22.10.2019

Startups und Innovation in Tschechien: Smarte Fabriken und smarte Städte

Zum großen Finale ist die von der aaia initiierte Roadshow "CEE unlimited" in der tschechischen Hauptstadt Prag zu Gast. In der aktuellen Analyse nimmt der brutkasten passend dazu Tschechiens Wirtschaft und Startup-Szene unter die Lupe.
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Prag
(c) Adobe Stock / tanialerro

Im Rahmen der Roadshow “CEE Unlimited“ besucht die aaia gemeinsam mit Partnern ausgewählte Startup-Hotspots in Mittel- und Osteuropa. Der brutkasten ist Medienpartner der Roadshow und analysiert als solcher die Hotspots des CEE-Raums. Bisher war die Roadshow in RumänienBulgarien, KroatienSlowenien, Polen und Ungarn zu Gast. Bei einem Event in Wien wurden außerdem die Chancen und Herausforderungen eines grenzüberschreitenden Startup- Ökosystems im CEE-Raum debattiert.

+++Mehr über die Rolle Wiens im Startup-Umfeld des CEE-Raums+++

Als Abschluss der Serie über Hotspots des CEE-Raums folgt eine Analyse der tschechischen Wirtschaft, der dortigen Schwerpunkte in Sachen Innovation und der dortigen Startup-Landschaft.

Entwicklung der tschechischen Wirtschaft

Im Gegensatz zu vielen Ländern des Euroraums entwickelt sich die tschechische Wirtschaft auch im Jahr 2019 noch relativ gut, heißt es in einer Analyse der Aussenwirtschaft Austria. Das BIP stieg im ersten ebenso wie im zweiten Quartal um 2,7 Prozent, wobei die gute Konjunktur hauptsächlich vom starken Konsum privater Haushalte getragen wird. Die Konsumfreude der Bevölkerung ist vor allem auf die niedrige Arbeitslosenquote und die steigenden Löhne zurückzuführen.

Tscheciebh
(c) Weltbank; IMF – WEO, Frühjahr 2019; IMF – IFS – (Werte 2019: Prognosen)

Die tschechische Wirtschaft wächst seit fünf Jahren ungebrochen. Die weitere Entwicklung hängt aber vor allem von der Auslandsnachfrage – allen voran Deutschland – ab. Von der Aussenwirtschaft Austria heißt es, dass die tschechischen Unternehmen bereits die ersten Rückgänge in den Auftragseingängen spüren. Dies könnte sich auch auf die Beschäftigung auswirken: Die Arbeitslosenrate soll auf rund 2,2 Prozent steigen. Im zweiten Quartal 2019 lag sie bei nur 1,9 Prozent.

Wirtschaftsbeziehungen zwischen Tschechien und Österreich

Der Aussenhandel zwischen Tschechien und Österreich ist auf einem neuen Rekordwert, nachdem 2018 eine Steigerung der österreichischen Exporte nach Tschechien von 5,5 Prozent und eine Steigerung der Importe aus Tschechien nach Österreich um 6,7 Prozent gebracht hatte.

Für Österreich ist Tschechien der führende Handelspartner (Exporte und Importe zusammen) im CEE-Raum. Global gesehen liegt Tschechien mit einem Anteil von 3,6 Prozent weltweit hinter Deutschland, USA, Italien, Schweiz, Frankreich und Ungarn auf dem 7. Platz beim Exportranking. Importseitig nimmt Tschechien mit einem Anteil von 4,2 Prozent nach Deutschland, Italien, China und USA den 5. Platz ein. Mehr zu diesem Thema gibt es im Wirtschaftsbericht Tschechien der Aussenwirtschaft Austria.

Tschechien Österreich handel
(c) Aussenwirtschaft Austria

Weltweiter Spitzenreiter bei Direktinvestitionen

Auch die österreichischen Direktinvestitionen in Tschechien florieren: In Bezug auf das Einkommen der österreichischen Direktinvestitionen (sowohl ausgeschüttete als auch reinvestierte Gewinne, sowie Nettozinserträge aus konzerninternen Finanzierungen) liegt Tschechien mit 1,6 Milliarden Euro weltweit an der Spitze – weit vor Deutschland (1,2 Milliarden Euro) und den Niederlanden (898 Mio. Euro).

Laut ÖNB beläuft sich der Bestand österreichischer Direktinvestitionen in Tschechien Ende 2018 auf 13,1 Milliarden Euro (Ende 2017: 12,4 Mrd. Euro). Das sind laut tschechischer Nationalbank (CNB) 10,3 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen in Tschechien.

