02.07.2024
DEBATTE

Digitalisierung: Die Positionen der Parteien im Vergleich

Die Digitalisierungssprecher:innen der österreichischen Parlamentsparteien diskutierten ihre Standpunkte. In der Debatte kamen Gemeinsamkeiten und Unterschiede hervor.
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Die Digitalisierungssprecher:innen der Parteien, mit Moderatur und Gastgeber
v.l.n.r: Gerhard Deimek (FPÖ), Eva-Maria Himmelbauer (ÖVP), Markus Schaffhauser (eviden), Petra Oberrauner (SPÖ), Gerhard Deimek (FPÖ), Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) Süleyman Zorba (GRÜNE), Dejan Jovicevic (brutkasten) (c) eviden-feuersinger

„Die billigsten sind wir nicht, aber innovativ“ beschreibt Markus Schaffhauser, CEO von Eviden Austria, den Standort Österreich und leitet damit den Digitalisierungsroundtable im Wiener IZD Tower ein. Geladen waren Expert:innen zu Digtalisierung aller österreichischen Parlamentsparteien. Die offene und teils wirklich amüsante Diskussion brachte die Themenschwerpunktsetzung in der Digitalisierungsdebatte der österreichischen Parteien hervor. brutkasten gibt einen Überblick über die zentralen Standpunkte der Parlamentsparteien.

Da sind sich alle einig

Debatte zu Digitalisierung | (c) eviden-feuersinger

Abseits von Plenumsdebatten sind Politiker:innen miteinander meist ganz umgänglich. Besonders in diesen Punkten sind sich die Parteien einig:

  • Digitalisierung gehört vorangetrieben – nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Verwaltung. Die Republik Österreich hat hier digitalen Nachholbedarf
  • Die Digitalisierung ist ein schwervermittelbares Thema, es hat wenig bis kein Mobilisierungspotential und wird daher im bevorstehenden Wahlkampf wohl kein großes Thema werden. Digitalisierung muss dennoch kommunikativ begleitet werden, so der Tenor. 
  • Förderanträge sind zu kompliziert und zu aufwändig. Die österreichische Förderlandschaft muss vereinfacht werden, damit sich das Beantragen für Unternehmen rentiert. 
  • Digitalisierung ist eine Querschnittsmaterie. Sie zieht sich über mehrere Bereiche und Verwaltungsebenen und muss als solche gedacht und umgesetzt werden.

Die Unterschiede liegen in den Details

Digitalisierungsroundtable (c) eviden-feuersinger

Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung für die Parteien?

Kurzfassung: Einen großen. Für alle. Die Unterschiede aber liegen im Detail. Wo die Parteien in der Digitalisierung Probleme, Chancen und Herausforderungen identifizieren ist hier nachzulesen:

ÖVP: Digitalisierung geht nicht schneller  

Die Digitalisierungssprecherin der ÖVP, Eva-Maria Himmelbauer, sieht eine anstehende Digitalisierungsaufgabe im Infrastrukturausbau, insbesondere am Land. Stichwort: Glasfaser. Auch handfeste Tasks in der Verwaltung, wie zum Beispiel die Zusammenführung von Registern, müssten priorisiert werden. Insgesamt soll Digitalisierung die Effizienz der öffentlichen Hand steigern, damit sich Anliegen der Bürger:innen über weniger Schnittstellen bearbeiten lassen.

Die Digitalisierungssprecherin der ÖVP – jener Partei die seit 1987 fast ununterbrochen in der Regierung vertreten ist – erklärt, die Digitalisierung in Österreich gehe langsamer voran als sich so manche:r wünsche. Das liege daran, dass für alle Akte der öffentlichen Hand erst gesetzliche Grundlagen geschaffen werden müssten und Österreich als Staat gewachsen ist, daher also vieles von analog auf digital umstellen müsse. “Wir handeln uns Schritt für Schritt der Vision nahe”, so die ÖVP-Abgeordnete.

