25.06.2020

Wirecard meldet Insolvenz an – erste Stimmen aus dem FinTech-Sektor

Angesichts des 1,9 Milliarden Euro schweren Bilanzlochs musste der Zahlungsverkehrsanbieter Wirecard AG am Donnerstagvormittag Insolvenz anmelden. Zudem wurde die Aktie vom Handel ausgesetzt. Mittlerweile beziehen auch Player aus dem heimischen FinTech-Sektor Stellung zum Bilanzskandal.
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wirecard
(c) wircard

Der Bilanzskandal um Wirecard erreicht einen neuen (vorläufigen) Höhepunkt. Aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung musste das Unternehmen heute Donnerstagvormittag Insolvenz anmelden.

+++ zum Fokus-Channel: FinTech +++

In einer Mitteilung des Unternehmens heißt es: “Der Vorstand der Wirecard AG hat heute entschieden, für die Wirecard AG beim zuständigen Amtsgericht München einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu stellen.”

Derzeit wird geprüft, ob für die Tochtergesellschaften der Wirecard-Gruppe ebenfalls Insolvenzanträge gestellt werden müssen.

Vom Handel ausgesetzt

Zudem wurde die Aktie am Donnerstag für 60 Minuten vom Handel ausgesetzt. Letzte Woche brach die Aktie bereits um 70 Prozent ein – mehr darüber in einer ausführlichen Analyse.

Zudem hatten die Gläubigerbanken das Recht, Kredite über zwei Milliarden Euro zu kündigen, sofern das Unternehmen nicht bis zum vergangenen Freitag eine Bilanz vorlegt, die von Wirtschaftsprüfern getestet wird.

Das Beratungsutnernehmen EY hatte eine Wirtschaftsprüfung verweigert. Als Grund wurde angegeben, dass die Bestätigungen über die Treuhandkonten offenbar gefälscht waren.

Ex-Wirecard-Chef auf Kaution frei

Seit Wochenbeginn überschlugen sich die Ereignisse rund um wirecard. Erst am Dienstagabend stellte sich Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, der gebürtiger Österreicher ist, der Polizei in München. Gegen eine Zahlung von fünf Millionen Euro Kaution und wöchentliche Meldepflicht wurde der Haftbefehl jedoch außer Vollzug gesetzt.

Anfang der Woche musste wirceard einräumen, dass ein bilanziertes Vermögen von 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten in Asien wahrscheinlich gar nicht existiert. Der für das Asiengeschäft zuständige Vorstand Jan Marsalek wurde fristlos entlassen.

Zudem hat auch die deutsche Finanzaufsicht BaFin eine Strafanzeige wegen Verdachts der Marktmanipulation erstattet. In Deutschland entbrannte daraufhin eine Debatte über mangelnde Regierunlierugnsbestimmungen und Fehler bei der Beaufsichtigung von Wirecard.

Stimmen aus dem FinTech-Sektor

Mittlerweile nehmen auch Payment-Dienstleister und Player aus der österreichischen FinTech-Szene zum milliardenschweren Bilanzskandal Stellung.

bluesource – mobile solutions und mobile-pocket

Martin Sprengseis-Kogler, Managing Partner von bluesource – mobile solutions und mobile-pocket, bedauert den Schaden für Anleger und Kunden von Wirecard. Sprengseis-Kogler hat unter anderem auch mit Wirecard Projekte in Spanien, Deutschland und Österreich umgesetzt und baut die Akzeptanzlösung für den Payment-Dienstleister Bluecode.

Zugleich sieht Sprengseis-Kogler jedoch auch Potentiale für das eigene Geschäft. “Im Moment werden gerade einige zig tausend Kunden frei für den Markt. Wir haben seit vorgestern Anfragen in der Inbox, wohin man wechseln kann, wenn man Wirecard Kunde ist. Da wir gerade eine Akzeptanz-App entwickeln, ist das eine Riesenchance.”

Bluecode

Blucode Gründer Christian Pirkner sieht die Zahlungsabwicklung für Händler aufgrund der angemeldeten Insolvenz derzeit nicht in Gefahr. “Ich nehme nicht an, dass es für Händler Zahlungsausfälle geben und Geld versickern wird. Die Transaktionen und Geldflüsse werden weiterlaufen. Generell werden die Systeme vorerst weiterlaufen und in der Zwischenzeit kann bei Bedarf auf andere Anbieter umgestellt werden”, so Pirkner am Nachmittag gegenüber dem Brutkasten. 

Problematischer sieht er hingegen die Situation für FinTechs. “Das größte Problem ist, dass die Endkunden der FinTechs in vielen Fällen die Kunden der Wirecard sind. In der Regel wurden die KYC-Prozesse über die Wirecard abgewickelt und nicht mit den jeweiligen FinTechs.” Der Wechsel vom Wirecard-Ökosystem in das Ökosystem eines Wirecard-Mitbewerbers ist daher mit hohen Kosten verbunden. Zudem bedarf es in diesem Fall laut Pirkner einem erneuten Onboarding der Kunden.

