23.10.2023

“Bei New Leadership geht es darum, weich und nett zu sein”

Gastbeitrag. Konrad Holleis von det WU Executive Academy hat sich gängige Annahmen über New Leadership angesehen, sie dekonstruiert und mit Mythen und falschen Sichtweisen aufgeräumt.
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New Leadership, Leadership, Was bedeutet Leadership,
(c) WU EA/Stock.Adobe/Denis - Konrad Holleis von der WU Executive Academy.

Wie sieht Leadership in einer neuen Arbeitswelt aus? Klare strukturierte Anweisungen und Micromanagement unter einem hierarchisch angelegten System stehen mittlerweile neue Ansätzen gegenüber, die Führungskräften andere Werkzeuge bieten, als bisher möglich. Da sich dieser Bereich im steten Wandel befindet, kommt es auch noch 2023 bei New Leadership jedoch zu Mythen, Missverständnissen und falsche Vorstellungen darüber, was dies wirklich bedeutet.

New Leadership: Profit & Purpose

So sieht es Konrad Holleis, Head of Executive Education der WU Executive Academy. Daher hat er sich die weitverbreitetsten Mythen genauer angesehen und gibt Tipps für die Praxis, wie Führungskräfte diese Missverständnisse ausräumen können.

“Dort wo traditionelle Führung mit ihren eher starren Hierarchien angesichts des disruptiven Wandels in der Wirtschafts- und Arbeitswelt schnell an ihre Grenzen stößt, bietet New Leadership eine moderne, umfassende Führungs-Toolbox, die auch in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts funktioniert”, meint er.

Der Begriff “New Leadership” subsummiert für den Experten moderne Führungsansätze, die Flexibilität, Agilität und technologische Entwicklung eines Unternehmens fördern, dabei nicht nur den Profit und den Kund:innennutzen im Fokus haben, sondern auch den “Purpose”, also den gesellschaftlichen Sinn eines Unternehmens in den Vordergrund rücken. Neben dem “Profit” gehe es vor allem auch um die Gesellschaft und die Umwelt, also um das Fortbestehen des Planeten (planet), und die Zufriedenheit, Gesundheit und Motivation der Mitarbeiter:innen (people).

New Leadership bedeute konkret partizipative, kooperative und teamorientierte Führung, bei der Mitarbeiter:innen mehr Verantwortung und Autonomie erhalten, um so Innovation und Kreativität zu fördern und eine offene Kommunikationskultur zu etablieren.

Ende des Untergebenentums

Für New Leaders sind, nach Holleis, Mitarbeiter:innen keine Untergebenen mehr, sondern eigenverantwortliche Gestalter auf Augenhöhe, die einen wertvollen Beitrag zu einem “größeren Ganzen” leisten möchten und “in ihrer Vielfalt einen wesentlichen Beitrag bringen”, um Innovationen voranzutreiben und Lösungen für immer komplexer werdende Herausforderungen zu bieten.

Hartnäckige Missverständnisse und falsche Vorstellungen darüber, was New Leadership ist und was es kann, würden aber noch immer in den Köpfen herumschwirren. Die hartnäckigsten darunter hat sich der Head of Executive Education genauer angesehen und sie in sechs Punkten zusammengefasst:


1. New Leadership setzt ausschließlich auf das Neue und den Wandel

Häufig wird das Konzept des New Leadership mit New Work, unternehmensinterner Transformation und Technologisierung bzw. Digitalisierung von Geschäftsprozessen in Verbindung gebracht. Das stimmt zwar, bedeutet aber nicht, dass New Leadership erprobte Abläufe oder erfolgreiche Geschäftsmodelle außer Acht lässt. Im Gegenteil: Es geht vielmehr darum, Bewährtes und Funktionierendes beizubehalten und mit neuen Elementen gewinnbringend zu verknüpfen – sei es im operativen Management, auf Ebene der Organisation oder in der Teamentwicklung.

Tipp für die Praxis: Setzen sie auf Evolution statt Revolution und zeigen sie anhand konkreter Beispiele, wie bewährte Praktiken in Ihrem Unternehmen mit neuen Ideen und Technologien kombiniert werden können: Implementieren sie Pilotprojekte und illustrieren sie so den Mehrwert, indem sie die Veränderungen über die Zeit hinweg tracken.