Hohe Beschäftigung – wenig verfügbare Fachkräfte

Die niedrige Arbeitslosigkeit mag sich zwar positiv auf die Inlandsnachfrage auswirken – auf dem Jobmarkt stellt sie für die Unternehmen aber eine Belastung dar. Zur Jahresmitte waren beim tschechischen Arbeitsamt insgesamt 205.000 Arbeitssuchende registriert – dem standen mehr als 350.000 beim Arbeitsamt gemeldete offene Stellen gegenüber.

Am meisten werden Bau- und Montagearbeiter, Produktionsassistenten, Reinigungskräfte, LKW-Fahrer, Lagerarbeiter, Schweißer und Mitarbeiter im Gastgewerbe gesucht. Den Unternehmen fehlen allgemein erfahrene Fachkräfte, aber auch IT-Experten. Marktbeobachter gehen davon aus, dass Tschechien langfristig ausländische Arbeitskräfte brauchen wird, um den Bedarf an Personal zu bedienen. Die Regierung hat daher diverse Programme ausgearbeitet, welche die Beschäftigung von Menschen aus Drittstaaten fördern sollen.

Der durchschnittliche Bruttomonatslohn stieg im 2. Quartal um 7,2 Prozent auf ca. 1.320,- Euro (CZK 34.105,-), inflationsbereinigt war der Zuwachs 4,3 Prozent. Laut der Website PayScale kann ein Softwareentwickler in Tschechien mit einem durchschnittlichen Gehalt in Höhe von CZK 587.300 (knapp 23.000 Euro) rechnen.

(c) infoshare.pl

Laut einem auf der Website infoshare.pl veröffentlichten Bericht gibt in Tschechien circa 100.000 Developer, was Platz 4 im Ranking aller CEE-staaten entspricht – nach Polen, der Ukraine und Rumänien.

Etwa die Hälfte davon lebt in der Hauptstadt Prag, gefolgt von Brno und Ostrava.

(c) infoshare.pl

Chancen durch Digitalisierung

Auch wenn Tschechien schon jetzt mit einem Anteil der digitalen Wirtschaft von rund 8 Prozent am BIP zu den innovativsten Ländern in Mittel- und Osteuropa zählt, besteht laut einer McKinsey-Studie vergleichsweise viel Potenzial für den Einsatz neuer Technologien, heißt es im Länderprofil Tschechien der Aussenwirtschaft Austria: Wenn Tschechien die Digitalisierung vorantreibt, könne dies laut der McKinsey-Studie die Produktivität und damit das Wirtschaftswachstum bis zum Jahre 2025
um 26 Milliarden Euro pro Jahr steigern. Die tschechische digitale Wirtschaft könnte somit ihren Anteil am BIP bis 2025 von acht auf 16 Prozent verdoppeln.

Smart Factories und Smart Cities als Chance

Der Maschinen- und Anlagenbau ist in Tschechien eine stark verwurzelte Branche. Knapp 5000 Unternehmen beschäftige in diesem Bereich rund 128.000 Mitarbeiter, der Jahresumsatz liegt bei circa 14 Milliarden Euro. Aus dem bereits erwähnten Fachkräftemangel und den Chancen der Digitalisierung ergibt sich die logische Schlussfolgerung, dass Produkte rund um Industrie 4.0 und Smart Factory die Probleme der tschechischen Betriebe lösen können. Das birgt auch viel Potenzial für österreichische Anbieter.

Außerdem gibt es diverse Smart City-Initiativen in Tschechien – und zwar nicht nur in der Hauptstadt Prag, sondern auch in kleineren Städten. In der Stadt Kolin wurde für die 30.000 Einwohner zum Beispiel das Projekt “chytrá klíčenka” (deutsch: intelligenter Schlüsselbund) ins Leben gerufen: Schulkinder können damit Türen in der Schule entsperren oder in der Schulkantine ihr Mittagessen bezahlen. Außerdem können Fahrkarten für den öffentlichen Verkehr auf den Chip geladen, sowie Eintrittskarten fürs Kino oder Schwimmbad bezahlt werden.

