28.12.2022

Der große ClimateTech Jahresrückblick 2022

Was hat sich 2022 im ClimateTech-Bereich in Österreich getan? Brutkasten Earth wirft einen Blick zurück und stellt Startups und deren Innovationen in den Bereichen Energie, Mobilität, Ernährung, sowie Kreislaufwirtschaft vor, die in diesem Jahr besonders aufgefallen sind.
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Seit Jahresbeginn 2022 wurden bisher weltweit mehr als 50 Milliarden US-Dollar in Klimatechnologie-Startups investiert. Mittlerweile fließt jeder vierte Risikokapital-Dollar in ClimateTech, wie der jüngste „PwC State of Climate Tech Report“ für 2022 zeigt. Im Vergleich zum boomenden ClimateTech-Jahr 2021 stellt dies jedoch einen Rückgang im Klimabereich dar. So ist die Finanzierung in den ersten drei Quartalen 2022 um 30 Prozent niedriger als im Vergleichszeitraum 2021. Die Eintrübung des Finanzierungsmarktes hinterlässt somit auch seine Spuren auf den Märkten für Klimatechnologien.

Trotz des Rückgangs an Investitionen zeigt sich allerdings, dass die Liste an VC-Fonds in Europa, die sich spezifisch mit der CO2-Reduktion und Klimatechnologien beschäftigen, länger wird. Neben dem World Fund in Höhe von 350 Millionen Euro und dem ClimateTech-Fonds Climentum Capital in Höhe von 150 Millionen Euro kündigte beispielsweise das deutsche Family Office Pirate Impact im Sommer 2022 an, mit Aenu einen neuen Fonds auflegen zu wollen, der bis 2026 rund 500 Millionen Euro an Kapital für Investitionen in nachhaltige Startups einsammeln möchte. In Österreich ist allen voran der Climate & Industry Opportunity-Fonds von Speedinvest zu erwähnen, der allerdings bereits 2021 aufgelegt wurde und über ein Volumen in Höhe von 80 Millionen Euro verfügt. Zudem konnten sich in Österreich auch neue Beteiligungsgesellschaften am Markt etablieren, die spezifisch in Klimatechnologien investieren. Als Beispiel lässt sich epoona aus Wien anführen, die ihren Fokus auf Hardware-Innovationen im CleenTech Bereich legt.

Energie & Industrie

Übergewinnsteuer - Merit-Order - Windfall-Profits
(c) Zbynek Burival via Unsplash

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit einhergehende Energiekrise haben in Europa 2022 eine Zeitenwende eingeläutet. In den Monaten nach dem 24. Feber erfolgten von Regierungen in ganz Europa Versuche, sich aus der Abhängigkeit von russischen Gas- und Ölimporten zu befreien.

Die Zeitenwende in der Energiepolitik geht aber auch mit einer Transformation der Industrie einher. So kündigte die österreichische Bundesregierung im Oktober 2022 ihre 5,7 Milliarden schwere Klimaoffensive an. Die Investitionen in Milliardenhöhe erfolgen nicht nur vor dem Hintergrund der Energiekrise, sondern sind auch an das ambitionierte Klimaziel geknüpft, dass Österreich bis spätestens 2040 klimaneutral sein möchte. Hierfür hat die Regierung im Sommer 2022 ihre Wasserstoffstrategie vorgestellt.

Neben den ankündigten Investitionen in Milliardenhöhe stand 2022 zudem der Ausbau der erneuerbaren Energien im Zentrum, wobei sich hier auch für heimische Energie-Startups neue Möglichkeiten am Markt ergeben.

