23.09.2019

Wie sich Trumps US-Zölle auf heimische Startups auswirken

Die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump richtet sich abwechselnd mal stärker, mal schwächer gegen China und die EU. Für Unternehmen, die in die USA liefern, sorgen die US-Zölle für Einbußen und Gedankenspiele hinsichtlich Produktionsstätten. Darüber sprachen wir mit Stefan Ponsold, Gründer Sunnybag, Tractive CEO Michael Hurnaus, Georg Weiß, CEO Logsta, Petra Dobrocka, Co-Founder Byrd, und Florian Krisch vom österreichischen AußenwirtschaftsCenter New York.
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Die US-Zölle betreffen heimische Startups auf unterschiedliche Art und Weise - (l.o.) Stefan Ponsold, Sunnybag, (r.o.) das Tractive-Team, (l.u.) ByrdDas Logsta-Team, (r.u.) Petra Dobrocka, Byrd
Collage: Die US-Zölle betreffen heimische Startups auf unterschiedliche Art und Weise - (l.o.) Stefan Ponsold, Sunnybag, (r.o.) das Tractive-Team, (l.u.) ByrdDas Logsta-Team, (r.u.) Petra Dobrocka, Byrd

Es herrscht Krieg in der Weltwirtschaft. Und Frieden. Manchmal. US-Präsident Donald Trumps Zollpolitik wirkt sprunghaft und willkürlich. Doch mag dabei auch keine klare Strategie erkennbar sein, sie richtet trotzdem Schäden bei jenen Unternehmen an, die in die USA liefern. In Gesprächen mit heimischen Hardware- und Logistik-Startups wird klar, dass flexibles Denken und Planung nötig sind, um im Streit zwischen China und den USA Mehrkosten wegen neuer US-Zölle zu umgehen.

+++ Mehr Politik im Fokus-Channel +++

Beginn eines Handelskriegs

Der Beginn der neuen protektionistischen US-Politik lässt sich auf den Februar 2018 datieren. Die USA verhängten damals Zölle und Importkontigente für Waschmaschinen und Solarmodule. Knapp einen Monat später traten US-Zölle von 25 Prozent auf Stahl und 10 Prozent auf Aluminium in Kraft. Im April konterte China daraufhin mit Zöllen auf US-Landwirtschaftsprodukte.

Am sechsten Juli des selben Jahres rief die Trump-Administration Zölle von 25 Prozent auf chinesische Güter aus und setzte am 23. August eine zweite Welle von Strafzahlungen drauf. Insgesamt betrug das Handelswert-Volumen bei dieser Aktion rund 50 Milliarden US-Dollar. China reagierte mit Zöllen im gleichen Umfang. Die Folge: die USA klagten vor der WTO gegen die Strafzölle, die China gegen US-Produkte erhoben hatte.

Weitere Importe aus China wurden daraufhin mit Strafzöllen im kumulierten Handelswert von 200 Milliarden US-Dollar belegt und eine Liste mit betroffenen Gütern aus China veröffentlicht. Im Mai 2019 hob Donald Trump die Zölle auf Güter dieser Liste auf 25 Prozent an.

Danach kam es zu Gesprächen zwischen Trump und Chinas Staatschef Xi Jinping, die einen “Waffenstillstand” zur Folge hatten. Allerdings nur für kurze Zeit.

Weihnachtsbusiness nicht stören

Anfang August 2019 kam es erneut zu weiteren Strafzöllen von 10 Prozent auf chinesische Importe im Wert von rund 300 Milliarden US-Dollar. Diese sollten ursprünglich im September in Kraft treten. Die US-Regierung verschob allerdings die neuen Strafzölle auf Güter (Smartphones, Laptops und Spielzeug) auf den 15. Dezember, um das Weihnachtsgeschäft nicht allzu sehr zu “stören”, wie Trump sinngemäß per Twitter ausrichtete.

Zudem sei auch ein Zusatzzoll geplant, der Importe von Sojabohnen und Erdöl betreffe. Autozölle in Höhe von 25 Prozent sollen ebenfalls ab Mitte Dezember wirksam werden. Damit würden, falls all diese Vorhaben tatsächlich durchgezogen werden, fast alle chinesischen Produkte mit Strafzöllen belegt sein.

