01.07.2022

MiCA and TFR are finally out – Was verändert sich nun für Krypto-Unternehmen?

Am Abend des 30. Juni 2022 verkündet die EU-Kommission, der Europäische Rat und das EU-Parlament eine Einigung zu "Markets in Crypto Assets" (MiCA). Das sind die Ergebnisse.
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Die EU hat mit Ende Juni 2022 die neuen Regelungen zu MiCA und TFR verkündet. Mit Folgen für Kryptounternehmen © fotolia.com - promesaartstudio
Die EU hat mit Ende Juni 2022 die neuen Regelungen zu MiCA und TFR verkündet. Mit Folgen für Kryptounternehmen © fotolia.com - promesaartstudio

Nachdem vorgestern bereits die Transfer of Funds Regulation (TFR) vereinbart werden konnte, einigte man sich gestern Nacht schließlich auch auf den finalen Text der Markets in Crypto Assets Regulation (MiCA), wobei sich einige doch eher überraschende Regelungen abzeichnen. Nichtsdestotrotz schaffen diese Einigungen unionsweit harmonisierte Regelungen, die die EU in vielen Belangen im Krypto-Bereich eine Pionierstellung einnehmen lässt.
Im folgenden Beitrag findet ihr die bisher bekannten Key Topics der MiCA und der TFR für Crypto Asset Provider (CASP)

Entstehungsgeschichte der MiCA

Entscheidender Anlass für die MiCA, deren erster Entwurf am 24.9.2020 durch die Europäische Kommission veröffentlicht wurde, war das Projekt Libra/Diem von Facebook/Meta. Dies erklärt auch den ursprünglichen Fokus der MiCA auf sog. “Stablecoins” (d.h. Krypto-Assets, die den Wert einer Fiat Währung, in aller Regel den USD, wertstabil darstellen sollen). Im Zuge der weiteren Verhandlungen wurde versucht, auch andere Krypto-Assets in den Anwendungsbereich der MiCA mitaufzunehmen; dies mit Erfolg.

Was bedeutet die MiCA nun für Krypto-Unternehmen?

Passporting für CASPs

Einheitliche Zulassung | Passporting. Geht man von der nunmehr erzielten Einigung aus, so benötigen Anbieter von Krypto-Asset-Diensten (kurz CASPs) nur mehr die Zulassung in einem einzigen EU-Mitgliedstaat, um in der gesamten Union tätig werden zu können (sog. Passporting). Dies löst somit die bisher gängige Praxis ab, dass CASP sich in jedem EU-Mitgliedstaat gesondert nach den dort jeweils geltenden Bestimmungen registrieren lassen mussten. Die Möglichkeit des Passportings, sollte CASPs die Expansion innerhalb der EU sohin deutlich erleichtern.

Schnellere Verfahren vor nationalen Behörden. Nationale Behörden sind nunmehr verpflichtet, die oben genannten Genehmigungen/Zulassungen innerhalb von drei Monaten zu erteilen. Auch im Kryptobereich sollte es im Gegensatz zu den bisher teilweise sehr langen Wartezeiten für CASPs nun daher möglich sein – bei richtiger Aufbereitung des Antrages und Vorliegen aller notwendigen Unterlagen – schnell eine Entscheidung der zuständigen Behörde zu erlangen.

NFTs doch von MiCA umfasst?

Lange war es – u.a. auch aufgrund des anfänglichen Fokus von MiCA auf Stablecoins – relativ unstrittig, dass Non-Fungible Tokens (NFTs) und NFT-Serien, wie etwa Cryptopunks oder Bored Apes, nicht von der MiCA umfasst sein sollten. Allerdings wurde mit der vorliegenden Einigung nun doch ein anderer Weg gewählt: NFTs (im Sinne ihres bisherigen Verständnis) könnten zumindest teilweise unter den Anwendungsbereich der MiCA fallen.

