17.09.2021

Speedinvest-Gründer Holle: Warum Österreich erst so spät Unicorns hatte

Speedinvest-Gründer Oliver Holle erzählt im Interview, wie die Startup-Szene in Österreich entstanden ist, was sie ausmacht und welche Rolle Speedinvest spielt.
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Speedinvest: Oliver Holle
(c) Speedinvest: Oliver Holle

Vor 10 Jahren hat Oliver Holle Speedinvest in Wien gegründet und damit den Grundstein für eine Venture-Capital-Firma mit Riecher für Unicorns gelegt. Im Gespräch mit dem brutkasten erzählt er, wie die Startup-Szene in Österreich entstanden ist und was sie von anderen Ökosystemen wie in Berlin, Paris oder London unterscheidet.

10 Jahre Speedinvest. Und du wolltest eigentlich Wasserskifahrer werden, oder?

Oliver Holle: Das ist sehr lange her. Direkt nach der Matura habe ich das aber sogar als Full-Time-Job probiert. Nach ein paar Monaten war es mir zu langweilig, die ganze Zeit mit dem Boot hin- und herzufahren. 

Wie erinnerst du dich zurück an die Gründung von Speedinvest, die ja zeitlich auch ein wenig mit der Pionierphase der österreichischen Startupszene im fünften Bezirk zusammenfällt?

Ja, genau, das war in der Spengergasse. Den Coworking-Space haben Markus Wagner und ich damals aus der Taufe gehoben. Das war eine schöne Zeit – die Szene war aber noch sehr überschaubar. Speedinvest ist eigentlich aus einem Scheitern entstanden. Ich habe meine Firma, die 3United, verkauft und wir hatten dann die Chance, diese Firma in einem Management-Buy-Out wieder zurückzukaufen. Ich habe in dieses Thema ein Jahr investiert, es ist aber dann nicht gelungen. Die Firma hat jemand anderer gekauft und ich war quasi back to square one mit meinem alten Team. Wir haben dann begonnen im Sinne von Work for Equity mit Startups zu arbeiten – Arbeit gegen Anteile. Das hat Spaß gemacht, war aber unmöglich davon zu leben, weil einfach kein Kapital am Markt war. Aus dieser Notlage haben wir beschlossen, einen VC gründen zu müssen. Es gab nichts in Österreich, das war der Anfang.

Wie leicht oder schwer ist euch der Aufbau gefallen?

287 Termine, face to face, um 10 Millionen Euro Kapital aufzustellen. Davon waren fast 3 Millionen Euro von der aws – das hat enorm geholfen. Es war unglaublich schwer, weil Venture Capital in Österreich bis vor kurzem einen extrem negativen Ruf hatte. Es hat eine Generation von Risikokapital-Investoren gegeben, die gerade alle im wind down waren. Die haben es nicht geschafft, Folgefinanzierungen zu bekommen. Wir mussten also erklären, warum wir etwas völlig anderes machen als die. 

Wie hat sich die Szene dann im Vergleich zu anderen großen Hubs entwickelt?

Aus meiner persönlichen Erfahrung ist ein Startup-Ökosystem stark durch das Zusammenspiel mit der Investorenlandschaft geprägt. Wir hatten relativ früh, 2006, 2007, die ersten Exits mit 3United, UPC und einigen anderen. In diesen Startups war aber kein vernünftiges, langfristig orientiertes Venture Capital drinnen. So hat sich die Szene dann weiterentwickelt. Wir haben über viele Jahre eine Gründergeneration gehabt, die gewohnt war zu bootstrappen, sehr Kapital-effizient Firmen aufzubauen und mit Business Angels und Privatkapital zu arbeiten. Dieses enge Zusammenspiel aus erfahrenen Unternehmern, die VCs geworden sind, und der nächsten und übernächsten Generation an Gründern – das hat es in Österreich bis vor kurzem nicht gegeben. Das ist ein großer Nachteil. Viele der Companies, die vor 5 bis 6 Jahren einen Exit gemacht haben, wären vielleicht heute Unicorns. Sie wären wohl schon vor 2 bis 3 Jahren Unicorns gewesen. Wir hatten in Österreich aber weder die notwendige Struktur noch das Wissen. 

