12.05.2023

Fliehen KI-Unternehmen wirklich aus Österreich?

Österreich ist im Bereich der Künstlichen Intelligenz keine Vorzeige-Nation. Aufgrund schlechter Rahmenbedingungen wandern Unternehmen ab - so schildern es KI-Expert:innen. Aber stimmt das?
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Leftshift-One-CEO Patrick Ratheiser und KI-Pionier Sepp Hochreiter. (C) LeftshiftOne,/ brutkasten
Leftshift-One-CEO Patrick Ratheiser und KI-Pionier Sepp Hochreiter. (C) LeftshiftOne,/ brutkasten

Seit mehreren Jahren äußern führende österreichische KI-Expert:innen scharfe Kritik an der österreichischen KI-Strategie. Sepp Hochreiter von der JKU Linz und Clemens Wasner von AI Austria werden nicht müde zu betonen, dass KI-Unternehmen aus Österreich aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen abwandern. brutkasten hat sich auf Spurensuche begeben.

Leftshift One hat in Österreich Wurzeln geschlagen

Im Jahr 2017 gegründet, ist das Grazer KI-Unternehmen Leftshift One auf den ersten Blick ein Argument gegen diese Erzählungen. “Natürlich überlegt man immer wieder, aber die Fördersituation in Österreich mit SFG, FFG und aws kann sich durchaus sehen lassen”, sagt CEO Patrick Ratheiser im brutkasten-Gespräch.

Das 25-köpfige Unternehmen wird auch in Zukunft trotz Expansionsplänen in Österreich bleiben. “Wir sind in der Steiermark verwurzelt und haben im Manufacturing-Bereich einen wichtigen Kund:innenstamm aufgebaut”, so Ratheiser.

Grundlagenforschung mangelhaft

Auch im Personalrecruting wäre der steirische Standort ein Segen. Neben der TU Graz, die eine der renommierten ELLIES-Units stellt, hätten auch die Fachhochschulen und anderen Universitäten mittlerweile gut aufgeholt.

Abseits der Erfolgsbilanz sieht Ratheiser einige Baustellen in Österreich: “Wasner und Hochreiter haben recht, wenn sie die KI-Situation hierzulande kritisieren”. Die fehlenden Investitionen in Grundlagenforschung und angewandter Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz würden demnach in Zukunft immer mehr zum Problem werden.

OCG-Präsident (Österreichische Computergesellschaft) Wilfried Seyruck und Wolfgang Pree, der Computer Science an der Universität Salzburg unterrichtet und auch im Vorstand der OCG sitzt, eine klare Meinung zum Status Quo der KI-Grundlagenforschung Österreichs: “Der Zug ist abgefahren”, sind sich beide einig.

Junge KI-Startups wandern ab

Auch bürokratische Hürden sind in Österreich ein Problem. “Bei einigen Förderungen muss man unzählige Paper einreichen, um eine Bewilligung zu erhalten – die AI-adoption und AI-start-Förderung sind hier positive Ausnahmen”, so Ratheiser.

Junge Startup-Gründer im AI-Bereich, wie beispielsweise Marius Constantin Dinu, sehen ihre Zukunft daher nicht in Österreich. Mit seinem Language-Modell-Startup will der PhD-Student von Sepp Hochreiter sein Glück im Ausland finden. Die Gründe dafür sind klar. “Neben der Bürokratie, sind die Datenmengen, mit denen man Modelle trainieren muss, in Österreich viel zu klein”, so Dinu.

Die Probleme liegen demnach auf der Hand und auch bereits abgewanderte Unternehmer äußern sich kritisch gegenüber den Standort Österreich. Einer, der mit seiner KI-Firma bereits auf den Sprung in die USA ist, spricht hinter vorgehaltener Hand mit brutkasten über diverse Fehlentwicklungen in Österreich. „Keine Frage, die Förderlandschaft mit aws und Co. ist hier ausgezeichnet – doch wenn man diese Ebene übersprungen hat, wird es rar“.

Bürokratie als Problem

In Österreich sei es für wachsende Unternehmen im KI-Bereich zunehmend schwierig Investments an Land zu ziehen. „Wenn man in Österreich fünf Expert:innen in der KI-Branche mit Ambitionen für Investments findet, ist das schon eine Leistung“, sagt der Unternehmer, der anonym bleiben wollte.

