09.06.2020

Was würde Charles Darwin von der Singularity halten?

Wie spielen das menschliche Gehirn und Künstliche Intelligenz zusammen? Und was würde Charles Darwin dazu sagen, dass wir Maschinen erschaffen, die intelligenter sind als wir selbst? Ein Rück- und Ausblick.
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(c) Adobe Stock / jirsak / beigestellt

Der Leitsatz „Survival of the fittest“ von Charles Darwin ist allgegenwärtig. Er prägte nicht bloß unsere Sicht auf die Biologie, auch ökonomisch und gesellschaftlich interpretieren wir ihn ständig neu, passen ihn dem Zeitgeist an. Derweil hat ihn der Begründer der Evolutionstheorie auch selbst unterschiedlich interpretiert. Meinte er in der ersten Phase seiner Forschung damit noch das „erfolgreiche Fortpflanzen“ innerhalb einer Spezies, so deutete er ihn später auch als die „erfolgreichere Anpassung an eine sich verändernde Umwelt“. Vom Konzept der „natürlichen Auslese“ nahm Darwin über die Jahre Abstand, es wurde zu oft falsch interpretiert.

+++Philipp Maderthaner: „Ein Entschlossener ist immer die Mehrheit“+++

Darwin schuf essentielle, naturwissenschaftliche Grundlagen. Seine Theorien wurden aber auch ideologisch vereinnahmt und missbraucht. Denken wir an den Sozialdarwinismus. Der Versuch, den Darwinismus auf unsere Gesellschaften umzulegen, zählt nicht zu den Stilblüten unserer Geschichte. Sie mahnen uns, sorgfältig mit der Interpretation solcher Grundlagen umzugehen. Verzichten können wir allerdings nicht darauf, beschreiben sie doch für uns gültige Gesetzmäßigkeiten, auf die man neue Thesen stützt.

Über den freien Willen und richtige Entscheidungen

Betrachten wir zunächst „die Entscheidung“, als wichtigstes Element der Überlebensstrategie eines jeden Individuums. Die Art, wie täglich tausendfach entschieden wird, sowie die Konsequenzen daraus. Sie gestalten unser Leben und unsere Arbeit. Sie bestimmen über Erfolg- und Misserfolg. Bei Tieren gehen Forscher mehr oder weniger davon aus, dass Entscheidungen über Verhaltensmuster vererbt, bzw. durch Nachahmung erlernt und bestätigt werden.

Sie sprechen vom Entscheidungs-Determinismus. Das bedeutet, dass Entscheidungen im Prinzip vorherbestimmt sind. Lebewesen würde diese nur mehr abrufen, situationsbezogen und kombinatorisch. Spannend wird es, wenn wir uns Entscheidungsprozesse beim modernen Menschen ansehen. Die Sicht auf unsere Ratio und den aufgeklärten Homo Sapiens Sapiens ist stark geprägt vom sogenannten „freien Willen“. Dieser baue auf eigenen, unabhängigen Analysen sowie eigenen Entscheidungen auf, die der selbstbestimmte Mensch treffe.

Vom unfreien freien Willen

Wie vom Blitz getroffen mussten deshalb Humanisten und Ethiker reagieren, als wir von führenden Neurobiologen lernten, dass es mit dem freien Willen nicht so weit her sei wie gedacht. Bei einfachen Organismen sind Wille und Entscheidungsmuster so simpel, dass wir sie vorhersagen können, wenn wir uns alleine ihr Nervensystem ansehen. Von ihnen bis hin zu komplexeren Lebewesen und dem Menschen finden sich immer dieselben Nervenzellen und Gesetzmäßigkeiten, auf deren Basis sie funktionieren.  Nur Komplexität und Quantität der Nervenzellen unterscheiden sich.