Manche NFTs wohl nicht von MiCA umfasst. Zunächst ist laut aktueller Pressemitteilung des Europäischen Rates davon auszugehen, dass jene NFTs, die einzigartige (physische oder “reale”) Objekte wie Kunst, Musik und Videos darstellen, ziemlich sicher vom Anwendungsbereich der MiCA ausgeschlossen sein werden. Der Europäische Rat spricht von “real objects like art, music and videos”, welche allesamt nicht unter die MiCA fallen.

Fractionalized NFTs und NFT-Kollektionen womöglich doch von MiCA umfasst. Im Zuge der abschließenden Verhandlungen zu MiCA wurde auch die Meinung vertreten, dass jene NFTs, die teilbar (sog. Fractionalized NFTs) oder Teil einer Sammlung/Serie sind (Cyberpunks, Bored Apes etc.), nicht als NFTs im vorgenannten Sinne zu verstehen sind. Argument hierfür ist, dass Fractionalized NFTs bzw. Gegenstände solcher Sammlungen/Serien zumindest ein gewisses Maß an Fungibilität besitzen würden. Sollte sich diese Meinung im finalen Text der MiCA durchsetzen, wäre der Anwendungsbereich der MiCA deutlich weiter und wären NFT-Kollektionen wie Cryptopunks wohl auch mitumfasst.

Unserer Meinung nach entspricht dieses Verständnis von NFTs jedoch nicht der bisher gelebten (rechtlichen und auch faktischen) Praxis. Bevor wir hierzu jedoch weiter Stellung nehmen können, gilt es noch den finalen Text der MiCA abzuwarten (gesonderter Beitrag folgt).

Strengere Regelungen für Stablecoin-Anbieter

1:1 Backing. Die bisherigen Verhandlungsergebnisse legen offen, dass Emittenten von Stablecoins hinkünftig eine ausreichend liquide Reserve im Verhältnis 1:1 der ausgegebenen Stablecoins und teilweise in Form von Einlagen bilden müssen. Dies soll die hinreichende Stabilität und Wertsicherheit des jeweiligen Stablecoins gewährleisten.

Umtauschanspruch. Ferner wird Stablecoin-Besitzern gegenüber Emittenten nun einen jederzeit ausübbarer, kostenloser Anspruch auf Umtausch eingeräumt. Dieser Forderung haben Emittenten ehestmöglich nachzukommen.

Ausgabe. Schließlich fallen alle Stablecoins unter die Aufsichtskompetenz der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA). Miteingeschlossen ist die Verpflichtung von Stablecoin-Emittenten, sich vor Ausgabe eines Stablecoins in der EU zumindest in Form einer Teilniederlassung anzusiedeln. Nicht-EU-Playern wird in diesem Bereich sohin zusätzlicher Aufwand entstehen.

Blacklist bei Non-Compliance

Zwar wird das Thema der Geldwäsche- und Terrorismusfinanzierungsbekämpfung (kurz AML/CFT) in der MiCA nicht gesondert geregelt – hierzu wurde auf EU-Ebene ein eigenes Geldwäschepaket geschnürrt (gesonderter Beitrag folgt) – doch sieht MiCA dennoch vor, dass die Europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA) mit der Führung eines öffentlichen Registers beauftragt wird, welches die mit den europäischen AML/CFT-Vorgaben nicht konformen Krypto-Asset-Dienstleister ausweisen soll.

Dieses Register ähnelt dem hierzulande bereits bekannten System der FMA (Investorenwarnung) und erachten wir daher als äußerst sinnvoll.

Kein Verbot des Proof-of-Work, aber zumindest “Klima-Awareness” von CASP

Die jetzige Einigung sieht vor, dass CASPs Informationen über ihren Umwelt- und Klima-Fußabdruck offenlegen müssen. Die ESMA ist nunmehr daran, Entwürfe technischer Regulierungsstandards für den Inhalt, die Methoden und die Darstellung dieser Informationen ausarbeiten. Inwiefern diese Regelungen daher in der Praxis zu behandeln sein werden, verbleibt bis dato noch offen.