=> ein ausführliches Interview mit Christian Pirkner zu den Folgen des Wirecard-Skandals für den FinTech-Sektor könnt ihr HIER lesen.

Ixopay

Ebenfalls zu Wort hat sich das Wiener FinTech Ixopay gemeldet, das eine Payment Orchestration-Plattform entwickelt hat, die Kunden globales Payment-Processing ermöglicht. Auf dem Unternehmens-Blog thematisiert Ixopay die Problematik individueller Abhängigkeiten von Payment Service Providern. “Wenn ein Zahlungsdienstleister plötzlich nicht mehr verfügbar oder doch nicht so sicher ist, wie bisher angenommen, könnten in Ihrem Unternehmen von einem Schlag auf den anderen die Einnahmequellen ausfallen”, so Ixopay.

Dahingehend rät das FinTech zur Nutzung von Payment Management Plattformen, bei denen Provider nahtlos geswitcht werden können. Zudem sollten Händler sicherstellen, dass sie eine PCI zertifizierten Payment Management Lösung verwenden, um auch die Zahlungdaten der Kunden in Sekunden von einer Plattform auf die andere wechseln zu können und somit weiterhin Abbuchungen möglich sind.

ready2order

Markus Bernhard vom Wiener Startup ready2order, das eine Cloud-basierte POS (Point-of-Sale)-Software-Lösung für Registrierkassen anbietet, betont die Innovationskraft, die Wirecard für die Branche hatte: “Wirecard hat bereits vor Jahren als eines der ersten Unternehmen umfassende technische und regulatorische Lösungen angeboten, das zu einer Zeit zu der Fintech noch kein etablierter Begriff war. Viele Startups im stark boomenden Finanztechnologiebereich hätten ohne Wirecard ihre Geschäftsmodelle auch erst gar nicht realisieren können, da Wirecard sicherlich stets ein wesentlicher Wegbereiter war. Mittlerweile gibt es aber auch eine Reihe an vergleichbaren Anbietern am Markt, die ebenso umfassende Lösungen anbieten. Wir selbst sind stets mit allen relevanten Playern im Austausch, bis jetzt auch mit Wirecard.”

Weiters führt Bernhard aus: “Wirecard ist mit einer großen Vision angetreten und diese wurde auf Produktebene technisch und regulatorisch auch eindrucksvoll umgesetzt. Wegen den aktuellen Ereignissen bleibt die Innovation im Finanztechnologiebereich aber nicht stehen, wir werden weiterhin neue innovative Lösungen sehen und es gibt mittlerweile auch genügend Alternativen. Generell kann sich zwar durchaus kurzfristig eine Angebotslücke im Markt ergeben, diese wird aber von bestehenden und vielleicht auch neuen Playern zügig geschlossen werden – die Nachfrage nach entsprechenden Lösungen ist jedenfalls da.”

Das Startup ready2order hat übrigens keine Partnerschaft mit Wirecard. Dementsprechend sind die Produkte und Kunden von den aktuellen Ereignissen nicht betroffen.

Brutkasten-Nachlese zu wirecard

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Die Verwendung von Kohlefaser in der Industrie hat in den letzten Jahren stark zugenommen – insbesondere in Bereichen wie der Luft- und Raumfahrt, dem Automobilbau und der Windenergie. Kohlefaser überzeugt durch ihre hohe Festigkeit bei geringem Gewicht, doch ihre Herstellung ist ressourcenintensiv und teuer. Ein großes Problem stellt der hohe Verschnitt bei der Produktion dar: In der Industrie landen im Durschnitt bis zu 30 Prozent der Rohstoffe im Abfall. Diese Materialverluste sind nicht nur ökonomisch ineffizient, sondern auch aus ökologischer Sicht problematisch, da Kohlefaser biologisch nur schwer abbaubar ist.

Carbon Cleanup setzt auf KI

Das 2020 gegründete Linzer Startup Carbon Cleanup rund um Gründer Jörg Radanitsch hat sich diesem Problem angenommen und zum Ziel gesetzt, Kohlenstofffasern aus Industrieabfällen aufzubereiten und wiederverwendbar zu machen. Konkret hat das Startup eine mobile Aufbereitungsanlage entwickelt, um Carbonfasern direkt vor Ort beim Kunden aufzubereiten. 

Zum Herzstück der Anlage gehört nicht nur die mechanische Aufbereitung der Kohlenstofffasern. Im Hintergrund läuft auch eine Software, die eine KI-gestützte visuelle Erkennung der zugeführten Rohstoffe ermöglicht.

“Wir haben ein KI-generiertes Datenblatt entwickelt, das automatisch die Charakteristika von eingehendem Material erkennt und den Wert des Rezyklats bestimmt“, so Radanitsch. “Bevor das Material in unsere Anlage kommt, wissen wir schon, welche mechanischen Eigenschaften es haben wird. Das ist entscheidend für die Qualität und den Marktwert des Endprodukts.”