Startups, die 2022 besonders aufgefallen sind

  • Das österreichische CleanTech-Unternehmen ecop Technologies hat eine Rotationswärmepumpe entwickelt, die eine energieeffiziente Wärmerückgewinnung in der Industrie ermöglicht. Mit 2022 hat das Unternehmen über 150 Projekte in der Pipeline, wobei sich das Projektvolumen auf über 100 Millionen Euro beläuft. 2023 soll die Technologie in die Serienproduktion übergeführt werden.
  • Das Energy-Scaleup neoom aus Freistadt launchte 2022 seine neue neoom App, die den Aufbau von Energiegemeinschaften ermöglicht. Zudem konnte das Unternehmen im vergangenen Jahr die Anzahl seiner Mitarbeiter:innen auf über 200 Personen erweitern.
  • Ebenfalls eine neue Innovation hat 2022 Cleen Energy auf den Markt gebracht. Das österreichische Unternehmen hat ein mobiles Photovoltaik–Kraftwerk entwickelt, das sich in einem Container untergebracht per LKW transportieren lässt. Zudem konnte sich das Unternehmen 2022 einen Auftrag in Millionenhöhe zum Bau von PV-Kraftwerken in Deutschland sichern.
  • Mit dem neuen Corporate Startup one2zero ging 2022 die Salzburg AG an den Start, das künftig GreenTech-Lösungen für die heimische Wirtschaft liefern möchte. Das Unternehmen versteht sich laut Eigendefintion als Full-Service-Partner rund um emissionsrelevanten Themen. Die Aufgaben von one2zero sind vielfältig und reichen von der Energieberatung bis hin zur umfassenden Umsetzung erneuerbarer Energielösungen.
  • Das Startup nista.io hat eine Datenanalysesoftware entwickelt, die mithilfe von künstlicher Intelligenz und Sensordaten den Energieverbrauch von Betrieben analysiert und stetig optimiert. Bislang ist nista.io schon im B2B-Bereich aktiv und bietet für Unternehmen die Energieeffizienz-Software im Abo-Modell an. 2022 hat das Startup den Energy Coach entwickelt, der künftig auch private Haushalte beim Stromsparen unterstützt.

Ernährung & Landwirtschaft

Derzeit entfallen etwa 25 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die Wertschöpfungskette von Lebensmitteln. Ein großer Treiber stellt dabei bekanntlich Fleischproduktion dar. Mittlerweile gibt es weltweit aber zahlreiche Unternehmen und Startups, die im Bereich der alternativen Proteine arbeiten und in den letzten Jahren neue Produkte auf den Markt gebracht haben. 2022 sorgte eine neue Studie der Boston Consulting Group und des Impact-Investors Blue Horizon für Aufsehen. Sie untersuchte die Marktpotentiale, die Akzeptanz bei Konsument:innen und den möglichen Klima-Impact von alternativen Proteinen. Das Ergebnis: Knapp drei Viertel der Konsument:innen kennen Ersatzprodukte für tierisches Protein, zwei Drittel haben sie bereits ausprobiert. Mittlerweile haben auch Kapitalgeber:innen laut der Unternehmensberatung die Marktpotentiale erkannt. Das in alternative Proteine investierte Kapital ist von einer Milliarde Dollar im Jahr 2019 auf fünf Milliarden im Jahr 2021 angestiegen – eine jährliche Zuwachsrate von 124 Prozent.

Auch österreichische Startups profitierten vom Boom in alternative Proteine und konnten 2022 ihre Marktposition sowie die Listung im Einzelhandel ausbauen. Zudem erkannten auch große Player am Markt die Wachstumschancen. Erst Anfang September eröffnete beispielsweise die erste rein pflanzliche Billa Filiale Pflanzilla auf der Mariahilferstraße und im Sommer Österreichs erster veganer Burger King am Wiener Westbahnhof. Obgleich es sich um erste Pilotprojekte handelt, zeigen diese die wachsende Nachfrage nach nachhaltigeren Lösungen am Markt.