Du hast damals mit der 3United einen Exit in die USA gefeiert und bist dann nach Europa zurückgekehrt, um hier mit Speedinvest einen starken Ökosystem-Player aufzubauen. Mehr als zehn Jahre später sind US-Firmen nach wie vor fast immer involviert, wenn europäische Startups große Erfolgsgeschichten schreiben. Wie siehst du das?

Ich sehe das positiv und halte es für ganz normal. Das ist auch in London, Berlin oder Paris nicht anders. Die großen Finanzierungsrunden wie GoStudent oder Bitpanda kommen von globalen Konsortien. Das ist ein positives Signal und kein Grund, sich um Ausverkauf Sorgen zu machen. GoStudent und Bitpanda waren lange vor diesen Runden auf dem Markt und haben eine lange Reise hinter sich – der Weg dorthin ist der entscheidende. Uns fehlt noch immer eine kritische Größe – dass die 100-Millionen-Plus-Runden so strukturiert sind sollte niemanden wundern.

Speedinvest ist ein Frühphasen-VC. Wenn man in Österreich darüber redet, was Startups hierzulande brauchen, dann beginnt der Satz meistens mit: Bei der Finanzierung in der Frühphase sind wir ganz gut aufgestellt. Warum tun wir uns beim Anschlusskapital so schwer und kann sich Speedinvest vorstellen, den Fokus da zu erweitern?

Das ist möglich. Wir sind auch schon einen schönen Weg gegangen. Der letzte Fonds war rund 200 Millionen Euro groß und wir investieren immer mehr auch in die Anschlussfinanzierung und haben viel Kapital eingesammelt, um da stärker mitzumischen. Das ist sicher auch die mittelfristige Perspektive für die Speedinvest, in den Portfolio-Unternehmen, wo wir schon sehr früh dabei sind, also auch viel Arbeit reingesteckt haben, dass wir da entsprechend nachinvestieren können. Einstiegspunkt wird für uns aber immer Seed bleiben. Da haben wir in Europa unseren Ruf aufgebaut.

Wie teilen sich eure Investments auf in Erst- und Anschlussinvestments?

Derzeit ist das ungefähr 50:50. In Zukunft kann es aber gut sein, dass Speedinvest mehr Kapital in Anschlussfinanzierungen steckt als in der Frühphase. Wir werden aber nicht in einer Series B oder Series C einsteigen und gegen die großen Player aus den USA oder Europa antreten. 

Ihr habt viele Erfolge gefeiert, Shpock, habt beide österreichischen Unicorns im Portfolio. Und auch einige Soonicorns – welche Startups könnten bald durch die Decke gehen? Woher kommt dieser Begriff Soonicorn eigentlich …

Ich habe diesen Begriff kürzlich in einem Gespräch mit einem US-VC verwendet – der hatte den Begriff nicht gekannt. Vielleicht ist das ja eine österreichische Erfindung. Ich hoffe nicht. Wir haben einige Unternehmen im Portfolio, die bald diesen Unicorn-Status erreichen können. Es sind sehr viele, quer durch unser Portfolio, vor allem auch im FinTech-Bereich. Auch im Marketplace-Bereich haben wir ganz tolle Firmen. In Österreich ist sicher Adverity ganz vorne dabei. Das schöne ist, dass es sehr viele Startups schaffen, massiv zu skalieren und ein dahinterliegendes Geschäftsmodell zu haben, das funktioniert. Das ist auch der Grund, warum Venture als Assetklasse so gut funktioniert. 

Gibt es genug Startup-Nachwuchs in Österreich?