Das ist eine entscheidende Erkenntnis. Selbst komplexeste Verhaltensweisen im Menschen beruhen also auf dieser Wirkweise. Für die Neurowissenschaften bedeutet dies, und die Erkenntnis gilt bei der Mehrheit der Wissenschaftler global als gesichert, dass auch beim Menschen der Wille, die Entscheidungen sowie alle kognitiven Prozesse vorherbestimmt sind. Sie sind vor allem abhängig vom Zustand des jeweiligen Nervensystems. Diese festgelegte Vorgehensweise des Gehirns und seiner Nervenzellen waren biologisch betrachtet essentiell für die erfolgreiche Entwicklung des Menschen.

Doch wenn alle Entscheidungen vorherbestimmt sind, weshalb kann man diese nicht richtig vorhersagen? Weil Determinismus nicht bedeutet, dass die Signale in den Neuronen immer gleich linear auf Reize reagieren. Geringste Unterschiede in der Ausgangsbasis gestalten den ultra-komplexen Verlauf schon anders. Dafür reicht etwa eine winzige Abweichung in den Signalen der Neuronen. Diese kann zu etwas Neuem führen, etwas das nicht vorhersehbar ist. Wir nennen diese Abweichung – Kreativität.

Menschliche und künstliche Entscheidungen

Der Mensch versucht seit jeher, seine Erfindungen zu verbessern und er tut dies nicht selten, indem er Anleihen aus der Natur nimmt, die geradezu ideal designt scheint. So sind Entwickler Künstlicher Intelligenz (KI) dazu übergegangen, das menschliche Gehirn nachzubauen. Beim Aufbau sogenannter neuronaler Netze platzieren sie, ähnlich wie beim menschlichen Gehirn, viele Neuronen und verbinden diese miteinander.

Ein neuronales Netz sieht dabei weniger chaotisch wie ein menschliches Gehirn aus, sondern es besteht aus über einander liegenden Schichten (Layers), auf denen die Neuronen fein säuberlich an einander gereiht werden. Ein Neuron ist dabei ein Informationszustand, es reagiert auf einen Reiz von außen. Sehr ähnlich wie in der Natur, kann man bei sehr einfachen neuronalen Netzen möglicherweise vorhersehen, zu welchem Ergebnis die Künstliche Intelligenz kommen werde. Bei komplexeren Systemen, zum Beispiel solchen mit Millionen von Neuronen, wird es unmöglich, transparent zu machen, weshalb nun ein bestimmtes Ergebnis heraus kam. Manche bezeichnen sie deshalb als „blackbox“. Kritiker wie Regulatoren fordern daher eine „explainable ai“ („eine erklärbare KI“, Anm.), was Wissenschaftler vor schwierige Probleme stellt. Denn wie erfasst man Millionen verschiedener Zustände von Neuronen und deren Wirkungsweisen transparent und für Menschen erklärbar?

+++Rassismus in den USA und die etablierte Kapitalismus-Kritik: Kill the system?+++

Das Ergebnis einer Berechnung in einem neuronalen Netz ist übrigens eine Entscheidung. Genauer gesagt, es ist eine Entscheidung mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit versehen, wie richtig diese sei. Und wie wir von der Biologie und den Neurowissenschaften lernten, auch ein künstliches, neuronales Netz lernt (autonom) bei komplexen Aufgaben von menschlichen Entscheidungen.

Nehmen wir zum Beispiel eine KI, die lernt, Katzen von Hunden zu unterscheiden. Es reicht nicht, der KI einfach tausende Bilder der Tiere zu „füttern“. Vielmehr muss vorab ein Mensch bei jedem Bild entscheiden, was er sieht: Ist es ein Hund oder eine Katze? Man nennt diesen Vorgang „labeling“. Und weil das bei großen Datensätzen mitunter eine recht aufwendige Sache ist, lagern sie viele Firmen nach Indien aus, wo mittlerweile hunderttausende Menschen damit beschäftigt sind, für KI-Systeme zu „labeln“ oder zu „annotieren“, wie man den Vorgang bei sprachlichen Korpora nennt. Die Muster, die menschlichen Entscheidungen, eingepflegt als Daten, sie bilden also die Basis für die Künstliche Intelligenz.

