30.06.2023

Tabuthema Elternzeit als Startup-Gründer: Wo bleibt die Gleichberechtigung?

Julius Bachmann ist Gründer:innen-Coach und Co-Founder des Berliner Mindfullness-Startups Journey. Zum ersten Geburtstag seiner Tochter entschied sich Bachmann, trotz seiner Rolle als Mitgründer in Elternzeit zu gehen. Doch wie kommuniziert man diese Entscheidung seinem Mitgründer und welche Auswirkungen hat das auf das Startup? Ein Erfahrungsbericht.
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Julius Bachmann erzählt im Brutkasten-Interview, wie der Übergang vom Gründerleben in die Elternzeit verlief. (c) Julius Bachmann

In der Startup-Szene herrscht ein hoher Druck. Gründer:innen haben beinahe keine andere Wahl, als hart zu arbeiten und erfolgreich zu sein. Das erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Unternehmertum. Die öffentliche Diskussion über die Vereinbarkeit dieser beiden Komponenten wird überwiegend aus weiblicher Perspektive geführt. Im Mittelpunkt stehen dabei häufig die Herausforderungen und Probleme, die mit der Entscheidung von Gründerinnen für Familie und Kinder einhergehen. 

Dabei wird aber übersehen, dass auch männliche Gründer – wenn auch nicht unter den gleichen Bedingungen wie Frauen aus biologischer Sicht – mit der Vereinbarkeit von Partnerschaft, Kindern und Gründertum sowie den damit verbundenen Verpflichtungen kämpfen, aber wenig bis gar nicht darüber sprechen. 

Julius Bachmann ist Gründer:innen-Coach und Co-Founder des Berliner Mindfullness-Startups Journey. Trotz der Verantwortung, die die Gründung eines Startups mit sich bringt, hat sich der Mitgründer dazu entschieden, sich Zeit für seine Tochter und seine Familie zu nehmen. Knapp zwei Jahre nach der Gründung von Journey kommunizierte er diesen Wunsch mit seinem Mitgründer. Wie der Übergang vom Gründerleben in die Elternzeit verlief, welche Auswirkungen seine Entscheidung auf das Startup hatte und warum er sich ein Umdenken in der Rollenverteilung und Erwartungshaltung zwischen männlichen und weiblichen Gründer:innen in der Startup-Szene wünscht, erzählt der Gründungscoach im brutkasten-Interview.

Vom VC-Umfeld zum Coaching bis hin zur Gründung von Journey

Bachmann ist seit 2014 in der Startup- und Venture-Capital-Szene in Deutschland und Österreich aktiv und hat bereits als Investor in österreichische Unternehmen investiert. Während seiner Arbeit im VC-Umfeld hat er festgestellt, dass sich Gründer:innen oft verloren und alleine fühlen. Daraufhin hat sich der Co-Founder im Jahr 2018 dazu entschlossen, Jungunternehmer:innen mit seinem erworbenen Wissen als Coach zu unterstützen. 

Auch mit seinem Startup möchte Bachmann Menschen helfen. Nachdem er sich einige Jahre auf das Coaching konzentriert hat, gründete er im Jahr 2020 gemeinsam mit seinem Co-Founder das Startup Journey. Die anfänglichen Ziele des Jungunternehmens fokussierten darauf, Menschen dabei zu helfen, ihr Leben mit ihren Werten in Einklang zu bringen und Orientierung zu finden. Journey ist als App verfügbar und gibt seinen Nutzer:innen die Möglichkeit, ihre Ziele für die nächsten Monate zu definieren. Die Umsetzung sei ähnlich wie bei OKRs, so Bachmann.

“Die Balance funktioniert nicht”

Neben der Gründung von Journey im Jahr 2020 gab Bachmann im selben Jahr seiner Frau das Ja-Wort. Ein Jahr später, im September 2021, kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Die anfänglichen Versuche, Familie, Unternehmertum und Coaching unter einen Hut zu bringen, wirkten sich auf seine Gesundheit, sein Familienleben sowie sein Startup aus. “Die Balance funktioniert nicht mit 24 Stunden am Tag. Es hat eine Weile gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich nicht gleichzeitig Vater und Unternehmer sein kann. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich deutlich schlechter schlafe und bis zwei oder drei Uhr nachts arbeite, weil die Zeiten morgens und abends nicht mehr meine Arbeitszeiten sind, sondern Zeit für mein Kind und meine Familie”, erzählt der Vater. 

Als Coach sei es seine Aufgabe, seinen Kund:innen dabei zu helfen, mehr Achtsamkeit in ihren Arbeits- und Lebensalltag zu bringen. Aber auch er als Unternehmer sei in dieses Narrativ reingefallen, dass man sich als Gründer:in strecken müsse, da man sonst glaubt, nicht erfolgreich zu werden. 

