28.02.2024

Startup, Mutter, Kind: Eine Erzählung von “Rabenmüttern”

Stillend in Shareholder-Meetings oder Kuschelecke im Büro. Wie drei Mamas ihr Comeback in die Startup-Welt schaffen und warum sie deshalb keine Rabenmütter sind.
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(v.l.n.r.): Judith Sacher, Co-Gründerin von PelviQueens, Bernadette Frech, CEO von instahelp, Sandra Zima, Gründerin von Snagy (c) PelviQueens, instahelp, Sandra Zima

Dieser Artikel erschien zuerst in unserem aktuellen brutkasten-Printmagazin (Download-Möglichkeit am Ende des Artikels).


Eine blaurote Rutsche thront auf einer bunten Spieldecke. Ein leises Klingeln ertönt – eine Modelleisenbahn ist im Anmarsch. Judith Sacher, Unternehmerin und Physiotherapeutin, sitzt in einer bilderbuchähnlichen Atmosphäre. Neben ihr spielt eine Miniversion ihrer selbst. Ein leises Klappern am Parkettboden füllt den Raum. Seit August 2022 ist sie Mama. Wenige Wochen später war sie wieder back to business, knapp sechs Monate später gründete sie ihr Startup.

Bernadette Frech wurde als CEO Mama und Sandra Zima erschuf kurz nach der Geburt ihrer Tochter ein Startup. Beide sind ähnlich wie Sacher und doch anders im Unternehmerinnentum tätig. Und wissen, wie es geht.

Sacher, Frech und Zima haben eines gemeinsam: Familie, Startup-Gründung und Unternehmensführung schließen sich bei den drei Müttern nicht aus. Es geht um Adaption, Hilfestellung, Mindset und allgemein um eine moderne Unternehmenskultur, wie sie das Jahr 2024 auch verdient hat. Und schließlich geht es immer noch um das Aufbrechen von Klischees und die fälschliche Verwendung des Begriffs Rabenmutter.

Vom Wochenbett zur Gründung

Nach ihrer Erholungsphase im Wochenbett kehrte Judith Sacher in ihren Job zurück. Nun erzählt sie, warum sie am ursprünglichen Geburtstermin noch arbeitete, wie sie den Schritt zur Gründung knapp sechs Monate nach Entbindung wagte, warum man als Startup-Gründerin keine schlechte Mutter ist.

Judith Sacher, Co-Gründerin von PelviQueens (c) PelviQueens

Sacher ist Physiotherapeutin und lebt in Oberösterreich. Schon vor ihrer Schwangerschaft arbeitete sie selbstständig in ihrer eigenen Praxis – neben einer Fixanstellung. Ihre Arbeit erfüllt sie. Sonst wäre sie zum Geburtstermin ihres Sohnes nicht in ihrer Praxis gestanden: “Der hat sich nämlich um zwei Wochen nach hinten verschoben”, erinnert sich Sacher. “Und mir ging es so gut, also dachte ich mir, warum nicht?”

Sacher ist eine der vielen Unternehmer:innen, die sich häufig Kommentare wie “Dass du so schnell wieder arbeitest!” und “Du warst nur so kurz in Karenz?” anhören müssen. Doch Sacher weiß, dass man sich als frisch gebackene Mama trauen darf, bald wieder zur Arbeit zurückzukehren. Wie das geht? Am ehesten mit einem strikten aber gesunden Verhältnis zwischen Arbeit und Familie.

“Mein Sohn kam im August 2022 auf die Welt und im Februar darauf kam mir mit einer guten Freundin unsere Startup-Idee.” Judith Sacher und Magdalena Rechberger kennen sich aus dem Studium und arbeiten mit PelviQueens seit Februar 2023 an einer Aufklärungsplattform für Frauengesundheit.

Als Unternehmerin spricht sie ein Tabuthema an, das vielen jungen Familien häufig den Mut vor einer Unternehmensgründung nimmt: “Nur, weil man gerade frisch Mama oder Papa geworden ist und wieder Lust hat zu arbeiten, ist man keine Rabenmama”, erklärt Sacher. “Ich habe gemerkt, wie viel ausgeglichener ich bin, wenn ich arbeiten kann und nicht nur 24/7 Mama bin.”

Ich hab gemerkt, wie viel ausgeglichener ich bin, wenn ich arbeiten kann und nicht nur 24/7 Mama bin.

