27.11.2017

Digitalisierung: Der Fleischer und das Internet

Kleine Betriebe lassen sich in Österreich oft nur schwer von den Vorteilen der Digitalisierung überzeugen. Dabei können sogar Fleischhauer davon profitieren.
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Frische Steaks aus dem Internet? Der Versuch war es wert. © Pixabay
Frische Steaks aus dem Internet? Der Versuch war es wert. © Pixabay

Bei einem Unternehmertreffen in einer kleinen österreichischen Gemeinde spricht Elisabeth Mayerhofer zum Thema Digitalisierung. Es geht um die Chancen für den heimischen Wirtschaftsstandort, warum KMU dafür eine zentrale Rolle spielen und was ihnen Digitalisierung bringen kann. Für die Geschäftsführerin der Julius Raab Stiftung, ein Think Tank zur Digitalisierung in der Wirtschaft, sind das selbstverständliche Themen. In der Realität kleiner Betriebe sind sie noch nicht angekommen.

Google? Die neuen Gelben Seiten!

„Am Ende haben wir uns darauf geeinigt, dass Google die neuen Gelben Seiten sind und dass man deshalb dort aufscheinen sollte“, erzählt Mayerhofer. Manchmal ist es schwierig, kleinere Betriebe von den Vorteilen der Digitalisierung zu überzeugen: „Ein Handwerksbetrieb in einer kleinen Gemeinde wird über Google vielleicht auch in der nächsten größeren Stadt gefunden und will das vielleicht gar nicht. Die Mundpropaganda in der eigenen Region sorgt für ausreichend Geschäft“. Für Firmen, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen und deren Markt stark regional orientiert ist, hat Digitalisierung eine ganz andere Bedeutung, als für Unternehmen die auch über die Grenzen ihrer Gemeinde hinaus aktiv sein wollen. Mayerhofer: „Die große politische Herausforderung ist es, diese Bandbreite abzudecken”.

Die meisten KMU sind „Digitale Neulinge“

Kleinere und mittlere Unternehmen – das sind Firmen mit bis zu 250 Mitarbeitern – machen den Großteil der Wirtschaftsleistung in Deutschland und Österreich aus. Die Digitalisierung dieser KMU steht deshalb auf der politischen Agenda weit oben. Bei den Unternehmen scheint die Botschaft aber nur begrenzt anzukommen. Der Großteil der 1700 befragten Firmen ordnet sich im Rahmen einer aktuellen Digitalisierungsstudie für KMU in Österreich als „Digitaler Neuling“ oder mit geringem digitalem Wissen ein.

+++ Interview: Drei-Chef Jan Trionow über die Digitalisierung bei KMU +++

Digitalisierung? Vielleicht eine Homepage

Während sich die innovative Startup-Szene den Kopf über Blockchain und Künstliche Intelligenz zerbricht, beschäftigt die Mehrheit der kleineren und mittleren Unternehmen ganz andere Fragen. Fast die Hälfte der Teilnehmer der Digitalisierungsstudie denkt darüber nach, im nächsten Jahr eine eigene Homepage umzusetzen. Sechs Prozent wollen eine App.

Der Fleischhauer und das Internet

Dass die Digitalisierung selbst kleinen Unternehmen viel bringen kann, ist klar. Ein Beispiel: Fleischhauer kämpfen trotz steigenden Fleischkonsums ums Überleben. Die Handwerksbetriebe werden durch Supermärkte und Diskonter aus dem Markt gedrängt. Burkhard Schultes Fleischerei-Betrieb in Mönchengladbach gehört nicht zu den Opfern. Dass Schulte + Sohn heute 35 Millionen Euro Jahresumsatz macht, hat mit Schultes wachem Auge für Trends zu tun. Den Trend zu hochwertigem (Bio-)Fleisch können Diskonter nicht bedienen. Und Schulte trotzt sogar der Theorie, dass das Internet für hochwertige Lebensmittel kein geeigneter Vertriebsweg ist. Der vor neun Jahren gestartete Onlineshop Gourmetfleisch.de verzeichnet zweistellige Zuwachsraten und schreibt seit 2015 schwarze Zahlen.

„Innerhalb von zwei Jahren kann ein Unternehmen überflüssig werden“, Nikolaus Franke, WU Wien.

„Wenn man als Unternehmen nicht flexibel auf Trends reagiert, ist das ein großes Problem“, sagt Nikolaus Franke, der an der WU Wien das Institut für Entrepreneurship und Innovation leitet. Durch die Digitalisierung hat sich die Geschwindigkeit stark erhöht. Franke: „Innerhalb von zwei Jahren kann ein Unternehmen komplett überflüssig werden“.

