12.10.2021

Sebastian Kurz hat (fast) alles richtig gemacht

Kommentar. Auch in einer ausgesprochen schwierigen Situation hat Sebastian Kurz die Nerven bewahrt, um seine (fast) makellose Marketing-Strategie aufrechtzuerhalten.
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Sebastian Kurz bei einem Termin im Bundeskanzleramt
Sebastian Kurz bei einem Termin im Bundeskanzleramt | (c) BKA / Arno Melicharek
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Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Erfolg von Personen zu messen, die alle auf subjektiven Wertigkeiten beruhen. Darüber, ob die gesellschaftliche Position, das Vermögen oder doch so etwas wie die persönliche Zufriedenheit der wichtigste Parameter ist, lässt sich hervorragend streiten. Es hat also eine gewisse Logik, Menschen an der Erreichung ihrer eigenen Ziele zu messen. In die Ziele von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz geben die zuletzt veröffentlichten Chats mit Thomas Schmid einen guten Einblick. Ihm geht es um Macht. Und darin ist er ausgesprochen erfolgreich. Und noch mehr – er hat auch noch in der Ausnahmesituation der vergangenen Tage, in der viele das Handtuch geworfen hätten, (fast) alles richtig gemacht.

Sebastian Kurz: Machtausbau mit Kollateral-Nutzen

Aber gehen wir einen Schritt zurück. Man kennt es ja – um einen Vergleich zu ziehen – aus strategischen Überlegungen von größeren Unternehmen: Am Ende ist der finanzielle Erfolg aufgrund der Anteilseigner-Struktur logischerweise die einzig wirklich relevante Größe. Der Weg dorthin verläuft aber nicht linear – die günstigste Variante ist nicht immer die sinnvollste. Wenn die Zielgruppe etwa Wert auf Klimaschutz legt, muss man etwas in die Richtung machen – auch wenn es unmittelbar die Ausgaben erhöht und es einem noch dazu persönlich egal ist, wenn ein paar Eisbären abkratzen, oder ein paar Inselbewohner ersaufen. Je nachdem, wie aufmerksam die Zielgruppe ist, entstehen aus dieser Situation dann Greenwashing-Kampagnen oder tatsächlich wirksame Klimaschutz-Maßnahmen. So wird der Markt, wenn alles gut läuft, zum Treiber des gesellschaftlichen Fortschritts. Es muss aber nicht so kommen.

Auch für Sebastian Kurz ist in diesem Sinne idealistisches Blabla über das Wohl des Volkes, das Fortkommen des Staats oder auch der Schutz der Umwelt zwar dem Vernehmen nach kein tatsächliches Anliegen, aber dennoch alles andere als irrelevant. Im Bestreben, die Macht auszubauen, war es natürlich immer wieder nötig und sinnvoll, Maßnahmen umzusetzen, die dann auch zum Vorteil anderer waren – quasi ein Kollateral-Nutzen. Das eigene Ziel wurde dabei aber niemals außer Acht gelassen und akribisch, ja penibel verfolgt.

Ein paar simple Marketing-Regeln

Das wichtigste Werkzeug dabei war und ist eine bombenfeste Marketing-Strategie. Diese unterscheidet sich nicht maßgeblich von jenen vieler großer Unternehmen, aber umso mehr von dem, was im heimischen Polit-Hickhack bis zur Ära Kurz der Normalfall war und in den anderen Parteien meist nach wie vor ist. Die Strategie lässt sich auf einige relativ simple und auch durchaus bekannte Regeln herunterbrechen.

Den Gegner nicht direkt angreifen

Im erwähnten Polit-Hickhack ließ Sebastian Kurz das “Hick” üblicherweise weg, dass Hack kam aber zuverlässig trotzdem von der Opposition. Angriffe auf den politischen Gegner erfolgten, wenn überhaupt, fast nur implizit. Wie im Produkt-Marketing gilt: Egal wie sehr man intern den “Mitbewerb” hasst, öffentlich bezeichnet man ihn noch nicht einmal als Konkurrenz und äußert sich jedenfalls nicht explizit negativ. Im Fall Sebastian Kurz führt das dazu, dass er als von vielen als vernünftiger, weniger aggressiv und konstruktiver wahrgenommen wird, als der politische Gegner.