Himmelbauer kritisiert die europäischen Regulierungsbestrebungen, wie den Digital Service Act und den AI Act. Durch diese Regulierungen entstünden Dokumentations- und Prüfpflichten, die Unternehmen belasten würden. Die ÖVP steht hier also für eine geringere Regulierungsdichte in der Digitalisierung und mahnt zur Balance: “Wir dürfen unsere Innovationskraft nicht künstlich beschränken”, so Himmelbauer, die für die kommende Nationalratswahl nicht mehr kandidieren wird. Bezüglich des Balanceakts zwischen analoger und digitaler Kommunikation mit der Verwaltung ruft die ÖVP zur Wahlfreiheit auf und will rechtlich festlegen, dass Bürger:innen sowohl digital als auch analog mit der Verwaltung kommunizieren können. 

SPÖ: Digitalisierung ist wichtig, aber…

Die SPÖ-Digitalisierungssprecherin Petra Oberrauner sieht die Aufgabe der Digitalisierungspolitik darin, „zu schauen, was wir eingrenzen müssen und was wir zulassen wollen“, so die Abgeordnete. In der Diskussion positioniert sich die Digitalisierungssprecherin vorsichtig: „Ich bin eine Verfechterin der Annahme, das man sagt, nicht alles was Digitalisierung kann, ist auch für die Menschen gut“, mahnt sie zur Vorsicht, insbesondere beim Thema Laptops für Schulkinder.

Damit die Digitalisierung sinnvoll vorangetrieben werden könne, sollte die nächste Regierung ein Ministerium für Digitalisierung einrichten. Die Querschnittsmaterie erfordere ein vernetztes Denken und ein Ministerium, das mit der notwendigen rechtlichen Kompetenz ausgestattet werde. „Der Kreislauf bei Digitalisierungsbestrebungen muss zu Ende gedacht werden, denn da gibt es Dinge, die gehören, geregelt und das ist nicht trivial“, mahnt Oberrauner zur Vorsicht.

Die SPÖ spricht sich für leichter zugängliche Förderungen aus und kritisiert die Hürden in der Beantragung. „Die Beantragungen sind so kompliziert, dass gerade kleinere Unternehmen darauf verzichten. Manche Unternehmen haben einfach nicht die finanzielle Kraft, so einen Antrag auszuhalten“, sagt die SPÖ-Abgeordnete. Hitzig debattiert wird das “Recht auf analoges Leben”, ein Thema das kürzlich von der SPÖ kommuniziert wurde. Hier gehe es der SPÖ darum, Rechtsdurchsetzung weiterhin analog zu ermöglichen, während die Digitalisierung weiter vorangetrieben werden würde.

FPÖ: Vor der Digitalisierung muss man sich nicht fürchten

Ironisch leitet FPÖ-Abgeordneter Gerhard Deimek sein Statement ein. “Ob man es glaubt oder nicht, Digitalisierung ist für uns sehr wichtig“, so der Digitalisierungssprecher. Digitalisierung sei ein zentrales Thema für die nächsten Jahre. Die Digitalisierung dürfe nicht als Angstthema betrachtet werden, denn wenn richtig umgesetzt würde sie das Leben vereinfachen. Deimek findet, dass sich die Gesellschaft sowie der Staat hier bewegen müssten. „Ich habe den Eindruck, manche Firmen sind in der Digitalisierung schon weiter als die Republik“, so der FPÖ-Abgeordnete.

Als eine der drängenden Aufgaben für die kommende Regierung im Themenbereich Digitalisierung sieht Deimek den demografischen Wandel. Die bereits beginnende Pensionierungswelle, müsse in der österreichischen Verwaltung zu einem Digitalisierungsschub führen. „Es ist ein offenes Geheimnis: Wenn die Babyboomer in Pension gehen, haben wir ein eklatantes Personalproblem“, warnt der FPÖ-Abgeordnete Deimek. Für den Sprecher ist klar, dass sich Digitalisierung nicht nur auf Bundesebene abspielt, sondern alle Politikebenen betroffen sind. Hierfür müssten auch die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden: „Im Notfall muss man das dann auch über die Verfassung betreiben, denn das hört ja bei den Ländern nicht auf, sondern muss auch auf die Gemeinden gehen“, so der FPÖ-Sprecher. 