Judith Sacher, Co-Gründerin von PelviQueens

Frischgebackene Eltern, die ein Unternehmen führen, selbstständig sind oder über eine Gründung nachdenken, sollten ihren Traum nicht des Kindes wegen wegstecken, meint die Physiotherapeutin. “Mein Mann hat auch ein Startup und wir teilen uns unsere Arbeits- und Familienzeit gut ein. Das ist etwas, das wir in einem Angestelltenverhältnis so nicht machen könnten.”

Damit das Gründen und die Selbstständigkeit auch tatsächlich funktionieren, braucht es vor allem eines: Support. “Ohne meine Eltern und meinen Partner wäre das nicht möglich. Ich arbeite 35 bis 45 Stunden pro Woche und muss mir das gut einteilen. Dank der Unterstützung aus meinem Umfeld kann ich den Traum von meinem eigenen Startup leben und nebenher noch als Physiotherapeutin in meiner Praxis tätig sein.”

Der Plan ging auf, PelviQueens floriert: Im Rahmen des tech2b Inkubators ist bald der Launch eines Hardware-Produkts geplant. In den Köpfen der Gründerinnen schwirren weitere Pläne und für das Mama-Sein bleibt Zeit. “Man braucht Flexibilität und Support, das ist klar. Genauso braucht man aber auch den Willen, wieder selbstständig arbeiten zu wollen. Viele sehen ihre Berufung im Mama-Sein, viele im Unternehmerin-Sein, und viele in beidem”, so Sacher.

Wenn man was gefunden hat, das einem Spaß macht, dann sollte man keine Zeit verlieren und es umsetzen. Egal, in welcher Lebenssituation man sich befindet.

Judith Sacher, Co-Gründerin von PelviQueens

Als Mama darf man sich entfalten

“Alte Frauenbilder darf man als Gründerin nicht verfolgen. Man ist keine schlechte Mutter, nur weil man seiner Leidenschaft nachgeht und Erfüllung in seinem Beruf findet”, bestärkt Sacher. “Auch als Mama darf und soll man sich entfalten – und wenn man was gefunden hat, das einem Spaß macht, dann sollte man keine Zeit verlieren und es umsetzen. Egal, in welcher Lebenssituation man ist.”

In einer ähnlichen Lebenssituation befindet sich Bernadette Frech, CEO von instahelp. In einer, in der Schlaf Mangelware ist und man neue Methoden des Zeitmanagements finden muss, um den gewohnten Arbeitsalltag nicht komplett zu verlieren. Sie leitet seit 2018 das Mental-Health-Startup, das psychologische Beratung online anbietet.

Bernadette Frech, CEO von instahelp (c) instahelp

Seit 2021 ist sie zudem Beraterin des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort und arbeitete in der Arbeitsgruppe Gesundheit für die Entwicklung der Standortstrategie 2040 für Österreich mit. Instahelp selbst wurde 2019 beim 4gamechangers Festival zu Österreichs “Startup des Jahres” und von der WKO als “Born Global Champion” ausgezeichnet, 2020 bis 2024 auch zur deutschen Top Brand Corporate Health und erhielt 2021 den Digi Health Award.

Die CEO ist Mutter zweier Söhne, neun und zehn, die sie alleine aufgezogen hat; im Sommer 2023 kam noch ein Baby dazu. Bis auf die Pause im Mutterschutz hat sie ihr Startup nicht verlassen und ist aktuell geringfügig angestellt, wie sie mit sanfter Stimme erzählt, ihr dritter Sohn schlafend im Hintergrund liegend.

Stillend in Shareholder-Meetings

Frech saß bereits stillend bei Shareholder-Meetings, hat in ihrem Büro eine kleine Babyecke mit viel Spielzeug und Laufstall eingerichtet und, mit Weitsicht, vor ihrer Karenz mit Silvia Geier eine zweite Geschäftsführerin als COO bestellt.

Die Unternehmerin hat sich nie als “Stay at Home-Mum” gesehen und wurde vom rein männlichen Shareholder-Board bestärkt: “Ich war mir unsicher, ob ich der Rolle als CEO von instahelp für das Team, für unternehmerische Ziele, aber auch mit dem hohen Anspruch, den ich an mich selbst stelle, gerecht werde. Das Shareholder-Board und das Team haben mich bestärkt in der Rolle der CEO mit Baby zu bleiben.”