Auch EU und Japan betroffen

Neben China hat der US-Präsident auch andere Handelspartner ins Visier seiner Zoll-Politik genommen. Trump droht der EU neben den Schutzzöllen auf Aluminium und Stahl auch mit Sonderzöllen wegen Subventionen an den Luftfahrtkonzern Airbus. Auch Japan ist in den Fokus des US-Präsidenten geraten. Allerdings kam es mit dem Kaiserreich nach monatelangen Handelsgesprächen zu einer Einigung. Es soll zeitnah ein Abkommen zu Zollfragen und zum Thema digitaler Handel unterzeichnet werden. Dies teilte US-Präsident Donald Trump letzte Woche dem Kongress mit.

US-Handelsdefizit mit China

Zwischen regelmäßigen Drohungen und Rückziehern irritiert Trumps Wirtschaftspolitik sowohl Handelspartner als auch Beobachter. Seine Argumentation, er schütze die nationale Sicherheit, halten Experten für ein vorgeschobenes Argument. Die USA weisen gegenüber China ein Handelsdefizit von rund 419 Milliarden US-Dollar aus. Einer der Gründe für die aggressive Rhetorik des US-Präsidenten gegenüber dem Reich der Mitte.

“Property Theft” als Problem

Zudem ist, wie etwa CNBC berichtet, “intellectual property theft” ein riesiges Problem für die Vereinigten Staaten. Im März belegte die dort zitierte Studie, dass von China im Schnitt einem von fünf US-Unternehmen geistiges Eigentum gestohlen werde. Demnach richte diese Praktik jährlich Schäden im Wert von 600 Milliarden US-Dollar an.

“Wir überlegen mit unserer Produktion China zu verlassen und eventuell nach Vietnam zu gehen”

Auch Österreichische Startups betroffen

Auch heimische Startups hadern mit Einbußen aufgrund der US-Zölle, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Stefan Ponsold vom Solarladesystemhersteller Sunnybag, der in China seinen Solar Backpack produzieren lässt, berichtet von einem 17,6 Prozent Zollsatz zu dem obendrauf noch Strafzölle anfallen. Insgesamt würden sich die Extrakosten auf 42,6 Prozent des Warenwerts summieren, die als Zölle zu bezahlen sind.

Profiteure der US-Zölle

Wenig verwunderlich, dass sich das Startup andere Optionen ansieht, wie Ponsold erklärt: “Wir überlegen mit unserer Produktion China zu verlassen und eventuell nach Vietnam zu gehen”, sagt er. Er ist nicht der einzige, der diesen Schritt in Erwägung zieht. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Bain & Company unter 200 US-Konzernen mit Geschäftsverbindungen nach China erklärten 60 Prozent, sie würden nach neuen Lieferanten, neuen Innovationsquellen und neuen Regionen für die Fertigung Ausschau halten. Zielregionen sind dabei Kambodscha, Mexiko, sogar Europa und eben Vietnam.

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(c) Sebastian Reich – Sunnybag-Gründer Stefan Ponsold überlegt Produktionsverlagerung aufgrund der US-Zölle.

Strafe bei Leistungsbezug zu China

Florian Krisch vom Österreichisches AußenwirtschaftsCenter New York präzisiert das Zustandekommen der enormen Extrakosten: “In gewissen Konstellationen kann es zu einem Zolltarif von 42 Prozent und mehr kommen. Dies geschieht dann, wenn zum bisherigen ‘normalen’ Zolltarif ein Strafzoll hinzukommt. Ein Strafzoll wird ausgelöst, sobald die in die USA importierten Waren einen Leistungsbezug zu China vorweisen”, sagt er. “Die US-Zollbehörde erteilt in Rahmen schriftlicher ‘Binding Rulings’ verbindliche Zollauskünfte, die online ersichtlich sind. Darin wird explizit erwähnt, dass ein Tarif von 17,6 Prozent in Rechnung gestellt wird”.

Zusätzlich dazu sei zu prüfen, ob das Produkt von den (jetzt neuen) Strafzöllen/Zusatzzöllen für chinesische Waren betroffen ist. Dies könne man dieser Liste entnehmen. In dem oben genannten Fall von Sunnybag, und als Anleitung für ähnlich betroffene Startups, sei unter der Nummer 4202.92 (Travel, sports and similar bags) ein “Yes” zu finden. Somit würden die weiteren 25 Prozent an Zöllen anfallen. Diese werden auf den normalen Tarif aufgeschlagen.