Für Unternehmen sei es wichtig, dass sich Digitalisierungsbestrebungen auch an sie richten und ihre Bedürfnisse in der Digitalisierungsentwicklung mitbedacht würden. Der FPÖ-Sprecher ruft dazu auf, “Prozesse in der Digitalisierung so zu denken, dass nicht nur der große Konzern sondern auch die kleinen Firmen diese gut umsetzen können”, so Deimek.

Die Grünen: Ein PDF ist noch keine Digitalisierung

“Ich versuche mich seit Tagen von dem SPÖ-Sager über das Recht auf analoges Leben zu erholen”, sagt der Digitalisierungssprecher der Grünen Süleyman Zorba und erntet dafür Lacher. Für die Grünen stehe fest, dass alle, die einen Zettel ausfüllen möchten, das auch können, es müsse aber in die Digitalisierungsentwicklung zuerst vom digitalen aus gedacht werden, mahnt der Grüne Abgeordnete.

Durch die Kommunikation, die Menschen vor der Digitalisierung Angst mache, sieht er auch die Reputation Österreichs als innovativer Wirtschaftsstandort gefährdet, und sagt: „Ich baue einfach kein Vertrauen auf, wenn zwei große Parteien im Parlament dringende Anfragen zum Thema analoges Leben und Bargeld machen.” Und er legt nach: “Die Gefahr ist wirklich nicht gegeben, das Österreich zu digital wäre – eher umgekehrt”, gibt der Abgeordnete an seine Parlamentskolleg:innen weiter.

Der Digitalisierungssprecher der Grünen, Süleyman Zorba, zeigt sich in der Diskussion auch zustimmend zu europäischen Regulierungen der großen Player. Diese Regulierungen würden es ermöglichen, dass im Markt für alle Rechtssicherheit herrsche und darin gewirtschaftet werden könne. “Nennen Sie mir doch einen so großen, funktionierenden Markt ohne Regulierungen? Den gibt es nicht”, meint er.

Die Digitalisierungsbestrebungen in Österreich gehen ihm zu langsam: „Das ist ja so ähnlich wie in der Umweltthematik – alle wissen was zu tun wäre und keiner setzt es um“, zieht der Abgeordnete eine Parallele. Im Bezug auf die Digitalisierung in der Verwaltung erkennt der Grüne auch Handlungsbedarf in der Umsetzungskompetenz von Digitalisierungsbeauftragten. Hierfür braucht es mehr Handlungsspielraum, die Digitalisierungsagenden auch vorantreiben zu können.

NEOS: Digitalisierung braucht Visionen 

Der Digitalisierungssprecher der NEOS, Douglos Hoyos, macht schon im Eingangsstatement eine klare Ansage: „Digitalisierungspolitik ist Standortpolitik“. Für die NEOS ist die kommende Legislaturperiode jene, in der entschieden wird, wie sich Österreich wirtschaftspolitisch positionieren wird, und ob das Land künftig als innovativer Standort gesehen wird. Deshalb fordert der NEOS Sprecher: “Es liegt also jetzt an den politischen Verantwortlichen, hier Visionen aufzuzeigen.”

Den aktuellen Status-quo kritisiert der NEOS-Sprecher: “Wir sind zu verkopft, zu föderal und wir machen oft Dinge nicht, die wir einfach umsetzen könnten.“ Die NEOS stünden dafür, den Gesetzgebungsprozess und das Verwaltungsverfahren durch Digitalisierung zugänglicher und transparenter aufzustellen. Die Verwaltung soll dynamischer gestaltet werden – und das wäre nicht einmal besonders aufwändig. „Hier wären ganz viele Quick-Wins machbar, wenn man sie einfach mal freigeben würde”, beschreibt Hoyos ungenutztes Digitalisierungspotential. Außerdem sieht er in der digitalisierten Verwaltung auch eine Möglichkeit, Steuererleichterung zu schaffen, „Wir denken in der Verwaltung Dinge noch immer analog. Da ist sehr viel Potential drin, wenn wir hier einsparen lernen”, sagt Hoyos.

