20.12.2022

E-Commerce-Trends 2023: VR und BNPL in Bredouille – Headless Commerce auf dem Vormarsch

Gastbeitrag. Annett Polaszewski-Plath erklärt die Entwicklungen des E-Commerce und gibt einen Ausblick auf künftige Trends.
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(c) underpressure - Annett Polaszewski-Plath ist seit März 2022 Managing Director für die DACH-Region beim Finanzdienstleister Mollie.

Annett Polaszewski-Plath ist seit März 2022 Managing Director für die DACH-Region beim Finanzdienstleister Mollie. Die Digitalexpertin ist für die strategische Ausrichtung und das Wachstum des Unternehmens in Deutschland, Österreich und der Schweiz zuständig. In ihrem Gastbeitrag durchleuchtet sie die E-Commerce-Trends 2023, gibt Tipps zum Online-Shopping-Segment und arbeitet heraus, warum “Headless Commerce” die Zukunft sein könnte.


Das Jahr geht zügig dem Ende entgegen und viele werden sich dabei denken: Endlich ist es so weit! Denn es machte den Eindruck, als ob 2022 einen neuen Rekord für schlechte Nachrichten aufstellen wollte.

E-Commerce im Einbruch

So geriet sogar der Onlinehandel ins Stocken, der sich in den vergangenen Jahren ausschließlich im Wachstum befand und Rekord um Rekord brach. Die Einbrüche waren deutlich: Laut Zahlen des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel (bevh) verzeichnete etwa das E-Commerce-Segment in Deutschland im dritten Quartal 2022 rund 11 Prozent weniger Umsätze im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Der Konsumklima-Index der “Gesellschaft für Konsumforschung” (GfK) fiel im Oktober bis auf erschreckende -42,8 Punkte und damit auf einen historischen Tiefstand.

Die minimale Steigerung im November und Dezember ist noch lange kein Grund, in Jubel auszubrechen, denn auch die Reaktionen auf die Umsätze am Black Friday und während der “Cyber Week” fielen auf dem deutschen Markt äußerst gemischt aus und lassen sich bestenfalls als ‘verhalten’ zusammenzufassen.

In der Schweiz ergab sich ein ähnliches Bild: Dort gingen die Umsätze im Onlinehandel im ersten Halbjahr laut einer Studie um gut 6 Prozent zurück (im Vergleich zu 2021). In Österreich sah es zumindest bis Ende April hoffnungsvoller aus – dort konnte ein Plus von acht Prozent im Vorjahresvergleich erzielt werden.

Insbesondere kleine und mittelständische Onlinehändler mussten und müssen sich nicht nur gegen die Platzhirsche wie z.B. Amazon und deren zigfach größeren Marketingbudgets behaupten, sondern gleichzeitig mit überschaubaren Mitteln innovative Wege gehen, damit Umsätze gehalten und optimalerweise gesteigert werden. Umso wichtiger ist es, den Blick optimistisch nach vorne zu richten und zu definieren, mit welchen konkreten Maßnahmen diese Herausforderungen zu meistern sind und welche Trends Onlinehändler auf jeden Fall in Betracht ziehen sollten.

Headless Commerce wird sich weiter durchsetzen

Bereits in diesem Jahr wuchs der Hype rund um “Headless Commerce“, aber der große, breitflächige Durchbruch ist für 2023 zu erwarten. Der größte Vorteil: Dieser Ansatz steht für Agilität und Flexibilität. Denn das Backend ist dabei vom Frontend getrennt, sodass der Onlineshop den unterschiedlichen und oftmals wechselnden Kundenbedürfnissen angepasst werden kann, ohne dass die gesamte Plattform zu massiven Kosten generalüberholt werden muss.

Neben der Flexibilität gewinnen Onlinehändler dadurch enorm an Unabhängigkeit von statischen E-Commerce-Ökosystemen und sie sind nicht mehr an die dort herrschenden Beschränkungen hinsichtlich individueller Optimierung und weiterem Wachstum gebunden.