Also folgte sie nach der erwähnten Auszeit dem Ruf der Rückkehr und weiß heute: “Es ist (Anm.: in der Firma) wieder eine Aufgabe, eine eigene Rolle zu finden”, sagt sie. “Man ist nicht ‘full time’ da, man ist anders zurück.” Zur Unterstützung macht Frech ein Coaching, mit einer instahelp-Psychologin, bei dem sie sich in dem Prozess begleiten lässt. “Es ist ein wenig ein ‘loslassen’, man kann zwar sein Startup weiterführen, aber es muss anders sein. Dazu sind gute Rahmenbedingungen wichtig.”

In diesem Sinne hat die Europäische Investitionsbank (EIB) im November 2022 eine Studie “Warum es sinnvoll ist, Unternehmerinnen in Europa zu unterstützen” betitelt und darin belegt, dass Unternehmerinnen als Vorbilder für die Stärkung der Rolle der Frauen in der Wirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Volkswirtschaft leisten.

Darin heißt es im Wortlaut: “Untersuchungen zeigen, dass frauengeführte Unternehmen mit größerer Wahrscheinlichkeit solide Managementmethoden – und mehr Leistungsindikatoren – anwenden und eher bereit sind, neue Produkte und innovative Lösungen einzuführen, nicht nur in der Europäischen Union, sondern weltweit. Frauen neigen auch eher dazu, den grünen Wandel zu unterstützen, auf die CO2-Emissionen zu achten und sich Ziele für Energieeffizienz zu setzen. Von Frauen geführte Unternehmen erzielen bessere Ergebnisse in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance, was die Bewertung ihrer Firmen und ihre Wahrnehmung durch Investoren und Kunden verbessert.”

Ich habe das Gefühl, dass man mit jedem Kind als Person flexibler wird.

Bernadette Frech, CEO von instahelp

Frech selbst fand ideale Rahmenbedingungen vor. Sie sagt: “Ich habe das Gefühl, dass man mit jedem Kind als Person flexibler wird. Ich glaube, was wichtig ist, ist dass, je flexibler man wird, so flexibel sollte man seine Organisation auch gestalten. Wir haben das Ziel, mit instahelp das familienfreundlichste Unternehmen in der Steiermark zu werden.”

Und dazu gibt es einige Methoden beim Grazer Startup: Neben flexiblen Arbeitszeiten, herrscht u.a. eine stark begrenzte Kernarbeitszeit vor, in der Meetings stattfinden müssen. Dazu gab es, wie Frech erzählt, ein klares Einverständnis von allen Beteiligten. Eltern, die die Eingewöhnungsphase im Kindergarten leidend durchstehen müssen, können auch remote von daheim arbeiten.

An dieser Stelle möchte die dreifache Mutter eine kleine Warnung aussprechen. Sie hat den Eindruck, dass “Mamas” in solchen Fällen von der Inanspruchnahme des Pflegeurlaubs zurückweichen und stattdessen lieber arbeiten, wenn sie es können. “Man muss hier auf den ‘mental load’ von Frauen achten und darauf schauen, dass man diese Möglichkeit im Unternehmen gut vorlebt. Da muss das ganze Management-Team dahinter sein”, sagt sie.

Als weitere Methodik auf Mitarbeiter:innen mit Kindern zu achten, erweist sich die Initiative “instahelp unter Palmen”. Jeder August ist bei uns komplett remote gestaltbar, Familien im Büro sind willkommen, für Kinder gibt es je nach Altersgruppe Spielzeug sowie ein Babynest für die ganz Kleinen.

“Sehr wichtig ist aber”, betont Frech, “den Kontakt mit Frauen in Karenz zu halten, damit diese nie ganz aus dem Betrieb fallen. Auch für die Mitarbeiterinnen ist es wichtig, da Arbeit für viele eine Säule im Leben darstellt. Wir geben die Möglichkeit, dass man mit Kind nicht alles ändern muss. Man kann zum Beispiel geringfügig weitermachen oder bei einfach bei Team-Events dabei sein. Damit man merkt, man wird vermisst und gebraucht. Und am Laufenden bleiben kann.”

Polizistin, Mutter, Gründerin

Sandra Zima, Gründerin von Snagy, einem Startup, das Kuschelsitzsäcke und Geburtskissen herstellt, ist seit 2005 bei der Polizei. Und wurde 2020 Mutter. Sie war vor ihrer Polizistinnenkarriere in der Elementarpädagogik tätig und widmet sich nun hauptberuflich dem Kinderschutz. Genauer, sie übernimmt die Vernehmungen von Kindern zwischen vier und 14 nach schweren Gewalthandlungen. Ihr Startup betreibt sie nebenher.