Erweiterte AML Vorschriften: “Travel Rule” gilt nun auch für CASP

Die MiCA selbst enthält keine Regelungen zu AML/CFT. Es wurde aber ein eigenes Geldwäschepaket dazu geschnürt.

Travel Rule. Bedeutender Teil des Geldwäschepakets ist die Transfer of Funds Regulation (TFR). Sie hat zum Zweck, die von der FATF vorgegebene “Travel Rule” auch für den EU-Kryptomarkt zu implementieren. Dies bedeutet, dass CASPs dazu verpflichtet werden, bestimmte Informationen (Namen, Anschrift etc.) über den Auftraggeber sowie den Begünstigten einer Krypto-Transaktion zu sammeln und zu speichern.

Verpflichtete. Verpflichtete unter dem Anwendungsbereich der TFR sind alle CASPs im Sinne der MiCA; um einem weit verbreiteten Irrtum vorzubeugen: auch Krypto-ATMs sind hiervon mitumfasst. Folglich fallen nur Krypto-Transaktionen, an denen zumindest ein CASP beteiligt ist, unter das Regime der TFR. Ausgenommen sind dagegen sog. “Peer-to-Peer-Transfers”, dh Transaktionen an denen ausschließlich eigenständig verwaltete Wallets, sog. “Unhosted Wallets”, partizipieren. Demnach ergeben sich zwei Fallkonstellationen, die für die TFR relevant sind: zum einen Transaktionen, die zwischen CASPs durchgeführt werden, zum anderen Transfers zwischen CASPs und Unhosted Wallets. Der zweite Fall ist weiters in Transaktionen zwischen CASPs und Unhosted Wallets des eigenen Kunden einerseits sowie Transfers zwischen CASPs und Unhosted Wallets einer dritten Partei andererseits zu unterteilen.

Keine Schwellenwerte für CASP-CASP Transaktionen. Abweichend von den Vorgaben der Financial Action Task Force (FATF) enthält die TFR grundsätzlich keine Schwellenwerte (“Thresholds”). Es sind daher bei sämtlichen Transaktionen zwischen CASPs die durch KYC-Prozesse gesammelten, personenbezogenen Daten – unabhängig vom FIAT-Gegenwert einer Transaktion – zu übermitteln.

Sonderfall der Unhosted Wallet. Bei Transaktionen zwischen einem CASP und einer Unhosted Wallet eines Kunden dieses CASP hat der CASP erst ab einem Schwellenwert von EUR 1.000,- verpflichtend festzustellen, ob die Wallet tatsächlich seinem Kunden gehört. Sollten dagegen Transaktionen vom CASP zu Unhosted Wallets Dritter durchgeführt werden, so muss der CASP “bloß” angemessene risikobasierte Maßnahmen ergreifen (etwas, das in Österreich/Deutschland ohnehin auch schon jetzt so durch die FMA/BaFin verlangt wird). Das im Vorfeld befürchtete “Verbot von Unhosted Wallets” hat sich sohin nicht durchgesetzt und sind die jetzigen Regelungen als durchaus stimmig zu werten.

Conclusio

Auch wenn der finale Text der MiCA bzw. der TFR bis dato noch nicht veröffentlicht wurde, zeigt sich schon jetzt, dass die MiCA grundlegende Neuerungen für den europäischen Kryptomarkt mit sich bringen wird.

Dies ist unserer Meinung nach nicht nur sinnvoll sondern auch notwendig, da für eine breite Akzeptanz von Krypto sowohl institutionelle als auch private Anleger gleichermaßen Rechtssicherheit benötigen. Die Vorgabe eindeutiger Regelungen, insb für CASPs, stärkt sohin nicht nur den Wirtschaftsstandort EU sondern auch jene der Mitgliedstaaten und ist somit ein wichtiger Schritt in Richtung “Massentauglichkeit von Kryptos”.


Disclaimer: Die finalen Texte der MiCA und TFR liegen zum Zeitpunkt dieses Beitrages noch nicht vor und können von dem im Text dargestellten abweichen. Dieser Text sowie die Hinweise und Informationen stellen keine Rechtsberatung oder sonstige Empfehlung dar. Dieser Text kann keinesfalls eine individuelle Rechtsberatung ersetzen und dient lediglich der persönlichen Information. Dieser Text gibt überdies ausschließlich die Meinungen und Erfahrungen der Autoren wieder.