Startups, die 2022 besonders aufgefallen sind

  • Das Wiener Startup Arkeon wandelt CO2 mittels Gasfermentation in organische Proteine für die menschliche Ernährung um. Für das weitere Wachstum sicherte sich das Unternehmen kurz vor Weihnachten weitere vier Millionen Euro an Kapital und erhöht somit seine Seed-Runde auf über zehn Millionen Euro.
  • Revo Foods setzte 2022 seine Internationalisierung erfolgreich fort. Mittlerweile ist das Startup in zahlreichen Ländern in Europa vertreten, darunter beispielsweise Frankreich, Spanien, Portugal, Dänemark oder Großbritannien. Für Aufsehen sorgte zudem die Beteiligung an einem EU-Projekt im Bereich der alternativen Proteine, das in Millionenhöhe gefördert wird.
  • 2021 brachte das Wiener Startup Pflanzerei seinen veganen Leberkäse auf den Markt. 2022 konnte das Unternehmen rund um Gründerin Nadina Ruedl einen großen Erfolg für sich verbuchen. Nach einer Pilotphase in fünf Billa-Filialen in Wien, wird der vegane Leberkäse seit September in über 130 Märkten in ganz Österreich angeboten.
  • 2022 konnte auch das Wiener Startup Unverschwendet einen großen Deal mit Hofer abschließen. Unter der neuen Hofer Eigenmarke „Rettenswert“ bietet der Discounter österreichweit in allen 530 Filialen seit Herbst Oktober Chutneys, Fruchtaufstriche und Pestos an.
  • Das österreichische Startup Kern Tec hat eine vollautomatisierte Technologie zur Aufspaltung, Sortierung und Veredelung von Steinobstkernen entwickelt. 2022 startet das Unternehmen erstmalig mit einer eigenen Consumer-Brand namens „Wunderkern“.

Mobilität

Auch im Bereich der Mobilität hat sich 2022 einiges getan. So einigten sich die EU-Staaten und das EU-Parlament im Oktober 2022 in einer historischen Entscheidung darauf, dass ab 2035 in der EU nur mehr Neuwagen verkauft werden dürfen, die kein Kohlendioxid ausstoßen. Bis 2030 soll demnach der CO2-Ausstoß bei Neuwagen um 55 Prozent reduziert werden. Bei Nutzfahrzeugen beträgt das Zwischenziel 50 Prozent, wobei beide Reduktions-Ziele das Jahr 2021 als Niveau heranziehen. Allerdings gab es auch einen Kompromiss: Im Jahr 2026 soll die Entscheidung erneut überprüft werden können. Konkret heißt das, dass die EU-Kommission dann nochmals prüft, ob die festgelegten Ziele auch tatsächlich machbar sind.

Welche Entscheidungen schlussendlich nach der erneuten Prüfung im Jahr 2026 getroffen werden, wird sich zeigen. Fest steht allerdings, dass Österreich bei der Dekarbonisierung der Mobilität Fahrt aufnehmen muss. Hierzulande stieß der Verkehrssektor 2020 rund 50 Prozent mehr CO2 aus als noch im Jahr 1990. Zudem hat Österreichs Verkehr laut dem Verkehrsclub Österreich den zweithöchsten Pro-Kopf-CO2-Ausstoß der EU.

Mobility-Startups, die 2022 aufgefallen sind

  • Das Grazer Startup Easelink hat sich auf das kabellose Laden von E-Autos spezialisiert. Für das weitere Wachstum konnte das Unternehmen 2022 eine Series-A-Finanzierungsrunde in der Höhe von 8,3 Millionen Euro abschließen.
  • Ebenfalls eine Investmentrunde in Millionenhöhe konnte das Wiener Mobility Startup goUrban abschließen. Die Mobility-SaaS-Plattform erfüllt mittlerweile zahlreiche Use-Cases. So ermöglicht das Startup im B2B-Bereich seinen Kund:innen beispielsweise den Zustand ihrer Flotte in Echtzeit zu überwachen, Beziehungen zu ihren Kund:innen zu pflegen oder datengestützte Entscheidungen für eine optimale Nutzung zu treffen.
  • Das Wiener E-Carsharing Startup Eloop sichert sich im Frühjahr 2022 ein Investment in Millionenhöhe und holte sich Bitpanda Co-Foudner Christian Trummer an Bord. Im Herbst folgte dann eine Finanzierungsrunde mit Lucky Car. Zudem expandiert das Unternehmen nach Deutschland und möchte künftig seien Flotte auf über 600 E-Fahrzeuge ausbauen.
  • Ebenfalls für Schlagzeilen sorgte das Wiener Auto-Abo-Startup vibe, das nur 18 Monate nach Marktstart 2022 den Break-Even-Point erreichte und ebenfalls die Internationalisierung vorantreiben möchte.
  • Alveri aus Oberösterreich hat im Zuge der Innovative Mobility For Future Salzburg (IMFS) 2022 einen neuen Prototyp eines vollautonomen Laderoboters vorgestellt. Die Serienreife soll 2024 erfolgen. Zudem beteiligte sich 2022 auch die Salzburg AG an dem Startup aus Ried im Innkreis.

