20.07.2021

Größter Exit der österreichischen Startup-Geschichte: has.to.be wird um 250 Mio. Euro verkauft

Das auf E-Mobilitäts-Software spezialisierte Unternehmen has.to.be aus Radstadt in Salzburg wird vom US-Ladeinfrastrukturanbieter ChargePoint übernommen.
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has.to.be-CEO Martin Klässner
has.to.be-CEO Martin Klässner | Foto: © has.to.be

Es dürfte der größte Exit der österreichischen Startup-Geschichte sein: Das auf Software für Ladestationen für Elektroautos spezialisierte Unternehmen has.to.be aus Radstadt im Bundesland Salzburg geht an den US-Ladeinfrastrukturanbieter ChargePoint – und zwar für 250 Mio. Euro. Eine entsprechende Übernahmevereinbarung wurde unterzeichnet, gaben die beiden Unternehmen am Dienstag bekannt. Der Kaufpreis soll sowohl in bar als auch in Aktien gezahlt werden. Abgeschlossen werden soll die Übernahme bis zum Ende des Kalenderjahres 2021 – wenn die behördlichen Genehmigungen vorliegen und auch alle anderen üblichen Abschlussbedingungen erfüllt sind.

has.to.be wurde 2013 von Martin Klässner und Alexander Kirchgasser gegründet – es hat heute 125 Mitarbeiter in Österreich und Deutschland sowie rund 40.000 direkt angebundene Ladepunkte. Dazu kommen noch mehr als 250.000 Ladepunkten im Roaming-Netzwerk. Das Unternehmen hat im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben 9,5 Mio. Euro Umsatz gemacht. „In den letzten acht Jahren hat unser talentiertes Team die E-Mobilität in Europa entscheidend vorangetrieben und eine große Anzahl führender Marken als Kunden gewonnen. Diese verlassen sich tagtäglich auf unsere Software-Plattform, um ihre technischen Anforderungen zu erfüllen. Gemeinsam mit ChargePoint werden wir in Zukunft dieser Vision weiter folgen und – da der Markt weiter expandiert – eine noch höhere Skalierung erreichen”, wird Klässner in der Aussendung zitiert.

Mit der Übernahme gewinne ChargePoint ein “führendes Unternehmen der E-Mobilität mit einem talentierten Team, starker und innovativer Technologie und einer beeindruckenden Kundenbasis hinzu”, kommnentierte Pasquale Romano, Präsident und CEO von ChargePoint. “Mit unseren gemeinsamen Möglichkeiten sollten wir unsere jeweils führenden Positionen weiter ausbauen können, während die Elektromobilität weltweit auf dem Vormarsch ist.”

Seit 2019 ist auch Volkswagen an has.to.be beteiligt – mit 25 Prozent.  „Als Teil unseres langjährigen Engagements in der Elektromobilität haben wir schon früh in has·to·be investiert. Wir glauben, dass ChargePoint und has·to·be gemeinsam großes Potenzial besitzen, die Elektromobilität weiter voranzutreiben”, sagt  Elke Temme, Leiterin von Volkswagen Charging & Energy.

Höherer Verkaufspreis als bei Runtastic, Shpock oder MySugr

Exits in dieser Dimension sind in der österreichischen Startup-Landschaft noch selten: Im Jahr 2015 ging die Fitness-App Runtastic für rund 220 Millionen Euro an Adidas. Die Kleinanzeigen-App Shpock wurde im selben Jahr für rund 200 Millionen Euro an den norwegische Medienkonzern Schibsted verkauft. Der kolportierte Kaufpreis für die MySugr-Übernahme im Jahr 2017 betrug laut Branchen-Insidern zwischen 70 und 200 Millionen Euro.

2020 erreichte Kaleido AI nach eigenen Angaben “einen der größten Exits der österreichischen Startup-Geschichte”. Ein Branchen-Insider sagte damals gegenüber dem brutkasten, dass sich der Kaufpreis zumindest auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag belaufen habe.

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Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith
Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith | Foto: brutkasten

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach.

Storebox-Co-Founder und -CEO Johannes Braith sieht im brutkasten-Interview auch Chancen, die die Krise biete, formuliert aber konkrete Maßnahmen, die dazu nun auf politischer Seite ergriffen werden müssten.


brutkasten: Düstere Prognosen und drastische Appelle stehen aktuell in der Wirtschaftsberichterstattung an der Tagesordnung. Wie beurteilst Du die Situation? Ist sie wirklich so dramatisch?