FinTechs in Tschechien: EU-Regeln als Chance

Laut dem  CEE FinTech Atlas 2018 der Raiffeisen Bank International werden FinTechs in Tschechien, so wie andere EU-Länder auch, von diversen Regeln der Europäischen Union beeinflusst – darunter etwa die EU-Zahlungsdiensterichtlinie PSD2. Hier wird im Report unter anderem erwähnt, dass die Banka Creditas mit “Richee” die erste Multi-Banking-App Tschechiens veröffentlichte und Spendee das erste tschechische FinTech war, das in den Genuss einer PSD2-Lizenz kam. FinTechs in Tschechien nehmen auf Initiative der Regierung hin mit den Banken direkten Kontakt auf, um im Rahmen der PSD2 über Möglichkeiten des Open Banking und der offenen APIs zu sprechen.

Eine weitere Initiative Tschechiens ist das Projekt Sonia. Hier arbeiten Großbanken und der Staat zusammen, um die Nutzung eines gemeinsamen Portals zu fördern. Dies hilft vor allem aufkommenden FinTech-Unternehmen, ihre Dienste schneller in den Markt zu bringen.

In Tschechien gibt es dem Report zufolge 52 Inkubatoren und Acceleratoren – darunter Rockaway, Creative Dock und Startup Yard. Im vergangenen Jahr wurden 42,3 Millionen Euro in tschechische FinTechs investiert, Series B-Finanzierungen machten dabei mit 24,3 Millionen Euro den Löwenanteil aus.

Florierende Startup-Szene in Prag

Generell bekommt man den Eindruck, dass die Startup-Szene in Prag floriert – das zeigt sich durch zahlreiche Initiativen im dortigen Ökosystem. Erwähnenswert wäre hier etwa das Prague Startup Centre, das als Coworking- ebenso wie als Event-Space und als Inkubator fungiert. Auf Startup Grind wiederum werden zahlreiche Veranstaltungen rund um die dortige Startup-Szene gelistet – als Partner ist unter anderem die Initiative Google for Startups mit an Bord.

Der Seed Accelerator Startup Yard wiederum existiert seit 2011 und brüstet sich damit, dass die dortigen Startups bereits Funding in Höhe von 30,6 Millionen Euro eingesammelt haben. B Hub Prague wiederum ist in ein Incubator, der sich an Early- und Mid Stage Startups richtet.

Finanzierung von Startups in Tschechien

A propos Early Stage: Im Report “Seed the Future” von Stripe, techstars und tech.eu heißt es, dass 0,11 Prozent der europäischen Early Stage Finanzierungen auf Tschechien entfallen – damit liegt Österreichs nördliches Nachbarland knapp hinter Ungarn (0,15 Prozent).

Laut dem europäischen Marktbericht des European Business Angel Network von 2017 gibt es in Tschechien 201 Business Angels, die im Jahr 2017 insgesamt 42 Investments in Höhe von 6,1 Millionen Euro getätigt haben – was einem Plus von 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Das ist etwas weniger als in Bulgarien, wo im gleichen Zeitraum etwa sieben Millionen Euro investiert wurden.

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Die Verwendung von Kohlefaser in der Industrie hat in den letzten Jahren stark zugenommen – insbesondere in Bereichen wie der Luft- und Raumfahrt, dem Automobilbau und der Windenergie. Kohlefaser überzeugt durch ihre hohe Festigkeit bei geringem Gewicht, doch ihre Herstellung ist ressourcenintensiv und teuer. Ein großes Problem stellt der hohe Verschnitt bei der Produktion dar: In der Industrie landen im Durschnitt bis zu 30 Prozent der Rohstoffe im Abfall. Diese Materialverluste sind nicht nur ökonomisch ineffizient, sondern auch aus ökologischer Sicht problematisch, da Kohlefaser biologisch nur schwer abbaubar ist.

Carbon Cleanup setzt auf KI

Das 2020 gegründete Linzer Startup Carbon Cleanup rund um Gründer Jörg Radanitsch hat sich diesem Problem angenommen und zum Ziel gesetzt, Kohlenstofffasern aus Industrieabfällen aufzubereiten und wiederverwendbar zu machen. Konkret hat das Startup eine mobile Aufbereitungsanlage entwickelt, um Carbonfasern direkt vor Ort beim Kunden aufzubereiten. 

Zum Herzstück der Anlage gehört nicht nur die mechanische Aufbereitung der Kohlenstofffasern. Im Hintergrund läuft auch eine Software, die eine KI-gestützte visuelle Erkennung der zugeführten Rohstoffe ermöglicht.

“Wir haben ein KI-generiertes Datenblatt entwickelt, das automatisch die Charakteristika von eingehendem Material erkennt und den Wert des Rezyklats bestimmt“, so Radanitsch. “Bevor das Material in unsere Anlage kommt, wissen wir schon, welche mechanischen Eigenschaften es haben wird. Das ist entscheidend für die Qualität und den Marktwert des Endprodukts.”