Kreislaufwirtschaft

Circle4.0, Kreislaufwirtschaft, circle economy
(c) Stock.Adobe/Parrade

Ein elementarer Schlüssel in der Bekämpfung der Klimakrise stellt die Kreislaufwirtschaft dar. Die globalen Treibhausgasemissionen sind nämlich zu rund 50 Prozent auf die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen zurückzuführen. Mittlerweile etablieren sich auch in Österreich immer mehr Startups, die Lösungen und Geschäftsmodelle in diesem Bereich auf den Markt bringen. Wie stark das Ökosystem an Startups wächst, die im Bereich der Kreislaufwirtschaft arbeiten, zeigte der erste Circular Economy Summit in Österreich, der im März 2022 mit über 600 Teilnehmer:innen über die Bühne gegangen ist. Zudem etablierten sich im vergangenen Jahr auch neue Ökosystem-Player, die das Thema in den Fokus ihrer Arbeit rücken. Als Beispiel lässt sich das im September eröffnete Climate Lab in der Wiener Spittelau oder der Thinkubator anführen.

Startups, die 2022 aufgefallen sind

  • Das Wiener Scaleup refurbed gab 2022 bekannt, dass sich die Plattform zum One-Stop-Shop für nachhaltigen Konsum entwickeln wird. Über die Plattform werden nicht nur generalüberholte Elektronikprodukte angeboten, sondern mittlerweile auch nachhaltige Mode und Sportartikel.

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Gründergeist an Hochschulen: Wie Strukturen und Kultur zusammenwirken müssen

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Im sechsten und letzten Kapitel der Serie „From Science to Business“ steht der Gründergeist an Hochschulen im Mittelpunkt. Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit Forschende den Schritt in die unternehmerische Praxis wagen?

Einblicke liefern Elisabeth Stiegler, Executive Managerin des MedLifeLab Innovation Hub und der MedLifeLab Beteiligungs GmbH an der Medizinischen Universität Innsbruck (MUI), Christian Hoffmann, CEO der neuen Spin-off Factory und Senior Advisor für Innovation im Rektorat der TU Wien, Monique Schlömmer, Head of Operations am WU Entrepreneurship Center, sowie Birgit Wimmer, Projektkoordinatorin für Gründungen an der JKU Linz.

Ein neues Normal: Gründung wird Teil des Selbstverständnisses

An der Medizinischen Universität Innsbruck wurde mit dem MedLifeLab eine klare Struktur geschaffen, um forschungsbasierte Innovationen gezielter und schneller in die Verwertung zu bringen. „Wir haben das MedLifeLab als Innovation Hub gegründet – mit klarem Commitment der Universitätsleitung und des Unirats“, sagt Elisabeth Stiegler. Diese Rückendeckung sei entscheidend, um ein innovationsfreundliches Klima zu schaffen. Dabei sei es wichtig, die Vielfalt an Orientierungen zu akzeptieren: „Manche Forscher:innen möchten ihre Karriere an der Universität oder Klinik fortsetzen, andere streben eine Ausgründung an – beide Wege sind gleichwertig und verdienen unsere volle Unterstützung.“

Auch an der TU Wien sieht man einen Kulturwandel. „Ausgründungen lässt man nicht mehr einfach passieren, man möchte sie gezielt steigern“, betont Christian Hoffmann. Innovation und Transfer seien heute ein zentraler Auftrag, gleichrangig neben Forschung und Lehre. „Das kann nur funktionieren, wenn die Universitätsleitung es wirklich will. Dieses Signal muss von oben kommen – und wenn es da ist, strahlt es in die gesamte Organisation.“