Über die Autoren

Martin Hanzl © EY Law
Martin Hanzl © EY Law

Dr. Martin Hanzl ist Head of New Technologies und Rechtsanwalt bei EY Law, Pelzmann Gall Größ Rechtsanwälte GmbH und betreut dort Mandant*innen unter anderem zu Fragen rund um neue Technologien (zB Registrierung als CASP, Smart Contracts, Einordnung von Krypto-Assets) sowie bei gesellschaftsrechtlichen Fragen rundum Finanzierungsrunden & Co. Zudem ist Martin in der Projektleitung des Blockchain and Smart Contracts Projektes des European Law Institute tätig. Martin ist Vortragender zu rechtlichen Themen rund um neue Technologien, Blockchain, Smart Contracts und Digitalisierung und publiziert hierzu regelmäßig.

Max Bernt © Max Bernt

Dr. Max Bernt ist Chief Legal Officer der Blockpit AG und war in dieser Funktion, sowie als Leiter der Working Group der International Association for Trusted Blockchain Applications (INATBA), auch aktiv in den politischen und rechtlichen Entstehungsprozess, sowohl der MiCA als auch der TFR, involviert. Max ist Vortragender zu rechtlichen Querschnittsmaterien im Kryptobereich, insbesondere im Zusammenhang mit straf- und steuerrechtlichen Fragen, und publiziert hierzu auch regelmäßig.

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Rituale, Rituale der Startup-Welt, Ritual, Howard, Factinsect, Hadia, Storebox, Instahelp, monkee, Dental Armor, Coinpanion
(c) Hello Again/zVg/Hadia/Die Abbilderei/Storebox/schon nice gmbh/Victor Malyshev - (o.v.l.) Franz Tretter von Hello Again, Romana Dorfer von Factinsect, Anna Lauda von Hadia, Bernadette Frech von Instahelp/ Johannes Braith von Storebox, Saad Wohlgennannt von Dental Armor und Martin Granig von monkee.

Dieser Artikel ist im brutkasten-Printmagazin von Dezember 2024 erschienen. Eine Download-Möglichkeit des gesamten Magazins findet sich am Ende dieses Artikels.


Ein Pythonkopf aus Stein ragt aus der Dunkelheit hervor. In Kreisen angeordnete, farbenfrohe Speerspitzen verzieren den kalten Höhlenboden; manche davon stammen aus Hunderte Kilometer entfernten Gegenden. Am Ende der Höhle erstreckt sich ein kleiner, versteckter Raum, der Platz für eine Person bietet; üblicherweise versteckt sich ein Schamane darin und spricht zu seinem Stamm, sodass es scheint, die steinerne Schlange selbst lasse donnernde Worte erklingen.

Diese Verehrung des majestätischen Reptils fand vor rund 70.000 Jahren in der Kalahari-Wüste am Fuße der Tsodilo Hills im heutigen Botswana statt. Dies hat im Jahr 2012 die Archäologin Sheila Coulson herausgearbeitet und, so heißt es, damit das älteste wissenschaftlich belegte Ritual der Welt entdeckt.

Seitdem haben sich Rituale in Gesellschaften im Großen und Kleinen gehalten und weiterentwickelt – von religiösen Gepflogenheiten über politisches Zeremoniell bis hin zu privaten, sich wiederholenden Gewohnheiten sind sie in tausendfacher Weise etabliert. Das Küssen des Balls im Sport, das Aufstehen mit dem „richtigen Fuß“, Salz über die Schulter werfen, auf Holz klopfen, Dinge nicht verschreien, Braut und Bräutigam nicht vor der Hochzeit sehen, zu bestimmten Jahreszeiten fasten, den Jahreswechsel laut feiern oder die zum Ritual gewordene Morgen-Rou­tine wiederholen.