Billiger: Logsta routet Container um

Auch das Logistik-Startup Logsta, das viele heimische Startups als Kunden hat, musste Alternativen finden, um Kosten zu sparen, wie CEO Georg Weiß erklärt. “Einer unserer Kunden ließ seine Ware von China in die USA verschicken. Genau in der Zeit der Verschiffung wurden die Strafzölle eingeführt. Da der Verkauf für unseren Kunden nicht mehr wirtschaftlich war, haben wir den Container nach Österreich umgeroutet. Selbst die Mehrkosten für das Umrouten der Ware waren billiger, als die Strafzölle”, erklärt er.

Weiß hat zudem mit seinem Team in den USA analysiert, wann es ratsamer wäre, bestimmte Warengruppen nicht so intensiv zu importieren. “Die Entscheidung obliegt stets unseren Kunden. Daher besprechen wir das immer individuell, um ihnen bei der Entscheidung zu helfen, ob sie trotz Zoll und Transportkosten noch gewinnbringend in den USA operieren können. Wir sind froh, dass dennoch viele Kunden den Schritt wagen und mit unserer Hilfe den amerikanischen Markt erobern”, erklärt der Gründer.

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(c) Adrian Almasan: Das Logsta-Team. Laut Logsta-CEO Georg Weiß sei “Umrouten” der Ware billiger als Starfzölle zahlen.

Laut Logsta sind Alternativen zur Produktion in China für viele Startups immer noch schwer zu finden. Schließlich seien die Lohn- und Produktionskosten dort sehr niedrig: “Auch hier versuchen wir gemeinsam zu kalkulieren, welcher Weg der finanziell Beste ist, um den optimalen Service bereit zu stellen und unseren Kunden die Sorge um die Zölle abzunehmen”, sagt Weiß.

Getbyrd: “Zölle für unsere Kunden ein Vorteil”

Für  Getbyrd, ebenfalls ein Logistik-Startup, zeigen die US-Zölle eine andere Wirkung, wie Founderin Petra Dobrocka erklärt: “Wir betreuen Online-Händler, die Produkte in die USA verkaufen, aber der Großteil dieser Händler produziert die Ware nicht in China. Viele unserer Kunden sind direkt auch Hersteller und produzieren meist lokal, oft im DACH-Raum oder zumindest in Europa. Man könnte also sagen, dass die Strafzölle im Rahmen unserer Kundengruppe aktuell sogar einen Vorteil bringen, da unsere Kunden so möglicherweise ihre Produkte besser in die USA verkaufen können”, sagt sie.

(c) Byrd: CMO Petra Dobrocka

In Gesprächen mit Fullfilment-Partnern

Dobrocka fügt aber an: “Wir sehen jedoch, dass die aktuelle Situation sich auch großflächiger auf europäische Produkte ausweiten kann und sind deshalb bereits in Gesprächen, um Fuflillment-Partner in den USA zu finden. Damit möchten wir einerseits den weiteren Entwicklungen in den USA einen Schritt voraus sein, aber gleichzeitig auch allen unseren Kunden einen einfachen Marktstart in den USA ermöglichen”.

Tractive: “meisten Verkäufe in Europa”

Weniger Probleme mit den USA hat das Paschinger Startup Tractive, wie Gründer Michael Hurnaus dem brutkasten erklärt. “Ich denke nicht, dass beim Handel die USA viel anders sind, als andere Länder”, sagt er. Da das Unternehmen die Massenproduktion in China hat, spüre man den Handelskrieg zwar etwas: “Allerdings sind 90 Prozent unserer Verkäufe in Europa, daher betrifft es uns tatsächlich nur am Rande”.

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(c) jakoblehner.com: Das Tractive-Team. Tractive-Gründer Michael Hurnaus: “90 Prozent unserer Verkäufe sind in Europa”.