Die WU Wien blickt auf mittlerweile zehn Jahre Entrepreneurship Center zurück. „Früher waren es eine Handvoll Studierende – heute füllen wir mit unseren Events das Audimax“, erzählt Monique Schlömmer. Erfolgreiche Alumni wie die Gründer von Refurbed oder Hokify zeigen, dass sich Unternehmertum am WU-Campus fest etabliert hat. Über das Entrepreneurship Center bietet die Universität Beratung, Workshops und Zugang zu einem breiten Startup-Netzwerk – von Alumni bis hin zu Partner:innen aus der Unternehmens- und Investor:innenszene. Zudem legt es großen Wert auf hochschulübergreifende Kooperationen, weswegen das Entrepreneurship Center Network (ECN) geschaffen wurde, um für regelmäßigen Austausch zwischen den Hochschulen zu sorgen „Mit dem Launch von WU Ignite Ventures 2025 runden wir unser Portfolio nun ab – von der Awareness-Schaffung zum Thema Entrepreneurship über Empowerment-Programme und einen Inkubator bis hin zur Möglichkeit, in die Teams zu investieren“, so Schlömmer.

Am JKU Linz – LIT Open Innovation Center in Linz zeigt sich, wie Raum und Struktur Innovationsdenken und Kultur befördern können. Auf 8.000 m² arbeiten Unternehmen, Startups, Institute und Studierende Tür an Tür. „Interdisziplinarität ist in unserer DNA verankert – und das ist ein idealer Nährboden für unternehmerisches Denken“, sagt Birgit Wimmer. Mit seiner Kombination aus Labors, Co-Working-Spaces und Vernetzungsformaten ist das JKU Linz – LIT Open Innovation Center eine physische Manifestation dessen, was Third Mission meint: Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft an einem Ort zusammenzubringen.

Third Mission: Zwischen Leistungsvereinbarungen und Kulturwandel

Die Diskussion um Spin-offs ist längst nicht nur eine Frage des akademischen Selbstverständnisses, sondern auch ein politisches Programm. Das Wissenschaftsministerium hat in den Leistungsvereinbarungen mit den Universitäten erstmals konkrete Vorgaben verankert: Jede Hochschule muss Maßnahmen ergreifen, um die Zahl der Ausgründungen zu erhöhen. Damit wird die Third Mission zu einem messbaren Auftrag.

Für Hoffmann ist klar: „Am Anfang klingt das einfach: Verdoppelt die Zahl der Spin-offs. Aber wenn man es zu Ende denkt, betrifft es alle Bereiche der Universität.“ Forschung, Berufungsverfahren, Governance, Evaluation – alles muss neu gedacht werden. Gründungen dürfen nicht länger ein Nebeneffekt sein, sondern müssen als integraler Bestandteil der Universitätslogik verstanden werden. Auch Stiegler sieht die Konsequenzen: „In Berufungsverfahren sollte sichtbar werden, ob eine Kandidatin oder ein Kandidat wissenschaftliche Exzellenz mit Innovationsgeist und Verwertungsorientierung verbindet – und nicht nur durch wissenschaftliche Publikationen überzeugt.“

Dieser Kulturwandel ist tiefgreifend. Jahrzehntelang war die akademische Karriere fast ausschließlich über Publikationen und Zitationsindizes definiert. Nun treten Kriterien wie gesellschaftlicher Impact, Kooperationsfähigkeit und unternehmerische Initiative hinzu. Hochschulen müssen neue Bewertungsmaßstäbe entwickeln, um diese Aspekte fair und transparent zu gewichten.

Hoffmann verweist auf ein zweites Instrument: die Zielvereinbarungen innerhalb der Universitäten selbst. „Wenn das Rektorat das wirklich will, dann trifft es auch mit den eigenen Einrichtungen ähnliche Vereinbarungen: Wir erwarten uns, dass du an Patente denkst, dass du an Ausgründungen denkst.“ So wird der Gründungsauftrag in die alltägliche Praxis übersetzt – von den Fakultäten bis in die Forschungsgruppen.

Für Österreich ist dieser Paradigmenwechsel auch ein Standortfaktor. Länder wie Deutschland (TUM, UnternehmerTUM), die Schweiz (ETH Zürich) oder Großbritannien (Imperial College) haben längst bewiesen, dass sich eine konsequente Innovationspolitik in einer dynamischen Spin-off Kultur niederschlägt. Österreich steht hier im Wettbewerb – und die Zielvereinbarungen sind der Versuch, diesen Rückstand aufzuholen.