Weiters identifiziert der NEOS-Abgeordnete Baustellen im Bezug auf Datensilos in den Bundesländern, die sicherheitstechnisch die Verwaltung überfordern würden. Würden Daten nicht lokal abgespeichert, sondern vernetzt wären sie “wesentlich effizienter und sicherer verwaltet”, so Hoyos, der für eine cloudbasierte Datenablage wirbt. Die Debatte um das “Recht auf analoges Leben”, müsse nicht geführt werden, denn “wenn jemand ein Zettel ausfüllen will, soll er das tun können“, findet der NEOS-Sprecher.

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Wer ein Unternehmen gründet, muss mutig sein, furchtlos und stressresistent. Das dachte auch Bianca Gfrei, die noch als Studentin ihr erstes Startup gegründet hat. Heute ist sie Coachin und verrät, warum dieses Narrativ Founder:innen schaden kann und warum viel mehr über Mental Health in der Startup-Szene gesprochen werden sollte.
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Bianca Gfrei
Bianca Gfrei war Startup-Founderin und ist heute Coachin. (c) Sandra Herrero

*Dieser Artikel erschien zuerst in der neuen Ausgabe unseres Printmagazins. Eine Downloadmöglichkeit findet sich am Ende des Artikels.


Founder:innen haben keine Angst, sie arbeiten gerne sieben Tage die Woche und stecken jeden letzten Tropfen Energie in ihr Unternehmen. Auch wenn Hustle-Culture nicht mehr als das Nonplusultra zum Erfolg gilt – vieles, das sie ausgemacht hat, ist heute noch genauso in den Mindsets von Gründer:innen zu finden. Zu ihr gesellt sich oft eine Angst vor dem Scheitern, immerhin will man weder Investor:innen noch Mitarbeiter:innen enttäuschen. 

Bianca Gfrei war genau hier drinnen. Mit Kiweno gründete sie 2012 ihr erstes Startup, noch während des Studiums. Das Unternehmen war Teil einer neuen Health-Branche, die labordiagnostische Tests für Zuhause anbot. Im Fall von Kiweno ging es zum Beispiel um Lebensmittelunverträglichkeiten, von denen Gfrei selbst betroffen war, oder um die Messung von Stresshormonen oder Mikronährstoffen. Hier stand also auch eine persönliche Betroffenheit dahinter, es sei ein “Herzensprojekt” gewesen. Als eine der wenigen Frauen in dieser Anfangszeit der österreichischen Startup-Szene wurde Gfrei schnell zu einem “Poster-Child”. Sie wurde als Keynote-Speakerin gebucht und sprach auf Panels über Female Founding. Sie erlebte die “Geburtsstunde der Szene” mit, wie sie heute erzählt.

Millionen-Investments bei Kiweno

Bianca Gfrei mit dem Kiweno-Team bei “2 Minuten 2 Millionen”, wo sie 2016 ein Investment in Höhe von sieben Millionen Euro erhielten. (c) PULS 4 / Gerry Frank

Kiweno wuchs schnell, bekannte Investor:innen wie Hansi Hansmann waren beteiligt. Mit Mitte 20 war Gfrei plötzlich für 35 Mitarbeiter:innen verantwortlich und managte Millionen-Investments. Medial war sie das Gesicht von Kiweno, auch als der Druck stieg und das Unternehmen durch einen Auftritt bei “2 Minuten 2 Millionen” immer mehr im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stand. Es wurde sehr viel Positives über Kiweno berichtet, es gab aber auch einiges an Kritik: Das Nachrichtenmagazin Profil berichtete 2016, dass das von Kiweno verwendete Verfahren zur Feststellung von Unverträglichkeiten von vielen Wissenschafter:innen als unseriös eingestuft wird.

Gleichzeitig wurde diese Art von Tests auch von Mitbewerbern und in vielen Laboren angeboten, sagt Gfrei. Sie vermutet heute, dass das schnelle Wachstum und die große öffentliche Aufmerksamkeit diese mediale Kritikwelle verstärkt habe – “nicht, weil wir etwas so wahnsinnig anders gemacht haben als unsere Mitbewerber oder Ärzte”. Diese Kritik an Kiweno habe sie auch persönlich getroffen. Sie war so eng mit dem Startup verbunden, sie lebte und atmete die Vision dahinter förmlich. Zu diesem Zeitpunkt kaufte Kiweno einen seiner Investoren aus, was einen massiven Sparkurs zur Folge hatte. Mitarbeiter:innen mussten entlassen werden. Gfrei beschreibt diese Zeit heute als eine “komplette Startup-Achterbahn” mit allen Höhen und Tiefen. 