Vier Listen und Qualitätsverlust

Laut Florian Krisch gibt es als Informationsquelle aktuell vier Listen (siehe Links unten), die von Strafzöllen betroffenen Waren auflisten. Die letzte und vierte Liste sei jedoch noch nicht fertig ausgehandelt. “Es kann also sein, dass Trump und Xi Jinping sich noch auf ein paar Zollbefreiungen einigen”, sagt er. Diese Strafzölle seien besonders für österreichische Startups relevant, die in China Waren produzieren und diese dann in die USA exportieren wollen.

Laut Forbes Magazine planen rund 14 Prozent der europäischen Unternehmen sich aufgrund des Handelskrieges aus China zurückzuziehen. “Stattdessen beziehen sie ihre Produkte aus anderen asiatischen Ländern. Zwar bezahlen sie dann keine Strafzölle, jedoch leidet möglicherweise die Produktqualität darunter: In Indien und Pakistan sind zum Beispiel 37 Prozent der inspizierten Waren mangelhaft, in Kambodscha sogar 40 Prozent. In der Türkei sind es nur 25 Prozent, gleich dem Wert für China”, merkt Krisch an.

US-Zölle nichts Neues für heimische Startups

Insgesamt sieht der Außenwirtschafts-Experte den Handelskrieg für die österreichische Startup-Szene nicht allzu drastisch. “Einführzölle in die USA sind für österreichische Unternehmen nichts Neues. Mithilfe der Zolltarifnummer kann für jedes Produkt individuell ermittelt werden, ob ein Zoll zu entrichten ist und wie hoch diese Abgabe sein wird. Neben dem Produkt an sich, ist das Ursprungsland einer Ware der ausschlaggebende Faktor zur Berechnung des Einfuhrzolls. Trumps Zusatzzölle richten sich aktuell ja nur gegen Produkte aus chinesischer Fertigung.”, fasst Krisch zusammen.

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(c) WKO – Florian Krisch, Manager Startups & Innovation, WKO AußenwirtschaftsCenter New York zu Abwanderungsgedanken: “In Indien und Pakistan sind zum Beispiel 37 Prozent der inspizierten Waren mangelhaft,…”.

Apps und Saas-Lösungen als Exportschlager in die USA

Da österreichische Startups in den USA jedoch hauptsächlich Softwareprodukte (SaaS Lösungen oder Apps) verkaufen würden und weniger auf Hardwareprodukte setzen, seien sie von den Zusatzzöllen auf chinesische Produkte weniger stark betroffen. “Es gibt natürlich Sondersituationen, vor allem wenn das Startup in China fertigen lässt und dann in die USA exportiert, jedoch haben wir noch nicht mitbekommen, dass Startups aufgrund der neuen US-Zölle die Pläne für den US-Markteintritt verschieben”. Die Außenwirtschaft Austria sei jederzeit bereit, detailliertes Feedback zu geplanten Markteintrittsvorhaben zu geben. “Außerdem sind wir in regem Austausch mit Experten und Behörden und können umgehend die passenden Infos zu anfallenden Einfuhrzöllen recherchieren”, sagt Krisch.

Abwarten und auf Dynamik hoffen

Auch wenn bisher US-Zölle trotz des großen medialen Echos noch keine großen Auswirkungen auf österreichische Startups hatten, so könne leider nicht ausgeschlossen werden, dass sich dieses Problem nicht noch verschlimmert, meint Krisch.

“Viele heimische Startups haben auch in anderen Ländern eine starke Präsenz aufgebaut und ein generelles Abkühlen der Wirtschaft, bedingt durch einen Handelsstreit der beiden größten Volkswirtschaften der Welt, kann auf mehreren Ebenen – etwa schwächerer Konsum und schlechteres Investorenklima – negative Auswirkungen haben. Momentan bleibt nicht viel mehr als abzuwarten, ob und in welcher Form ein Trade-Deal mit China zustande kommt. Die Tatsache, dass nächstes Jahr in den USA gewählt wird und der Präsident wohl noch eines seiner größten Wahlversprechen umsetzen möchte, könnte der Debatte neue Dynamik verleihen”, so Krisch abschließend.


