Die Vier-Tage-Woche steigert die Produktivität, besagen Studien. Aber ein Umstieg auf das Arbeitszeitmodell kann sich beim aktuellen Arbeitskräftemangel unmöglich ausgehen, rechnen Kritiker:innen vor. Beide Seite haben wohl recht. Es ist ein Dilemma: Immer Menschen fühlen sich in der optimierten Arbeitswelt von heute ständig ausgelaugt und lechzen nach mehr Erholung – auch um ihr Leistungspotenzial in der Arbeitszeit besser abrufen zu können. Doch der Workload ist meist deswegen zu hoch, weil Arbeitskräfte fehlen. Und das wird durch eine verkürzte Arbeitszeit und ein umständliches Schichtmodell in der kürzeren Woche mit großer Wahrscheinlichkeit nicht besser.

Während etwa Unternehmen im IT- oder Kreativ-Bereich von der individuellen Einführung der Vier-Tage-Woche durchaus profitieren können, bleibt sie für den Großteil der Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen völlig illusorisch. Zumindest in Österreich und anderen westlichen Ländern im Jahr 2023.

Warum fehlen trotz Automatisierung so unglaublich viele Arbeitskräfte?

Doch eigentlich ist es ja seltsam. Die Automatisierung schreitet unaufhörlich voran. Die aktuelle KI-Diskussion beflügelt alte (und absolut berechtigte) Überlegungen, dass Künstliche Intelligenzen schon bald jede Menge Jobs ersetzen könnten. Immer mehr Wirtschaftsleistung wird mit sehr wenig menschlicher Arbeitskraft erbracht. Warum fehlen so unglaublich viele Arbeitskräfte?

Die Antwort: Unser Wirtschaftssystem hat uns sehr kreativ darin gemacht, neue “Bedürfnisse” zu kreieren. Denn das müssen wir, um den Wachstumsmotor am Laufen zu halten. Würden wir mit unserer Arbeitskraft nur abdecken, was wir rational betrachtet wirklich brauchen, also Essen, Wohnen, Bildung und dergleichen, ginge sich dank Automatisierung mittlerweile wahrscheinlich nicht nur eine Vier-Tage-Woche, sondern sogar eine Drei- oder gar Zwei-Tage-Woche für alle aus. (Klarerweise ließe sich das in unserem auf Wachstum ausgerichteten System nicht einfach so umsetzen. Es würde in einer apokalyptischen Wirtschaftskrise zusammenbrechen und ins komplette Chaos abdriften.)

Nice-to-Have-Economy: Die Vier-Tage-Woche verhindern wir selber

Über den Status, allen ein Leben zu ermöglichen, in dem sie ihre essenziellen Bedürfnisse abdecken können, ist unser System längst hinaus. Wir stecken ganz tief in einer Nice-to-Have-Economy. Ein Großteil unserer Arbeitsleistung fließt in Dinge, die wir rational betrachtet nicht brauchen. Denn von Dingen wie Grundnahrungsmitteln und leistbarem Wohnen wächst die Wirtschaft nicht. Es braucht immer neue Produkte und Dienstleistungen, von denen wir zunächst nicht wissen, dass es sie gibt, dann nicht wissen, dass wir sie brauchen und zuletzt nicht wissen, was wir getan haben, bevor es sie gab. Anders ausgedrückt: Wir schwimmen in Luxusgütern.

Und wir sind süchtig nach diesen Luxusgütern, süchtig nach diesen Nice-to-Haves. Für die Nachfrage, die den Arbeitskräftemangel antreibt und damit für uns die Vier-Tage-Woche verunmöglicht, sorgen wir also selber. Und perfiderweise sind die Jobs im essenziellen Bereich im Normalfall schlechter bezahlt und weniger attraktiv, als jene bei Nice-to-Have-Unternehmen, was die Situation am Arbeitsmarkt noch um eine problematische Dimension erweitert.

Verzicht? Die Klimakrise lässt grüßen

Es ist ein gigantisches Dilemma – zumindest de facto. Wenn wir weniger arbeiten wollten, müssten wir uns selbst in Verzicht üben. Wir müssten ein Stück weit von der Nice-to-Have-Economy wegkommen, die jede frei werdende Arbeitskapazität sofort mit neuen Nice-to-Have-Jobs absorbiert. Wir müssten das seit der industriellen Revolution vor mehr als 150 Jahren entstandene System grundlegend überarbeiten. Soweit so logisch, doch dass wir dazu gar nicht in der Lage sind, zeigt sich in der Klimakrise eindrücklich. Auch sie wird auf diese Weise nicht bewältigt werden.