Wir sind so eng mit unserem Baby verbunden. Wir können irgendwann nicht mehr zwischen dem Unternehmen und uns unterscheiden, unser gesamtes Leben ist das Unternehmen.

Bianca Gfrei

Noch mitten in diesem Krisenmodus habe man bereits an neuen Ideen gearbeitet und entschied sich, eine dieser Idee als eigenes Unternehmen auszugründen: Rootine, ein Startup für personalisierte Nahrungsergänzungsmittel. Zu diesem Zeitpunkt habe Gfrei schon sehr klar gewusst, dass sie eigentlich mitten in einem Burnout war. Damals hätte sie es wohl nie so genannt, das wäre undenkbar gewesen. Das Unternehmen habe ihre ganze Identität ausgemacht. Für Gfrei ist das unter Gründer:innen ein großes Thema: “Wir sind so eng mit unserem Baby verbunden. Wir können irgendwann nicht mehr zwischen dem Unternehmen und uns unterscheiden, unser gesamtes Leben ist das Unternehmen.”

Das Startup bin ich

Ein Besuch bei Claudia Altmann, Arbeitspsychologin im dritten Wiener Gemeindebezirk. Sie weiß genau, wovon Bianca Gfrei hier spricht. Unternehmensgründer:innen stecken zu Beginn derart viel Zeit in ihr Startup, da passiere es sehr leicht, dass man sich nur noch darüber identifiziere. Das sei prinzipiell ja nicht schlecht, immerhin sollte man die Werte seines Unternehmens auch vertreten und sich damit identifizieren. Problematisch wird es, wenn die eigene Persönlichkeit nur noch durch das Unternehmen definiert wird. Wenn jeder Fehler im Unternehmen zu einem persönlichen Fehler wird, wenn jede Kritik am Unternehmen als Kritik an einem selbst gesehen wird. Hier spielen auch Ängste eine Rolle: Viele spüren permanent die Angst, dass das Unternehmen versagen könnte. Dass die Idee nicht so funktioniert, wie man sich das vorgestellt hatte. Je enger das Produkt mit der eigenen Persönlichkeit verbunden ist, desto größer werden die Versagensängste.

Claudia Altmann, Arbeitspsychologin in Wien (c) Teresa Novotny – Knights of RGB

Das Knifflige liege im Absprung, sagt Altmann. Gerade am Anfang gehöre es dazu, als Gründer:in viele Aufgaben zu übernehmen. Man müsse zuerst Sicherheit aufbauen, “und die habe ich nicht von Anfang an”. Ist man einmal in der Wachstumsphase, wollen viele ja mittendrin sein und sich auf die Suche nach Mitarbeiter:innen machen. Ein solcher Gründungszyklus dauert circa drei Jahre, schätzt sie. Dann gelange man in einen “sicheren Modus”, in dem ein aufgebautes Netzwerk Aufgaben übernehmen kann. 

Aber auch innerhalb dieser drei Jahre brauche es Erholungsphasen. “Unser Körper braucht Energie”, sagt Altmann und zieht eine Vergleich zu technischen Geräten: Ein Handy laufe ja auch nicht rund um die Uhr, ohne dass man es dazwischen auflädt. Man müsse auch auf sich selbst achten. Sie verwendet dafür gerne den Begriff “Erholung” statt “Entspannung”. Es gehe nicht um tiefwirkende Entspannung. Oft reiche es, den Kopf einen Abend lang freizukriegen oder eine Stunde Bewegung zu machen.

