf Software in Bereichen wie Life Sciences, Robotics und Energy. Make vision investiert dabei im Bereich von 250.000 bis 500.000 Euro pro Ticket – üblicherweise in der Pre-Seed-Phase. Für seine Startup-Investments wendet Klässner aktuell 50 Prozent seiner Zeit auf.

Klässner will es mit GrowthSquare noch einmal wissen

Und die restlichen 50 Prozent? Klässner hat wieder gegründet. Sein neues Startup GrowthSquare entwickelt die bei has.to.be entstandene Management-Methodologie, Art of Acceleration (AOA), weiter und bringt sie zur Anwendung. Mit seinem neuen Unternehmen denkt Klässner ebenfalls wieder ambitioniert: “Natürlich ist die Motivation da, GrowthSquare wieder zu einer großen Company aufzubauen. Auch aus einem gewissen Ego-Gedanken heraus”.

Was Klässner damit meint: “Ich möchte für mich selber sehen: War has.to.be ein Glücksfall, den wir erfolgreich geritten und bei dem wir zufällig die richtigen Entscheidungen getroffen haben? Oder sind wirklich diese Methodologie, diese Umsetzung und diese Themen das Erfolgskriterium, um vielleicht wieder den dann größten Exit zu generieren?” Klässner gibt auch gleich selbst die Antwort: “Wir werden es wahrscheinlich in sieben bis zehn Jahren sehen”.


Die gesamte Folge von “Das Leben nach dem Exit” mit Martin Klässner:

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Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala
Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM AustriaIBMITSVMicrosoftNagarroRed Hat und Universität Graz.


Wo stehen wir wirklich, was die Adaption von künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft angeht? Diese Frage zu beantworten war eines der Ziele der Serie “No Hype KI“, die brutkasten anlässlich des zweijährigen Bestehens von ChatGPT gestartet hat. Die ersten fünf Folgen beleuchten unterschiedliche Aspekte des Themas und lieferten eine Bestandsaufnahme.

Im Staffelfinale, der sechsten Folge, war der Blick dann in Richtung Zukunft gerichtet. Dazu fanden sich die Österreich-Chefs von Microsoft und IBM, Hermann Erlach und Marco Porak, sowie Nagarros Big Data & AI Practice Lead für Central Europe, Peter Ahnert, und KI-Expertin Jeannette Gorzala, die auch Mitglied des KI-Beirats der österreichischen Bundesregierung ist, im brutkasten-Studio ein.

“Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache”

Eine der Erkenntnisse der Serie: Unternehmen und Institutionen verabschieden sich von überschwänglichen Erwartungen und sehen sich stattdessen an, wie KI tatsächlich in der Praxis eingesetzt wird. „Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache, weil jetzt kann man auf den Use Case gehen“, sagt Hermann Erlach, General Manager von Microsoft Österreich, im Videotalk. Er vergleicht den aktuellen Reifegrad von KI mit dem Beginn einer langen Reise: „Wenn ich so eine Reise angehe, dann brauche ich ein Ziel, einen Plan und Mitreisende. Alleine macht das wenig Spaß.“

Auch Marco Porak, General Manager von IBM in Österreich, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er sieht das abgelaufene Jahr als eine Phase der Erkenntnis. Den Status Quo bei KI in Österreichs Unternehmen beschreibt er im Talk folgendermaßen: “Wir haben allerorts sehr viel ausprobiert, sind vielleicht da und dort auf die Nase gefallen”. Gleichzeitig habe es auch “schöne Erfolge” gegeben. Für Porak ist klar: “Die Frage der Stunde lautet: Wie machen wir jetzt von hier weiter?“

AI Act: “Jetzt müssen wir ins Tun kommen”

Ein großes Thema dabei ist der AI Act der EU. Jeannette Gorzala, Gründerin von Act.AI.Now, plädiert für eine pragmatische Haltung gegenüber der EU-Verordnung: “Der AI-Act ist ein Faktum, er ist da. Jetzt müssen wir ins Tun kommen.” Sie sieht in dem Regelwerk einen Wegweiser: “Wir müssen die entsprechenden Kompetenzen aufbauen und die Möglichkeiten nutzen, die diese Regulierung bietet. Das ist der Reiseplan, den wir brauchen.”

Auch Marco Porak sieht den AI Act positiv: „Er hat nicht die Algorithmen reguliert, sondern gesagt, was wir in Europa gar nicht wollen, etwa Sozialpunktesysteme oder Gesichtserkennung in Echtzeit.“ So entstehe für Unternehmen im globalen Wettbewerb ein Vorteil, wenn sie ihre KI-Anwendung nach europäischen Maßstäben zertifizieren lassen: „Das ist wie ein Gütesiegel.“

“Müssen positiv aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten”

Hermann Erlach von Microsoft bezeichnet den Ansatz des AI Act ebenfalls als “gut”, betont aber gleichzeitig, dass es jetzt auf die Umsetzung von KI-Projekten ankomme: “Wir haben eine Situation, in der jedes Land an einem neuen Startpunkt steht und wir positiv aggressiv reingehen müssen, um unseren Wohlstand zu halten.”