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Ein Blick auf andere Märkte hilft

Ein Patentrezept für Innovation gibt es nicht. Ein innovationsfreundliches Umfeld lässt sich aber in jedem Unternehmen schaffen. Franke erstellt jährlich ein Ranking der 100 innovativsten KMU, die „Top 100“. Was diese Unternehmen verbindet? „Diese Unternehmen sind ganzheitlich auf Innovation ausgerichtet“, erklärt Franke. Einen Innovationsmanager einzustellen genüge nicht. Die Innovationsbereitschaft müsse sich durch die gesamte Organisation ziehen. Und typischerweise seien diese Unternehmen stark nach außen gerichtet: „Sie versuchen global Trends aufzuspüren, binden ihre Kunden ein und schauen auch in andere Märkte“.

Digitalisierungs-Opfer: „schöpferische Zerstörung“

Innovativ sein, das kann nicht jedes Unternehmen. Doch darauf, dass es bislang immer gut gegangen ist, sollte man sich nicht verlassen. „Es gab in den letzten Jahren leider viele Traditionsunternehmen, die pleite gegangen sind“, sagt Franke. „Grund Nummer eins war, dass man Innovationen in Technologie und Markt verpasst hat und einfach nicht mehr wettbewerbsfähig war.“ Das sei im Einzelfall bedauerlich und mitunter tragisch für die betroffenen Personen. Gesamtwirtschaftlich betrachtet sei es aber eben der Prozess der „schöpferischen Zerstörung“, wie man Innovationen auch nennt: das bessere Neue verdrängt das schlechtere Alte.

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Lanbiotic, Neurodermitis
(c) Oliver Wolf - Patrick Hart und Katrin Susanna Wallner von Lanbiotic.

Das Grazer Startup Lanbiotic stellt medizinische Hautpflege-Produkte mit lebensfähigen Bakterien speziell für die von Neurodermitis geplagte Haut her. Dabei verwenden die beiden Gründer:innen Patrick Hart und Katrin Wallner den zum Patent angemeldeten Bakterienstamm “Lactococcus Lanbioticus“.

Lanbiotic: “Skalierung als neue Normalität”

“Mit unseren probiotischen Hautanwendungen bringen wir gesundheitsfördernde Bakterien direkt auf die Haut, um die natürliche Balance des Hautmikrobioms wiederherzustellen und Hautprobleme gezielt an der Ursache zu bekämpfen”, erklärt Wallner.

Das letzte Jahr fühlte sich für die Gründerin an, als sei ein Traum nicht nur wahr, sondern sogar übertroffen worden. Andererseits sei es eine “neue Normalität” an der Skalierung des Unternehmens zu arbeiten.

“Wir haben weitere Produkte mit unserem einzigartigen Bakterienstamm ‘Lactococcus Lanbioticus’ entwickelt, um umfassender auf die Bedürfnisse von Menschen mit zu Neurodermitis neigender Haut eingehen zu können. Neu hinzugekommen sind Flora Bath und Flora Sun”, erklärt Wallner.

Flora Bath ist ein spezieller Badezusatz, der für Menschen entwickelt wurde, die großflächig oder an der Kopfhaut von Ekzemen betroffen sind – ein Bereich, in dem Pflegecremen oft an die Grenzen ihrer Praktikabilität stoßen.

“Der Fokus liegt wie immer bei Lanbiotic auf der Ergänzung des Hautmikrobioms, also ‘der lebende Teil’ der natürlichen Schutzbarriere der Haut, die den gesamten Körper bedeckt, mit probiotischen Bakterien”, so Wallner weiter. “Eine Ausgewogenheit des Hautmikrobioms ist, wie auch im Darm, entscheidend, um die Gesundheit der Haut zu bewahren und Beschwerden zu lindern.”

Flora Sun hingegen ist ein weiteres Produkt, das auf die besonderen Herausforderungen empfindlicher Haut unter UV-Strahlung eingeht. Studien hätten gezeigt, dass das Hautmikrobiom die natürliche Fähigkeit der Haut verbessern kann, mit den Effekten – und häufig auch Schäden – durch Sonneneinstrahlung umzugehen.

EHI-Siegel für Onlineshop

“Parallel dazu haben wir auch international expandiert: Der Eintritt in den deutschen Markt war ein großer Schritt, der mit der Anpassung unserer Produktions- und Logistikkapazitäten verbunden war, um langfristig weitere internationale Märkte beliefern zu können. Unser Webshop wurde außerdem mit dem EHI-Siegel zertifiziert, um unseren Kund:innen einen sicheren und vertrauenswürdigen Einkauf zu ermöglichen.”

Auch das Team wuchs 2024, zudem konnte durch zahlreiche Medienauftritte und Messeteilnahmen Aufmerksamkeit für die eigenen Produkte und die Marke gewonnen werden.

“Als weiteres Highlight wurden wir von der Apothekerkammer mit unserer Fachfortbildung akkreditiert, was Apotheker dazu motiviert, unsere Fortbildungen zu besuchen und mehr über das noch recht ‘nischige’ Thema Hautmikrobiom zu erfahren”, sagt Wallner.