Gründer Jörg Radanitsch | (c) Carbon Cleanup

Entwicklung der zweiten Generation an Anlagen

Während die erste Anlage des Unternehmens für R&D-Zwecke dient und über eine Kapazität von 30 Tonnen pro Jahr verfügt, konnte das Unternehmen über den Sommer eine zweite Anlage in Betrieb nehmen. „Unsere zweite Anlagengeneration ist im August fertiggestellt worden. Die Produktionskapazität ist dreimal so hoch wie bei unserer ersten Anlage. Damit sind wir jetzt in der Lage, deutlich mehr und auch verschiedene Kompositabfälle zu verarbeiten.“

Besonders stolz ist Radanitsch auf die gestiegene Materialqualität: „Das neue Aggregat ist viel stärker, was uns mehr Flexibilität bei der Verarbeitung der Materialien gibt. Wir können jetzt eine Vielzahl an Abfällen effizienter recyceln, was die Qualität der Produkte erheblich verbessert.“

Ein wichtiger Baustein für den Erfolg von Carbon Cleanup war die Unterstützung durch die Austria Wirtschaftsservice (aws). “Das Seed-Financing der Austria Wirtschaftsservice hat uns erlaubt, nicht nur unsere Forschung und Entwicklung voranzutreiben, sondern auch in Marketingaktivitäten zu investieren, die für uns als Hardware-Startup besonders wichtig sind“, erklärt Radanitsch.

Luftfahrtindustrie und Kooperation mit KTM Technologies

Eine der spannendsten Entwicklungen bei Carbon Cleanup ist der Einsatz ihrer recycelten Materialien im 3D-Druck, besonders in der Luftfahrtindustrie. “Wir liefern im Tonnenmaßstab Kunststoffgranulate, die mit unserer Rezyklatfaser verstärkt sind. Diese werden in großen 3D-Druckern verwendet, um Formen zu bauen, die dann für die Produktion von Flugzeugteilen genutzt werden”, so der Gründer.

Zudem arbeitet Carbon Cleanup mit dem österreichischen Motorradhersteller KTM zusammen. Gemeinsam arbeiten beide Unternehmen an einem geschlossenen Materialkreislauf, bei dem Post-Consumer- und Post-Industrial-Abfälle von KTM Technologies recycelt und für die Herstellung neuer Bauteile genutzt werden. Spezifisch handelt es sich um das Recycling der Teile des Rennmodells “X-Bow GT2”, dessen Rahmen zu 100 % aus Carbonfasern besteht. Durch Unfälle entsteht eine große Menge an beschädigtem Material, das normalerweise als Abfall betrachtet wird. Mit der Partnerschaft von KTM und Carbon Cleanup wird dieses Material zurück in den Kreislauf gebracht. 

(c) Carbon Cleanup

“KTM Technologies war von Anfang an ein Vorreiter. Sie testen unsere recycelten Materialien bereits erfolgreich in ihren Motorrädern“, betont Radanitsch.

Das Besondere an dieser Kooperation ist das sogenannte Closed-Loop-Material, das zu 100 Prozent aus dem Abfallstrom von KTM Technologies besteht. „Die Herausforderung ist, die Materialien zirkulär zu sammeln und in die Produktion zurückzuführen. Das Sammeln und die Qualität sind dabei entscheidend. Aber wir haben gezeigt, dass wir sogar leistungsfähigere Materialien aus Abfall herstellen können”, so der Gründer.

(c) Carbon Cleanup

Die nächsten Schritte von Carbon Cleanup

Das Geschäftsmodell von Carbon Cleanup basiert derzeit auf zwei Einnahmequellen: Zum einen bietet das Unternehmen Kunden einen Recycling-Service an, bei dem diese für die umweltgerechte Entsorgung des Materials bezahlen. Dafür wurde eine eigene Logistikstruktur aufgebaut. Zum anderen werden die Faserverbundkunststoffe an weitere Abnehmer verkauft. Derzeit liefert das Startup 98 Prozent der aufbereiteten Granulate ins Ausland. “Für eingehendes Material sind die Hauptmärkte neben Österreich vor allem Deutschland und Italien. Der Materialzufluss ist für uns derzeit jedoch kein Engpass, sodass wir gezielt das für uns passende Material auswählen können”, so der Gründer abschließend.


*Disclaimer: Das Startup-Porträt erscheint in Kooperation mit Austria Wirtschaftsservice (aws)

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Wirecard meldet Insolvenz an – erste Stimmen aus dem FinTech-Sektor

  • Angesichts des 1,9 Milliarden Euro schweren Bilanzlochs musste der Zahlungsverkehrsanbieter Wirecard AG am Donnerstagvormittag Insolvenz anmelden.
  • Zudem wurde die Aktie vom Handel ausgesetzt.

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