In Österreich bin ich jetzt gerade sehr optimistisch. Wir haben jetzt die kritische Masse an stark gewachsenen Startups. Was dann passiert, sieht man auch in Paris oder Berlin: Die besten Mitarbeiter gehen dort raus und gründen selbst Startups, in die wiederum die Gründer der Scaleups und Unicorns gerne investieren. Das hatten wir bisher zu wenig, aber jetzt kommt das ganz stark. Österreich ist ein super Investment-Ground. Bei unserem SI 3 Fonds ist der Österreich-Anteil unter 10 Prozent, während es beim ersten Fonds noch ungefähr die Hälfte war. Wir sind europäischer geworden und haben Büros in anderen großen Städten, in denen bereits mehr Investoren sitzen als in Wien. Das ist gut so und war für uns damals die einzige Chance auf eine Best-in-Class-Perspektive zu kommen. 

Was sich in den letzten Jahren auch getan hat: Startups kommen leichter an Finanzierungen, auch an Fremdkapital. Müssen VCs heute stärker um Startups buhlen als früher?

Absolut. Es gibt zwei Zugänge, wie man im Venture erfolgreich sein kann: Mit massivem Kapital, Wachstum und überhöhten Bewertungen – da ist das Produkt Kapital und schneller Zugang dazu. Der andere Weg ist unserer – wir schnüren ein Paket, das mehr bietet als nur Kapital. Da spielt vertikale Expertise eine Rolle, Plattformunterstützung, operative Unterstützung. Mit beiden Angeboten muss man aber in die besten Deals hineinkommen. Da gibt es in meiner Wahrnehmung eine enorme Kluft zwischen den Serial Entrepreneurs, die es sich aussuchen können – da treten wir in der Regel gegen ein Dutzend anderer Investoren an, um diese Deals zu gewinnen. Für die breite Masse an Gründerteams stellt sich das aber ganz anders dar. Die kommt schwieriger an das Geld und hat nicht so viel von dem Boom. 

Liest du eigentlich noch Pitch Decks oder übernimmt das dein Team?

Natürlich! Wir bekommen etwa 10.000 Pitchdecks im Jahr, viele davon kann ich nicht lesen. Besonders im Deeptech-Bereich, wo ich mich persönlich um das Team kümmere, schau ich mir die Pitch Decks schon genau an, insbesondere die, die bei uns in die Shortlist kommen. 

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Das "Expedition Zukunft"-Team, Annamaria Andres (erste links) | (c) FFG

In Zeiten großer gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Herausforderungen braucht es mutige Ideen, die nicht nur schrittweise verbessern, sondern bestehende Systeme grundlegend neu denken. Genau hier setzt das Förderprogramm „Expedition Zukunft“ der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) an. Annamaria Andres, die das Programm maßgeblich mitentwickelt hat, betont: “Die EU und auch Österreich sind sehr gut in inkrementellen Innovationen und Grundlagenforschung, doch es braucht auch disruptive Ansätze, um die Welt zu einem besseren, gerechteren und nachhaltigeren Ort zu verändern.”

Mehr als inkrementelle Verbesserungen

Das Ziel von “Expedition Zukunft” ist es, Projekte zu unterstützen, die einen echten Paradigmenwechsel bewirken können. Während traditionelle Innovationsprogramme oft auf Verbesserungen bestehender Technologien und Prozesse abzielen, sucht „Expedition Zukunft“ nach bahnbrechenden Ideen. Es geht darum, mit komplett neuen Ansätzen die jetzigen Herausforderungen anzugehen. Diese Herausforderungen könnten technologischer, gesellschaftlicher oder ökologischer Natur sein.

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Zwei Wege in die Zukunft: #START – Business Edition und #INNOVATION

Das Programm gliedert sich in mehrere Ausschreibungsschienen. Hier ein Überblick zu zwei Förderschienen, die sich besonders für Gründer:innen von Startups und KMU eignen:

  • #START – Business Edition: Hier können Gründer:innen und KMU einreichen, die ganz am Anfang stehen. Sie haben eine visionäre Idee, aber noch kein ausgearbeitetes Konzept. Es geht darum, die Durchführbarkeit zu testen – nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch in Bezug auf soziale Aspekte, strategische und rechtliche Rahmenbedingungen. Für diesen Schritt stellt die FFG bis zu 80.000 Euro zur Verfügung.
  • #INNOVATION: In dieser Schiene wurde ein Problem bereits klar definiert, die Lösung ist jedoch noch offen. Mit einer Förderung von bis zu 150.000 Euro bei einer Förderquote von 50 Prozent unterstützt das Programm die Lösungsfindung in Zusammenarbeit mit relevanten Stakeholdern. Hier geht es um iterative Innovationsprozesse, wie zum Beispiel Open Innovation und Design Thinking, um eine optimale Lösung für eine Zielgruppe oder ein disruptives Geschäftsmodell zu entwickeln.