Spiritualität und Ordnung

All dies lässt sich komprimiert und per Definition in zwei Bedeutungen unterteilen: in eine spirituelle Handlung und in ein „wiederholtes, immer gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung“. Exakt diese Ordnung (also die zweite Definition) ist es, die auch manchen Startup-Gründer:innen dabei hilft, den stressigen Joballtag zu bewältigen, Klarheit zu schaffen und Erfolge zu erreichen.

Sohlen und Poster

So zeigt sich etwa Johannes Braith vom österreichischen Scaleup Storebox als großer Anhänger davon, sich klare Ziele zu setzen und diese zu visualisieren.

„Dabei halte ich es für wichtig, einerseits eine große Vision zu definieren und diese in kleinere Meilensteine herunterzubrechen“, sagt er. „Diese verhältnismäßig kleinen Meilensteine sind leichter zu erreichen, greifbarer und man kann entsprechend auch früher Erfolge verbuchen. Das Wichtigste ist, konstant dranzubleiben. Erfolg ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“

Das Visualisieren definierter Ziele wurde bereits früh als Ritual bei Storebox eingeführt: Im Office des Logistikunternehmens prangen Vision und Werte als Poster an der Wand und OKRs (Objectives and Key Results) werden in Echtzeit mittels Soll/Ist-Vergleich auf Bildschirmen angezeigt.

Zudem gibt Braith noch eine weitere Besonderheit aus seiner Ritualwelt preis: „Habe ich ein Etappenziel für mich definiert, schreibe ich es mir auf die Sohlen meiner Schuhe“, sagt er. „Das hilft mir, mich daran zu erinnern, dass jeder kleine Schritt zählt.“

Der Knopf des Erfolgs

Franz Tretter, Gründer des Kundenbindungs-Startups Hello Again, nutzt Rituale dazu, um Ziele und Kultur in seinem Team zu verankern. Dazu gehört ein „Global Success Button“, der bei jedem neuen Kunden gedrückt wird, mit anschließender Feier im Büro. Mitarbeiter:innen, die remote arbeiten oder unterwegs sind, werden per Mail oder Smartphone ebenso informiert; „einfach, damit man Bescheid weiß“, sagt Tretter.

Auch etwas namens „Howard 1000“ gehört zum regelmäßigen Ritual des Linzer Teams dazu. Dabei handelt es sich um eine Wand bestehend aus 1.000 Kästchen mit einer besonderen Bedeutung. „Wir haben diese aufgebaut, als wir 120 Kunden hatten. Mit jedem Kunden, den wir gewonnen haben, haben wir ein Logo hinzugefügt und haben nun knapp 900 Kästchen voll“, erklärt Tretter.

Und zu guter Letzt sind bei Hello Again die „Compliment Cards“ ein weiteres internes Ritual: „Wertschätzung ist total wichtig bei uns“, erklärt Tretter. „Wir haben eigene Kärtchen beim Eingang, da schreibt man gelegentlich etwas Nettes drauf und legt es am Abend Kollegen auf den Tisch. Die freuen sich am nächsten Morgen.“

An diesen beiden Beispielen bemerkt man bereits eine kleine Gemeinsamkeit, die zwischen den Zeilen mitschwingt: Wiederkehrendes, etwas Konstantes ist nicht bloß eine Orientierungshilfe für Startup-Gründer:innen, sondern kann als einer von mehreren Bausteinen eines spezifischen Mindsets gesehen werden; eines Mindsets, das von einem ruhigen Leadership-Skill zeugt und deutlich zeigt, dass manchmal das wilde Gefüge in einem selbst sowie auch das Äußere, das sich unter Mitarbeitenden am Arbeitsplatz entwickelt, gepflegt werden muss.

Gemeinschaft fördern

Das weiß auch Anna Maria Lauda von Hadia, einem Wiener Verein, der weibliches Unternehmertum in Afghanistan fördert. Ihr hilft eine tägliche zehnminütige Meditation, den Tag entschleunigt, entspannt und fokussiert zu beginnen.