Die Stärke der schwachen Künstlichen Intelligenz

Anders als beim Menschen, fokussiert diese zunächst auf Nischen oder begrenzte Aufgaben, wir nennen sie „schwache KI“. Dort aber wird die KI oft deutlich „intelligenter“ als der Mensch, weil sie in klar abgegrenzten Domänen einfach viel mehr Daten simultan trainieren kann. Eine selbstfahrende KI in Autos beispielsweise profitiert von Millionen gefahrener menschlicher Test-Kilometer. Eine Diagnose-KI von Krebszellen hat Millionen richtig diagnostizierter MRTs gesehen und entscheidet darauf basierend. Und eine KI-Gesichtserkennung erkennt nicht Hunderte oder Tausende Menschen wieder, sondern Milliarden, wenn sie nur genügend Daten zum Trainieren hatte.

Qualität und Quantität helfen

Wenn ich Ihre Aufmerksamkeit jetzt noch genieße, dann haben Sie vielleicht schon an zwei Schlussfolgerungen meiner Erzählung gedacht. Qualität und Quantität der Daten sind entscheidend. Hat ein Tier-Rassist in unserem erfundenen Beispiel alle Chiwawas aus Bosheit als „Katzen“ gelabelt, dann erkennt die KI womöglich den Großteil aller Hunde und Katzen korrekt, aber Chiwawas und ähnlich aussehende Hunde sind und bleiben für sie Katzen. Wir sprechen von „Bias-KI“. Das ist Künstliche Intelligenz mit „Vorurteilen“.

+++Künstliche Intelligenz als Chance für die Industrie: ein Leitfaden+++

Wenngleich das verwirrt, denn die KI ist an sich nicht vorurteilsanfällig. Aber hat man sie mit menschlichen „Vorurteils-Daten“ trainiert, was soll sonst dabei herauskommen als „simulierte Vorurteile“? Und wollen wir, dass unsere KI nicht bloß Hunde und Katzen sondern auch Perser-Katzen, Doggen und Dackel richtig erkennt, dann braucht sie umso mehr, richtig „gelabelte“ Daten. Ihre Entscheidungen werden richtiger, wenn die menschlichen Entscheidungen davor korrekt waren. Erfolgreiche Entscheidungen sind determiniert, egal ob sie tierisch, human oder künstlich sind und dasselbe gilt für falsche und schlechte Entscheidungen.

Was würde Charles Darwin zu Künstlicher Intelligenz sagen?

Inzwischen machen wir große Fortschritte in KIs in klar abgegrenzten Domänen, lernen dort besser, auch im Sinne des Menschen, zu entscheiden: Beim Autofahren, Krebs diagnostizieren, Fonds-Management und Fehlerfinden in Fertigungsprozessen. Parallel beginnen wir, diese KIs zu kombinieren und schaffen entscheidungsfähigere Software, die parallel in verschiedenen Bereichen bessere Leistungen erbringt als wir Menschen selbst. Und wenn diese gesteigerte Intelligenz uns gesünder, sicherer und glücklicher macht, dann soll es so sein. Einige besonders gut dotierte Institute streben aber besonders hoch hinaus. Sie versuchen die „general ai“ zu erschaffen, um irgendwann in der „Singularity“ zu münden. Das ist jener „Urknall“, in dem die künstliche die menschliche Intelligenz millionenfach übersteigen wird und der nur mehr wenige Jahrzehnte von uns weg sein könnte.

Vielleicht würde Charles Darwin als Forscher der „Singularity“ gelassen gegenüberstehen, es als natürlichen Verlauf der Evolution betrachten; als einen Prozess der Auslese, dem Siegen schneller und richtiger Entscheidungen über langsame und falsche. Vielleicht würde Darwin uns Menschen bedauern, weil wir als ehemalige „Krönung der Schöpfung“ (Darwin war ursprünglich Theologe., Anm.) etwas erschaffen haben, das uns derart überlegen ist und droht, uns evolutionär zu ersetzen. Aber vielleicht würde Darwin uns auch beglückwünschen. Weil wir Menschen eine höhere Intelligenz entwickeln konnten als die eigene, um all unsere großen Probleme zu lösen. Hoffen wir abschließend, er würde uns beglückwünschen und wünschen wir uns noch viel Kreativität.