2. New Leadership hat man drauf – oder eben nicht

Häufig wird jungen Führungskräften mit “modernem Mindset” und sogenannten Natural Leaders zugeschrieben, New Leadership idealtypisch zu verkörpern. Das impliziert, dass man es entweder draufhat, ein New Leader zu sein – oder eben nicht. Dabei lassen wir allerdings außer Acht, dass die Prinzipien von New Leadership – der Fokus auf Beziehungen, Ergebnisse, Kollaboration und Innovation – auch erlernt und trainiert werden können, und zwar unabhängig von Alter, Erfahrung oder individuellem Führungs-Talent.

New Leadership ist eine Haltung mit einem besonderen Skill-Set, das man sich aneignen kann. Allerdings, und das ist jetzt die schlechte Nachricht: Sie kann nicht einfach verordnet werden, sondern setzt einen Bewusstseins- und Reflexionsprozess samt Auseinandersetzung mit den entsprechenden Führungsprinzipien und Werten voraus.

Tipp für die Praxis: Leadership hat sehr viel mit Empathie, und weniger mit Alter oder Erfahrungsschatz zu tun: Individuelle Führung heißt das Zauberwort. So vielseitig wie die Begabungen ihrer Mitarbeiter:innen sind auch ihre Bedürfnisse. Versuchen Sie das in Ihrer Führungsarbeit zu berücksichtigen. Was der eine braucht, ist bei der anderen möglicherweise kontraproduktiv. Und: Die vielzitierte Customer Centricity gilt auch für Führungskräfte: Die Mitglieder Ihres Teams sind ihre Kund:innen („Servant Leadership“) und so wollen sie auch behandelt werden.

3. New Leadership bedeutet weniger Führung

Wenn es in Richtung Selbstorganisation und Delegieren von Verantwortung und Entscheidungskompetenz “nach unten” geht, vermuten so manche, dass Führung obsolet wird und Chaos ausbricht. Dabei ist Führung sogar wichtiger denn je – nämlich, um den Rahmen, Richtung und Orientierung zu geben, die Prozesse zu begleiten und den Überblick zu bewahren. New Leadership bedeutet vielmehr effektivere Führung, mehr Verantwortung und Selbstbestimmtheit für die Mitarbeiter:innen und ein motivierteres Team.

Tipp für die Praxis: Kommunizieren sie klar, dass New Leadership die Bedeutung von Führung nicht verringert, sondern neu definiert. Bieten sie Schulungen und Coachings an, um Führungskräfte dabei zu unterstützen, ihre Rolle als Rahmengeber und Orientierungspunkt effektiv auszufüllen, und arbeiten sie anhand konkreter Beispiele heraus, wie diese Art der Führung zur Mitarbeiter:innenentwicklung und -motivation beiträgt.

4. New Leadership beschränkt sich auf technologische Skills

Diese Annahme ist in der Tat ein Mythos. New Leadership ist ein ganzheitliches Führungskonzept, dessen Bestreben es ist, die Bedürfnisse der Menschen mit den Vorzügen moderner Technologien in Einklang zu bringen. Dabei dient die Technologie – ganz im Sinne des Digitalen Humanismus, oder auch der Corporate Digital Responsibility (CDR) – stets dem Menschen und dem Unternehmen – und nicht umgekehrt.

Tipp für die Praxis: Betonen sie, dass New Leadership ein holistischer Ansatz ist, der sowohl menschliche als auch technologische Aspekte berücksichtigt, z. B. mit den Bedürfnissen der Menschen im Unternehmen, der Unternehmenskultur und den strategischen Zielen des Unternehmens. Führen sie Beispiele dafür an, wie Technologie erfolgreich eingesetzt wurde, um Prozesse zu verbessern und die Effizienz zu steigern, und ermutigen sie Ihre Teammitglieder dazu, Feedback zum Einsatz von neuen Technologien zu geben und zu überlegen, wie diese zur Unterstützung ihrer Arbeit eingesetzt werden können.

5. Bei New Leadership geht es darum, “weich” oder “nett” zu sein

Manche Menschen sind der Ansicht, dass diese Form von Leadership sich zu sehr auf Empathie, Zusammenarbeit und Integration konzentriert, und sie dadurch schwach oder ineffektiv ist. Moderne Führungskräfte sind jedoch in der Lage, diese Qualitäten mit Ergebnisorientierung und der Bereitschaft, harte Entscheidungen zu treffen, in Einklang zu bringen. Studien zeigen, dass gerade empathische Führungskräfte viel eher in der Lage sind, Unternehmen auch durch schwierige Zeiten zu bringen, denn sie orientieren sich an den Menschen in und außerhalb der Organisation. Und das hat viele Vorteile für das Team: mehr Resilienz, höhere Effizienz, niedrigere Burnout-Raten, etc.