Um den Wechsel zu Headless erfolgreich vollziehen zu können, sollte im Unternehmen jedoch eine umfassende technische Expertise gegeben sein, denn die Betreuung des Systems ist ressourcen-intensiver. Und nur weil es als Trend ausgerufen wird, bedeutet es nicht, dass es die passende Lösung für alle ist: Kleineren Betrieben ist es eher zu empfehlen, auf Paketlösungen und voll funktionstüchtige Integrationen zurückzugreifen.

VR und AR verlieren drastisch an Momentum

Erinnern wir uns exakt ein Jahr zurück, war von vielen Seiten zu vernehmen, dass 2022 das Durchbruchsjahr schlechthin von Virtual Reality und Augmented Reality im Shopping-Kontext werden würde. Die Aufregung war groß und die Anbieter hegten große Hoffnungen, in den Massenmarkt vorzustoßen.

Die inflationsbedingten, in die Höhe geschossenen Lebenshaltungskosten machten dem Ganzen jedoch einen Strich durch die Rechnung. Denn: Die Kundinnen und Kunden hatten schlichtweg nicht die finanziellen Mittel, die benötigte Hardware anzuschaffen. Einzig und allein die größten und kapitalstärksten Onlinehändler werden im kommenden Jahr die Angebotsentwicklung in diesem Bereich vorantreiben und weiter investieren. Kleinere Unternehmen müssen das vorhandene Kapital zielgerichtet dort einsetzen, wo kurzfristig Umsätze erzielt werden können und nicht erst Überzeugungsarbeit gegenüber den Konsumentinnen und Konsumenten geleistet werden muss.

Unterschiede zwischen physischem und virtuellem Shopping-Erlebnis verschwimmen zunehmend

“Click & Collect” und “Soft POS” sind nur zwei Beispiele, die verdeutlichen, wie sich das Verständnis von Shopping grundlegend verändert und vor allem die Unterschiede und Grenzen zwischen physischem und virtuellem Einzelhandel immer irrelevanter werden.

Die digitalen Neuerungen und Möglichkeiten haben einen gewissermaßen hybriden Raum geschaffen, in dem die Konsumentinnen und Konsumenten mittlerweile ihren Bedürfnissen entsprechend online oder eben vor Ort im physischen Geschäft einkaufen.

Laut einer aktuellen Studie ist das Online-Shopping vor allem mit der Eigenschaft “Convenience” verknüpft. Das “Instore-Erlebni” dreht sich dagegen hauptsächlich um die Haptik, den direkten Kontakt zum Produkt.

Wir sind noch nicht ganz an der Verwirklichung der Omnichannel-Traumwelt angelangt, aber 2023 wird uns diesem Zustand ein gutes Stück näher bringen. Je nachdem, ob Onlinehändler ergänzend über ein physisches Geschäft verfügen oder eben nicht, sollten sie ihre Strategie für die Kundengewinnung und -retention nochmals grundlegend auf die Stringenz hinsichtlich der Vorteile für den jeweiligen Kanal überprüfen.

E-Commerce: Für BNPL wird es ein kompliziertes Jahr

In zahlreichen europäischen Märkten konnte die Zahlungsmethode Buy Now, Pay Later (BNPL) große Zuwächse verzeichnen. So auch in Deutschland, aktuellstes Beispiel dafür ist der diesjährige Black Friday: Die Datenauswertung von Mollies Kunden ergab, dass die mit BNPL erzielten Umsätze im Vergleich zum Vorjahr um 187 Prozent gestiegen sind.

Doch auch hier sind solche Ausschläge nach oben mit Blick auf 2023 mit Vorsicht zu genießen: Zunächst ist davon auszugehen, dass ein wachsender Anteil der Konsumentinnen und Konsumenten BNPL nutzen wird – schlichtweg aus dem Grund, die Finanzen während der anhaltend schwierigen Zeiten besser zu managen. Staatlichen Behörden wird diese Entwicklung nicht entgehen, gesetzliche Einschränkungen, um vermehrte Verschuldungen zu vermeiden, sind denkbar.