Über den Autor

Mic Hirschbrich ist CEO des KI-Unternehmens Apollo.AI, beriet führende Politiker in digitalen Fragen und leitete den digitalen Think-Tank von Sebastian Kurz. Seine beruflichen Aufenthalte in Südostasien, Indien und den USA haben ihn nachhaltig geprägt und dazu gebracht, die eigene Sichtweise stets erweitern zu wollen. Im Jahr 2018 veröffentlichte Hirschbrich das Buch „Schöne Neue Welt 4.0 – Chancen und Risiken der Vierten Industriellen Revolution“, in dem er sich unter anderem mit den gesellschaftspolitischen Implikationen durch künstliche Intelligenz auseinandersetzt.

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brutkasten-Gründer und CEO Dejan Jovicevic beim 10-jährigen Jubiläum im Dezember. (c) brutkasten/Marko Kovic

Dieses Interview ist im brutkasten-Printmagazin von Dezember 2024 erschienen. Eine Download-Möglichkeit des gesamten Magazins findet sich am Ende dieses Artikels.


brutkasten: Wie kam es 2014 zur Gründung von brutkasten?

Dejan Jovicevic: Ich war im Styria-Konzern bei „Presse“ und „Wirtschaftsblatt“ und habe dort die Rechts- und Personalabteilung geleitet. Da kam einmal Christoph Hantschk, der Gründer des Startups goodbag, auf mich zu. Er wollte eine klassische Medienkooperation mit mir vereinbaren, bei der wir 20 Abos verlost hätten. Im Zuge unserer Gespräche dazu hat mich dieser Startup-Spirit fasziniert, den ich so bisher nicht kannte.

Meine ursprüngliche Idee war, dass wir mit „Presse“ und „Wirtschaftsblatt“ für Startups Leistungen erbringen könnten, z.B. das Controlling oder Legal-Themen. Ich wollte einfach irgendwie dabei sein. Ich habe dann gesehen, dass die Styria an einem Startup von Lorenz Edtmayer und Maximilian Nimmervoll beteiligt war, das App-Entwicklung angeboten hat. Die Leistung wollte ich ebenfalls dabei haben und habe dann Kontakt zu Lorenz aufgenommen.

Da hat sich dann herausgestellt, dass er gerade eine Job-Plattform für Startups plant. Für die Job-Plattform hat es Content gebraucht. So haben wir dann gemeinsam brutkasten konzipiert.

Wie ging es in die Umsetzung?

Ich habe von „Presse“ und „WirtschaftsBlatt“ dann die Zusage bekommen, dass wir das umsetzen können. Wir haben eine Website gestartet, mit internen Ressourcen der Styria. Die Styria hat parallel auch einen internen Inkubator für Innovation ausgeschrieben. Dort habe ich brutkasten als Projekt eingereicht. Es wurde als eines der fünf Siegerprojekte von rund 100 Einreichungen ausgewählt. In weiterer Folge konnten wir dann auch die ersten Leute einstellen. Unsere erste Redakteurin war Theresa Breitsching, die ab Ende 2014 Vollzeit für brutkasten gearbeitet hat.

Du selbst hast aber noch nicht Vollzeit an brutkasten arbeiten können?

Nein, ich habe das alles neben der Leitung der Rechts- und Personalabteilung gemacht. Ich war aber noch weit entfernt von dem Unternehmer, der ich heute bin; der weiß, wie man eine Firma aufbaut. Damals war es mehr Enthusiasmus und weniger Wissen. Wir haben dann unsere ersten internen Business Angels gewonnen, „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und WirtschaftsBlatt-Chefredakteurin Eva Komarek.

