03.04.2023

Faktencheck zu Nehammer: Lösen Innovationen die Klimakrise?

Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer sieht Innovationen als Schlüsselinstrument im Kampf gegen die Klimakrise. Expert:innen und der Koalitionspartner hegen Zweifel.
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(c) BKA / Andy Wenzel / Hintergrund (c) Adobe Stock / luschenF

Schluss mit dem Artensterben. Schluss mit dem Extremwetter. Einfach: Schluss mit dem Klimakrise. Die Menschheit eint das gemeinsame Ziel die Klimaerhitzung und seine Auswirkungen im Zaun zu halten. Über die Art und Weise, wie die Mammutaufgabe des 21. Jahrhunderts bewältigt werden soll, herrscht hingegen weitaus weniger Einigkeit unter den Verantwortungsträger:innen. Auch in der österreichischen Bundesregierung spießt es sich. Die türkis-grüne Koalition, die 2020 „das Beste aus beiden Welten“ versprach, reibt sich zunehmend an der Frage, wie diese Welt zu retten ist.

Die Technologie, die sie meinen

Es ist ein beliebtes Argument hauptsächlich konservativer Politiker: Innovation und neue Technologien seien der Weg aus der Klimakrise. Statt über, bei der Bevölkerung unbeliebte Themen, wie Tempo 100, Kerosinsteuern oder Energiewende, zu sprechen, wird der Innovationsgeist beschworen. Mit Fortschritt aus der Klimakrise – so die Idealvorstellung. Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz meinte im Juli 2021 noch, dass der „einzig richtige Zugang ist, auf Innovation und Technologie zu setzen”.

Sein nach-Nachfolger Karl Nehammer stieß in ein ähnliches Horn. Im Zuge des E-Fuels-Kompromisses zwischen Deutschland und der EU meinte Nehammer: „Klimaneutralität kann nur Hand in Hand mit technologischem Fortschritt und Innovation erreicht werden“. Auf brutkasten-Nachfrage, ob die Klimakrise also ohne Verzicht bewältigbar wäre, blieb man im Bundeskanzleramt unkonkret: “Wir richten unseren Blick optimistisch in die Zukunft, dabei vertrauen wir auf Innovation und Technologie”.

Der Weltklimarat hingegen beurteilt die Rolle von Innovation folgendermaßen: “Innovation und technologischer Wandel werden nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Änderungen sind im gesamten Produktions- und Konsumsystem sowie in der Gesellschaft erforderlich – einschließlich Verhaltensänderungen.”

Nehammer sieht neben E-Fuels auch grünen Wasserstoff aus Marokko sowie CO² abscheidende Verfahren als Schlüsselinstrumente im Kampf gegen den Klimawandel. E-Fuels sollen verkürzt erklärt aus erneuerbaren Energien hergestellt werden und als Antriebsart für Fahrzeuge, ohne zusätzliche Emissionen zu verursachen, herhalten. Der grüne Wasserstoff aus Marokko wäre bei der Produktion von E-Fuels eine wichtige Ressource.

Nehammer setzt auf E-Fuels

Mit Vollgas aus der Klimakrise will Nehammer vor allem mit E-Fuels kommen. So zeigte sich der Kanzler zuletzt über die Einigung der EU und der deutschen Bundesregierung, dass diese nun vom Verbrenner-Verbot ausgenommen sind, erfreut. Befürworter:innen von E-Fuels erhoffen sich von den synthetischen Kraftstoffen eine klimaneutrale Alternative zu herkömmlichen Treibstoffen. Auch Nehammers Parteikollegen sehen in E-Fuels die Zukunft der Mobilität. ÖVP-Verkehrssprecherin Barbara Thaler etwa, sagt: “Ein Auto mit einem österreichischen Motor, betrieben mit E-Fuels aus Dänemark oder Biokraftstoffen aus Österreich hilft dem Klima mehr, als ein E-Auto aus China betrieben mit deutschem Kohlestrom”.