Stetige Flamme

“Man muss brennen, damit man ausbrennen kann”, sagt Claudia Schwinghammer, die 2022 das Beratungsunternehmen Spark gegründet hat. Spark will die psychische Gesundheit von Corporate-Mitarbeiter:innen verbessern. Kund:innen sind Groß- und Mittelunternehmen, die für ihr Team bei Spark einen Pool an Sessions buchen können. Zu Beginn müsse man brennen, sagt Schwinghammer, die selbst vor der Gründung von Spark in Corporates gearbeitet hat. Sonst gründe man ja kein Unternehmen. Es gehe aber darum, diese Flamme langfristig zu erhalten. Folgt man dieser Metapher, ist eine stetige kleine Flamme besser als eine hohe Stichflamme zu Beginn. Dafür komme man aber auch gesund durch die Gründungsjahre und könne langfristig an dem Unternehmen arbeiten.

Eigentlich sei es ja widersprüchlich, dass Startups schnell in eine klassischen Corporate-Rhythmus verfallen und Gründer:innen sich ausbrennen. Aber so seien wir als Menschen nunmal, sagt Schwinghammer: “Wir lieben das, was uns vertraut ist. Unabhängig davon, ob es uns gut tut oder nicht.” Die Kunst sei es, sich mit etwas Neuem vertraut zu machen, das uns besser tut. Viele würden sich ja über ihren Stress definieren: “Ich bin mein Stress. Oder: Ich bin mein überfüllter Kalender.” Der Gedanke dahinter: Erfolgreich ist nur, wer von einem Meeting ins nächste hetzt. Dem sei nicht so, sagt Schwinghammer. Erfolg sei nicht am Stresslevel messbar.

Claudia Schwinghammer, CEO und Founderin von Spark (c) Spark

Keine Schwäche

Bianca Grei war derweil bereits im Gründungsprozess von Rootine klar, dass sie dringend eine Pause gebraucht hätte und nicht nahtlos weitermachen könnte. Gleichzeitig standen die nächsten großen Chancen zum Greifen nahe: Mit Hansi Hansmann hatte man einen prominenten Pre-Seed-Investor, die Branche der Precision Medicine war im Trend. Auch für die Seed-Runde gab es Investment-Zusagen. Zusätzlich wurde das Startup auch in das Accelerator-Programm von Techstars in New York aufgenommen. Eine Pause machen konnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht, dachte sie: “Dieses Narrativ gibt es in der Startup-Szene bis heute: Nur noch diese eine Aufgabe erledigen, nur noch die Finanzierungsrunde zu Ende bringen. Wir Gründer:innen sind so überzeugt von unserer Idee, dass wir alles andere hinten anstellen, auch unsere eigene Gesundheit.” Denn: “Als CEO darfst du keine Schwäche zeigen.” Sie brachte den Demo-Day noch über die Bühne, dann hieß es: Schluss.

Wenn ein CEO geht, wackelt das ganze Startup.

Bianca Gfrei

Schluss mit den USA. Und auch: Schluss mit dem Founder:innen-Traum. “Ich hatte genug von der Startup-Szene”, sagt Gfrei. Sie informierte Investor:innen und sprach sich mit ihrem Team ab. Für beide war das eine unsichere Zeit: “Wenn ein CEO geht, wackelt das ganze Startup.” Denn gerade in dieser frühen Phase entscheiden Investor:innen meist sehr personenfokussiert, welches Unternehmen sie finanzieren. Springt diese Person dann ab, sorgen sie sich natürlich um ihr Investment. Zurück aus New York, nahm sich Gfrei eineinhalb Jahre Zeit. Zeit für sich selbst, für das Reisen und um einige Ausbildungen zu machen. Sie war in Sri Lanka und Bali, lebte einige Zeit in Indien und zog schließlich nach Portugal. Schon als ihr Ausstieg publik wurde, begannen sich die ersten Unternehmer:innen mit ähnlichen Gefühlen bei ihr zu melden. Als die Nachfragen immer mehr wurden, startete sie ihr eigenständiges Coaching-Unternehmen. 