Gleichzeitig werden BNPL-Anbieter bemerken, dass ihr Preismodell dem wirtschaftlichen Abschwung möglicherweise nicht standhält, sie dadurch gezwungen sind, die Kosten für Onlinehändler zu erhöhen.

Zahlungsausfälle werden höchstwahrscheinlich zunehmen, mehr BNPL-Anträge werden abgelehnt. Umso wichtiger ist es im kommenden Jahr, dass Onlinehändler sich hinreichend damit beschäftigen, welche Zahlungsmethoden nebst BNPL für ihren Markt, für ihre Zielgruppe ein Muss sind. Denn hat man diese nicht im Portfolio, läuft man Gefahr, verstärkt mit Kaufabbrüchen konfrontiert zu werden.

Der Europäische E-Commerce Report von Mollie fand heraus, dass 48 Prozent der Deutschen ihren Einkauf nicht abschließen, wenn die bevorzugte Zahlungsmethode nicht angeboten wird; bei den Österreichern sind es sogar 58 Prozent.

Fazit: 2023 wird taff, aber mit den angemessenen Optimierungen zum Erfolg

Aufgrund der in den kommenden Monaten voraussichtlich anhaltenden Inflation und gleichzeitig aufkommender Rezession ist es keine überraschende Vorhersage, dass Konsumentinnen und Konsumenten an vielerlei Stellen ihre Ausgaben weiter zurückfahren werden – auch beim Onlineshopping.

Deshalb wird 2023 ähnlich herausfordernd wie 2022 für den E-Commerce-Sektor werden. Onlinehändler werden um jeden einzelnen Verkauf kämpfen müssen. Damit dies nicht in eine “Mission Impossible” ausartet, sollte ein großer Fokus auf Optimierungsmaßnahmen gelegt werden.

Das bedeutet konkret, dass z.B. die Marketingverantwortlichen ihre Budgets smart einsetzen, möglichst Multi-Touchpoint-Kampagnen fahren sollten (Kombination verschiedener SoMe-Kanäle, Newsletter, dezidierte Landingpages für Sonderaktionen, etc.) und nicht ihr Geld in Google Ads verbrennen, da es utopisch ist, dort mit den Platzhirschen Stand zu halten.

Des Weiteren sollte der Checkout-Prozess genauestens unter die Lupe genommen werden: Läuft dieser reibungslos? Werden alle auf dem jeweiligen Markt bevorzugten Zahlungsmethoden angeboten? Können Kundinnen und Kunden per One-Click-Verfahren vor allem beim immer beliebter werdenden Mobile Shopping ihren Einkauf in kürzester Zeit abschließen?

Außerdem empfehle ich die Logistikprozesse zu überprüfen, denn eine schnelle und kostengünstige Lieferung ist für viele das Zünglein an der Waage, ob sie einen erneuten Einkauf in Betracht ziehen.

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brutkasten-Gründer und CEO Dejan Jovicevic beim 10-jährigen Jubiläum im Dezember. (c) brutkasten/Marko Kovic

Dieses Interview ist im brutkasten-Printmagazin von Dezember 2024 erschienen. Eine Download-Möglichkeit des gesamten Magazins findet sich am Ende dieses Artikels.


brutkasten: Wie kam es 2014 zur Gründung von brutkasten?

Dejan Jovicevic: Ich war im Styria-Konzern bei „Presse“ und „Wirtschaftsblatt“ und habe dort die Rechts- und Personalabteilung geleitet. Da kam einmal Christoph Hantschk, der Gründer des Startups goodbag, auf mich zu. Er wollte eine klassische Medienkooperation mit mir vereinbaren, bei der wir 20 Abos verlost hätten. Im Zuge unserer Gespräche dazu hat mich dieser Startup-Spirit fasziniert, den ich so bisher nicht kannte.

Meine ursprüngliche Idee war, dass wir mit „Presse“ und „Wirtschaftsblatt“ für Startups Leistungen erbringen könnten, z.B. das Controlling oder Legal-Themen. Ich wollte einfach irgendwie dabei sein. Ich habe dann gesehen, dass die Styria an einem Startup von Lorenz Edtmayer und Maximilian Nimmervoll beteiligt war, das App-Entwicklung angeboten hat. Die Leistung wollte ich ebenfalls dabei haben und habe dann Kontakt zu Lorenz aufgenommen.