Stiegler bringt es auf den Punkt: „Das ist keine Aufgabe, die Universitäten allein lösen können. Aber sie können Vorbilder sein und zeigen, dass Third Mission nicht nur ein Schlagwort ist, sondern gelebte Realität.“

Ressourcen & Freiräume für Unternehmertum

Wer gründen will, braucht vor allem eines: Zeit. Doch akademische Karrieren sind durch Forschung, Lehre und Verwaltungsaufgaben oft stark ausgelastet.

Die Medizinische Universität Innsbruck arbeitet deshalb an neuen Karrierepfaden: Sabbaticals, Karenzierungen oder die Möglichkeit, während der Tätigkeit an Ausgründungsprojekten zu arbeiten. „Wir wollen Strukturen schaffen, die Gründung nicht zum Karriere-Risiko machen, sondern zur anerkannten Option“, so Stiegler.

Das JKU Linz – LIT Open Innovation Center bietet eine interdisziplinäre Community, Arbeitsplätze und Laborinfrastruktur, kombiniert mit JKU-Programmen wie Patentscouts oder Gründungsbotschafter:innen. „Man muss Forschende dort abholen, wo sie stehen – oft fehlen ihnen betriebswirtschaftliche Kenntnisse und das unternehmerische Mindset, und genau da setzen wir an“, erklärt Wimmer.

Die WU Wien wiederum deckt mit ihrem Entrepreneurship Center das ganze Spektrum ab: von Awareness-Programmen in Volksschulen über Workshops & Mentoring bis hin zu Venture-CapitalInvestment mit dem hauseigenen Fonds WU Ignite Ventures.

Die Spin-off Factory der TU Wien ergänzt dieses Angebot gezielt. Sie fungiert als Innovation Hub für Studierende und Forschende, bietet Gründungsverträge, Karriereberatung, Infrastruktur und erste Finanzierungswege. Ziel ist es, TU-Wien-basierte Ideen schneller in verwertbare Bahnen zu lenken – mit Begleitung von der Ideenfindung über IP-Schutz bis zur Marktreife.

Teams formieren: Mehr als Matching

Wenn über Spin-offs gesprochen wird, richten sich viele Blicke sofort auf die Technologie: Ist sie innovativ genug? Hat sie Marktpotenzial? Doch wer mit Investor:innen, Gründer:innen oder Transferstellen spricht, hört schnell ein anderes Thema: Entscheidend ist nicht nur die Idee, sondern das Team dahinter. Ohne funktionierende Zusammenarbeit, komplementäre Kompetenzen und gemeinsame Vision bleibt selbst die vielversprechendste Erfindung im Labor.

Gerade in Life Sciences fehlen oft die komplementären BusinessKompetenzen, und viele Forscher:innen sehen ihren Karriereweg ausschließlich in der Wissenschaft. „Viele beginnen mit einem klaren Berufsbild – Ärztin, Forscherin. Unternehmertum kommt kaum vor“, sagt Stiegler.

Matching-Formate, Alumni-Netzwerke oder Co-Founder-Events können helfen – aber sie ersetzen nicht die menschliche Komponente. „Man kann Menschen in einen Raum bringen – ob daraus ein Team wird, hängt von der Chemie ab.“

Die WU setzt dabei auf systematisches Matching: Schon frühphasig arbeiten Forschende und Betriebswirt:innen in Kursen und Projekten zusammen – etwa im Biotech-Programm xBio und dem Gate Programm. Ziel ist, dass Wissenschaftler:innen ein Gefühl dafür bekommen, was es bedeutet, in der Businesswelt zu agieren: von Businessplan bis Investor:innen-Pitch. „Beide Seiten – BWL und Forschung – müssen lernen, wie die anderen denken und kommunizieren“, betont Monique Schlömmer.