Sandra Zima, Gründerin von Snagy (c) Sandra Zima

“Die Affinität zu Kindern war bei mir immer schon gegeben”, sagt sie, “aber das Thema ‘Selbstständigkeit’ war ein langer Wunsch von mir.” So gründete sie im März 2022 Snagy und nahm eine Kollegin mit an Bord, die aktuell aber – aus Vereinbarkeitsgründen – nicht mehr dabei ist. Als Polizistin und Gründerin mit Kind ist Zima 24/7 im Einsatz und hat kein Problem, laufend erreichbar zu sein. Sie steht im Urlaub am Strand und telefoniert und kann – weil es die heutigen Zeiten zulassen – auch von überall aus arbeiten.

Meine Tochter wächst mit dieser Situation auf

Sandra Zima

Dabei ist ihr aber auch natürlich die mentale Komponente wichtig, mit der aktuell vierjährigen Tochter kann die Wienerin sich die Arbeitszeit so einteilen, wie sie es wünscht. “Meistens arbeite ich, wenn sie schläft und sitze in der Garage, fülle Kuschelwale und packe Kisten”, sagt sie. “Ein wichtiger Punkt ist, meine Tochter wächst mit dieser Situation auf und wird von mir eingebunden. Sie hat da einen anderen Bezug zu diesen Themen, als vielleicht andere Kinder.”

Als One-Woman-Show hat Zima nie wirklich mit diversen Hürden zu kämpfen gehabt, wie es andere Founderinnen haben, einzig die Undurchsichtigkeit im System ist ein Problemfall. Besonders wenn es um die Verbesserung von Rahmenbedingungen für Frauen als Unternehmerinnen mitten im Familienleben geht.

“Es gibt gar nicht so weit hergeholte Fragen, die schwer zu beantworten sind”, gibt sie ein Beispiel. “Ich habe ein Buch geschrieben, benötige ich dafür einen Gewerbeschein? Niemand konnte mir das sagen. Oder Fragen bei der Neuentwicklung von Produkten. Es war ein massiver Aufwand, um die richtigen Antworten zu erhalten.” Die Gründerin nennt ein paar Stellen wie riz up oder auch die WKO, bei denen sie Hilfe gefunden hat. “Aber es war die größte Herausforderung, die richtigen Plätze zu finden. In Sorge, durch Unwissenheit einen großen Fehler zu machen. Aber der Vorteil der heutigen Welt ist und bleibt, dass man sich die Antworten auf brennende Fragen selber holen kann.”

Egal ob bei Sandra Zima, Judith Sacher oder Bernadette Frech, die sich alle drei in unterschiedlichen Rollen und Phasen ihres Unternehmens befinden, eines wird nach Gesprächen mit den drei Founderinnen klar. Gründerinnentum und kleine Kinder ist kein diametrales Unterfangen mehr. Keine Utopie, die ein Dorf bedarf, um ein Kind zu erziehen. Und es muss auch nicht als übler Charakterzug gesehen werden, mit einem Kind arbeiten gehen zu wollen und die betreffende Person eine Rabenmutter zu nennen.

Rabenmütter sind keine Rabenmütter

Der Begriff Rabenmutter wird schon im Vorhinein inkorrekt verwendet. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) im Artikel “Rabenmütter sind keine Rabenmütter” beschrieb, sind die oftmals verschmähten Vögel vielmehr Vorbilder in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Kolkraben, die in lebenslanger Ehe zusammenhalten, kümmern sich geradezu aufopferungsvoll um ihre Jungen, heißt es darin. Und weiter: “Das Weibchen hudert (wärmt) sie in den ersten zwei Wochen nahezu ununterbrochen, zerkleinert das vom Männchen herangetragene Futter und füttert damit geduldig ihren Nachwuchs. Erst wenn die Brut satt ist, frisst es selbst.”

Was man aus diesen Zeilen mitnehmen kann, ist nicht bloß der Inhalt, der dort beschrieben wird. Ja, Raben haben einen zu Unrecht schlechten Ruf, was ihrer Federfarbe und der Mytholgie mitunter zu verdanken ist – das wirkliche Problem und Learning hier aber ist ein anderes.