⇒ Logsta

⇒ Getbyrd

⇒ Sunnybag

⇒ Tractive

⇒ AUSSENWIRTSCHAFT Austria

⇒ Liste der Strafzölle 1.1

⇒ Liste der Strafzölle 1.2

⇒ Liste der Strafzölle 2.1

⇒ Liste der Strafzölle 2.2

⇒ Liste der Strafzölle 3.1

⇒ Liste der Strafzölle 3.2

⇒ Proposed List der Strafzölle 4.1

⇒ Proposed List der Strafzölle 4.2

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Das Gründerteam Christian Hill und Gerhard Prossliner © BRAVE Analytics, Leljak

Das Grazer Spin-off BRAVE Analytics wurde von Christian Hill und Gerhard Prossliner im Jahr 2020 gegründet. Den Gedanken an ein gemeinsames Unternehmen gab es schon einige Zeit davor an der MedUni Graz. Nach erfolgreicher Dissertation und dem FFG Spin-off Fellowship kam es zur Ausgründung, zu ersten Kund:innen und einem Standortwechsel. Und schließlich zur erfolgreichen Einbindung in den Life Science Cluster Human.technology Styria unterstützt von der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG.

Mittlerweile zählt BRAVE Analytics ein 14-köpfiges Team und sitzt im ZWT Accelerator in Graz, einem Kooperationsprojekt zwischen SFG und Medizinischen Universität Graz.

Das Team von BRAVE Analytics (c) © BRAVE Analytics, Leljak

Mut in der Geschäftsphilosophie

BRAVE Analytics steht für Mut in der Geschäftsphilosophie der beiden Gründer und des gesamten Teams: Christian Hill und Gerhard Prossliner fühlen sich “zu Entdeckungen hingezogen und lieben es, die Dinge aus einem völlig neuen Blickwinkel zu betrachten. Und genau diesen Spirit leben wir auch im Team.”

Wahrlich hat das Gründerduo mit seinem Spin-off das Forschungsgebiet Life Science in ein neues Licht gerückt: Denn BRAVE Analytics beschäftigt sich mit der automatisierten Qualitätssicherung für Pharma-, BioTech-Produkte, Wasser, Mineralien und Chemikalien. “Und das auf Partikel-Ebene. Das Ganze nennt sich Partikel-Charakterisierung und -Analytik”, erklärt Co-Founder Hill im Gespräch mit brutkasten.

Neu ist die Technologie insofern, als dass die Partikel-Analyse direkt im Herstellungsprozess von Pharmaprodukten passiert. Also integriert, das heißt weder vor- noch nachgelagert, und damit effizient und kostensparend. “Damit machen wir eine sogenannte Prozessanalytik im Nano-Bereich”, erklärt Co-Founder Hill.

Die Lösung für ein Bottleneck

Damit haben die beiden Gründer zusammen mit ihrem Team eine Lösung für ein bis dato bestehendes “Bottleneck in der Industrie” geschaffen. Mit den modularen Messgeräten von BRAVE Analytics kann die Qualität von Produkten im Pharma- und BioTech-Sektor nämlich in Echtzeit gemessen werden. Das Kernstück der Lösung bildet die vom Spin-off eigens entwickelte, mehrfach patentierte OF2i Technologie.

Doch bekannterweise benötigen Life-Science-Lösungen wie diese einen breiten Umfang an Forschungsinfrastruktur, der sich gerade für frisch gegründete Spin-offs schwer stemmen lässt. Und: Es braucht die richtigen Verträge, das richtige Kapital und das richtige Team. Auf der Suche danach gab es für BRAVE Analytics einige Schlüsselmomente, wie Co-Founder Hill im Gespräch mit brutkasten erzählt.

Der Standort für Life Science Startups

Die ersten Hardware-Aufbauten und Experimente fanden an der Medizinischen Universität Graz statt, die von den Anfängen mit Infrastruktur und Forschungspersonal unterstützte, die Universität Graz deckte die Bereiche Theorie und physikalisches Modelling und in Kooperation mit dem FELMI/ZFE der Technischen Universität Graz wird seit 2022 ein Zusatzmodul entwickelt.

Beim Schutz des geistigen Eigentums standen die Medizinische Universität Graz, die Steirische Wirtschaftsförderung SFG und die Forschungsförderungsgesellschaft FFG als helfende Hände zur Seite. Konkret mit Unterstützung für die Erarbeitung von Exklusiv-Lizenzen, Agreements und generell mit dem Know-how, wie man eine Firma aufbaut. Hier waren uns auch das Unicorn der Universität Graz, die Gründungsgarage und der Science Park Graz eine große Hilfe”, so Prossliner.