Ein zentraler Baustein ist das Entrepreneurship Center Network (ECN) mit über 35 Mitgliedshochschulen österreichweit. „Wir wollen, dass Gründungsteams nicht an Hochschulgrenzen scheitern. Das ECN bringt Forschende, Studierende und Alumni zusammen – damit überhaupt die Möglichkeit entsteht, sich kennenzulernen und Vertrauen zu entwickeln.“ Und sie merkt an: „Ergänzend diskutieren wir auf Hochschulebene und versuchen hierbei Synergien zu schaffen, um die Herausforderungen gemeinsam zu überwinden.“

Auch die JKU setzt auf interdisziplinäre Formate wie die LIT Research Labs, in denen Studierende und Forschende aus verschiedenen Disziplinen an konkreten Problemstellungen arbeiten. „Je früher solche Kontakte entstehen, desto stabiler die Teams“, sagt Wimmer.

Für Investoren ist dieser Punkt entscheidend. Hoffmann bringt es auf den Punkt: „Wenn Investoren auf Spin-offs schauen, ist ihre erste Frage immer: Passt das Team? Sind alle Fähigkeiten vorhanden – oder zumindest das Potenzial dazu?“

Österreich gemeinsam denken – und international öffnen

Eine wiederkehrende Kritik betrifft die Fragmentierung des österreichischen Hochschulsystems. Universitäten, Fachhochschulen, Privatunis und Forschungseinrichtungen arbeiten oft nebeneinanderher. „Wir haben viele Bubbles – das muss ein großes Ganzes werden“, fordert Christian Hoffmann.

Die Spin-off Factory der TU Wien setzt deshalb stark auf internationale Partnerschaften. Hoffmann verweist auf Kooperationen mit dem Imperial College London, der ETH Zürich und dem UnternehmerTUM München – mit Austausch zu Inkubatoren, Mentoring und Startup-Wettbewerben.

Elisabeth Stiegler (Medizinische Universität Innsbruck) betont die geografischen Chancen im Westen: Mit Partner:innen in Bayern, Südtirol und der Schweiz arbeitet man daran, in den Life Sciences eine Westachse aufzubauen. „Österreich ist klein. Gerade in den Life Sciences müssen wir uns überregional vernetzen – nicht nur national, sondern auch international.“

Die WU Wien versteht ihr Entrepreneurship Center als Teil eines globalen Ökosystems und baut über das Entrepreneurship Center Network (ECN) hochschulübergreifende Brücken – ein Hebel, um Teams und Projekte schneller international anzubinden.



Diese Themen werden in „From Science to Business“ behandelt:

Folge 1: Status quo der Spin-offs in ÖsterreichStrukturen, Leistungsvereinbarungen, Beteiligungsgesellschaften und Mindset-Veränderungen an Hochschulen.
Folge 2: Von der Idee zum Patent und Spin-offWie Universitäten und Industrie den Transferpfad gestalten, inkl. IP- und Scouting-Prozesse.
Folge 3: Life Sciences im FokusLange Entwicklungszyklen von Medikamenten, hohe Investitionskosten und wie MedLifeLab und Takeda Spin-offs und Innovationen unterstützen.
Folge 4: Finanzierung von DeepTech-Spin-offsHerausforderungen langer Entwicklungszyklen, Evergreen-Fonds, Co-Investments und Investorensicht.
Folge 5: Kooperationen als ErfolgsfaktorVon der Idee zum globalen Skalieren. Wie Universitäten, Inkubatoren und Industriepartner Innovationen gemeinsam entwickeln.
Folge 6: Gründungsmindset an Hochschulen stärkenBest Practices, Infrastruktur und Anreizsysteme, um mehr Spin-offs bis 2030 zu ermöglichen.

„From Science to Business“ setzen wir gemeinsam mit unseren Partnern AplusB (Academia plus Business)Austria Wirtschaftsservice (aws)MedLifeLab Innovation Hub (Medizinische Universität Innsbruck), Noctua Science VenturesJKU – LIT Open Innovation Center (Johannes Kepler Universität Linz), OÖ HightechFondsSpin-off AustriaTakedatecnet equityThe Spinoff Factory (Technische Universität Wien), Universität Innsbruck und WU (Wirtschaftsuniversität Wien) um.

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