Da hat sich dann herausgestellt, dass er gerade eine Job-Plattform für Startups plant. Für die Job-Plattform hat es Content gebraucht. So haben wir dann gemeinsam brutkasten konzipiert.

Wie ging es in die Umsetzung?

Ich habe von „Presse“ und „WirtschaftsBlatt“ dann die Zusage bekommen, dass wir das umsetzen können. Wir haben eine Website gestartet, mit internen Ressourcen der Styria. Die Styria hat parallel auch einen internen Inkubator für Innovation ausgeschrieben. Dort habe ich brutkasten als Projekt eingereicht. Es wurde als eines der fünf Siegerprojekte von rund 100 Einreichungen ausgewählt. In weiterer Folge konnten wir dann auch die ersten Leute einstellen. Unsere erste Redakteurin war Theresa Breitsching, die ab Ende 2014 Vollzeit für brutkasten gearbeitet hat.

Du selbst hast aber noch nicht Vollzeit an brutkasten arbeiten können?

Nein, ich habe das alles neben der Leitung der Rechts- und Personalabteilung gemacht. Ich war aber noch weit entfernt von dem Unternehmer, der ich heute bin; der weiß, wie man eine Firma aufbaut. Damals war es mehr Enthusiasmus und weniger Wissen. Wir haben dann unsere ersten internen Business Angels gewonnen, „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und WirtschaftsBlatt-Chefredakteurin Eva Komarek.

Wir hatten damals zwei Seiten pro Woche in der „Presse“-Printausgabe vom Samstag, und zusätzlich haben wir brutkasten eben online bespielt. Das hat damals Theresa Breitsching weitgehend alleine gemacht. Ich habe meinen Hauptjob gehabt und immer wieder daneben was für brutkasten gemacht. Ich konnte aber aus dieser Management-Rolle nicht ganz raus, und das hat dann 2017 zum Buyout geführt. Den haben Lorenz Edtmayer, Maximilian Nimmervoll, Michael Tillian und ich dann gemacht. So wurde brutkasten ein eigenständiges Unternehmen.

Dejan Jovicevic machte 2017 den Management-Buy-out gemeinsam mit Lorenz Edtmayer, Michael Tillian und Maximilian Nimmervoll (v.l.n.r).

Hattest du früher schon die Vorstellung, dass du eines Tages Unternehmer werden möchtest, oder ist das durch deine Beschäftigung mit der Startup-Szene entstanden?

Weder noch. Wir sind gemeinsam mit „Presse“ und „WirtschaftsBlatt“ zu dem Entschluss gekommen, dass brutkasten als eigenes Unternehmen bessere Chancen hätte. Aber ich bin nicht einmal durch meine Beschäftigung mit der Startup-Szene auf die Idee gekommen, zu gründen: Ich war eigentlich an einem Karriereweg im Konzern interessiert. Und dann ist mir das passiert.

Als ich es meinem Mentor Michael Tillian erzählt habe, hat er mir gesagt: Dejan, das musst du machen – denn so eine Opportunity kriegst du nicht wieder.

Wie lange hat es gedauert, bis es dann Realität wurde?

Die Verhandlungen liefen noch acht Monate. Parallel dazu habe ich meinen ersten Sohn bekommen, im Dezember 2016. Im Mai 2017 waren die Verhandlungen abgeschlossen. Die Zeit bis dahin war eine brutale Phase, mit wenigen Stunden Schlaf pro Nacht. Ich habe ja noch immer meinen Hauptjob in der Styria gehabt und das parallel verhandelt. Die Verhandlungen waren sehr fair und ich bin der Styria dankbar, dass sie mir diese Möglichkeit gegeben hat.

Wie lief dann der Start als eigenes Unternehmen?