Weitere Ausschreibungsschienen findet ihr auf der Programm-Website.

Mut zum Risiko und zur Veränderung

Disruptive Innovationen sind riskanter als schrittweise Verbesserungen. Sie bewegen sich oft in unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen, müssen neue Märkte erschließen und kulturelle Veränderungen anstoßen. Diese bahnbrechenden Ideen haben ein höheres Umsetzungsrisiko. Deshalb bietet das Programm neben finanzieller Unterstützung auch umfassende Beratungsservices und Expeditionsguides.

Die Expeditionsguides sind Expert:innen, die die geförderten Projekte begleiten. Neben der individuellen Begleitung bietet das Programm auch Netzwerktreffen, bei denen sich die Fördernehmer:innen untereinander austauschen können.

Von der Vision zur Umsetzung

Ein zentrales Kriterium für die Förderung ist der Mut zur großen Vision. Dahingehend werden Fördernehmer:innen gesucht, die größer denken und bereit sind, neue Wege zu gehen. Diese Vision muss auch einen gesellschaftlichen oder ökologischen Mehrwert bieten. Es geht nicht nur um Profit, sondern um Impact – sei es in der Umwelt, der Gesellschaft oder der Wirtschaft.

Ein Beispiel für solche visionären Projekte sind Innovationen in der Raumfahrt, der Krebsbekämpfung, sozialen Inklusion oder Pflegekonzepte für eine alternde Gesellschaft.

Solche Ideen stoßen jedoch oft auf große gesellschaftliche Herausforderungen. So stellt beispielsweise die Bereitschaft der Menschen, eingefahrene Verhaltensmuster zu ändern, eine Hürde dar. Genau hier setzt das Programm an, um den notwendigen Wandel zu unterstützen und den Weg für zukunftsweisende Innovationen zu ebnen.

Unterstützung, die über Geld hinausgeht

Neben der finanziellen Förderung bietet „Expedition Zukunft“ auch umfangreiche Beratungsleistungen. Dazu gehören Workshops zu Geschäftsmodellen, Strategieberatung oder Hilfe bei IP-Fragen. So soll sichergestellt werden, dass die Projekte nicht nur technisch funktionieren, sondern auch erfolgreich umgesetzt werden können.

Das Programm „Expedition Zukunft“ vernetzt die Teilnehmenden gezielt mit relevanten Partner:innen aus Wirtschaft, Forschung und öffentlichem Sektor. Ein starkes Netzwerk aus Wirtschaftsagenturen, Ministerien und internationalen Partnern unterstützt dabei, die richtigen Kontakte zur richtigen Zeit zu knüpfen – oft der Schlüssel zum Erfolg eines Projekts.

Bewerbungsfrist und Kriterien

Die Einreichfrist für die #START Business Edition endet am 28. Januar um 12:00 Uhr. Die Schiene #INNOVATION ist als laufende Ausschreibung angelegt. Bewerber:innen müssen neben einer bahnbrechenden Idee auch den Willen mitbringen, Risiken einzugehen und groß zu denken. Diversität, gesellschaftlicher Impact und die Bereitschaft zur Veränderung sind entscheidend.

Abschließend merkt Andres an: “Wir suchen Visionär:innen, die bereit sind, die Welt zu verändern. Die Expedition Zukunft ist für diejenigen, die über den Tellerrand hinaus denken, die mutig sind und größer denken. Wer bereit ist, sich dieser Herausforderung zu stellen, findet in dieser Initiative der FFG nicht nur einen Förderer, sondern einen Partner auf dem Weg in die Zukunft.”

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