Expert:innen beurteilen die Anwendung des Kraftstoffs im Individualverkehr als ineffizient. Wie bei jeder Energieumwandlung gehe auch bei der Umwandlung von Wasserstoff in synthetischen Treibstoff Energie “verloren”. Günter Pauritsch von der österreichischen Energieagentur rechnet bei E-Fuels mit einem Energieverlust von rund 85 Prozent “Da wird unnötig Energie verbraucht und das nur dafür, dass ich mit Zwang versucht habe, einen Verbrennermotor zu fahren.”

Zur Sache:

Laut Berechnungen des Umweltbundesamtes zählt der Verkehrssektor zu den Hauptverursachern für Treibhausgas-Emissionen. Seit 1990 haben die Treibhausgase im Verkehrssektor um 52 Prozent zugenommen. Derzeit liegt der Anteil an CO²-Emmissionen, die durch den Verkehr in Österreich verursacht werden, bei rund 25 Prozent.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) hat sich ebenfalls mit dem neuen Kraftstoff beschäftigt. Zwar sollten E-Fuels als Lösung nicht ausgeschlossen werden, jedoch muss man bei der Diskussion auch den Blick auf das Preisschild werfen. WIFO-Ökonom Franz Sinabell sieht die Kosten von E-Fuels derzeit als unerschwinglich an.

Dabei merkt der Experte aber an, dass E-Fuels in einigen Bereichen einen wichtigen Beitrag zur Emissionsreduktion leisten können. Jedoch nur in jenen, wo keine effizienten Alternativen verfügbar wären, beispielsweise im Flugverkehr, in der Schifffahrt oder Oldtimer-Rallys. Für den täglichen Individualverkehr wären jedoch E-Autos die bessere Alternative.

Auch das grün-geführte Klimaministeriums sieht E-Fuels im größeren Maßstab als wichtigen Beitrag zur Verkehrswende in den Bereichen, wo es keine Alternativen gibt. Die gegenwärtige Diskussion sei jedoch mehr eine Scheindebatte. Für den Individualverkehr sei klar, dass E-Fuels weder leistbar sind, noch in ausreichenden Mengen produziert werden können.

Schmutziges Geschäft mit grünem Wasserstoff

Österreich und die EU haben als Reaktion auf den horrenden Preiszettel zuletzt einen Energie-Export als Plan präsentiert und dabei den Fokus auf Marokko gerichtet. Sich das nordafrikanische Königreich als Vorbild in der Energieversorgung zu nehmen, scheint mit Blick auf die Zahlen ein guter Plan zu sein. Laut der NGO Climate Action Tracker ist Marokkos Klimapolitik fast mit dem angepeilten 1,5-Grad-Ziel vereinbar – Österreich und andere europäische Staaten sind davon Lichtjahre entfernt.

Die geplante Abhängigkeit von Marokko hat jedoch einen Haken. So ist der nordafrikanische Staat von einer Demokratie ähnlich weit entfernt, wie Österreich vom Erreichen der Klimaziele. Marokko wird von König Mohammed VI. regiert, der trotz konstitutionell-monarchischen System realpolitisch nahezu absolut herrscht. Dabei läuft Österreich und Europa abermals Gefahr sich neuerlich von einem autokratisch-regierten Staat abhängig zu machen.

Die jüngsten Erfahrungen mit Russland zeigen dabei jedoch die Gefahr von derartigen Schritten. Aktuell ist aber ohnehin unklar, wann Marokko in der Lage ist grünen Wasserstoff nach Europa zu liefern. Im Jahr 2021 sind die österreichischen Exporte in den autokratischen Staat bereits um 37,7 Prozent auf 179,9 Millionen Euro gestiegen. Wann Marokko in der Lage ist grünen Wasserstoff nach Europa zu liefern, ist aber ohnehin noch nicht abschätzbar.

Nicht massentaugliche Verfahren

Gestiegen ist in den vergangenen Jahren bekanntermaßen auch der CO²-Ausstoß. Der Treibhausgasausstoß im Jahr 2022 war global der höchste der Geschichte, auch in Österreich. Um dem entgegenzuwirken, spricht sich Nehammer für Technologien aus, die CO² wieder aus der Atmosphäre abscheiden können.