Wir hatten damals zwei Seiten pro Woche in der „Presse“-Printausgabe vom Samstag, und zusätzlich haben wir brutkasten eben online bespielt. Das hat damals Theresa Breitsching weitgehend alleine gemacht. Ich habe meinen Hauptjob gehabt und immer wieder daneben was für brutkasten gemacht. Ich konnte aber aus dieser Management-Rolle nicht ganz raus, und das hat dann 2017 zum Buyout geführt. Den haben Lorenz Edtmayer, Maximilian Nimmervoll, Michael Tillian und ich dann gemacht. So wurde brutkasten ein eigenständiges Unternehmen.

Dejan Jovicevic machte 2017 den Management-Buy-out gemeinsam mit Lorenz Edtmayer, Michael Tillian und Maximilian Nimmervoll (v.l.n.r).

Hattest du früher schon die Vorstellung, dass du eines Tages Unternehmer werden möchtest, oder ist das durch deine Beschäftigung mit der Startup-Szene entstanden?

Weder noch. Wir sind gemeinsam mit „Presse“ und „WirtschaftsBlatt“ zu dem Entschluss gekommen, dass brutkasten als eigenes Unternehmen bessere Chancen hätte. Aber ich bin nicht einmal durch meine Beschäftigung mit der Startup-Szene auf die Idee gekommen, zu gründen: Ich war eigentlich an einem Karriereweg im Konzern interessiert. Und dann ist mir das passiert.

Als ich es meinem Mentor Michael Tillian erzählt habe, hat er mir gesagt: Dejan, das musst du machen – denn so eine Opportunity kriegst du nicht wieder.

Wie lange hat es gedauert, bis es dann Realität wurde?

Die Verhandlungen liefen noch acht Monate. Parallel dazu habe ich meinen ersten Sohn bekommen, im Dezember 2016. Im Mai 2017 waren die Verhandlungen abgeschlossen. Die Zeit bis dahin war eine brutale Phase, mit wenigen Stunden Schlaf pro Nacht. Ich habe ja noch immer meinen Hauptjob in der Styria gehabt und das parallel verhandelt. Die Verhandlungen waren sehr fair und ich bin der Styria dankbar, dass sie mir diese Möglichkeit gegeben hat.

Wie lief dann der Start als eigenes Unternehmen?

Der Deal war, dass wir den gesamten Betrieb übernehmen. Das waren damals fünf Leute und wir hatten keine Investoren, die uns finanziert haben. Wir hatten damals kein Geld. Die ersten Gehälter habe ich aus dem Stammkapital bezahlt. Mir selbst habe ich nichts ausbezahlt. Für die zweiten Gehälter haben wir dann schon Geld verdienen müssen. Das war eine brutale Phase. Wir waren 24/7 im Einsatz.

Du hast erzählt, dass du in der Anfangszeit von brutkasten gar nicht so stark ins Daily Business involviert warst. Wann hast du begonnen, selbst Content zu produzieren?

Das ist mit den Facebook-Livestreams gekommen. Das wollte ich unbedingt als First Mover machen. Diese Facebook-Livevideos haben uns dann auch den größten Boost gegeben – wir haben überallhin das Handy mitgenommen, Stative aufgebaut und von überall gestreamt. Das war damals neu und ist super angekommen. In dieser Phase hatten unsere Videos oft 10.000 Views und viele Kommentare.

Wie ging es für das Unternehmen brutkasten wirtschaftlich weiter? Wie kam es zur ersten Finanzierungsrunde im Jahr 2018?

Wir sind nach dem Buyout weiter gewachsen. Die ersten beiden Jahre haben wir operativ positiv abgeschlossen. Wir haben eine ordentliche Sogwirkung gespürt. Das hat dazu geführt, dass uns die ersten Investoren angesprochen haben. Wir hatten einfach Buzz erzeugt, weil ständig Gründer bei uns in den Livestreams waren.

