cogvis: Wiener HealthTech-Scaleup holt sich Millioneninvestment zur Expansion
Das Wiener HealthTech-Scaleup cogvis holt sich ein Millioneninvestment mit der Raiffeisen-Landesbank Steiermark im Lead. Das Kapital soll der Expansion dienen - vor allem in nordischen Märkten.
Das Wiener TU-Spinoff cogvis hat eine smarte Pflegelösung entwickelt. Dafür holte es sich im Jahr 2018 ein Investment in Höhe von 700.000 Euro – brutkasten berichtete. Drei Jahre später folgte eine Series-A-Finanzierungsrunde in siebenstelliger Höhe. Am heutigen Mittwoch verkündet man den Abschluss einer weiteren Finanzierungsrunde – ebenfalls in Millionenhöhe.
cogvis: 3D-Sensoren entlasten Pflegepersonal
Gegründet wurde cogvis bereits im Jahr 2007. Spezialisiert hat man sich seither auf “altersgerechte Assistenzsysteme” (AAL). Dabei handelt es sich um ein modulbasiertes System, bei dem 3D-Sensoren Bewegungen im Raum registrieren und bei Bedarf einen Alarm auslösen. So sollen Stürze vermieden und das Pflegepersonal entlastet werden. Aktuell ist Rainer Planinc als CEO des Unternehmens tätig. Dafür wurde er erst letzten August zum CEO des Jahres ausgezeichnet.
Raiffeisen-Landesbank Steiermark als Lead Investor
Das heute verkündete siebenstellige Investment soll primär den internationalen Expansionsplänen des Scaleups dienen. Als führender Investor ist die Raiffeisen-Landesbank Steiermark an Bord. Auch Bestandsinvestoren haben weiteres Kapital investiert, wie CEO Rainer Planinc im Gespräch mit brutkasten bestätigt. Über die genaue Höhe des Investment wurde Stillschweigen vereinbart.
Langfristig halte man sich an das Ziel, die Verfügbarkeit der cogvis-Technologie in bestehenden Märkten weiter auszubauen und neue internationale Märkte zu erschließen. Cogvis ist bereits in mehreren europäischen Ländern vertreten. Der Fokus soll vorerst auch in Europa bleiben.
Weitere Expansion in Europa geplant
Ein Auge hat cogvis besonders auf Skandinavien geworfen: Erst im vergangenen Mai konnte cogvis eine schwedische Ausschreibung der Region Skåne zum Rollout von neuen, digitalen Lösungen im Pflegebereich gewinnen. Diese Position will man nun nutzen und weiter in den nordischen Markt vordringen.
“Dieses Investment ist ein entscheidender Schritt für die Zukunft der Pflege. Es ermöglicht uns, cogvis international weiter zu skalieren und unsere Marktführerschaft im Bereich KI-gestützter Pflegelösungen auszubauen”, wird CEO Rainer Planinc in einer Aussendung zitiert. Die Investition markiere indes eine Stärkung des Innovationsstandortes Österreich im Bereich der digitalen Gesundheitslösungen.
70 Prozent weniger Stürze
Mittlerweile wird cogvis in über 200 Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern europaweit eingesetzt. Als Monitoring-Lösung dient die 3D-Sensortechnologie unter anderem in der Sturzerkennung und -prävention sowie in der Aktivitätsanalyse und der Demenzbetreuung.
Aktuell positioniert sich das System als eine datenbasierte Entscheidungsgrundlage für Pflegekräfte. In der Praxis würde man laut Unternehmen bisher erkennen, dass durch den Einsatz von cogvisAI Stürze um 70 Prozent reduziert und Krankenhausaufenthalte nach einem Sturz um 60 Prozent verringert werden konnten.
KI in Europa: “Müssen aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten”
Was braucht es, damit Österreich und Europa bei künstlicher Intelligenz nicht zurückfallen? Diese Frage diskutierten Hermann Erlach (Microsoft), Marco Porak (IBM), Peter Ahnert (Nagarro) und Jeannette Gorzala in der vorerst letzten Folge der brutkasten-Serie "No Hype KI".