Johannes Braith: Ich beobachte die Großwetterlage natürlich laufend. Allerdings halte ich es für gut, wenn man sich in seinen daily Operations als Founder nicht zwangsläufig beunruhigen lässt. Gerade Startups sind es gewohnt Krisen zu managen bzw. mit ihnen umzugehen. In manchen Fällen kann dadurch sogar etwas Positives entstehen. Denn Krisen erzwingen oft Veränderungen, welche wiederum oft Chancen beinhalten.

Aber natürlich finde ich es beunruhigend, dass wir, was unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa angeht, so dramatisch den Anschluss verlieren. Ich hoffe, dass der steigende Schmerz dazu führt Regulierungen abzubauen und ein neues Selbstverständnis hinsichtlich Wirtschaft, Startups und Technologie einkehrt.

Welche gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen sollten in Österreich möglichst schnell umgesetzt werden? Was muss unbedingt ins Regierungsprogramm?

Das Thema ist leider ziemlich mühsam, da sehr, sehr gute Vorschläge seit langer Zeit am Tisch liegen, die allerdings nicht umgesetzt wurden. Ein wichtiger Punkt ist es bestimmt, Risikokapitalgeber zu incentivieren – Stichwort Beteiligungsfreibetrag.

Noch wichtiger wäre es allerdings die Steuern auf Arbeit deutlich zu reduzieren. Wir sind in einer Zeit, in der wir die Extrameile gehen müssen. Das sollte auch belohnt werden. Man könnte z.B. Überstunden steuerlich freistellen, Pensionisten incentivieren, wenn sie in der Rente arbeiten möchten – eventuell gänzlich steuerfrei, oder man kann über Modelle nachdenken, mit denen man Vollzeitarbeit nicht nur ermöglicht (Kinderbetreuung) sondern eventuell auch belohnt.

Generell stelle ich mir die Frage, wie Menschen den Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit wieder zurückerlangen können. In vielen Gesprächen und Beobachtungen sehe ich, dass die Leistungebereitschaft extrem abgenommen hat. Ob das immer durch politische Maßnahmen geheilt werden kann, bezweifle ich. Ich halte viel von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Und was sollte die neue EU-Kommission unbedingt sofort angehen?

Regulierung massiv abbauen. Ich bin mit Storebox mittlerweile in sechs Ländern und mehr als 200 Städten operativ tätig. Es kann ja nicht sein, dass wir gefühlt hunderte unterschiedliche Regulierungen vorfinden, die das Prosperieren von Unternhemen extrem erschweren.

Was wären konkret für euch als Scaleup die wichtigsten Schritte auf nationaler und EU-Ebene?

Die Lohnkosten senken, Regulierungen massiv reduzieren und die Zuwanderung hochqualifizierter Personen massiv erleichtern.

Was bräuchte es, damit die Wiener Börse bzw. zumindest eine europäische Börse für einen IPO eines Scaleups wie Storebox attraktiv ist?

Große Anschlussfinanzierungen müssen in Europa mit europäischem Kapital getätigt werden, um ab einer gewissen Stage als logischen Schritt einen IPO auch in einem europäischen Heimatmarkt zu forcieren.

Aktuell wird nicht nur im Zusammenhang mit Börsengängen die Standortattraktivität stark diskutiert. War Abwanderung aus Europa für euch jemals ein Thema?

Aktuell noch nicht. Ich lebe sehr gerne in Österreich und sehe nicht alles nur negativ. Wir leben in einem tollen Land mit vielen Möglichkeiten, toller Infrastruktur und einigermaßen stabilen Verhältnissen. Die Verwaltung dieses Zustands wird allerdings nicht ausreichen. Es muss gestaltet werden, um den Standort attraktiv zu halten.

Bitte eine Prognose: Abhängig von den Entscheidungen, die in nächster Zeit getroffen werden – was ist das Worst- und was das Best-Case-Szenario für Europa?

Das Worst-Case-Szenario: Die EU zerfällt in unterschiedliche Lager, weil es nicht möglich war, Interessen zu alignen und die großen Hebel zu betätigen. Geopolitisch wäre das eine absolute Katastrophe!

Das Best-Case-Szenario: Die Wettbewerbsfähigkeit wird durch radikale Maßnahmen wieder hergestellt. Die Menschen spüren eine deutliche Entlastung, haben Perspektiven und glauben an eine bessere Zukunft. Europa wächst weiter zusammen und bleibt ein starker und wichtiger globaler Player.

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