Wieder eine Unternehmensgründung, aber diesmal nicht wachstumsorientiert wie ein Startup. Das Ziel laute nicht mehr größer, höher, weiter. Gfrei hat in ihrer Auszeit somatische und traumatherapeutische Ausbildungen gemacht. Sie sei keine Psychologin, aber auch kein klassischer Business-Coach. Wer zu ihr kommt, hat meist schon klassisches Coaching ausprobiert. Gfrei arbeitet gesprächsbasiert, in Kombination mit körperbasierten Ansätzen: Menschen, die unter hohem Druck stehen und laut Gfrei “Meister der Emotional Suppression” sind, sollen wieder auf ihre körpereigenen Signale hören. Sie fragt zum Beispiel, wo genau sich der Stress bei ihnen manifestiert. Ist es ein Druck auf der Brust? Mit dieser Methode habe Gfrei bessere Erfahrungen gemacht als mit reinem gesprächsbasiertem Coaching. Auch bei Spark setzt Claudia Schwinghammer auf die “unbewusste Ebene”, wie sie es beschreibt. Ihre Therapiemethode verwendet Hynose-Ansätze, was vor allem bei konkreten Symptomen wie Schlaflosigkeit zu schnelleren Erfolgen führe.

Langsam bis zum Kern

Claudia Altmann ist hier anderer Meinung, sie setzt vor allem auf Gespräche. Die Arbeitspsychologin erzählt, dass Patient:innen oft mit einem arbeitsbezogenen Thema zu ihr kommen. Manchmal bleibe man in diesem Bereich, oft merke man aber nach einigen Gesprächen: Hier geht es um mehr. Oft darum, nichts an andere abgeben zu können. Das führt in der Arbeit zu Stress, weil immer mehr Aufgaben übernommen werden – kann sich aber auch in anderen Lebensbereichen niederschlagen. Wenn zum Beispiel immer mehr Fürsorgeaufgaben in der Familie zusammenkommen. In der Arbeit würden solche Probleme oft früher auffallen, sagt Altmann: “Man sucht sich den Bereich, der weiter weg ist. Der ist emotional nicht ganz so nah dran, dort kann man gut ansetzen. Und dann arbeitet man sich zum Kern vor.”

Sind Startups einmal in der Wachstumsphase, kommt bei vielen Founder:innen noch eine zusätzliches Problem hinzu: die Angst vor dem Versagen; davor, ihre Mitarbeiter:innen zu enttäuschen. Was dagegen hilft? Für Altmann ist es vor allem eine klare Kommunikation im Team. Welche Bedürfnisse haben die Mitarbeiter:innen? Wie sind die Rollen verteilt? Und: Eine Atmosphäre schaffen, in der auch Negatives angesprochen werden kann. Kein Chef und keine Chefin ist alleine für Versagen oder Erfolg eines Unternehmens verantwortlich. Geteilte Verantwortung sei wichtig, sagt Altmann. Sowohl für positive als auch für negative Entwicklungen. “Die Verantwortung für Befindlichkeiten, das Wohlbefinden und die Gesundheit, die haben alle Beteiligten.”

Wer bin ich ohne mein Startup?

Auch Bianca Gfrei kannte diese Angst vor dem Scheitern: “Die ist bei den meisten Gründern überdimensional groß. Was ist, wenn es den Bach hinunter geht? Wer bin ich dann überhaupt noch?” Zu sehr ist die eigene Identität mit dem Unternehmen verwoben. Selbst Gründer:innen, die einen Exit geschafft haben, gehe es ähnlich – obwohl gerade sie ihren Erfolg genießen könnten. Viele würden nach Jahren im Gründungsmodus nicht mehr wissen, wer sie ohne ihr Unternehmen sind. 

Nicht nur die Arbeit macht uns aus, sondern auch unsere Hobbys – wie für Gfrei das Surfen. (c) Peter Crane

Wie kann man diese Identitätsverschmelzung also verhindern? Für Gfrei ist es wichtig, den Selbstwert nicht nur auf einer Säule aufzubauen. Nicht nur die Arbeit mache uns aus, sondern viele verschiedene Säulen: unser Freundeskreis, Hobbys, Zeit in der Natur. Ähnlich beschreibt es auch Arbeitspsychologin Altmann: Unsere Identität bestehe aus mehreren Facetten. Arbeit und Leistung sei nur ein Bruchteil davon. Dazu kommen existenzielle Sicherheit, soziale Netzwerke, soziales Eingebundensein, körperliche Gesundheit. “Wenn ich mein Haus nur auf einer einzigen Säule aufbaue und die angeknackst ist oder kippt, dann fällt das ganze Haus um. Wenn ich mehrere Säulen habe und zwei von fünf ein bisschen wackeln, steht das Haus immer noch.”