Der FAZ-Artikel stammt aus dem Jahre 2005 und behandelte das Thema Vereinbarkeit und Beruf. 19 Jahre später ist es noch immer Thema und man muss erklären, dass Gründerinnen und Frauen in Karrieren, die Kinder in die Welt gesetzt haben, nicht automatisch “schlechte Mamas” sein müssen. Man muss darüber sprechen, wie man das Private gestaltet, um einerseits als Vorbild zu dienen, auf der anderen Seite um Kritikern, Zweiflern und misogynen Personen die Munition zu nehmen, wenn sie Wortschwalle ablassen mit vor Klischees triefenden Meinungen. Oder ihnen mitteilen, was Bernadette Frech zu sagen hat: “Wenn Frauen Kinder haben und gründen wollen, oder im Beruf bleiben, dann ist das möglich. Es ist 2024 möglich, das Unternehmen so zu gestalten. Es braucht schlicht nur gute Rahmenbedingungen.”

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31.12.2024

Rück- und Ausblick 2024/2025: “Etwas weniger jammern, dafür mehr anpacken”

Einige der bekanntesten Gesichter der heimischen Startup-Szene gaben uns ein Statement zum Jahreswechsel.
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vlonru. Hannah Wundsam, Hansi Hansmann, Laura Raggl, Sander van de Rijdt, Christiane Holzinger und Michel Hurnaus | (c) AustrianStartups / Studio KoeKart / Fabianklima.at / Martin Pacher / 360 Business Planer / Tractive

Ein weiteres Krisenjahr geht zu Ende. Noch nie in seiner zehnjährigen Geschichte musste brutkasten über so viele Startup-Insolvenzen berichten. Noch nie waren so viele Startup-Übernahmen nicht als erfolgreicher Exit, sondern als Notverkauf zu klassifizieren. Und noch nie war der Ruf nach umfassenden wirtschaftspolitischen Reformen in der heimischen Startup-Szene so laut.

Und die gesamtwirtschaftlichen Prognosen bleiben düster. Ein Ende der Rezession ist noch nicht absehbar. Dass derzeit auch viele große und etablierte Unternehmen in wirtschaftliche Schieflage geraten, verschärft die Situation zusätzlich.

Doch natürlich gab es auch 2024 Erfolgsgeschichten in der heimischen Startup-Welt. Und es wäre nicht die Startup-Szene, wenn sich nicht der für sie so typische Optimismus immer wieder seinen Weg bahnen würde – dieses Jahr vielleicht etwas leiser, als in vielen anderen Jahren. Wir haben einige der bekanntesten Gesichter der österreichischen Startup-Community um einen kurzen Rück- und Ausblick zum Jahreswechsel gebeten.


Hansi Hansmann, Business Angel

Hansi Hansmann
Hansi Hansmann | (c) Studio KoeKart

2024 ist in etwa so schwierig geworden wie erwartet, der erhoffte Lichtblick im zweiten Halbjahr ist nicht gekommen. Ich erwarte diesen Lichtblick auch 2025 nicht. Es wird also schwierig bleiben und für viele noch schwieriger werden – damit werden wir leben müssen.

Viele Scaleups werden nur noch von den Bestandinvestoren über Wasser gehalten, und denen geht einfach irgendwann das Geld aus, weil vom Markt – VCs, IPOs, etc. – kein Rückfluss kommt. Je länger die Krise dauert, desto schwieriger wird es auch für Startups, weil Funding zum Teil einfach nicht mehr funktioniert – außer, man hat ‘Dream-KPIs’, aber das haben nur die wenigsten.

Trotzdem ist es die richtige Zeit, um zu gründen. Die größten Erfolgsgeschichten haben in Krisen ihren Anfang genommen.

Hannah Wundsam, Co-Managing Director Austrian Startups

Hannah Wundsam
Hannah Wundsam | (c) AustrianStartups

Das Wahljahr 2024 hat uns noch stärker vor Augen geführt, wie entscheidend der Startup-Sektor für Europas Wohlstand und unsere Wettbewerbsfähigkeit ist. Während in Österreich die neue Flexco-Rechtsform mit über 700 Gründungen getestet wird, nimmt auf EU-Ebene die EU Inc und damit die Vereinheitlichung des europäischen Kapitalmarkts Fahrt auf.