KI in Europa: “Müssen aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten”
Was braucht es, damit Österreich und Europa bei künstlicher Intelligenz nicht zurückfallen? Diese Frage diskutierten Hermann Erlach (Microsoft), Marco Porak (IBM), Peter Ahnert (Nagarro) und Jeannette Gorzala in der vorerst letzten Folge der brutkasten-Serie "No Hype KI".
Wo stehen wir wirklich, was die Adaption von künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft angeht? Diese Frage zu beantworten war eines der Ziele der Serie “No Hype KI“, die brutkasten anlässlich des zweijährigen Bestehens von ChatGPT gestartet hat. Die ersten fünf Folgen beleuchten unterschiedliche Aspekte des Themas und lieferten eine Bestandsaufnahme.
Im Staffelfinale, der sechsten Folge, war der Blick dann in Richtung Zukunft gerichtet. Dazu fanden sich die Österreich-Chefs von Microsoft und IBM, Hermann Erlach und Marco Porak, sowie Nagarros Big Data & AI Practice Lead für Central Europe, Peter Ahnert, und KI-Expertin Jeannette Gorzala, die auch Mitglied des KI-Beirats der österreichischen Bundesregierung ist, im brutkasten-Studio ein.
“Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache”
Eine der Erkenntnisse der Serie: Unternehmen und Institutionen verabschieden sich von überschwänglichen Erwartungen und sehen sich stattdessen an, wie KI tatsächlich in der Praxis eingesetzt wird. „Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache, weil jetzt kann man auf den Use Case gehen“, sagt Hermann Erlach, General Manager von Microsoft Österreich, im Videotalk. Er vergleicht den aktuellen Reifegrad von KI mit dem Beginn einer langen Reise: „Wenn ich so eine Reise angehe, dann brauche ich ein Ziel, einen Plan und Mitreisende. Alleine macht das wenig Spaß.“
Auch Marco Porak, General Manager von IBM in Österreich, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er sieht das abgelaufene Jahr als eine Phase der Erkenntnis. Den Status Quo bei KI in Österreichs Unternehmen beschreibt er im Talk folgendermaßen: “Wir haben allerorts sehr viel ausprobiert, sind vielleicht da und dort auf die Nase gefallen”. Gleichzeitig habe es auch “schöne Erfolge” gegeben. Für Porak ist klar: “Die Frage der Stunde lautet: Wie machen wir jetzt von hier weiter?“
AI Act: “Jetzt müssen wir ins Tun kommen”
Ein großes Thema dabei ist der AI Act der EU. Jeannette Gorzala, Gründerin von Act.AI.Now, plädiert für eine pragmatische Haltung gegenüber der EU-Verordnung: “Der AI-Act ist ein Faktum, er ist da. Jetzt müssen wir ins Tun kommen.” Sie sieht in dem Regelwerk einen Wegweiser: “Wir müssen die entsprechenden Kompetenzen aufbauen und die Möglichkeiten nutzen, die diese Regulierung bietet. Das ist der Reiseplan, den wir brauchen.”
Auch Marco Porak sieht den AI Act positiv: „Er hat nicht die Algorithmen reguliert, sondern gesagt, was wir in Europa gar nicht wollen, etwa Sozialpunktesysteme oder Gesichtserkennung in Echtzeit.“ So entstehe für Unternehmen im globalen Wettbewerb ein Vorteil, wenn sie ihre KI-Anwendung nach europäischen Maßstäben zertifizieren lassen: „Das ist wie ein Gütesiegel.“
“Müssen positiv aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten”
Hermann Erlach von Microsoft bezeichnet den Ansatz des AI Act ebenfalls als “gut”, betont aber gleichzeitig, dass es jetzt auf die Umsetzung von KI-Projekten ankomme: “Wir haben eine Situation, in der jedes Land an einem neuen Startpunkt steht und wir positiv aggressiv reingehen müssen, um unseren Wohlstand zu halten.”