Und dann hat mich einmal Runtastic-Co-Founder Florian Gschwandtner bei einem Drink angesprochen, dass wir uns bei ihm melden sollten, wenn wir mal Investoren suchen sollten. Unsere Eigentümerstruktur hatte sich da schon etwas verändert: Michael Tillian ist zur Russmedia gewechselt und hat, um Interessenskonflikte zu vermeiden, dort seinen 15-Prozent-Anteil eingebracht. Von Russmedia gab es dann ebenfalls die Bereitschaft, in brutkasten zu investieren, um eine Expansion auf den deutschen Markt zu finanzieren.

Über Kontakte und WhatsApp-Nachrichten hatten wir plötzlich eine 1,25-Mio.-Euro-Finanzierungsrunde aufgestellt. Andreas Bierwirth und die mySugr-Gründer waren auch mit dabei. Dann hatten wir noch ein brutkasten-Interview mit den Bitpanda-Gründern Eric Demuth und Paul Klanschek. Nach dem Interview hatte ich einen Notartermin, und als sie erfahren haben, warum, wollten sie ebenfalls einsteigen.

Du hast eindrücklich geschildert, wie wenig Geld am Anfang da war. Dann hast du plötzlich 1,25 Mio. Euro am Konto gehabt. Wie war das für dich in dem Moment?

Da konnte ich zum ersten Mal ein bisschen durchatmen. Gleichzeitig ist es jedoch so, dass so ein Betrag zwar nach einer hohen Summe klingt, aber 500.000 davon haben wir dann für die Akquisition von StartingUp verwendet – einiges für den Kaufpreis, aber da kommen ja noch eine ganze Reihe anderer Kosten, etwa für Anwälte, dazu. Beim Rest hast du dann monatlich gesehen, wie es weniger wird. Wir haben ja auch ins Team investiert.

Gleichzeitig haben wir aber unseren Umsatz gesteigert. Es war keine zweite Finanzierungsrunde nötig, weiteres Wachstum haben wir dann über Fremdkapital finanziert.

In der Coronapandemie entstand dann mit den digitalen Events ein neuer Geschäftsbereich …

Das hat uns einen Boost gegeben, das war ein wichtiger Meilenstein mit wirklich coolem Wachstum. Wir waren lange Zeit ganz klar als Medium positioniert; auf einmal war das Agentur-Business megaerfolgreich. Das war aber eine opportunistische Situation, kein Ergebnis eines langen Strategieprozesses. Es war im ersten Corona-Lockdown einfach überlebensnotwendig, sich etwas anderes zu überlegen.

Manche haben mir zu Kurzarbeit geraten, ich habe mich aber für „Langarbeit“ entschieden. Ich habe gewusst, es wird uns etwas einfallen – und das waren die digitalen Events. Wir waren dann sehr gefragt, weil wir ein Must-have-Produkt hatten. Wir haben diese Dinge eben auch viel schneller gelernt als Agenturen, die auf Kurzarbeit waren. Das digitale Event-Business hat uns viele Aufträge gebracht und für Wachstum gesorgt.

Manche haben mir zu Kurzarbeit geraten, ich habe mich aber für „Langarbeit“ entschieden.

Aber wir haben schon auch gelernt, dass unsere mediale Tätigkeit darunter leidet. 2021 war ein starkes Wachstumsjahr für uns: Wir haben in diesem Jahr über 20 Personen eingestellt und das „Venture Capital Magazin“ in Deutschland gekauft. Damit haben wir den Sprung auf rund 50 Mitarbeiter:innen gemacht.

Aus damaliger Sicht war das nachvollziehbar, weil die Prognosen auf starkes Wirtschaftswachstum hindeuteten. Man hat auf den Aufbruch nach der Pandemie gewartet, und dafür haben wir uns aufgestellt. Ich wollte vorne dabei sein, wenn der Aufschwung kommt. Dann ist es aber anders gekommen – mit dem Ukraine-Krieg, der am 24. Februar 2022 begonnen hat.