„Dadurch kann ich klarere Prioritäten setzen und produktiver arbeiten“, sagt sie. „Früher lag mein Schwerpunkt vor allem auf individuellen Praktiken wie dem Selbstmanagement und der strikten Zeitplanung durch To- do-Listen. Doch im Laufe meiner Reise als Gründerin habe ich erkannt, dass Flexibilität und der wertvolle Austausch mit dem Team genauso entscheidend sind. Heute schätze ich Rituale, die nicht nur den persönlichen Fokus stärken, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl fördern.“

Daher veranstaltet Lauda wiederkehrende Onlinemeetings mit ihren Weberinnen in Afghanistan. „Regelmäßige Check-ins mit den Frauen sind inspirierend und motivierend. Allzu leicht verliert man in der Hektik des Alltags den Bezug zu den Menschen, für die man arbeitet. Und diese Gespräche erinnern mich daran, was unser gemeinsames Ziel ist und wie viel wir schon erreicht haben“, sagt sie.

Saad Wohlgenannt, Gründer und CEO des Zahn-Startups Dental Armor und der Kryptobörse Coinpanion, hatte im Lauf der Zeit verschiedene Rituale, die er jedoch mittlerweile fast alle ab- gelegt hat; darunter eine wöchentliche „Rückschau“, um zu überlegen, was er besser machen könnte, oder Journaling (Anm.: Blick nach innen mit schriftlicher Aufzeichnung, was in einem vorgeht).

Heute plant er an jedem Geburtstag, was er im kommenden Jahr erreichen möchte. Meistens setzt sich der Founder dabei ein monetäres Ziel für sein Business sowie ein paar persönliche Ziele, wie etwa einen neuen Sport zu erlernen, ein Land zu bereisen oder ein bestimmtes Problem zu lösen.

„Die wichtigsten Rituale, die mir langfristig helfen, meine Ziele zu erreichen, haben meistens den Effekt, mich kurzfristig vom Arbeiten abzuhalten“, sagt er. „Zum Beispiel beginne ich meinen Tag mit ein paar Mobility-Übungen, Liegestützen, Klimmzügen und einer kalten Dusche – erst danach schaue ich in meine E-Mails und starte richtig durch. Ab 20.30 Uhr ist mein Handy auf ‚Nicht stören‘, und dann bin ich nur noch schwer erreichbar.“

Drei und nicht mehr

Romana Dorfer beschäftigt sich mit ihrem Startup Factinsect damit, die Fülle an Fake News im Netz aufzulösen und User:innen gesicherte Informationen zur Verfügung zu stellen. Sie selbst hat sich früher oft viele, unspezifische und große Ziele vorgenommen, die jedoch innerhalb eines Tages kaum zu erreichen waren. Dabei waren Fortschritte nur schwer messbar und am Ende des Tages wurde kein Ziel erledigt, wie sie gesteht. Dadurch ist oft das Gefühl entstanden, wenig erreicht zu haben.

Heute greift sie maximal auf drei Vorhaben pro Tag zurück. „Der Vorteil ist, dass ich fast immer alle Ziele für den Tag erreiche und dadurch meine Motivation steigt. Meistens arbeite ich dann noch an weiteren Themen“, sagt Dorfer.

Bei Martin Granig, Gründer der Spar-App monkee und Vater einer siebenjährigen Tochter, sehen die Morgen oftmals chaotisch aus. Um dem entgegenzuwirken, hat er eine Morgenroutine entwickelt: „Ich stehe meist 30 Minuten früher auf. Das gibt mir die Gelegenheit, mich in Ruhe im Bad fertig zu machen“, sagt er. „Während des Zähneputzens mache ich ein paar Übungen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen, bevor ich Frühstück für meine Tochter und Kaffee für meine Frau und mich zubereite. So habe ich noch ein paar ruhige Momente für mich, bevor der Trubel beginnt.“

Am Ende seines Arbeitstags führt der Gründer einen kurzen Check-in durch und klärt für sich, was er heute schaffen möchte, was er tatsächlich geschafft hat und was er noch anpassen muss.