Peter Ahnert sieht dabei auch ein Problem in der öffentlichen Wahrnehmung: KI werde tendenziell nicht nur zu klein gedacht, sondern meist auch in Zusammenhang mit Risiken wahrgenommen: “Es werden die Chancen nicht gesehen.” Woran liegt es? “Zu einem erheblichen Teil daran, dass noch zu wenig Bildung und Aufklärung an dem Thema da ist. In Schulen, in Universitäten, aber auch in Unternehmen und in der öffentlichen Hand.” Hier müsse man ansetzen, sagt der Nagarro-Experte.
Jeannette Gorzala sieht das ähnlich: “Bildung und Kompetenz ist das große Thema unserer Zeit und der zentrale Schlüssel.” Verstehe man etwas nicht, verursache dies Ängste. Bezogen auf KI heißt das: Fehlt das Verständnis für das Thema, setzt man KI nicht ein. Die Opportunitätskosten, KI nicht zu nutzen, seien aber “viel größer” als das Investment, das man in Bildung und Governance tätigen müssen. “Natürlich ist es ein Effort, aber es ist wie ein Raketenstart”, sagt Gorzala.
IBM-Programm: “Die Angst war weg”
Wie das in der Praxis funktionieren kann, schilderte IBM-Chef Porak mit einem Beispiel aus dem eigenen Unternehmen. IBM lud weltweit alle Mitarbeitenden zu einer KI-Challenge, bei der Mitarbeiter:innen eigene KI-Use-Cases entwickelten, ein – mit spürbaren Folgen: “Die Angst war weg.” Seine Beobachtung: Auch in HR-Teams stieg die Zufriedenheit, wenn sie KI als Assistenz im Arbeitsablauf nutzen. “Sie können sich auf die komplexen Fälle konzentrieren. KI übernimmt die Routine.”
Microsoft-Chef Erlach warnt auch davor, das Thema zu stark unter Bezug auf rein technische Skills zu betrachten: “Die sind notwendig und wichtig, aber es geht auch ganz viel um Unternehmens- und Innovationskultur. Wie stehen Führungskräfte dem Thema AI gegenüber? Wie steht der Betriebsrat dem Thema AI gegenüber?”, führt er aus.
Venture Capital: “Müssen in Europa ganz massiv was tun”
Soweit also die Unternehmensebene. Einen große Problemstelle gibt es aber noch auf einem anderen Level: Der Finanzierung von Innovationen mit Risikokapital. “An der Stelle müssen wir in Europa ganz massiv was tun”, merkte Ahnert an. Er verwies auf Beispiele wie DeepMind, Mistral oder Hugging Face, hinter denen jeweils europäische Gründer stehen, die aber in den USA gegründet, ihre Unternehmen in die USA verkauft oder zumindest vorwiegend aus den USA finanziert werden.
Der Nagarro-Experte verwies dazu auf eine Studie des Applied AI Institute, für die Startups aus dem Bereich generative KI zu den größten Hürden, mit denen sie es zu tun haben, befragt wurden. “51 Prozent haben Funding genannt. Weit abgeschlagen an zweiter Stelle mit 24 Prozent erst kam die Regulierung und unter 20 Prozent waren Themen wie Fachkräftemangel oder Zugang zu Compute Power.” Ahnerts Appell: “Bei dem Thema Finanzierung müssen wir was tun, damit wir in der nächsten Welle an der Spitze sind.”
Erlach: Adaption entscheidend
Letztlich sei aber vielleicht gar nicht so entscheidend, wo eine Technologie produziert werde, argumentierte Hermann Erlach von Microsoft. Denn es komme auf die Adaption an: “Vielleicht ist die Diskussion Europa vs. Amerika in Teilbereichen die falsche.” Die wichtigere Frage sei also: “Wie adaptiere ich diese Technologie möglichst schnell, um meinen Wohlstand zu erhöhen?”
Marco Porak ergänzt: “Ganz, ganz wesentlich ist Mut. Ganz, ganz wesentlich ist unsere kulturelle Einstellung zu dem Thema.” Man müsse die Chancen sehen und weniger das Risiko. In der Regulatorik könne man dies begleiten, indem man Anreize schafft. “Und ich glaube, wenn wir das als Österreich mit einem großen Selbstbewusstsein und auch als Europa mit einem großen Selbstbewusstsein machen, dann haben wir in fünf Jahren eine Diskussion, die uns durchaus stolz machen wird.”
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