Der Deal war, dass wir den gesamten Betrieb übernehmen. Das waren damals fünf Leute und wir hatten keine Investoren, die uns finanziert haben. Wir hatten damals kein Geld. Die ersten Gehälter habe ich aus dem Stammkapital bezahlt. Mir selbst habe ich nichts ausbezahlt. Für die zweiten Gehälter haben wir dann schon Geld verdienen müssen. Das war eine brutale Phase. Wir waren 24/7 im Einsatz.

Du hast erzählt, dass du in der Anfangszeit von brutkasten gar nicht so stark ins Daily Business involviert warst. Wann hast du begonnen, selbst Content zu produzieren?

Das ist mit den Facebook-Livestreams gekommen. Das wollte ich unbedingt als First Mover machen. Diese Facebook-Livevideos haben uns dann auch den größten Boost gegeben – wir haben überallhin das Handy mitgenommen, Stative aufgebaut und von überall gestreamt. Das war damals neu und ist super angekommen. In dieser Phase hatten unsere Videos oft 10.000 Views und viele Kommentare.

Wie ging es für das Unternehmen brutkasten wirtschaftlich weiter? Wie kam es zur ersten Finanzierungsrunde im Jahr 2018?

Wir sind nach dem Buyout weiter gewachsen. Die ersten beiden Jahre haben wir operativ positiv abgeschlossen. Wir haben eine ordentliche Sogwirkung gespürt. Das hat dazu geführt, dass uns die ersten Investoren angesprochen haben. Wir hatten einfach Buzz erzeugt, weil ständig Gründer bei uns in den Livestreams waren.

Und dann hat mich einmal Runtastic-Co-Founder Florian Gschwandtner bei einem Drink angesprochen, dass wir uns bei ihm melden sollten, wenn wir mal Investoren suchen sollten. Unsere Eigentümerstruktur hatte sich da schon etwas verändert: Michael Tillian ist zur Russmedia gewechselt und hat, um Interessenskonflikte zu vermeiden, dort seinen 15-Prozent-Anteil eingebracht. Von Russmedia gab es dann ebenfalls die Bereitschaft, in brutkasten zu investieren, um eine Expansion auf den deutschen Markt zu finanzieren.

Über Kontakte und WhatsApp-Nachrichten hatten wir plötzlich eine 1,25-Mio.-Euro-Finanzierungsrunde aufgestellt. Andreas Bierwirth und die mySugr-Gründer waren auch mit dabei. Dann hatten wir noch ein brutkasten-Interview mit den Bitpanda-Gründern Eric Demuth und Paul Klanschek. Nach dem Interview hatte ich einen Notartermin, und als sie erfahren haben, warum, wollten sie ebenfalls einsteigen.

Du hast eindrücklich geschildert, wie wenig Geld am Anfang da war. Dann hast du plötzlich 1,25 Mio. Euro am Konto gehabt. Wie war das für dich in dem Moment?

Da konnte ich zum ersten Mal ein bisschen durchatmen. Gleichzeitig ist es jedoch so, dass so ein Betrag zwar nach einer hohen Summe klingt, aber 500.000 davon haben wir dann für die Akquisition von StartingUp verwendet – einiges für den Kaufpreis, aber da kommen ja noch eine ganze Reihe anderer Kosten, etwa für Anwälte, dazu. Beim Rest hast du dann monatlich gesehen, wie es weniger wird. Wir haben ja auch ins Team investiert.

Gleichzeitig haben wir aber unseren Umsatz gesteigert. Es war keine zweite Finanzierungsrunde nötig, weiteres Wachstum haben wir dann über Fremdkapital finanziert.

In der Coronapandemie entstand dann mit den digitalen Events ein neuer Geschäftsbereich …

Das hat uns einen Boost gegeben, das war ein wichtiger Meilenstein mit wirklich coolem Wachstum. Wir waren lange Zeit ganz klar als Medium positioniert; auf einmal war das Agentur-Business megaerfolgreich. Das war aber eine opportunistische Situation, kein Ergebnis eines langen Strategieprozesses. Es war im ersten Corona-Lockdown einfach überlebensnotwendig, sich etwas anderes zu überlegen.