„Das hilft mir, mein Time-Boxing im Kalender zu optimieren, gerade für die Aufgaben, die zwar wichtig sind, aber erst in der Zukunft anstehen“, erklärt er. „Ich habe gelernt, dass es notwendig ist, solche Dinge bewusst zu planen, bevor sie von den dringenden, aber weniger wichtigen Aufgaben verdrängt werden.“

Raus aus der Bubble

Für Granig gibt es zudem noch ein persönliches Highlight der Woche: Freitagabend-Basketball. „Das mag zwar kein typisches Gründer-Ritual sein, aber für mich ist es essenziell. Es hilft mir, Stress abzubauen, den Kopf frei zu bekommen und in einer entspannten Atmosphäre mit Freunden zu lachen. Danach starte ich erfrischt ins Wochenende – und am Montag wieder voller Energie in die neue Woche“, so der Tiroler, der früher oft von „dringenden Dingen“ stark getrieben war, die dazu führten, dass wichtige strategische Aufgaben oftmals zu kurz kamen.

„Man arbeitet in so einem Fall zu viel ‚in the business‘ statt ‚on the business‘“, sagt er. „Heute habe ich meine Timeboxing-Routine deutlich verbessert, damit genau diese wichtigen Dinge nicht untergehen. Früher musste ich auch keine Rücksicht auf Familie und Kind nehmen. Das hat sich natürlich geändert, und ich musste Wege finden, trotz all der Verantwortung auch noch Zeit für mich zu schaffen. Daher meine Morgenroutine und mein Freitagabend-Basketball. Dort geht es einfach nur ums Spielen und um entspannte Gespräche über deutlich unkompliziertere Dinge als Startups, Karriere oder Business. Das tut gut und gibt mir Energie.“

Ankerpunkte fürs Wesentliche

Ähnlich ergeht es Instahelp-Founderin Bernadette Frech. Für die Gründerin des Grazer Health-Startups sind Rituale bewusste Ankerpunkte, um den Fokus auf dem Wesentlichen zu halten – im Beruf wie im Privatleben.

„Eines der wichtigsten Rituale habe ich mit meinen Kindern: Jeden Morgen beginnen wir den Tag mit einer vollen Minute Umarmung, ohne Worte, nur Nähe. Das stärkt unsere Bindung und gibt uns einen liebevollen Start in den Tag“, sagt Frech. „Abends reflektieren wir gemeinsam: Beim Rückenkraulen sprechen wir über Belastendes, bei der kitzligen Fußmassage teilen wir schöne oder lustige Momente und bei der Kopfmassage besprechen wir, wofür wir dankbar sind und was uns gut gelungen ist.“

Ambition vs. Balance

Auch bei ihr haben sich Rituale über die Jahre verändert und sich immer wieder ihren Lebensumständen angepasst. Früher, als berufliche Ambitionen im Vordergrund standen, hatten Frechs Rituale viel mit persönlicher Effizienz und beruflicher Zielerreichung zu tun. Heute, als dreifache Mama und Unternehmerin, haben sich die Prioritäten verschoben.

„Es geht mir jetzt viel stärker darum, eine Balance zwischen Karriere und Familie zu finden, ohne den Fokus auf meine eigene mentale Gesundheit zu verlieren“, erklärt sie. Das Ritual mit ihren Kindern sei ein Beispiel dafür, wie sich Rituale an neue Lebensphasen anpassen.

„Früher hätte ich vielleicht nicht gedacht, dass eine Umarmung am Morgen oder ein Ritual vor dem Schlafengehen so kraftvoll sein könnten. Heute sind es genau diese Momente, die mich erden und mir und meinen Kindern Energie geben“, erzählt sie. „Was sich jedoch nie geändert hat, ist meine wöchentliche psychologische Beratung. Sie ist seit Jahren eine Konstante, die mich sowohl beruflich als auch persönlich auf Kurs hält, auch wenn sich die Themen im Laufe der Zeit wandeln.“

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