Tipp für die Praxis: Zeigen sie, dass sie in der Lage sind, schwierige Entscheidungen zu treffen, während sie gleichzeitig die Bedürfnisse und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter:innen im Blick behalten. Außerdem können sie die Gründe für ihre Entscheidungen darlegen und Teammitglieder gegebenenfalls in den Entscheidungsprozess miteinbeziehen.

6. New Leadership passt nur für bestimmte Branchen

Oft wird New Leadership mit Bereichen wie der Tech-Branche oder Startups in Verbindung gebracht. In Wahrheit unterstützt dieser Führungsansatz aber jede Branche und jedes Unternehmen dabei, sich für die Zukunft agiler, menschzentrierter und dank neuer Technologien effizienter aufzustellen. Das betrifft den globalen Tech-Konzern ebenso wie den Handwerksbetrieb in der Region.

Tipp für die Praxis: Stellen sie Best Practices und Erfolgsgeschichten aus verschiedenen Branchen vor, die zeigen, was New Leadership bringt und wie es funktioniert. Generell gilt aber: New Leadership ist dann besonders wirkungsvoll, wenn sie und ihr Team gemeinsam am Führungsverständnis arbeiten und gemeinsam festlegen, welcher Führungsstil am besten für die Organisation, das Team, und die einzelnen Mitarbeiter:innen passt. Führung ist wie zwei miteinander kommunizierende Gefäße, ein Geben und Nehmen, das jeden Tag neu verhandelt/ausgemacht/vereinbart werden sollte. So wie sich Organisationen und Menschen entwickeln, so muss auch das Führungsverständnis im gegenseitigen Austausch weiter reifen.

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Wiener-Börse-CEO Christoph Boschan
Wiener-Börse-CEO Christoph Boschan | Foto: brutkasten / Wiener Börse (Hintergrund)

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach, darunter etwa FFG-Geschäftsführerin Henrietta Egerth, mit PlanRadar-Co-Founder Sander van de Rijdt und mit Storebox-Co-Founder Johannes Braith.

Zum Thema Kapitalmarkt haben wir nun bei Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse, nachgefragt.


brutkasten: Die Regierungsverhandlungen befinden sich in der entscheiden Phase. Was sind die wichtigsten Maßnahmen, die in Österreich umgesetzt werden sollten, um Kapitalmarkt und Börse zu stärken?

Christoph Boschan: Die schnellste und einfachste Maßnahme wäre die Wiedereinführung der Behaltefrist für Wertpapiere bzw. die Einführung eines Vorsorgedepots. Das lag alles fix fertig auf dem Tisch und stand im letzten Regierungsprogramm.

Gewichtiger wäre eine bessere Abstimmung des Pensionssystems auf den Kapitalmarkt, also eine teilweise Veranlagung der ersten Säule am Aktienmarkt. Da spreche ich übrigens nicht mit dem reinen Blick durch die “Kapitalmarkt-Brille”. Das würde zugleich den Staatshaushalt entlasten und die Pensionsfinanzierung nachhaltig absichern und Geld für die Innovations- und Wachstumsfinanzierung bereitstellen.

Sie haben in einem brutkasten-Studiotalk im September gefordert, “zentrale, mächtige, große Kapitalsammelstellen zu errichten”. Was genau verstehen Sie darunter, beziehen Sie sich primär auf Pensionsfonds oder verstehen Sie das Konzept breiter?

In der teilweisen Veranlagung der ersten Säule am Kapitalmarkt liegt tatsächlich das größte Potenzial, ein bis zwei Prozent machen hier auf einige Jahre gesehen bereits viel aus. Die zweite Säule könnte mit einer verpflichtenden betrieblichen Vorsorge gestärkt werden. Oder man kreiert einen Staatsfonds nach norwegischem Vorbild.

Abseits davon gibt es in Österreich 330 Mrd. Euro an niedrigverzinstem privatem Kapital, die nicht nur keine Rendite abwerfen, sondern den Unternehmen auch bei der Innovationsfinanzierung fehlen. Die Liste an Möglichkeiten ist lang, wie auch jene der schon existierenden Blaupausen in Europa.