“Herausforderungen” mit Positiv-Messages begegnen

Probleme gibt es sowieso keine, auch “Herausforderungen” ist schon ein hartes Wort – so in etwa lautet eine PR-Sprech-Grundregel in großen Unternehmen. Auch Sebastian Kurz und sein Team kommunizierten immer bevorzugt in Positiv-Messages: Die Voraussetzungen mögen zwar “fordernd” sein, aber man hat immer eine passende Lösung parat und weiß, wie es weitergehen soll. In den unzähligen Corona-Pressekonferenzen wurde das zur Spitze getrieben. Auch für seinen Rücktritt zog der Ex-Kanzler noch eine Positiv-Botschaft aus dem Ärmel: Dieser diene dem Wohl des Landes und bringe Stabilität. Natürlich unter Rücksichtnahme auf die nächste Regel.

Niemals einen Fehler eingestehen

Auch hier gilt: implizit ja, explizit nein. Wenn sich eine Maßnahme als zu unbeliebt oder sonst nachteilhaft herausstellt, kann sie zurückgenommen oder abgeändert werden. Niemals aber wird ein Fehler als solcher bezeichnet und zugegeben. Auch jetzt, wo es um Kurz persönlich ging, wurde die Strategie umgesetzt: Es gab einen Rücktritt ohne Anflug eines Schuldeingeständnisses. Die konsequente Bedachtnahme auf den aus Hollywood-Filmen bekannten Grundsatz “alles, was sie sagen, kann und wird gegen Sie verwendet werden” ist immer ein Investment in die Zukunft. Sollte sich herausstellen, dass es keine strafrechtlichen Konsequenzen für den Ex-Kanzler gibt, steht einer Rückkehr dann in diesem Zusammenhang nichts im Wege.

Wenn es hart auf hart kommt…

Es gab nicht erst ein Unternehmen, dass mit so einem gravierenden Imageschaden zu kämpfen hatte, dass es sich umbenannte. Das Rebranding geht natürlich mit erheblichem Aufwand und hohen Kosten einher, weswegen niemand das leichtfertig tun würde. Sebastian Kurz war – wohl auch auf Druck der ÖVP-Landesorganisationen – nun tatsächlich zu einem derartigen Schritt gezwungen. Mit Alexander Schallenberg versucht man es mit einer neuen Marke, die sich im Auftreten doch deutlich zu jener des Ex-Kanzlers unterscheidet. Darin, dass sich an der Macht-Position von Kurz dadurch nichts ändert, er also derzeit weiterhin fest im Sattel sitzt und Schallenberg bloß als Platzhalter fungiert, sind sich Kommentatoren aus allen politischen Richtungen aber einig. Der neue Kanzler legt es sogar selbst nahe. Auch hierbei handelt es sich also um einen Zug, der sich gut in die Marketing-Strategie einfügt.

Sebastian Kurz hat alles richtig gemacht – fast

Soweit so gut. Kurz hat auch in seinem Rücktritt vom Kanzleramt nichts falsch gemacht. Die Machtposition ist nicht eingebüßt. Im Gegenteil: Sie ist innerhalb der ÖVP-Bundespartei einmal mehr gefestigt. Doch es gibt einen Makel. Denn da ist eine weitere gebetsmühlenartig wiederholte Marketing-Regel, die der neue türkise Klubobmann so nun nicht mehr befolgen kann:

Immer “authentisch” sein

Die Regel sollte korrekterweise natürlich heißen: “Immer möglichst authentisch wirken”. Denn wahre Authentizität ist in großen Unternehmen und auch in der Politik freilich oft nicht erwünscht – alleine weil sie sich unmöglich mit den oben beschriebenen Regeln kombinieren ließe. Richtig hat man es dann gemacht, wenn es nichts gibt, das gegen die offizielle Erzählung spricht. Beim Ex-Kanzler haben sich wohl viele Menschen lange gedacht: “Der ist wirklich so”. Doch damit dürfte es nun vorbei sein. Denn der vernünftig und besonnen agierende Staatsmann Sebastian Kurz passt nicht zu dem Sebastian Kurz, der fragt, wie er ein Bundesland gegen ein Vorhaben der Regierung aufhetzen kann, in der er selbst sitzt, oder der seinen Vorgänger als “Arsch” bezeichnet. Es ist nun für eine breite Öffentlichkeit offensichtlich, dass sehr viele der Handlungen des Ex-Kanzlers nur dem Aufbau der eigenen Machtposition gedient haben. Wie viel das seinem Ansehen tatsächlich schadet, bleibt freilich abzuwarten.

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Coworking Salzburg
(c) Romy Sigl -

Früher hieß es, steig nicht zu Fremden ins Auto. Oder: Lass keine Fremden in deine Wohnung. Dann folgten “absurde” Ideen und daraus Uber und Airbnb. Dies sind zwei Beispiele von Visionen, die anfänglich auf Skepsis gestoßen sind, sich dann aber zu weltweiten Erfolgen entwickelt haben. Zugegeben, die Thematik rund um das Ende von Coworking Salzburg – siehe hier – ist nun eine, die zu einem Teil der Scheiterkultur in Österreich geworden ist. Aber durch die Botschaft eines anonymen Kritikers das offenbart, womit man heutzutage noch in der Republik als Teil des Startup-Ökosystems zu tun hat.

Scheiterkultur in Österreich

Bereits vor zehn Jahren meinte Hansi Hansmann, dass Österreich eine schlechte Scheiterkultur habe. Dabei sei gerade hier der Lernprozess extrem hoch, sagte der Business Angel damals. Seitdem gab es immer wieder Beispiele von einem gesunden Umgang mit Fehlern und Fehleinschätzungen, etwa von CrowdFarming oder von Direct Sales. Vor knapp fünf Jahren machte sich zudem das Labor für schönes Scheitern dafür stark, einen “lockeren Umgang” im Scheitern zu pflegen.

“Die letzten zehn Jahre haben mir gezeigt, dass echte Veränderung dort beginnt, wo wir uns trauen, unsere Fehler anzunehmen und darüber zu sprechen – egal ob als Einzelperson, in einem Team oder in einer Organisation”, sagte auch Fuckup-Nights-Initiator Dejan Stojanovic im November des vorigen Jahres, als seine Idee die erste Dekade feierte.

Offener Umgang

Romy Sigl ging mit dem Ende von Coworking Salzburg, wie oftmals von der Szene empfohlen, dementsprechend offen um, kämpfte um die Rettung und musste sich schlussendlich mit dem Aus ihrer Vision abfinden. Wie sie kürzlich auf LinkedIn schrieb, erreichte sie jedoch eine anonyme Botschaft, die einige kritische Fragen zum Coworking-Space und der Startup-Kultur in Salzburg aufwarf. Sigl machte sie öffentlich und startete damit einen Diskurs rund um die Art und Weise von Kritik und das allgemeine österreichische Mindset, das ab und an mit Missgunst und Schadenfreude einhergeht.

Die Nachricht an die Founderin enthielt u.a. folgende Aussagen: “Die sogenannte ‘Startup-Bubble’ rund um den Coworking Space in Salzburg ist für mich eine reine Illusion. Sie besteht aus Menschen, die glauben, Geschäftsideen zu haben, die jedoch oft absurd und nicht realisierbar sind. (…) Ich sehe es positiv, dass dadurch Coworking-Spaces, die sich als vermeintliche Top-Adressen darstellen, letztlich verschwinden. Aus meinen eigenen Einblicken in diesen Coworking-Space kann ich nur sagen, dass ich es äußerst kritisch finde, wenn Menschen in ihren Ideen bestärkt werden, obwohl von Anfang an klar ist, dass diese nicht funktionieren können.”