Wie hat sich das ausgewirkt?

Im Jänner und Februar war die Wirtschaft noch total im Aufbruch und wir hatten Aufträge, bei denen es um größere Summen ging als jemals zuvor. Dann kamen die Wirtschaftskrise, Inflation, die Venture-Capital-Krise und die ersten großen Layoffs in der Startup-Szene. Das hat uns auch vom Werbemarkt her getroffen. Das Geschäft mit den digitalen Events ist dann gravierend eingebrochen. Die Rezessionsangst in der Wirtschaft war sehr hoch. Eine Firma unserer Größe ohne Cashreserven konnte in so einem Umfeld nicht mehr überleben, auch wenn wir zwischenzeitlich eine Erholung geschafft haben. Das hat dann in einer Notoperation zum Verkauf an die VGN-Gruppe geführt.

Mit dem Deal wurde die VGN neue Mehrheitseigentümerin, du selbst hast die Mehrheit abgegeben. Wie war das für dich?

Es ging alles sehr schnell. Plötzlich standen wir vor dem Aus. Ich habe über tausend unterschiedliche Optionen nachgedacht. Das war eine Phase, in der ich jede Nacht um vier Uhr aufgewacht bin. Für mich persönlich war es die transformativste Phase meines Lebens, im Nachhinein auch im positiven Sinn.

Es hat sich schnell herausgestellt, dass die VGN die einzige Möglichkeit in der notwendigen Geschwindigkeit war. Gemeinsam mit Horst Pirker haben wir mit den Altinvestoren eine für alle gangbare Lösung gefunden. Für mich war es essenziell, auch mir selbst die Frage zu beantworten: Habe ich noch die Kraft, das die nächsten zehn Jahre weiterzumachen? Will ich das? Sehe ich noch die Vision? Und ich bin zum Schluss gekommen: Ja, das möchte ich. Ich habe tatsächlich in meine Kraft zurückgefunden, durch den radikalen Fokus auf die einzige Aufgabe: den Fortbestand von brutkasten zu sichern.

Wir konnten die Restrukturierung dann sehr gut bewältigen. Über den Sommer haben wir strategisch gearbeitet und Klarheit gewonnen. Dann sind wir mit gutem Elan und vielen Hausaufgaben in den Herbst hineingegangen, und wir haben die folgenden 18 Monate bravourös gemeistert; das gesamte Team. Heute stehen wir nach all diesen Erfahrungen mit einer strategischen Klarheit da, die wir nie hatten, mit einem starken kaufmännischen Fundament und mit einem Team, das besser als je zuvor zusammenarbeitet.

Wir feiern jetzt zehn Jahre brutkasten. Wie siehst du den Beitrag, den brutkasten zum Innovations-Ecosystem leistet?

Wir haben Brücken zwischen Startups, Investoren und Corporates gebaut, Innovationen sichtbar gemacht und dem österreichischen Innovations-Ecosystem eine Stimme gegeben. Ohne uns wären viele Erfolgsgeschichten vielleicht unbemerkt geblieben.

Birthday Bash zum zehnjährigen Jubiläum von brutkasten.

Unsere Plattform hat dabei geholfen, die inspirierendsten Köpfe des Landes miteinander zu verbinden und Mut zu machen, neue Wege zu gehen. Mit unseren unterschiedlichen Formaten wie Studiotalks, dem Printmagazin oder unseren Events haben wir dafür gesorgt, dass die Innovationskraft unseres Landes die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient.

Du sprichst jetzt auch die Brückerbauer-Funktion zwischen Startups und Corporates an. brutkasten ist aus der Startup-Szene heraus entstanden, hat sich aber verbreitert und deckt mittlerweile das komplette Innovations-Ecosystem ab. Wie siehst du heute das Verhältnis zwischen brutkasten und der Startup-Szene?