Manche haben mir zu Kurzarbeit geraten, ich habe mich aber für „Langarbeit“ entschieden. Ich habe gewusst, es wird uns etwas einfallen – und das waren die digitalen Events. Wir waren dann sehr gefragt, weil wir ein Must-have-Produkt hatten. Wir haben diese Dinge eben auch viel schneller gelernt als Agenturen, die auf Kurzarbeit waren. Das digitale Event-Business hat uns viele Aufträge gebracht und für Wachstum gesorgt.

Manche haben mir zu Kurzarbeit geraten, ich habe mich aber für „Langarbeit“ entschieden.

Aber wir haben schon auch gelernt, dass unsere mediale Tätigkeit darunter leidet. 2021 war ein starkes Wachstumsjahr für uns: Wir haben in diesem Jahr über 20 Personen eingestellt und das „Venture Capital Magazin“ in Deutschland gekauft. Damit haben wir den Sprung auf rund 50 Mitarbeiter:innen gemacht.

Aus damaliger Sicht war das nachvollziehbar, weil die Prognosen auf starkes Wirtschaftswachstum hindeuteten. Man hat auf den Aufbruch nach der Pandemie gewartet, und dafür haben wir uns aufgestellt. Ich wollte vorne dabei sein, wenn der Aufschwung kommt. Dann ist es aber anders gekommen – mit dem Ukraine-Krieg, der am 24. Februar 2022 begonnen hat.

Wie hat sich das ausgewirkt?

Im Jänner und Februar war die Wirtschaft noch total im Aufbruch und wir hatten Aufträge, bei denen es um größere Summen ging als jemals zuvor. Dann kamen die Wirtschaftskrise, Inflation, die Venture-Capital-Krise und die ersten großen Layoffs in der Startup-Szene. Das hat uns auch vom Werbemarkt her getroffen. Das Geschäft mit den digitalen Events ist dann gravierend eingebrochen. Die Rezessionsangst in der Wirtschaft war sehr hoch. Eine Firma unserer Größe ohne Cashreserven konnte in so einem Umfeld nicht mehr überleben, auch wenn wir zwischenzeitlich eine Erholung geschafft haben. Das hat dann in einer Notoperation zum Verkauf an die VGN-Gruppe geführt.

Mit dem Deal wurde die VGN neue Mehrheitseigentümerin, du selbst hast die Mehrheit abgegeben. Wie war das für dich?

Es ging alles sehr schnell. Plötzlich standen wir vor dem Aus. Ich habe über tausend unterschiedliche Optionen nachgedacht. Das war eine Phase, in der ich jede Nacht um vier Uhr aufgewacht bin. Für mich persönlich war es die transformativste Phase meines Lebens, im Nachhinein auch im positiven Sinn.

Es hat sich schnell herausgestellt, dass die VGN die einzige Möglichkeit in der notwendigen Geschwindigkeit war. Gemeinsam mit Horst Pirker haben wir mit den Altinvestoren eine für alle gangbare Lösung gefunden. Für mich war es essenziell, auch mir selbst die Frage zu beantworten: Habe ich noch die Kraft, das die nächsten zehn Jahre weiterzumachen? Will ich das? Sehe ich noch die Vision? Und ich bin zum Schluss gekommen: Ja, das möchte ich. Ich habe tatsächlich in meine Kraft zurückgefunden, durch den radikalen Fokus auf die einzige Aufgabe: den Fortbestand von brutkasten zu sichern.

Wir konnten die Restrukturierung dann sehr gut bewältigen. Über den Sommer haben wir strategisch gearbeitet und Klarheit gewonnen. Dann sind wir mit gutem Elan und vielen Hausaufgaben in den Herbst hineingegangen, und wir haben die folgenden 18 Monate bravourös gemeistert; das gesamte Team. Heute stehen wir nach all diesen Erfahrungen mit einer strategischen Klarheit da, die wir nie hatten, mit einem starken kaufmännischen Fundament und mit einem Team, das besser als je zuvor zusammenarbeitet.

Wir feiern jetzt zehn Jahre brutkasten. Wie siehst du den Beitrag, den brutkasten zum Innovations-Ecosystem leistet?