“Wir sind klassische Science-Preneure”

Die fachspezifische Unterstützung kam im richtigen Moment: “Wir sind die klassischen Science-Preneure. Unser Background ist das Universitäts- und Ingenieurswesen. Für uns war es wichtig zu lernen, wie man in das Unternehmertum reinkommt und den Produkt-Market-Fit findet. Man muss diese Produktverliebtheit, die man als Erfinder meistens hat, loswerden. Und das passiert ganz viel durch Learning by Doing.”

Besonders hilfreich habe sich vor allem das Bootcamp des FFG-Spin-off-Fellowship und das LBG Innovator’s Road Programme erwiesen, welche “eine schrittweise Einführung für den Weg von der Wissenschaft in Richtung Unternehmung” geboten haben, so Hill. Förderungen erhielt das Spin-off außerdem von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, der Austria Wirtschaftsservice aws, der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG und auf EU-Ebene.

Die Szene, die “Gold wert” ist

Nicht nur “by doing”, sondern vor allem auch “von anderen, die die gleichen Themen, Probleme und Potenziale haben”, hat das Startup im Aufbau sehr viel an Know-how und Erfahrung gewonnen. “Das Peer-Learning ist für uns einer der wichtigsten Wissensfonds”, so Co-Founder Prossliner im Interview.

Ein dafür zugeschnittenes Netzwerk gibt es in der Grazer Life Science Szene: “Auch abseits institutioneller Veranstaltungen befinden wir uns hier in einem sehr lebendigen Startup-Umfeld. Vieles passiert auf Eigeninitiative von Gründer:innen. Das Startup-Leben hier ist wirklich Gold wert.”

Global Player nur “fünf Rad-Minuten entfernt”

“Wir sind Hardware-Hersteller, wir brauchen Hochpräzisionsfertiger für unsere Prozesstechnologie. Die Steiermark und insbesondere Graz haben sich zu einem Stakeholder-Nest der besonderen Vielfalt entwickelt. Kooperationspartner aus Industrie, Wirtschaft und Forschung sitzen hier in unmittelbarer Nähe. Wir finden Experten, Lieferanten und Fertiger mit extremer Präzision und einer super Verlässlichkeit”, erzählt Prossliner und meint weiter: “Wir arbeiten hier in einem sehr engen Umfeld mit einer sehr schnellen Dynamik. Das ist unglaublich wertvoll.”

Ein ganzes Stakeholder-Feld mit internationaler Spitzenstellung findet sich also im Grazer Becken. Oder, wie es Gründer Prossliner erneut unterstreicht: “Da sind Global Player dabei, die wir in wenigen Rad-Minuten erreichen. Man muss also nicht gleich nach Asien oder in die USA, das Netzwerk gibt es hier auch.” Nicht umsonst spricht man seit geraumer Zeit von der “Medical Science City Graz” – mit Playern wie der Medizinischen Universität und dem Zentrum für Wissens- und Technologietransfer ZWT im Netzwerk.

Gerhard Prossliner (links) und Christian Hill (rechts) mit der Geschäftsführung des ZWT – Anke Dettelbacher (Mitte rechts) und Thomas Mrak (Mitte links) ©ZWT/Lunghammer.

Besenrein eingemietet

Grund genug auch für BRAVE Analytics, sich hier als aufstrebendes Life-Science-Startup niederzulassen. Nach seinen Anfängen in den Räumlichkeiten der MedUni Graz hat sich BRAVE Analytics nämlich im ZWT Accelerator einquartiert: “Wir waren unter den Ersten, die hier eingezogen sind. Als alles noch ziemlich besenrein war.”

Mittlerweile wird auch mit anderen dort sitzenden Startups stockwerkübergreifend genetzwerkt. Sei es im Stiegenhaus, bei Weihnachtsfeiern oder informellen ZWT-Treffen. Manchmal wird auch gemeinsam gefrühstückt und in den Abendstunden philosophiert. Daneben gibt es regelmäßige Get-Together-Formate wie das ZWT-Frühstück. Im Zuge der Startupmark finden auch themenspezifische Kooperationsformate wie der Life Science Pitch Day, ein exklusives Pitchingevent für Startups und Investor:innen aus dem Life Science-Bereich, statt.