Mich haben die Gründerinnen und Gründer fasziniert. Deshalb habe ich ein Medium für sie gebaut, mit allen Leuten, die den Weg seit Tag eins mitgehen. Aber schon ganz zu Beginn war unser Claim „Bridging the new and the old economy“. Das hatten wir auf der allerersten Website. Ich war von Anfang an überzeugt, dass, wenn man diese beiden Welten zusammenbringt, Startups stärker werden, weil sie Kunden, Partner und Projekte brauchen; und Corporates werden stärker, weil sie Innovation brauchen, die sie alleine nicht schaffen.

Dieser Teil des Brückenbauens hat für mich immer eine große Rolle gespielt, weil ich für die Corporate-Welt große Wertschätzung habe. Das ist letztlich die tragende Säule der Wirtschaft, und wenn man diese durch die Innovationskraft der Startups stärkt, stärkt man beide Seiten.

Ich sehe Startups auch nicht als isoliertes Phänomen – sie sind als Teil der Wirtschaft auch Garant für Wohlstand und das Sozialsystem. Dass alle zusammenarbeiten, ist mir wirklich ein Anliegen – heute mehr denn je, denn Europa muss selbstbewusster werden und die eigene Wettbewerbsfähigkeit stärken.

In diesem Kontext ist ja auch die neue brutkasten-Initiative Austrian Innovators zu sehen, die 2025 starten wird. Was steckt dahinter?

Wir brauchen die Innovationskraft, die Geschwindigkeit und den Mut von Gründerinnen und Gründern. Aber alleine werden sie die Welt nicht umkrempeln können. Da braucht es Corporates, die bereit sind, Geld zu investieren und Infrastruktur zu teilen. Es braucht Investoren und den Kapitalmarkt, der die Transformation finanziert. Und es braucht Policymaker und die Wissenschaft. Alle diese Stakeholder wollen wir zusammenbringen, aus der Überzeugung, dass wirklich große Dinge möglich werden, wenn die richtigen Leute an einem Strang ziehen.

Viele dieser Communitys, die ich jetzt genannt habe, sind untereinander halbwegs gut vernetzt, aber über den Tellerrand noch nicht so wirklich. Hier kann brutkasten als Ecosystem-Player einen Beitrag leisten, diese Akteure an einen Tisch zu bringen; in einem monatlichen Format mit digitalen Komponenten.

Wir feiern jetzt zehn Jahre brutkasten. Wo könnte brutkasten in weiteren zehn Jahren stehen?

Ich sehe brutkasten als Unternehmen, das weiter Pionierarbeit leistet und neue Standards setzt. Wir wollen nicht nur Trends folgen, sondern sie gestalten; sowohl in der Medienwelt als auch im Innovations-Ecosystem. Unsere Vision ist es, die erste Anlaufstelle für alle zu sein, die Innovation in Europa vorantreiben wollen. Mit einem starken Team, einer klaren Strategie und der Bereitschaft, uns immer wieder neu zu erfinden, sind wir bestens gerüstet, um die nächsten zehn Jahre erfolgreich zu gestalten.

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AI Summaries

Was würde Charles Darwin von der Singularity halten?

  • Wie wir von der Biologie und den Neurowissenschaften lernten, auch ein künstliches, neuronales Netz lernt bei komplexen Aufgaben von menschlichen Entscheidungen.
  • Die Muster, die menschlichen Entscheidungen, eingepflegt als Daten, sie bilden also die Basis für die Künstliche Intelligenz.
  • Ihre Entscheidungen werden richtiger, wenn die menschlichen Entscheidungen davor korrekt waren.
  • Erfolgreiche Entscheidungen sind determiniert, egal ob sie tierisch, human oder künstlich sind und dasselbe gilt für falsche und schlechte Entscheidungen.
  • Vielleicht würde Charles Darwin als Forscher der “Singularity” gelassen gegenüberstehen, es als natürlichen Verlauf der Evolution betrachten; als einen Prozess der Auslese, dem Siegen schneller und richtiger Entscheidungen über langsame und falsche.

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