Tobias Pröll, Professor für Energietechnik und Energiemanagement an der Boku Uni Wien. meint dazu: “Die Abscheidung und geologische Speicherung von CO² von relevanten Punktquellen (chemische Industrie, Zementindustrie, Eisen- und Stahlindustrie) ist unumgänglich, wenn man die Klimaziele erreichen will”. Skandinavische Staaten würden auf die Technologien bereits setzen.

Nehammer blieb in seinen Ausführungen zum Thema unkonkret und reagierte auch auf brutkasten-Nachfrage nicht, welche konkrete Technologie er im Sinn hat. Die bekanntesten sind derzeit das DAC (direct air capture) und CCS (carbon capture and storage)-Verfahren. Dabei gebe es laut Pröll einen entscheidenden Unterschied. Bei CCS wird CO² aus Industriegasen oder Verbrennungsabgasen abgeschieden, bei DAC geschieht die Abscheidung “in einem Aufwaschen” aus der Umgebungsluft.

Das letztere System ist demnach um das fünf- bis zehnfache energieaufwändiger und zur Lösung unserer Klimakrise “absolut ungeeignet”, so Pröll. In kleineren Maßstäben sei jedenfalls das CSS-System Teil der Lösung der Klimakrise, andere Maßnahmen ersetzen kann doch diese Technologie laut dem Experten nicht. “Oft wird suggeriert die Technik wird das Problem lösen. Das ist aber ein Trugschluss. Denn diese Technologien sind sehr ineffizient beziehungsweise energieaufwendig”, gibt Pröll zu bedenken.

Koalitionsklima vs. Weltklima

Vonseiten des grünen Koalitionspartner werden die Ansagen vom Bundeskanzler skeptisch wahrgenommen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es aus grünen Kreisen gegenüber brutkasten, dass die ÖVP dabei bewusst auf eine Verzögerungstaktik setze. Das Beschwören der Innovationskraft der Technologie, die in der Zukunft zum Retter werden soll, sei eine gern genutzte Ausrede, aktuell keine Maßnahmen zur Beschränkung des Klimawandels zu setzen. Anstatt über derzeit nicht realisierbare und teils ineffiziente Technologien zu debattieren, brauche es klare Ziele, die man verfolgen muss.

Die Dekarbonisierung der Industrie nimmt dabei einen wichtigen Teil auf der grünen Agenda ein. Dafür sehe die Wasserstoffstrategie der Regierung auch gezielt den Einsatz von grünem Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien vor. In geringen Mengen könnte dieser auch in Österreich produziert werden – klar sei aber auch, dass es Importe brauchen würde.

Entsprechende Projekte gäbe es etwa bereits in Dänemark. Handelsbeziehungen würden sich aber erst im Aufbau befinden. Im Verkehrssektor sei nachweislich die E-Mobilität die Zukunft. Technologien, die CO² abscheiden und wieder in den Produktionskreislauf zurückführen, hätten ebenfalls Potential – jedoch für einzelne Teile der Industrie und nicht für das gesamte Land. Die Pläne des Kanzlers dürften dem Koalitionsklima also nicht schaden, dem Weltklima hingegen schon.

Info: Dieser Text wurde gemeinsam von Sandra Czadul & Tobias Kurakin verfasst.

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Gründer Oskar Smrzka (vordere Reihe, links) (c) LISAvienna

Das Unternehmen rund um Gründer und Forscher Oskar Smrzka setzt auf eine Lösung für ein bekanntes Problem: Die wiederholte Anwendung von Biologika kann Immunreaktionen auslösen, bei denen Anti-Arzneimittel-Antikörper (ADAs) entstehen. Diese beeinträchtigen die Wirksamkeit der Medikamente erheblich.