Fußläufig flexibel

Thomas Mrak, Geschäftsführer des ZWT, erzählt dazu: “Vernetzung steht bei uns an erster Stelle. Und zwar nicht nur unter Foundern, sondern auch zwischen bereits etablierten Firmen, Unis, Instituten, Professor:innen und Ärzt:innen, die alle flexibel und fast fußläufig zu erreichen sind. Ich würde sagen, das ist die Essenz der Medical Science City Graz und bildet das optimale Umfeld, um als Spin-off Fuß zu fassen.”

Unterstützung gibt es im Grazer ZWT auch mit einer optimalen Infrastruktur und “startup freundlichen” Mietverträgen und Mietkonditionen: “Wir bieten Startups, die bei uns einziehen, ein einzigartiges Preis-Leistungsverhältnis, eine perfekte Ausstattung und sehr flexible Bedingungen. Vor allem hohe Investitionskosten und lange Bindungszeiten sind für Startups schon aufgrund ihrer dynamischen und teils volatilen Entwicklungen sehr kritisch, dabei helfen wir. Je nach Möglichkeit stellen wir nicht nur Büros und Laborinfrastruktur, sondern auch Seminar- und Besprechungsräume zur Verfügung.”

“Wir verstehen uns hier einfach sehr gut”

Unverkennbar gestaltet sich der Life Science Bereich in Graz als multidimensionaler Hub für Startups und Spin-offs – und das nicht nur auf akademischer Ebene: “Wir verstehen uns hier alle untereinander sehr gut. Es gibt kurze Wege, kurze Kommunikationswege und wir arbeiten zusammen auf Augenhöhe. Es klappt einfach zwischenmenschlich”, so Mrak.

BRAVE Analytics-Co-Founder Prossliner empfiehlt dahingehend: “Nutzt das tolle österreichische Förderungssystem. Wir haben hier vonseiten der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, des Austria Wirtschaftsservice aws und der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG tolle Unterstützung erhalten. Vom ZWT, der MedUni Graz, der Uni Graz und der TU Graz ganz zu schweigen.”

Und: “Bindet schon frühzeitig Kund:innen ein. Nur so ermittelt man die real-life Kundenbedürfnisse potentieller Märkte, und man kann vielleicht auch erste Umsätze generieren, die man wiederum mit Förderungen hebeln kann. Man muss sich schließlich auch finanziell stabilisieren, um für Investor:innen attraktiv zu sein.”

Der Asia Pull für Life Science

Aktuell erarbeitet BRAVE Analytics eine Investitionsrunde. Mittlerweile hält das Spin-off unterschiedliche Produkte und Kunden am Markt. Auch Industriepartner sind vorhanden. Aktuell befinde man sich in der Prescaling-Phase – mit einem starken “Asia Pull”. Interesse kommt nämlich zunehmend von Abnehmern aus Asien, wie Christian Hill erzählt:

“Unsere Technologie eignet sich nicht nur für die Pharmaindustrie, sondern auch für Wasser, Kläranlagen und Mikroplastik – und sogar für die Halbleiterindustrie. Wir bewegen uns hier in einem multidimensionalen Anwendungsfeld, gerade für das Umwelt- und Wassermonitoring. Das zieht viele Kunden aus Übersee an. Jetzt heißt es: die richtigen Schritte setzen und klug skalieren.”

Damit Christian Hill und Gerhard Prossliner ihre Ziele auch weiter verfolgen können, braucht es Menschen, die in den Life Science Sektor investieren: “Life Science ist ein Technologie- und Wissenschaftsfeld, das uns in Zukunft noch viel intensiver begleiten wird. Und auf das wir angewiesen sind”, so Thomas Mrak. Der ZWT-Geschäftsführer appelliert indes: “Es arbeiten so viele tolle Menschen mit persönlicher Motivation in diesem Feld. Diese haben das Potenzial, die Zukunft maßgeblich zu verändern. Doch dafür braucht es finanzielle Unterstützung, fundierte Netzwerke und noch mehr Aufmerksamkeit.”

Mehr Informationen zum steirischen Startup-Ökosystem und der Startupmark sind hier zu finden.

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