Auch 2024 blieb das Aufstellen von Wachstumskapital eine der größten Herausforderungen für Startups. 2024 waren Finanzierungsrunden stark auf AI und Climate Tech fokussiert – die 100-Millionen-Runde von Gropyus im Herbst war die größte des Jahres.

Für uns bei AustrianStartups wurde einmal mehr klar: Ein Mindset-Wandel ist dringend notwendig – und der beginnt bei der Bildung. Initiativen wie die Youth Entrepreneurship Week an Schulen oder die Spin-off-Offensive der Regierung, die eine Verdopplung der jährlichen Spin-off-Gründungen bis 2030 anstrebt, sind wichtige Schritte.

Entscheidend wird nun, ob die neue Regierung 2024 zukunftsgerichtete Maßnahmen umsetzt – mit lang ersehnten Anreizen, wie einem Dachfonds und einem Investitionsfreibetrag, die Österreichs Startup-Ökosystem langfristig stärken könnten.

Sander van de Rijdt, Co-Founder & Co-CEO PlanRadar

PlanRadar Co-Founder und CEO Sander van de Rijdt
Sander van de Rijdt | (c) der brutkasten / Martin Pacher

2024 hat sich weithin als durchwachsenes Jahr mit anhaltenden Herausforderungen und Negativeffekten gezeigt, die sich auch in tatsächlichem Stellenabbau und massiv gebremstem Wachstum realisiert haben – Stichwort: Wirtschaftsstandort Österreich. Die Bau- und Immobilienindustrie als Hauptzielmarkt für PlanRadar schwächelt nach wie vor und zahlreiche Akteure sind den Dynamiken zum Opfer gefallen, teils unter breiter öffentlicher Wahrnehmung, teils im Stillen hinter verschlossenen Türen. Hier stehen insbesondere Österreich und Deutschland auch im europäischen Vergleich sehr, sehr schlecht da.

Bei PlanRadar sehen wir, dass das internationale Geschäft für uns in Regionen wie Spanien, Italien oder den USA bereits wieder sehr gut anspringt oder beispielsweise in den Vereinigten Arabischen Emiraten überhaupt nie negativ beeinflusst war. Wir konnten unseren Gesamtumsatz trotz der multiplen negativen Vorzeichen wieder um ca. 25 Prozent steigern, was in der aktuellen Marktlage durchaus ansehnlich ist, und weshalb mir schon öfters vorgehalten wurde, dass „ich auf sehr hohem Niveau jammere“.

Für 2025 hoffe ich auf durchdachte und nachhaltige Maßnahmen der neuen Regierung, um das Wirtschaftswachstum in Österreich wieder anzukurbeln. Auch sollten die Zinssenkungen und das Auslaufen der KIM-Verordnung (Anmerkung der Redaktion: Verordnung für nachhaltige Vergabestandards bei der Finanzierung von Wohnimmobilien) für einen ersten Aufschwung in der Bau- und Immobilienbranche in der zweiten Jahreshälfte sorgen. Mit einer richtigen Erholung rechne ich erst 2026, bin aber sehr froh, wenn ich eines Besseren belehrt werde.

Laura Raggl, Gründerin ROI Ventures

Laura Raggl (c) Fabianklima.at

2024 war unser zweites vollständiges Investmentjahr und dementsprechend spannend. Im Pre-Seed-Bereich bleibt die Dynamik ähnlich wie 2023, doch die Finanzierungsrunden sind deutlich wettbewerbsintensiver geworden. Immer mehr Gründer:innen mit Scaleup-Erfahrung oder vorherigen Exits starten neue Startups. Die Bewertungen befinden sich meiner Meinung nach auf einem angemessenen Niveau, sind jedoch im Vergleich zum Vorjahr leicht angestiegen. Insgesamt bietet der Markt für uns, mit unserem Fokus auf Neuinvestitionen, eine interessante Dynamik.

In den späteren Finanzierungsphasen sieht die Situation weniger rosig aus. M&A-Aktivitäten und IPOs befinden sich auf dem niedrigsten Stand der letzten zehn Jahre, da die Liquidität weiterhin eingeschränkt ist. Viele hochkarätige Börsengänge finden weiterhin in den USA statt, was Talent und Kapital aus Europa abzieht.

Für VCs gestaltete sich das Fundraising im Jahr 2024 besonders schwierig, dennoch wurden mehrere große Fonds mit einem Volumen von über 500 Millionen Euro angekündigt. Ein bedeutender Hebel könnte hier die stärkere Mobilisierung von Pensionskassen im DACH-Raum sein, die bisher noch viel zu wenig in Venture Capital investieren.