Wichtig sei, sich bewusst zu machen, dass man mehr als seine berufliche Rolle ist. Auch die Fehlerkultur in Europa spiele hier eine Rolle. Ist es in den USA ganz normal, dass Unternehmer:innen scheitern und es mit einer neuen Idee von neuem versuchen, hätte man in Europa noch stärker Angst davor, als Versager:in zu gelten. Dazu trage auch der gängige Umgang mit Fehlern in sozialen Netzwerken bei, erklärt Altmann. Online werde meist nur über die Fehler gesprochen, aus denen man etwas gelernt habe oder die man erfolgreich überwunden habe. “Wenn ich einen Fehler mache, muss daraus etwas Grandioses entstehen. Das funktioniert aber nicht so. Nicht aus jedem Fehler habe ich ein Learning.” Diese Doppelbotschaften würden verunsichern.

Heute arbeitet Bianca Gfrei als Coachin und lebt in Portugal. (c) Andreas Weiss

Auch für Gfrei liegt der Ursprung des Problems im öffentlichen Umgang mit Stress und Überforderung: “Wir dürfen das toxische Narrativ der Gründer:innen verändern und Bewusstsein dafür schaffen, dass fast alle in Erschöpfung sind und der Druck massiv ist.” Keinen Tag in der Woche Pause zu machen, kein Wochenende zu haben – das seien Vorstellungen, die man verändern könne, indem man darüber spreche. Auch innerhalb der Branche, sagt Altmann. Natürlich wollen viele vor der Konkurrenz keine Schwäche zeigen. Mit Vertrauten in der Branche sollte man sich aber sehrwohl austauschen, hier ist oft mehr Verständnis zu finden als man glaube.

Der zweite Hebelpunkt liegt für Gfrei bei Investor:innen und Boardmembers. Gerade auf junge Founder:innen in ihren Mittzwanzigern können diese einen massiven Druck ausüben. Investor:innen haben in Gfreis Augen eine Verantwortung gegenüber den Neulingen in der Szene. In den letzten Jahren habe es hier aber bereits Verbesserungen gegeben. Immer mehr Investor:innen würden heute darauf achten, dass Startup-Teams auf ihre emotionale und mentale Gesundheit achten. In den USA gebe es zum Beispiel teilweise auch Abmachungen, dass ein bestimmter Prozentsatz eines Investments in Wellbeing investiert werden müsse. In der europäischen Startup-Szene sei das noch nicht angekommen, auch wenn das Thema Mental Health in der Gesellschaft generell enttabuisiert werde. Gfrei erwähnt hier die Hans(wo)man Group lobend. Hier habe Mental und Emotional Health sowie Wellbeing mittlerweile einen höheren Stellenwert. Diesen Themen werde heute mehr Raum gegeben – auch beeinflusst durch Erfahrungen wie jene von Gfrei.

Goldenes Gefängnis

Startups sollen auch Spaß machen dürfen, sagt Gfrei. “Das geht bei den meisten massiv verloren.” Gründer:innen würden oft aus einer Vision heraus gründen, mit dem Wunsch etwas zu verändern und aus dem klassischen 9-to-5-Berufsalltag auszubrechen. Viele bauen sich dann aber “das gleiche goldene Gefängnis”, sagt Gfrei. Es brauche mehr Leichtigkeit und viel mehr Selbstreflexion in der Startup-Szene.

Die meisten Founder:innen sind selbst ihre eigenen härtesten Kritiker, sagt Gfrei. Oft habe das den Ursprung in der Kindheit, wir seien schließlich alle in einer leistungsorientierten Welt sozialisiert worden. Schaffe man es aber, an einer Schraube zu drehen, könne man das ganze System verändern. Gfreis Erfahrungen zufolge entstehen oft dann die besten Ideen und Business-Möglichkeiten, wenn Mitarbeiter:innen aus dem Dauerstress aussteigen können. Dann könne das Startup “wieder zu atmen anfangen”. Gehe es dem Team gut, sei auch das Unternehmen erfolgreicher.

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