Gründer Jörg Radanitsch | (c) Carbon Cleanup

Entwicklung der zweiten Generation an Anlagen

Während die erste Anlage des Unternehmens für R&D-Zwecke dient und über eine Kapazität von 30 Tonnen pro Jahr verfügt, konnte das Unternehmen über den Sommer eine zweite Anlage in Betrieb nehmen. „Unsere zweite Anlagengeneration ist im August fertiggestellt worden. Die Produktionskapazität ist dreimal so hoch wie bei unserer ersten Anlage. Damit sind wir jetzt in der Lage, deutlich mehr und auch verschiedene Kompositabfälle zu verarbeiten.“

Besonders stolz ist Radanitsch auf die gestiegene Materialqualität: „Das neue Aggregat ist viel stärker, was uns mehr Flexibilität bei der Verarbeitung der Materialien gibt. Wir können jetzt eine Vielzahl an Abfällen effizienter recyceln, was die Qualität der Produkte erheblich verbessert.“

Ein wichtiger Baustein für den Erfolg von Carbon Cleanup war die Unterstützung durch die Austria Wirtschaftsservice (aws). “Das Seed-Financing der Austria Wirtschaftsservice hat uns erlaubt, nicht nur unsere Forschung und Entwicklung voranzutreiben, sondern auch in Marketingaktivitäten zu investieren, die für uns als Hardware-Startup besonders wichtig sind“, erklärt Radanitsch.

Luftfahrtindustrie und Kooperation mit KTM Technologies

Eine der spannendsten Entwicklungen bei Carbon Cleanup ist der Einsatz ihrer recycelten Materialien im 3D-Druck, besonders in der Luftfahrtindustrie. “Wir liefern im Tonnenmaßstab Kunststoffgranulate, die mit unserer Rezyklatfaser verstärkt sind. Diese werden in großen 3D-Druckern verwendet, um Formen zu bauen, die dann für die Produktion von Flugzeugteilen genutzt werden”, so der Gründer.

Zudem arbeitet Carbon Cleanup mit dem österreichischen Motorradhersteller KTM zusammen. Gemeinsam arbeiten beide Unternehmen an einem geschlossenen Materialkreislauf, bei dem Post-Consumer- und Post-Industrial-Abfälle von KTM Technologies recycelt und für die Herstellung neuer Bauteile genutzt werden. Spezifisch handelt es sich um das Recycling der Teile des Rennmodells “X-Bow GT2”, dessen Rahmen zu 100 % aus Carbonfasern besteht. Durch Unfälle entsteht eine große Menge an beschädigtem Material, das normalerweise als Abfall betrachtet wird. Mit der Partnerschaft von KTM und Carbon Cleanup wird dieses Material zurück in den Kreislauf gebracht. 

(c) Carbon Cleanup

“KTM Technologies war von Anfang an ein Vorreiter. Sie testen unsere recycelten Materialien bereits erfolgreich in ihren Motorrädern“, betont Radanitsch.

Das Besondere an dieser Kooperation ist das sogenannte Closed-Loop-Material, das zu 100 Prozent aus dem Abfallstrom von KTM Technologies besteht. „Die Herausforderung ist, die Materialien zirkulär zu sammeln und in die Produktion zurückzuführen. Das Sammeln und die Qualität sind dabei entscheidend. Aber wir haben gezeigt, dass wir sogar leistungsfähigere Materialien aus Abfall herstellen können”, so der Gründer.

(c) Carbon Cleanup

Die nächsten Schritte von Carbon Cleanup

Das Geschäftsmodell von Carbon Cleanup basiert derzeit auf zwei Einnahmequellen: Zum einen bietet das Unternehmen Kunden einen Recycling-Service an, bei dem diese für die umweltgerechte Entsorgung des Materials bezahlen. Dafür wurde eine eigene Logistikstruktur aufgebaut. Zum anderen werden die Faserverbundkunststoffe an weitere Abnehmer verkauft. Derzeit liefert das Startup 98 Prozent der aufbereiteten Granulate ins Ausland. “Für eingehendes Material sind die Hauptmärkte neben Österreich vor allem Deutschland und Italien. Der Materialzufluss ist für uns derzeit jedoch kein Engpass, sodass wir gezielt das für uns passende Material auswählen können”, so der Gründer abschließend.


*Disclaimer: Das Startup-Porträt erscheint in Kooperation mit Austria Wirtschaftsservice (aws)

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