✨ AI Kontextualisierung
Seifenblasen neigen dazu, recht schnell zu platzen – dabei tut es nichts zur Sache wie schön oder wie groß sie zu Beginn gewesen sein mögen. So ging es auch der Alibaba-Aktie. Der Seifenblasen-Vergleich mag dabei bei näherer Hinsicht gar nicht hinken: Nach dem IPO (kommt vom Englischen “initial public offering” und bedeutet Börsengang) stieg die Aktie innerhalb von zwei Monaten um 76 Prozent. Seitdem ging es aber nur noch abwärts. Dabei schien der Erfolg anfangs so gut wie “todsicher”. Immerhin: Alibaba hatte den chinesischen Onlinehandel fest im Griff, die Wirtschaft florierte und die Konsumausgaben stiegen stetig. Kein Wunder also, dass das Unternehmen den größten Börsengang der Geschichte aufs US-Parkett legte und die Aktien innerhalb von zwei Monaten um 76 Prozent stiegen.
Dann wurde es holprig. Der Konzern geriet ins Visier einer chinesischen Regierungsbehörde, sorgte mit diversen Übernahmen für Verwirrung bei Investoren und wechselte den CEO aus, nachdem sich das Wachstum abschwächte. Und was am Wichtigsten war: Die chinesische Wirtschaft geriet ins Straucheln und mit ihr auch der Anstieg der Konsumausgaben, den Alibaba so dringend braucht. Konsequenz: Die Aktie fiel und fiel und fiel – auf den IPO-Preis und dann darunter. Logisch: An der Börse gibt es so etwas wie eine sichere Sache einfach nicht.
Wie geht es jetzt weiter? Investoren, die zusehen mussten, wie insgesamt 128 Milliarden Dollar an Börsewert dahinschmolzen, sollten nicht auf eine Erholung in allzu naher Zukunft wetten. James Cordwell, Analyst bei Atlantic Equities, geht davon aus, dass die Abschwächung des chinesischen Wirtschaftswachstums zumindest bis 2016 auf den Onlinehandel drücken wird. Auch wird es dauern bis die unzähligen Investitionen und Übernahmen etwas abwerfen werden. “Sämtliche operativen Kennzahlen scheinen irgendwie in die falsche Richtung zu zeigen”, warnt Cordwell gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg.” Solange die Investoren nicht halbwegs sicher sind, dass der Kurseinbruch einen Boden gefunden hat, wird es die Aktie schwer haben.”
Zumal Alibaba-Gründer Jack Ma nicht gerade dafür bekannt ist, die Aktionäre zu verhätscheln. Im Zuge des IPO hatte er explizit darauf hingewiesen, dass die Investoren erst an dritter Stelle – nach Kunden und Angestellten – stehen. Die Begründung leuchtet ein: Seine Partner und er selbst wollten sich von kurzfristigen Marktschwankungen nicht ablenken lassen. Es sollte ein langfristig erfolgreiches Unternehmen entstehen.
Tatsächlich sind viele der Probleme, mit denen es Alibaba jetzt zu tun hat, auf die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft zurückzuführen – und diese liegt nun einmal nicht im Einflussbereich des Konzerns. Zwar hat der Online-Händler den einen oder anderen Fehltritt in seinem ersten Jahr eingestanden, in der Vergangenheit existieren will man aber nicht: “Wir blicken nicht zurück, wir schauen nach vorne.” So zumindest machte es Vice-Chairman Joseph Tsai deutlich. Und: “Wir haben Fehler gemacht und daraus gelernt.”
Alibaba ist auf Expansionskurs: Auf China und den Online-Handel alleine will man sich nicht verlassen. Entsprechend hat der Konzern 15 Milliarden Dollar investiert. Viele der Transaktionen machen strategisch Sinn, andere weniger. So hat Alibaba einen Anteil an einem Fußballklub, an einem kleinen Player am indischen Smartphone-Markt und einem unprofitablen Unterhaltungsstudio erworben.
“Die Investitionsstrategie wirkt manchmal etwas konfus”, bestätigt Li Muzhi von Arete Research Service. “Mit der Verlangsamung des Kerngeschäfts machen diese Investitionen weniger Sinn.” Allerdings hat Jack Ma eine Vision, wie all diese Deals im kommenden Jahrzehnt zu einem großen Ganzen verschmelzen sollen: Das Ziel ist, Alibaba über den klassischen Handel hinaus zu entwickeln – hin zu inhaltlichen Angeboten wie Filmen und Sport, der Entwicklung von Zahlungssystemen für den eigenen Online-Handel und für andere sowie der breiteren Verwendung des hauseigenen Betriebssystems und der eigenen Cloud-Dienstleistungen.
Ma zählt zudem auf Investitionen, die helfen sollen, Informationen und Produkte mittels Web besser an den Konsumenten in der realen Welt heranzutragen. Die Idee ist in der Tech-Industrie als O2O (Online-to-Offline) bekannt. Die Menschen sollen übers Smartphone praktisch alles bekommen, was sie wollen: Vom täglichen Supermarkt-Einkauf übers Abendessen bis zum Fernseher oder einer Autowäsche. Damit diese Vision real wird, hat Jack Ma etwa in eine Kaufhauskette und einen Elektronikhändler investiert.
Letzten Endes werden diese Investitionen sich vielleicht auszahlen, wann das sein wird, bleibt bis auf Weiteres aber unklar. “Wenn der Onlinehandel richtig gut laufen würde, würden sich die Investoren überhaupt keine Sorgen über diese Transaktionen machen”, glaubt Cordwell. Wenn das Wörtchen wenn nicht wäre.
Die Schwäche der chinesischen Wirtschaft ist aber nicht alleine für die Talfahrt der Aktie verantwortlich: Streitereien mit chinesischen Behörden und Kritik aus den Medien setzten die Aktie ebenfalls unter Druck: So prognostizierte das Finanzmagazin “Barron’s” kürzlich die Alibaba-Titel könnten um weitere 50 Prozent einbrechen. Eine weitere Meinung eben, derer es viele gibt. Die überwältigende Mehrheit fällt allerdings deutlich optimistischer aus: 44 von 52 von Bloomberg befragten Analysten sprechen derzeit ein “Kaufen” für die Alibaba-Titel aus. Auch wenn die Mehrheit nicht immer recht hat und der Schnitt oftmals keine gute Wette ist, kann es doch ein Indiz für die Richtung sein. Daher zwecks Vollständigket: Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 91 Dollar. Aktueller Kurs: 65,8 Dollar.
Konkreter wird Daiwa-Analyst John Choi: Trotz schlechter Presse und schwächelnder Konjunktur sei die operative Lage immer noch positiv – der Onlinehandel wächst. “Alles dreht sich um die Stimmung. Die Stimmung, was China angeht, ist aktuell einfach negativ”, erklärt Choi. “Aber der Onlinehandel wächst weiterhin.”
Die Aktionäre selbst sind weniger euphorisch: Die Milliardäre Daniel Loeb und George Soros haben ihre Anteile an Alibaba verkauft oder deutlich zurückgefahren. Atlantic-Analyst Cordwell sieht Licht am Ende des Tunnel: “Wir rechnen mit zwei oder drei weiteren schwierigen Quartalen für den Online-Händler”, so Cordwell. Die aktuelle Herausforderung werde Alibaba aber zu einem besseren Unternehmen auf Sicht der nächsten zehn Jahre machen.