Welche Maßnahmen bräuchte es konkret? Welche dieser Schritte können in Österreich gesetzt werden und welche nur auf europäischer Ebene?  

Die entscheidenden Schalthebel sind tatsächlich bei den Nationalstaaten. Vorlagen, die für den österreichischen Anwendungsfall angepasst werden können, gibt es genug. Norwegen mit dem Staatsfonds, Schweden mit der teilweisen Veranlagung der Pensionen am Kapitalmarkt, die Schweiz mit der verpflichtenden betrieblichen Altersvorsorge. In Deutschland kommt nun das Vorsorgedepot mit steuerbegünstigter Wertpapierveranlagung. Alles, was eine zu befürwortende Harmonisierung betrifft, etwa beim Gesellschafts-, Insolvenz- und Steuerrecht, ist auf EU-Ebene zu lösen.

Stichwort EU-Ebene. Sie sprechen auch oft von der “unvollendeten Kapitalmarktunion”. Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, um diese Kapitalmarktunion zu vollenden?

Das deckt sich mit den zuvor diskutierten Ansätzen, die jedoch in der langen Liste der – grundsätzlich zu befürwortenden – Ziele der Kapitalmarktunion nur unzureichend adressiert werden können, da derzeit die großen Kapitalsammelstellen nur durch die Mitgliedsstaaten geschaffen werden können. Ohne große Kapitalsammelstellen werden wir die europäische Konkurrenzfähigkeit nicht entscheidend ankurbeln können.

Inwiefern können Kapitalreserven in privaten Altersvorsorgesystemen oder Pensionsfonds als „Treibstoff“ für tiefe und liquide Märkte dienen? 

Indem sie in börsennotierte Unternehmen investieren. Damit schaffen wir die besagten großen Liquiditätspools bzw. Kapitalsammelstellen. Die Unternehmen haben somit eine umfassendere Kapitalquelle für Innovation und Wachstum. Das erklärt auch, warum wir in Europa mit Abwanderung von Listings in Richtung USA zu kämpfen haben. Wachstumsorientierte Unternehmen gehen dorthin, wo sie potenziell das meiste Kapital bekommen können.

Wenn wir wollen, dass das nächste Google, Meta oder Amazon aus Europa kommt, müssen wir hier anpacken. Volkswirtschaften mit entwickelten Kapitalmärkten wachsen schneller und erholen sich rascher von Krisen.

Sie haben bereits angesprochen, dass die nun scheidende Regierung die Wiedereinführung der Behaltefrist für Aktien im Regierungsprogramm vereinbart hatte, ohne sie dann tatsächlich umzusetzen. Für wie wichtig – verglichen mit anderen Möglichkeiten, Anreize zu schaffen – wäre diese Maßnahme, um die private Vorsorge über die Börse attraktiver zu gestalten?

Ich bin immer dafür, Individuen zu ermächtigen und zu stärken und genau das macht die Behaltefrist. Die Befreiung von der KESt (Kapitalertragssteuer) für die langfristige Altersvorsorge ist als Anreiz nicht zu unterschätzen. Sie ist längst überfällig.

Versteuertes Arbeitseinkommen wird in Unternehmen investiert, diese schütten mit Körperschaftsteuer besteuerten Gewinn aus, auf den nochmal 27,5 Prozent geltend werden. Diese steuerliche Eskalation ist immens. Wer vorausschauend agiert und für sein Alter vorsorgt, sollte dringend entlastet werden.

Sie vertreten mit der Wiener Börse die österreichische Nationalbörse. Aktuell kursieren einige Vorschläge, die einen anderen Bereich, nämlich den vorbörslichen Kapitalmarkt betreffen und diese attraktiver machen sollen, etwa die Schaffung eines Dachfonds, der in bestehende Venture-Capital-Fonds investiert, oder einen Beteiligungsfreibetrag für Business Angels und andere private Kapitalgeber. Wie blicken Sie darauf?

Ich halte Ansätze, die Innovation, junges Unternehmertum und Wachstum fördern immer für begrüßenswert. Von jungen Unternehmen, die am Beginn ihrer Reise mit genügend Kapital ausgestattet werden, wird in weiterer Folge auch die Börse, die am oberen Ende der Finanzierungsstufen steht, profitieren.


Aus dem Archiv: Christoph Boschan im brutkasten-Studiotalk (September 2024):


Aus dem brutkasten-Printmagazin: Warum ein Börsengang nicht nur etwas für Großkonzerne ist


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