Peter Ahnert sieht dabei auch ein Problem in der öffentlichen Wahrnehmung: KI werde tendenziell nicht nur zu klein gedacht, sondern meist auch in Zusammenhang mit Risiken wahrgenommen: “Es werden die Chancen nicht gesehen.” Woran liegt es? “Zu einem erheblichen Teil daran, dass noch zu wenig Bildung und Aufklärung an dem Thema da ist. In Schulen, in Universitäten, aber auch in Unternehmen und in der öffentlichen Hand.” Hier müsse man ansetzen, sagt der Nagarro-Experte.

Jeannette Gorzala sieht das ähnlich: “Bildung und Kompetenz ist das große Thema unserer Zeit und der zentrale Schlüssel.” Verstehe man etwas nicht, verursache dies Ängste. Bezogen auf KI heißt das: Fehlt das Verständnis für das Thema, setzt man KI nicht ein. Die Opportunitätskosten, KI nicht zu nutzen, seien aber “viel größer” als das Investment, das man in Bildung und Governance tätigen müssen. “Natürlich ist es ein Effort, aber es ist wie ein Raketenstart”, sagt Gorzala.

IBM-Programm: “Die Angst war weg”

Wie das in der Praxis funktionieren kann, schilderte IBM-Chef Porak mit einem Beispiel aus dem eigenen Unternehmen. IBM lud weltweit alle Mitarbeitenden zu einer KI-Challenge, bei der Mitarbeiter:innen eigene KI-Use-Cases entwickelten, ein – mit spürbaren Folgen: “Die Angst war weg.” Seine Beobachtung: Auch in HR-Teams stieg die Zufriedenheit, wenn sie KI als Assistenz im Arbeitsablauf nutzen. “Sie können sich auf die komplexen Fälle konzentrieren. KI übernimmt die Routine.”

Microsoft-Chef Erlach warnt auch davor, das Thema zu stark unter Bezug auf rein technische Skills zu betrachten: “Die sind notwendig und wichtig, aber es geht auch ganz viel um Unternehmens- und Innovationskultur. Wie stehen Führungskräfte dem Thema AI gegenüber? Wie steht der Betriebsrat dem Thema AI gegenüber?”, führt er aus.

Venture Capital: “Müssen in Europa ganz massiv was tun”

Soweit also die Unternehmensebene. Einen große Problemstelle gibt es aber noch auf einem anderen Level: Der Finanzierung von Innovationen mit Risikokapital. “An der Stelle müssen wir in Europa ganz massiv was tun”, merkte Ahnert an. Er verwies auf Beispiele wie DeepMind, Mistral oder Hugging Face, hinter denen jeweils europäische Gründer stehen, die aber in den USA gegründet, ihre Unternehmen in die USA verkauft oder zumindest vorwiegend aus den USA finanziert werden.

Der Nagarro-Experte verwies dazu auf eine Studie des Applied AI Institute, für die Startups aus dem Bereich generative KI zu den größten Hürden, mit denen sie es zu tun haben, befragt wurden. “51 Prozent haben Funding genannt. Weit abgeschlagen an zweiter Stelle mit 24 Prozent erst kam die Regulierung und unter 20 Prozent waren Themen wie Fachkräftemangel oder Zugang zu Compute Power.” Ahnerts Appell: “Bei dem Thema Finanzierung müssen wir was tun, damit wir in der nächsten Welle an der Spitze sind.”

Erlach: Adaption entscheidend

Letztlich sei aber vielleicht gar nicht so entscheidend, wo eine Technologie produziert werde, argumentierte Hermann Erlach von Microsoft. Denn es komme auf die Adaption an: “Vielleicht ist die Diskussion Europa vs. Amerika in Teilbereichen die falsche.” Die wichtigere Frage sei also: “Wie adaptiere ich diese Technologie möglichst schnell, um meinen Wohlstand zu erhöhen?”

Marco Porak ergänzt: “Ganz, ganz wesentlich ist Mut. Ganz, ganz wesentlich ist unsere kulturelle Einstellung zu dem Thema.” Man müsse die Chancen sehen und weniger das Risiko. In der Regulatorik könne man dies begleiten, indem man Anreize schafft. “Und ich glaube, wenn wir das als Österreich mit einem großen Selbstbewusstsein und auch als Europa mit einem großen Selbstbewusstsein machen, dann haben wir in fünf Jahren eine Diskussion, die uns durchaus stolz machen wird.”


Die gesamte Folge ansehen:


Die Nachlesen der bisherigen Folgen:

Folge 1: “No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?”

Folge 2: “Was kann KI in Gesundheit, Bildung und im öffentlichen Sektor leisten?”

Folge 3: “Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der KI-Praxis”

Folge 4: KI-Geschäftsmodelle: “Wir nutzen nur einen Bruchteil dessen, was möglich ist”

Folge 5: Open Source und KI: “Es geht nicht darum, zu den Guten zu gehören”


Die Serie wird von brutkasten in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung unserer Partner:innen produziert.

No Hype KI

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