Und weiter: “So schwer es für Romys Ego auch sein mag, es ist an der Zeit, die Realität zu akzeptieren: Es ist vorbei, und das Projekt kann nicht mehr künstlich am Leben gehalten werden. (…) Niemand möchte mit einem heruntergekommenen Gebäude und einer visionär überzogenen, aber wenig greifbaren Community in Verbindung gebracht werden. Es ist Zeit, loszulassen und die Realität anzunehmen. Liebe Romy, ich wünsche dir persönlich alles Gute, aber ich rate dir, dich in Zukunft von Startups und ähnlichen Projekten fernzuhalten.”

Auf eine inhaltliche Ebene heben

Sigl verlinkt in ihrem Post in den Kommentaren die komplette Botschaft des anonymen Absenders, macht aber noch weitaus mehr. Sie entbröselt die zum Teil persönliche Kritik und hebt sie auf eine inhaltliche Ebene, indem sie sachlich auf die einzelnen Kritikpunkte eingeht.

Sie schreibt: “Ein Vorwurf lautete, dass Coworking-Spaces ‘absurde und nicht realisierbare’ Geschäftsideen fördern. Hier möchten wir widersprechen: Innovation entsteht oft aus Experimenten und Ideen, die zunächst unkonventionell wirken. Airbnb, Uber oder Slack sind nur einige Beispiele von Unternehmen, die zunächst als unrealistisch abgetan wurden. Coworking-Spaces sind keine Erfolgsgaranten, sondern Plattformen. Sie bieten Gründern Zugang zu Netzwerken, Ressourcen und einer inspirierenden Umgebung. Es ist Teil des unternehmerischen Prozesses, Ideen zu testen – und manchmal auch zu scheitern. Wir sind stolz darauf, viele Startups auf ihrem Weg begleitet zu haben, von ersten Prototypen bis hin zu marktfähigen Produkten.”

Der Kritik, dass ihrer Community “jegliche echte Expertise” fehle, setzt sie entgegen, dass ihr Space von Beginn an eine bunte Mischung aus erfahrenen Unternehmer:innen, kreativen Köpfen und jungen Gründer:innen dargestellt habe: “Gerade diese Vielfalt macht Coworking-Spaces aus. Sie sind Orte des Austauschs, wo Wissen geteilt und gemeinschaftlich Lösungen gefunden werden. Darüber hinaus haben wir mit etablierten Organisationen wie Startup Salzburg und dem Techno-Z in Puch zusammengearbeitet, um unseren Mitgliedern Zugang zu weiterführenden Ressourcen und Programmen zu bieten. Expertise entsteht durch Zusammenarbeit, nicht durch Ausgrenzung”, so Sigl weiter.

“Feig” und “Schlag unter die Gürtellinie”

Weitere Punkte von Sigls Replik betreffen Förderungen, die Tragfähigkeit des Co-Working-Projekts und eine negative Stimmung als Folge, auf die sie eingeht. Unterstützung erhält sie dabei von Teilen der LinkedIn-Community, die die Anonymität des Kritikers “feige” bzw. seine Zeilen einen “Schlag unter die Gürtellinie” nennen und auf die nachhaltige Wirkung der Gründerin eingehen.

“Der Standort und die heimischen Startups, inklusive Symptoma, haben vom Beleben des Standorts eindeutig profitiert. Der Space hat viele Leute zusammengebracht – ein Grundbaustein für Innovationen”, schreibt etwa Jama Nateqi, Founder und CEO von Symptoma.

Und Sven Maikranz, Gründer von Upstrive hält einen besonderen Punkt fest, wo man eine große Chance verpasst hätte: “Menschen, die sich selbst nicht genug Signifkanz geben können, versuchen es dadurch zu erreichen, dass sie andere runter drücken und schlecht machen. Traurig und schade, weil es sicher zu den Themen eine konstruktive Diskussion geben könnte, der Autor durch die Form und Anonymität sich aber selbst disqualifiziert.”

Passend dazu zitiert Sigl den Buchschreiber und Berater Mario Kellermann: “Kritik ist nur dann wertvoll, wenn sie sagt, wie es besser geht. Alles andere ist sonst nur leeres Gerede und sinnlose Wichtigtuerei.”

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