Deshalb habe er sich im Jänner 2022 entschieden, die operative Leitung von Journey abzugeben und sich auf das Coaching zu konzentrieren. “Viele Gründer:innen haben hohe Erwartungen an sich selbst und fühlen sich für den Erfolg ihres Startups verantwortlich. In der Firma erwarten alle, dass ich derjenige bin, der steuert, der alles in Ordnung bringt und dafür sorgt, dass alles funktioniert. In der Firma bin ich der Anker. Und wenn ich nach Hause komme, bin ich auch der Anker”, so der Unternehmer. Insgesamt war Bachmann dreieinhalb Monate im Vaterschaftsurlaub und hat sich dazu entschieden, nicht wieder in Vollzeit als Gründer zurückzukehren. 

“Um die Elternzeit als Gründer erfolgreich bewältigen zu können, braucht man verständnisvolle Co-Founder”

Bachmann betont die Wichtigkeit von Offenheit und Kommunikation in Business-Partnerschaften. Er habe den Schritt in die Elternzeit gewagt, weil er und sein Co-Founder von Anfang an offen über ihre Lebensplanung gesprochen und die Auswirkungen möglicher Szenarien für die Zukunft des Startups  geklärt hatten – auch den temporären Ausstieg. “Viele Gründer:innen stellen sich diese Frage nicht. Da die meisten Founder zum ersten Mal gründen, wissen sie gar nicht, was passieren kann. Um auf das Verständnis der Mitgründer:in zu stoßen, braucht es diesen Diskurs schon vorher. Man muss das Thema vorher ansprechen, um zu wissen, was passiert, wenn sich etwas in der Geschäftsbeziehung ändert”, sagt der Mitgründer von Journey. 

Obwohl Bachmanns Co-Founder selbst keine Kinder hat, habe er die Entscheidung respektiert und die Doppelbelastung während seiner Auszeit akzeptiert. “Er hat das auch wirklich ernst genommen. Es war nicht so, dass ich dann ständig am Telefon war und alles gemacht habe. Er hat mir viel Arbeit abgenommen”, erklärt der Gründungscoach. Während seiner Elternzeit hat Bachmann sein Vesting ausgesetzt, da er nicht aktiv im Unternehmen tätig war. 

“Ich hätte meiner Familie oder dem Unternehmen schaden müssen”

Mit Hinblick auf seine Familiensituation entschloss sich der Vater, seine aktive Rolle im Unternehmen aufzugeben. Das Team von Journey stand vor Bachmanns Ankündigung kurz vor einer Finanzierungsrunde, die durch den Rückzug aufgehalten wurde. Stattdessen suchten die Co-Founder einen neuen CEO, der Bachmanns Rolle übernehmen sollte. So tritt ein potenzieller Investor als Geschäftsführer bei, der mittlerweile begonnen hat, sein eigenes Team einzustellen. Der neue CEO übernahm einen großen Teil des Startups, Bachmann und sein Mitgründer behielten kleinere Anteile und blieben somit weiterhin Gesellschafter und Mitglieder des Boards. 

“Ich hätte entweder aufhören müssen zu coachen, meiner Familie oder dem Unternehmen schaden müssen. Deshalb habe ich es vorgezogen, meine Rolle aufzugeben”, sagt Bachmann und ergänzt: “Wir haben uns entschieden, dass es einfacher ist, ein neues Team zu finden, das die Firma weiterzuführt, als dass mein Co-Founder eine neue Partner:in sucht.” Zwischen der Kommunikation, der Entscheidung und der Suche nach einem neuen CEO seien fünf bis sechs Monate vergangen. Dass er nicht als Vollzeitgründer zurückkehren würde, sei Bachmann klar gewesen, als sie den neuen CEO gefunden hatten und die Übergabe im November 2022 begann.

Die stark männlich und von älteren Generationen geprägte Startup-Szene muss umdenken

“Die Branche ist nach wie vor stark männlich und von älteren Generationen geprägt, was eine Herausforderung für die Einführung moderner Denkweisen darstellt”, sagt Bachmann. Die Erwartungshaltung, dass männliche Gründer trotz der Geburt des eigenen Kindes duchhalten und sich wenig Auszeit nehmen sollten, sei in der Startup-Welt immer noch präsent. Der Gründer betont, dass sich die Wahrnehmung von Väterkarenz ändern muss und dass Gleichberechtigung in diesem Bereich gelebt werden sollte.

Was muss also passieren, damit sich etwas ändert? Der Gründungscoach betont, dass wir anfangen müssen, gleichberechtigt über solche Themen nachzudenken und zu sprechen, bevor sie überhaupt aufkommen. In der Gründerszene werde oft angenommen, dass eine Frau aufgrund ihrer biologischen Realität eine Auszeit nehmen müsse, während ein Mann dies vermeiden könne. “Diese Annahme offenbart eine tiefer liegende Rollenverteilung und Erwartungshaltung, die nur durch konsequentes Hinterfragen und Umdenken überwunden werden kann”, so Bachmann. 

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(c) cycoders GmbH - Die Geschäftsführer von cycoders Martin Guess und CEO Thomas Mörth.