Wir haben Brücken zwischen Startups, Investoren und Corporates gebaut, Innovationen sichtbar gemacht und dem österreichischen Innovations-Ecosystem eine Stimme gegeben. Ohne uns wären viele Erfolgsgeschichten vielleicht unbemerkt geblieben.

Birthday Bash zum zehnjährigen Jubiläum von brutkasten.

Unsere Plattform hat dabei geholfen, die inspirierendsten Köpfe des Landes miteinander zu verbinden und Mut zu machen, neue Wege zu gehen. Mit unseren unterschiedlichen Formaten wie Studiotalks, dem Printmagazin oder unseren Events haben wir dafür gesorgt, dass die Innovationskraft unseres Landes die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient.

Du sprichst jetzt auch die Brückerbauer-Funktion zwischen Startups und Corporates an. brutkasten ist aus der Startup-Szene heraus entstanden, hat sich aber verbreitert und deckt mittlerweile das komplette Innovations-Ecosystem ab. Wie siehst du heute das Verhältnis zwischen brutkasten und der Startup-Szene?

Mich haben die Gründerinnen und Gründer fasziniert. Deshalb habe ich ein Medium für sie gebaut, mit allen Leuten, die den Weg seit Tag eins mitgehen. Aber schon ganz zu Beginn war unser Claim „Bridging the new and the old economy“. Das hatten wir auf der allerersten Website. Ich war von Anfang an überzeugt, dass, wenn man diese beiden Welten zusammenbringt, Startups stärker werden, weil sie Kunden, Partner und Projekte brauchen; und Corporates werden stärker, weil sie Innovation brauchen, die sie alleine nicht schaffen.

Dieser Teil des Brückenbauens hat für mich immer eine große Rolle gespielt, weil ich für die Corporate-Welt große Wertschätzung habe. Das ist letztlich die tragende Säule der Wirtschaft, und wenn man diese durch die Innovationskraft der Startups stärkt, stärkt man beide Seiten.

Ich sehe Startups auch nicht als isoliertes Phänomen – sie sind als Teil der Wirtschaft auch Garant für Wohlstand und das Sozialsystem. Dass alle zusammenarbeiten, ist mir wirklich ein Anliegen – heute mehr denn je, denn Europa muss selbstbewusster werden und die eigene Wettbewerbsfähigkeit stärken.

In diesem Kontext ist ja auch die neue brutkasten-Initiative Austrian Innovators zu sehen, die 2025 starten wird. Was steckt dahinter?

Wir brauchen die Innovationskraft, die Geschwindigkeit und den Mut von Gründerinnen und Gründern. Aber alleine werden sie die Welt nicht umkrempeln können. Da braucht es Corporates, die bereit sind, Geld zu investieren und Infrastruktur zu teilen. Es braucht Investoren und den Kapitalmarkt, der die Transformation finanziert. Und es braucht Policymaker und die Wissenschaft. Alle diese Stakeholder wollen wir zusammenbringen, aus der Überzeugung, dass wirklich große Dinge möglich werden, wenn die richtigen Leute an einem Strang ziehen.

Viele dieser Communitys, die ich jetzt genannt habe, sind untereinander halbwegs gut vernetzt, aber über den Tellerrand noch nicht so wirklich. Hier kann brutkasten als Ecosystem-Player einen Beitrag leisten, diese Akteure an einen Tisch zu bringen; in einem monatlichen Format mit digitalen Komponenten.

Wir feiern jetzt zehn Jahre brutkasten. Wo könnte brutkasten in weiteren zehn Jahren stehen?

Ich sehe brutkasten als Unternehmen, das weiter Pionierarbeit leistet und neue Standards setzt. Wir wollen nicht nur Trends folgen, sondern sie gestalten; sowohl in der Medienwelt als auch im Innovations-Ecosystem. Unsere Vision ist es, die erste Anlaufstelle für alle zu sein, die Innovation in Europa vorantreiben wollen. Mit einem starken Team, einer klaren Strategie und der Bereitschaft, uns immer wieder neu zu erfinden, sind wir bestens gerüstet, um die nächsten zehn Jahre erfolgreich zu gestalten.

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