04.07.2022

Fachkräfte: Sag zum Abschied leise “Ok Boomer”

Wer Fachkräfte will, muss immer mehr nach deren Regeln spielen. Einige Arbeitgeber werden das noch auf die harte Tour lernen müssen.
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Fachkräfte - ok boomer
(c) brutkasten / unsplash.com - Ioana Cristiana
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“Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität” – dieses Zitat soll vom griechischen Philosophen Sokrates stammen, also im fünften Jahrhundert vor Christus entstanden sein. Es ist nicht der einzige Beweis dafür, dass der Generationenkonflikt so alt ist, wie die Menschheit selbst. Dabei lässt sich feststellen: Die Vorstellungen der vorigen Generation infrage zu stellen ist eine der zentralen Triebfedern dessen, was wir Fortschritt nennen. Die Weiterentwicklung der Menschheit passiert nämlich nicht nur auf technischer Ebene, sondern immer auch auf gesellschaftlicher. Dieser gesellschaftliche Wandel hinkt dem technischen allerdings immer etwas hinterher – und birgt erheblich mehr Konfliktpotenzial. Besonders stark zeigt sich das oft in der Arbeitswelt, wie man auch aktuell in der Fachkräfte-Diskussion gut sieht. Sie ist eine gesellschaftliche Folge der technisch getriebenen Digitalisierung.

Fachkräfte-Mangel: Die junge Generation will mehr als nur Geld

Kündigungswellen im Tech-Bereich, wie zuletzt bei Bitpanda, können zumindest bislang nichts daran ändern: Es gibt einen massiven Fachkräfte-Mangel über fast alle Branchen hinweg. Menschen, die (meist polemisch) darauf hinweisen, dass sich da mit besserer Bezahlung viel machen ließe, haben nur bedingt Recht: Wohl hilft die Bezahlung im “War for Talents”, nicht aber gegen den Mangel per se. Und wenn man die Diskussion verfolgt fällt auf: Das Gehalt ist zwar, wie schon bisher, (gerade in Zeiten starker Inflation) ein zentrales Kriterium der Arbeitgeber-Attraktivität. Doch die jungen Fachkräfte wollen noch mehr: Sie haben ganz andere Ansprüche an die Work-Life-Balance, als die vorigen Generationen.

Junge Männer, die sich um ihre Kinder kümmern wollen

Dabei geht es nicht nur um Hedonismus, oder gar, wie gerne von der älteren Generation unterstellt, Faulheit. Überdurchschnittlich stark ist der Wunsch nach Work-Life-Balance laut Umfragen bei jungen Männern. Viele von ihnen können sich nicht mehr mit dem konservativen Rollenbild des Familien-Ernährers identifizieren und wollen ihre Karriere so planen, dass sie als Elternteil ihren fairen Anteil leisten können, aber eben trotzdem Wohlstand aufbauen. Die “High Performer”-Arbeitswoche mit 60 und mehr Stunden passt damit gar nicht zusammen. Die 4-Tage-Woche dagegen ist eines der möglichen Modelle, den Wunsch zumindest teilweise zu realisieren. Und Studien zeigen, dass die Produktivität keineswegs proportional zur Arbeitszeit abnimmt. Im Gegenteil: Ausgeruhte Arbeitskräfte können in weniger Zeit mehr leisten.

Baby-Boomer-Männer verstehen die Welt nicht mehr

Doch die Männer der Baby-Boomer-Generation, die in den meisten großen Unternehmen an den Hebeln sitzen, können mit diesen neuen Vorstellung überhaupt nichts anfangen. Der Wunsch, Kind und Karriere zu verbinden, wurde bei Frauen in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich sabotiert. Jetzt, wo er auch von Männern kommt, wird er sichtlich als Affront wahrgenommen und letztlich als mangelnde Leistungsbereitschaft abgetan.

“Leistung ist Arbeit pro Zeit”

Ein gutes Beispiel für diese Haltung lieferte kürzlich etwa KTM-Chef Stefan Pierer, der auch Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich ist, gegenüber der Kleinen Zeitung: “Vier Tage arbeiten und für fünf verdienen, das wird’s nicht spielen”, meint er und führt aus: “Der Wohlstand, den zwei Generationen nach dem Krieg aufgebaut haben, ist durch Leistung entstanden. Und Leistung ist Arbeit pro Zeit. Wir müssen jungen Leuten Freude an der Leistung vermitteln, und das muss sich auch im Entgelt niederschlagen. Es muss sich auch steuerlich auszahlen, mehr zu arbeiten”. Mehr Geld ist also drin, wenn der Staat brav mithilft. Aber mehr Zeit, um noch etwas anderem so viel oder gar mehr Herzblut zu widmen, wie der Arbeit, das geht nicht. Selbst wenn es um die eigenen Kinder geht und man erwiesenermaßen trotzdem den annähernd gleichen Output liefert.

Adieu, liebe Fachkräfte

Doch der Wandel ist bereits in vollem Gange. Die Generation Z lässt sich, anders als die Millenials, von der Baby Boomer-Generation nicht mehr beeindrucken. Und die Millenials kommen ihrerseits auch immer mehr auf den Geschmack der neuen Argumente. Als Nachfolger:innen in den heimischen Führungsetagen setzen sie bereits erste entsprechende Maßnahmen um. Wegen des Fachkräfte-Mangels bleibt ihnen aber letztlich gar nicht viel anderes übrig, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Die ältere Generation hat das noch nicht verstanden (und wird es vielleicht auch nicht mehr). Bei ihren jungen Fachkräften wird es nun immer öfter heißen: Sag zum Abschied leise “Ok Boomer”.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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Die Partner von No Hype KI
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