Getuschel. Hinter vorgehaltener Hand wird geflüstert, Gespräche erst fortgesetzt, wenn die Führungskraft außer Hörweite ist. Man mutmaßt, man nimmt an. Man glaubt, dass die Firma Probleme hat und sich womöglich von Leuten trennen muss. Die Sorge wächst und man fürchtet, dass es einen treffen könnte. Und an die Arbeit zu denken, ist mit einem solchen Gefühl nur schwer möglich. So ähnlich geht es zu Krisenzeiten in Unternehmen zu, weiß Lolyo Co-Founder und CEO Thomas Mörth, der auch gemeinsam mit Martin Guess Geschäftsführer von cycoders ist. Er möchte mit seiner App Ängste von Mitarbeiter:innen lindern.

Lolyo mit direktem Draht

Die Idee dazu kam ihm vor ein paar Jahren, als er in seiner Werbeagentur kundenseitig den Wunsch verspürte, eine verbesserte digitale und interne Kommunikation zu entwickeln. “Es gab am Markt bereits einige Lösungen, aber die waren zu teuer oder zu kompliziert”, erzählt er. “Also haben wir entschieden, das wir uns der Sache annehmen.”

Heraus kam Lolyo, eine Mitarbeiter:innen-Mitmach-App als Kommunikationstool, das man aufs eigene Smartphone laden kann und so direkten Zugang zum Führungsteam erhält.

“Wenn man Mitarbeiter binden möchte, mitteilen, was man alles tut, dann war das bisher mit klassischen Kanälen schwierig”, so Mörth weiter. “So ein Tool ist heutzutage jedoch unverzichtbar und funktioniert nicht bloß einseitig, sondern auch umgekehrt. Es ist ein direkter Draht zur Unternehmensführung.”

Das Zeitalter der Verunsicherung

Gerade jetzt, wo Unternehmen Personal abbauen müssen oder zumindest die Gefahr dazu groß sei, herrsche in der Regel große Verunsicherung, weiß der Founder. “Das schlägt sich negativ in der Produktivität nieder, denn ängstliche Personen können nicht motiviert arbeiten.”

Die Folgen dieser negativen Gefühle können für alle Seiten verheerend sein: Die Arbeitsmoral verschlechtert sich und eine sinkende Produktivität, erhöhter Stress und Burnout-Gefahr schleichen sich ein und lähmen den täglichen Betrieb.

Mit den psychischen Folgen für die verbleibenden Mitarbeiter:innen hat sich Alexander Ahammer mit seinem Team vom VWL-Institut der Johannes Kepler Universität Linz in einer Studie beschäftigt. Eine der Erkenntnisse: Innerhalb eines Zeitraums von eineinhalb Jahren nach dem Personalabbau der untersuchten Firmen erfolgten 6,8 Prozent mehr Medikamentenverschreibungen sowie 12,4 Prozent mehr Krankenhaustage, erwähnte der Ökonom 2022 in einem APA-Gespräch. Dass diese Ängste Arbeitgeber:innen viel Geld kosten können, wurde auch in einer Studie der FH Köln aus dem Jahr 2000 belegt, wie Mörth erwähnt. “Diese Angst kann man aber mit den richtigen Instrumenten wegnehmen.”

Lolyo als mobiles Intranet

Lolyo ist im Detail ein mobiles Intranet, das Mitarbeitende miteinander vernetzt. Die drei primären Kanäle – News, Pinnwand und Chat – sollen dabei einen optimalen Informationsfluss garantieren. Zudem enthält die App eine Vielzahl an Features, die das Engagement erhöhen und interne formelle Abläufe wesentlich vereinfachen soll. Im Idealfall soll sie für alle Mitarbeitenden den Zugang zu allen digitalen Services des Unternehmens anbieten.

Insgesamt gibt es 30 verschiedene Features, die von Terminen, Formularen, Umfragen über automatische Übersetzung bis hin zum Start eines eigenen Podcast-Kanals verschiedene Angebote parat halten. Der Mitmach-Booster von Lolyo ist zudem als Anreiz gedacht, aktiv zu bleiben. Wenn man sich Nachrichten durchliest, liked oder kommentiert, erhält man Punkte, die dann in einem vom Unternehmen aufgesetzten “Goodies Store” eingelöst werden können. “Das ist unser USP”, sagt Mörth. “Wir haben diese Art von ‘Gamification’ von Anfang an integriert.”

300 Kunden

Seit dem Beginn im Jahre 2018 konnte Lolyo 300 Kunden (Anm.: darunter Liebherr, Efco, Recheis, Wutscher Optik) aus 15 Ländern für sich gewinnen. “Corona war für uns ein glücklicher Fall, denn die Unternehmen mussten umdenken”, erinnert sich Mörth. “Der Bedarf nach guter Kommunikation hat sich ja damals plötzlich erhöht.”

Auch die Mundpropaganda war für das 16-Personen starke Team wesentlich. “Wir sind ein kleines Unternehmen und nicht investorengetrieben”, erklärt der Founder. “Und haben keine Millionen an Marketing-Budget. Der Erfolg kam über unsere ‘Word of Mouth-Taktik’. Damit konnten wir bisher unseren Umsatz jährlich verdoppeln.”

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