Ablevia biotech GmbH, mit Sitz in Wien, entwickelte Therapeutika, um solche unerwünschten und krankheitsauslösenden Antikörper gezielt zu entfernen. Für ihren Beitrag zur Verbesserung des Gesundheitssystems erhielt das Startup am Samstag den Innovation Prize von Boehringer Ingelheim.

Unterstützung von Life-Science-Unternehmen

Der Boehringer Ingelheim Innovation Prize würdigt die Herausforderungen und das Engagement, die mit der Gründung eines neuen Unternehmens verbunden sind. Ziel der Auszeichnung ist es, den Innovationsprozess zu fördern und herausragende Life-Science-Unternehmer zu unterstützen.

Guido Boehmelt, Leiter von Research Beyond Borders bei Boehringer Ingelheim Wien, sagt zur Auszeichnung: „Ablevia ist ein hervorragendes Beispiel für die Art anwendungsorientierter Forschung, die wir damit gerne unterstützen. Sie haben einen verblüffend innovativen Ansatz ausgearbeitet, der ein sehr wichtiges Problem grundlegend lösen könnte, welches häufig bei der Entwicklung und klinischen Anwendung von therapeutischen Biologika auftritt. Die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten dieses Ansatzes, die von Ablevia mit überzeugenden Daten untermauert wurden, hat die Jury beeindruckt“.

Im Rahmen der Auszeichnung stellt Boehringer Ingelheim dem Startup kostenfreie Büro- und Laborflächen sowie Mentoring-Programme zur Verfügung. Diese Unterstützung bietet Ablevia „wertvolle Ressourcen, um seine vielversprechenden Ansätze weiterzuentwickeln“, heißt es in der Aussendung.

Entwicklung von Medikamenten im Fokus

Der Boehringer Ingelheim Innovation Prize entstand im Jahr 2015 in Boston. Er verfolgt das Ziel, das Wachstum junger Unternehmen zu fördern und ihnen zu ermöglichen, sich auf die Entwicklung bahnbrechender Medikamente zu konzentrieren. Seit 2020 wird dieser renommierte Preis auch in Österreich verliehen. Weltweit wurden seither über 20 Unternehmen mit Preisen im Gesamtwert von mehr als 1 Million US-Dollar ausgezeichnet.

Oskar Smrzka, Gründer von Ablevia, zeigte sich dankbar für die Anerkennung: „Wir sind davon überzeugt, dass unser Ansatz der selektiven und schnellen Entfernung von schädlichen und unerwünschten Antikörpern den Patientinnen und der Wissenschaft in vielen therapeutischen Bereichen dienen kann: von der präklinischen Prüfung menschlicher Biotherapeutika im Tierversuch bis hin zur Behandlung seltener Krankheiten und Krebs. Das Unternehmen widmet sich der kontinuierlichen Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit von Biotherapeutika für Patientinnen, die mit ADA-Problemen konfrontiert sind, sowie den Bemühungen, den Zugang zur Gentherapie zu verbessern“.

Ablevia entwickelt SADC-Technologie

Das 2018 gegründete Startup Ablevia spezialisiert sich auf präklinische Forschung und Entwicklung. Gemeinsam mit Co-Founder Christof Paparella entwickelte Oskar Smrzka peptidbasierte Verbindungen namens SADC (Selective Antibody Depletion Compounds). Diese ermöglichen es, schädliche Antikörper gezielt zu entfernen, ohne dabei das Immunsystem zu beeinträchtigen. Ziel des Unternehmens ist es, ein therapeutisches Verfahren zu etablieren, das krankheitsverursachende und medikamentenneutralisierende Antikörper schnell und präzise beseitigt.

Das Startup erhielt private Investitionen durch Bundesinstitutionen, die Ablevia dabei unterstützten, seine “SADC-Technologie und Unabhängigkeit in der frühen Seed-Phase aufzubauen”. Ablevia erhielt in der Vergangenheit Förderungen von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und der Wirtschaftsagentur Wien. Darüber hinaus wurde es durch eine Seed-Finanzierung der österreichischen Förderbank aws unterstützt.

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