Mit Blick auf 2025 ist zu hoffen, dass speziell die Maßnahmen auf der Risikokapitalseite von der neuen Regierung rasch umgesetzt werden. Insbesondere die steuerlichen Erleichterungen für private Startup-Investor:innen und der geplante Rot-Weiß-Rot-Dachfonds sind nun mehr als dringend notwendig.

Michael Hurnaus, Gründer und CEO Tractive

Tractive, Hauster Versicherung, Insurance, Pet Cover
Michael Hurnaus | (c) Tractive

Für Tractive war 2024 tatsächlich ein sehr gutes Jahr, in dem wir trotz eines herausfordernden Marktumfelds deutlich wachsen konnten. Hier half uns jedenfalls ein dankbares Business-Modell und der kontinuierliche Drang nach Effizienz im Unternehmen. Cashflow war auch heuer wieder King. Unternehmen mit langen Sales-Cycles oder Cashflow-unfreundlichen Modellen kamen in vielen Branchen zum Wanken.

Viele Unternehmer waren Anfang 2024 optimistisch, dass sich die Wirtschaft schnell wieder erholt – was abgesehen vom Kryptomarkt hierzulande nicht wirklich passiert ist. Eben diese Unternehmer scheinen aktuell besonders pessimistisch für 2025 zu sein – was mich wiederum optimistisch stimmt, weil sich die Mehrheit halt oft täuscht.

Für all jene Unternehmen, die Geschäfte mit den USA machen, kommt natürlich eine spannende Zeit, die aber vor allem für Unternehmen, die nicht in China produzieren, “net positive” sein sollte. Wenn wir uns in der EU also nicht komplett mit AI-Act und Co selbstgeißeln und allesamt etwas weniger jammern, dafür mehr anpacken, dann bin ich sehr optimistisch für 2025.

Christiane Holzinger, Business Angel und Gründerin

Christiane Holzinger | (c) 360 Business Planner

2024 war ein Jahr der Konsolidierung, strategischer Investitionen und klarer Botschaften. Das Jahr 2024 war geprägt von Herausforderungen, aber auch von klaren Chancen, mutige Akzente zu setzen. Als Angel-Investor habe ich mich in diesem Jahr auf drei neue Startups fokussiert, die nachhaltige Geschäftsmodelle und innovative Technologien in den Vordergrund stellen. Gleichzeitig lag mein Augenmerk darauf, bestehende Beteiligungen zu stärken. Die anhaltende wirtschaftliche Unsicherheit hat mich dazu gebracht, Entscheidungen noch bewusster und datengetriebener zu treffen. Besonders wichtig waren dabei die Themen Team & Leadership sowie die langfristige Stabilität der Geschäftsmodelle.

2024 war für mich aber nicht nur ein Jahr des Investierens, sondern auch des Lernens und des Gestaltens. Ich habe die intensivere Auseinandersetzung mit Markt- und Teamdynamiken genutzt, um neue Perspektiven zu gewinnen und meinen Beitrag zur Startup-Szene weiterzuentwickeln. Natürlich gab es auch Hürden: Bridgerunden und schwierige Finanzierungsphasen in meinem Portfolio waren anspruchsvoll. Aber durch konsequente Priorisierung habe ich stets das Ziel vor Augen behalten: einen klaren Weg nach vorne. Ein persönliches Highlight war die Arbeit an meinem ersten Buch, in dem ich mich intensiv mit dem Thema Finanzpower für Frauen auseinandersetze.

Mit Blick auf 2025 bin ich entschlossen, meinen Fokus weiter zu schärfen: Frühphasen-Investitionen werden eine noch zentralere Rolle spielen. Ich sehe enorme Potenziale in Co-Investments mit anderen Angels und institutionellen Investoren, besonders in der heimischen VC-Szene. Ein weiterer Schwerpunkt wird die Förderung von Gründerinnen- und Gründervielfalt sein. Ich bin überzeugt, dass diverse Teams nicht nur innovativer, sondern auch erfolgreicher sind. Mein Ziel ist es, gezielt in solche Teams zu investieren und damit ein starkes Signal zu setzen.

