Seit gestern ist klar: Auf Österreich – zumindest auf den Osten – kommt ein vierter Lockdown zu – allerdings nur ein sehr kurzer von Gründonnerstag bis Dienstag nach Ostern. Begründet wurde dies von Gesundheitsminister Rudolf Anschober und den Landeshauptleuten der Ostregion mit der Lage in den Intensivstationen, die wegen Covid-19-Patienten bereits nahe an den Kapazitätsgrenzen sind.
Vierter Lockdown: Gewerbeverein-Präsident Lieber “nur noch zornig”
Die Kritik an den Maßnahmen ließ – wie immer – nicht lange auf sich warten. Besonders pointiert äußerte sich nun Peter Lieber, Präsident des Österreichischen Gewerbevereins (ÖGV) in einer Aussendung. Dort kritisiert er unter anderem “miserables Krisenmanagement”, “kapitale Fehler in der Beschaffung von Impfungen und Tests”, “verzweifelte Maßnahmen” und “erbärmlich geschwurbelte Pressekonferenzen”.
“Wochenlang ist nichts passiert – und jetzt hat die Regierung keine andere Idee als Lockdown Nummer vier? – Das kann es wohl nicht sein”, schreibt Lieber in der dreiseitigen Abrechnung mit der Regierung. “Diese Hü-hott-Politik ist nicht nachvollziehbar und macht nur noch zornig”. Die Unternehmen unterscheide von der Bundesregierung, dass sie seit einem Jahr jede präventive Maßnahme gesetzt hätten, die zum jeweiligen Zeitpunkt möglich gewesen sei. Der ÖGV-Päsident fordert daher, dass die heimischen Betriebe stärker ins Krisenmanagement eingebunden werden.
“Virologisch sinnbefreites Lockdownchen”
Den nun verkündeten Lockdown bezeichnet Lieber als “ein virologisch sinnbefreites Lockdownchen”, das zeige, “dass die Bundesregierung vollkommen blank und schon länger nicht mehr Herr der Lage ist”. Ein so kurzer vierter Lockdown sei “ein fauler Kompromiss, der niemandem etwas bringt: Zu spät, zu zögerlich, zu kurz”. Die “beiden zentralen Punkte” – Impfen und Testen – sieht der ÖGV-Präsident von der Politik “nicht ordentlich realisiert”.
Hotellerie-, Kultur- und Gastro-Öffnung zur Corona-Bekämpfung
Im Sinne der geforderten Einbindung der Unternehmen in die Strategie und das Krisenmanagement wartet der Gewerbeverein in seiner Aussendung mit einem auf den ersten Blick paradoxen Vorschlag auf: “Wenn so viele Tests wie nur möglich durchgeführt werden sollen, dann braucht es, neben deren Bereitstellung, erheblich mehr Anreize zum Mitmachen. Der ÖGV empfiehlt daher eine unmittelbare Öffnung aller noch geschlossenen Gastronomie-, Hotellerie- und Kulturbetriebe – bei entsprechend stark ausgedünnten Sitzplätzen mit einem Corona-Präventionskonzept”. Bei Zutritt müsse, wie bei Friseuren, ein gültiger Test vorgewiesen werden. Die Kontrolle obliegt in dem Vorschlag den Betrieben, eine stichprobenartige Prüfung durch Behörden mit substanziellen Sanktionen sei “ausdrücklich erwünscht”.
Gegen Ende seines Textes packt Lieber noch eine Metapher aus: “Es heißt, man soll beim Queren des Flusses die Pferde nicht wechseln. Wenn diese aber unbeirrt dem Wasserfall zustreben, muss man sie ziehen lassen und sich selbst retten. Alles andere wäre Selbstmord”.
Nachlese. Wo steht die österreichische Wirtschaft bei künstlicher Intelligenz zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT? Dies diskutieren Doris Lippert von Microsoft und Thomas Steirer von Nagarro in der ersten Folge der neuen brutkasten-Serie "No Hype KI".
Nachlese. Wo steht die österreichische Wirtschaft bei künstlicher Intelligenz zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT? Dies diskutieren Doris Lippert von Microsoft und Thomas Steirer von Nagarro in der ersten Folge der neuen brutkasten-Serie "No Hype KI".
Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.
„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.
Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.
Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen
Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“
Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft
Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.
Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.
Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.
Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“
Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit
Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.
“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.
Langfristiges Potenzial heben
Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“
Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“
Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?
Die Serie wird von brutkasten in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung unserer Partner:innen produziert.
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