Neue Märkte im Fokus

Aktuell arbeitet das Startup intensiv daran, Lanbiotic als Unternehmen und Marke weiterzuentwickeln, strategisch zu positionieren und zu skalieren. Das oberste Ziel ist es, die Lebensqualität von Menschen mit Neurodermitis über ihre mikrobiombasierten Produkte zu verbessern.

“Wir möchten Lanbiotic in weiteren Märkten etablieren, insbesondere natürlich in Ländern, wo die Prävalenz für Neurodermitis hoch ist. Dafür arbeiten wir an effizienten Marketingprozessen, um unsere Markenbekanntheit zu steigern, und bauen unsere Vertriebsstrukturen aus”, erklärt die Founderin. “Um diesen Schritt bestmöglich zu unterstützen, suchen wir gezielt nach vertrauenswürdigen Partnern für den internationalen Vertrieb, die unsere Werte und Qualitätsansprüche teilen. Die Kooperationen sollen es uns ermöglichen, unsere Produkte nachhaltig in weiteren europäischen und außereuropäischen Ländern anzubieten und das Thema Hautmikrobiom international bekannter zu machen.”

Daneben optimiert das Team Produktionsprozesse, um der wachsenden Nachfrage nachkommen zu können. In der Produktentwicklung liegt dabei der Fokus auf der Entwicklung weiterer wissenschaftsbasierten probiotischen Pflegeprodukten, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Neurodermitis und empfindlicher Haut zugeschnitten sind. Dazu steht man intensiv mit Industrie und Spitzenforschung in Kontakt.

Lanbiotic: Strukturen und Prozesse schaffen

Intern sei man vor allem stark mit dem Aufbau der Organisation beschäftigt. Man arbeitet daran, Strukturen und Prozesse zu schaffen, die das Wachstum langfristig stützen können. Ziel sei es, eine gesunde Organisation aufzubauen, die den Expansions- und Innovationszielen gerecht werde und das Unternehmen flexibel in die nächsten Entwicklungsstufen führt.

Lanbiotic wurde in der Vergangenheit unter anderem auch von der Austria Wirtschaftsservice (aws) unterstützt. So absolvierte das Unternehmen den aws First Incubator und erhielt über aws Innovationsschutz eine Förderung, um sein geistiges Eigentum zu schützen. Später folgte eine Preseed- und Seed-Förderung über aws Innovative Solutions. Mit diesem Seed-Förderprogramm unterstützt die aws innovative Gründungsideen, die über die Unternehmensgrenzen hinaus einen positiven gesellschaftlichen Impact bewirken. Der Fokus liegt auf skalierbaren Geschäftsmodellen. Im Fall von Lanbiotic war die Förderung essentiell, um die Produktentwicklung und Markteinführung zu finanzieren und sich allgemein zu professionalisieren.

“Eine bessere Förderung als aws Seed Innovative Solutions könnte es derzeit, meiner Meinung nach, für uns nicht geben”, sagt sie. “Es handelt sich um einen nicht rückzahlbaren Zuschuss von 400.000 Euro, der für unterschiedlichste Aktivitäten in der Markteinführung und Produkteinführung verwendet werden kann. Naturgemäß ist das Programm sehr kompetitiv, aber wenn man für die Finanzierung ausgewählt wird, hat man wirklich einen gewaltigen Booster, um ein nachhaltiges Unternehmen aufzubauen.”

Die weiteren Ziele von Lanbiotic

Im Allgemeinen habe ihnen das Programm bereits jetzt weit mehr gebracht als Geld. “Ich empfand den Bewerbungsprozess per se als wertvolle Erfahrung, um mir unser Business Model noch einmal ganz genau anzusehen und unsere Ziele zu definieren”, präzisiert die Grazerin. “Dass wir sie jetzt so scheinbar ‘locker’ übertreffen konnten, ist natürlich die Draufgabe.”

Durch die positive Resonanz der stetig wachsenden Stammkundenbasis sieht sich Wallner in ihrer Mission bestätigt. “Wir wissen aber auch, dass viele Menschen Lanbiotic noch nicht kennen und Neurodermitis in vielen Ländern nach wie vor ein großes Problem darstellt”, sagt sie. “Daher wollen wir gezielt skalieren, den Umsatz und Gewinn steigern, innerhalb und außerhalb Europas expandieren und unser Produktportfolio weiter diversifizieren.”

In Sachen Umsatzentwicklung wird Lanbiotic 2024 das gesetzte Umsatzziel voraussichtlich verdoppeln, wie Wallner erzählt. “Unser für 2025 gestecktes Ziel ist ambitioniert, aber wir sind zuversichtlich, dass wir hier wieder gute Arbeit leisten. Aktuell haben wir einen sechsstelligen Nettoumsatz erreicht, und dank der Unterstützung durch die aws Seed-Förderung werden wir auch heuer, wie jedes Jahr seit unserer Gründung, noch profitabler sein.”


* Disclaimer: Das Startup-Porträt erscheint in Kooperation mit Austria Wirtschaftsservice (aws)

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