Doch dafür braucht es auch die richtigen politischen Rahmenbedingungen. Wir müssen als Gesellschaft verstehen, dass Investitionen in Startups und Unternehmer:innen keine Nische sind – sie sind ein wesentlicher Beitrag zur Entwicklung unseres Wirtschaftsstandorts. Es braucht bessere steuerliche Anreize, einfachere Zugänge zu Kapital und mehr Bildung rund um das Thema Unternehmertum, damit Investieren als ganzheitliches Konzept in der Bevölkerung ankommt.

Johannes Braith, Co-Founder & CEO Storebox

Johannes Braith | (c) Storebox

2024 – what a ride! Nach bald zehn Jahren Unternehmertum und Startup-Erfahrung war 2024 bestimmt ein Jahr, das mir in Erinnerung bleiben wird. Wie bereits in meinem letzten Jahresrückblick prognostiziert, bin ich davon ausgegangen, dass sich die Großwetterlage 2024 gegenüber 2023 noch verschärfen wird. Das ist nach meiner Einschätzung auch eingetreten. Die globalen Krisen haben sich leider nicht beruhigt und mit dem Aufkochen des Konflikts in Gaza noch weiter zugespitzt. Die Zinswende wurde glücklicherweise vollzogen und ich denke, dass wir für 2025 einen durchaus optimistischeren Ausblick haben dürfen.

Für Storebox war das Jahr 2024 geprägt von vielen großen Meilensteinen. Wir konnten nicht nur unseren 350. Storebox-Standort eröffnen und unsere 300. Franchise-Lizenz vergeben, sondern auch über 12.000 aktive Kunden servicieren. Wir sind in den unterschiedlichen Revenue-Streams zwischen 50 und 100 Prozent gewachsen – und das trotz herausfordernder Umstände. Auch anorganisch konnten wir mit zwei M&A-Transaktionen wachsen und erfolgreich zwei Mitbewerber übernehmen.

Ich bin überzeugt, dass 2025 ein extrem spannendes Jahr wird und wir einen positiven Aufschwung erleben werden. Allerdings muss dieser von uns allen hart erarbeitet werden und es wird nicht ausreichen, an der Seitenlinie zu stehen und zu warten, bis dieser von jemandem herbeigeführt wird.

Kilian Kaminski, Co-Founder refurbed

Kilian Kaminski | (c) refurbed

Trotz der vielfältigen Herausforderungen, mit denen viele Unternehmen in diesem Jahr konfrontiert waren, konnten wir entscheidende Wachstumsschritte erzielen, auf die wir sehr stolz sind: Zum einen haben wir unsere Marke refurbed durch ein umfassendes Rebranding gestärkt und unser Nachhaltigkeitsportfolio weiter ausgebaut. Damit ist es uns gelungen, den positiven Einfluss von refurbed auf Umwelt und Gesellschaft weiter zu erhöhen. Zum anderen haben wir unsere geographische Präsenz erweitert und vier neue Märkte erfolgreich erschlossen.

Besonders freut es uns, dass wir auch in diesem Jahr erneut bedeutende Kooperationen eingehen konnten, um Refurbishment als dritte Konsumkategorie breitenwirksam zu etablieren – zuletzt durch die exklusive Zusammenarbeit mit Hofer.

Ein persönliches Highlight für mich war auch 2024 wieder die Kooperation mit Fraunhofer Austria. Diese Partnerschaft ermöglicht es uns weiterhin, die positiven Auswirkungen von Refurbishment wissenschaftlich fundiert zu quantifizieren und zu belegen.

Für 2025 erwarten wir keineswegs ruhige Zeiten. Doch wir sind davon überzeugt, dass wir unsere ambitionierten Ziele erreichen werden. Wir haben refurbed schließlich nicht gegründet, um uns auf dem Erreichten auszuruhen, sondern um langfristig etwas am Markt nachhaltig zu verändern. Entsprechend blicken wir insgesamt mit großem Optimismus und Tatendrang auf das kommende Jahr.

Berthold Baurek-Karlic, Investor (u.a. Venionaire Capital)

Berthold Baurek-Karlic © Foto Wilke
Berthold Baurek-Karlic | (c) Foto Wilke

Das Jahr 2024 war kein einfaches. Ich hoffe, dass unsere kommende Regierung den Standort durch Entlastungen stärkt und Impulse für starkes Wirtschaftswachstum setzt.

Ich persönlich sehe viel Wachstumspotenzial in der Golf-Region und in Japan. Hier legen wir einen starken strategischen Fokus, um der wirtschaftlichen Flaute in Europa etwas zu entkommen.

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