Hinzu komme, dass Investor:innen aus Österreich generell KI-Unternehmen konsequent zu gering einstufen würden. „Ich kenne unzählige Beispiele, in denen Gründer:innen nur die Hälfte oder gar ein Viertel jener Summe hier bekommen, die sie Übersee lukrieren“, sagt der KI-Startup-Unternehmer.

Für Österreich sprechen würden ohne Zweifel die guten Lebensbedingungen, die sich unter anderem in Wien bieten. Dabei müsse man jedoch auch festhalten, dass das Lohnniveau unterdurchschnittlich ist. Das Durchschnittsgehalt von Software Engineers liege hierzulande bei rund 40.000 Euro im Jahr, in den USA gebe es das Dreifache.

Eine langfristige Perspektive würde sich in Österreich und in Europa allgemein dadurch nicht ergeben. „Großes Wachstum ist aufgrund der Bürokratie und den Investments hier nahezu unmöglich“, sagt der Unternehmer, der nun sein Glück in Übersee sucht.

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Parlai
(c) Parlai - Die beiden CoFounder von Parlai Nina Authried und Juan Herrera.

Man kennt dieses spezielle FOMO. Streaks sorgen bei Sprachlern-Apps dafür, dass man sich jeden Tag zumindest ein paar Minuten Zeit nimmt, um noch die eine Lektion zu schaffen, die die Strähne der täglichen Übung noch am Leben hält. Die Gründer von Parlai, Nina Authried und Juan Herrera, nennen diese Art der Sprachaneignung jedoch passives Üben.

Parlai: Sprache ohne Praxis bleibt Challenge

“Diese Methode bringt selten echten Fortschritt, da das aktive Sprechen – der wichtigste Schlüssel zur Sprachbeherrschung – fehlt”, sagt Authried. “Ohne regelmäßige Praxis in echten Gesprächen bleibt der Weg zur fließenden Kommunikation eine Herausforderung. Zusätzlich sind fremdsprachige Gesprächspartner, die gezielt beim Lernen unterstützen, oft teuer oder schwer zugänglich.”

Dies stelle insbesondere Immigranten, die sich integrieren möchten, und Berufstätige, die ihre Karrierechancen durch bessere Englischkenntnisse verbessern wollen, vor große Hürden. Hier möchte das Startup ansetzen und eine flexible Lösung bieten, um Sprachbarrieren effektiv abzubauen.

Mit WhatsApp kombiniert

Authried erkannte die Bedeutung aktiver Sprachpraxis während ihres internationalen Betriebswirtschaftsstudiums und eines Austauschsemesters in Lyon. Dort lebte die 26-Jährige in einer französischen WG und studierte Finanzen und Ingenieurwesen auf Französisch. Ihre beruflichen Erfahrungen in ihrem Gap Year in Mailand und Athen verstärkten folglich ihre Leidenschaft für Sprachen und Kulturen.

Co-Founder Herrera zog aus Kolumbien nach Graz, wo er die Herausforderungen des Deutschlernens im steirischen Dialekt hautnah erlebte. Die hohen Kosten für Tutoren und die begrenzte Verfügbarkeit alternativer Lernmethoden inspirierten den 31-Jährigen, über technologische Lösungen nachzudenken. Die Idee, WhatsApp mit KI zu kombinieren, entstand aus dem Wunsch, Sprachpraxis jederzeit und für alle zugänglich zu machen.

Parlai: KI übt und gibt Feedback

Bei Parlai können User:innen über Texte oder Sprachnachrichten mit einer KI-basierten Sprachpartnerin üben, die Fehler korrigiert, Feedback gibt und individuell angepasste Inhalte bereitstellt. Seit dem Start im März 2024 haben sich über 2.000 Nutzer registriert.

Die Gründer:innen sehen bei Parlai den Vorteil der Flexibilität: “Keine zusätzlichen Apps, keine festen Zeiten – einfach WhatsApp öffnen und direkt üben. Parlai ist besonders für Sprachlernende interessant, die flüssiger sprechen möchten, und für Gruppen, die von Sprachkenntnissen abhängen, wie Immigranten oder Berufstätige”, heißt es laut Aussendung. Die KI geht individuell auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen ein und berücksichtigt das Sprachniveau und die Interessen. Künftig soll sie auch Sprachtelefonate unterstützen, um das Lernerlebnis noch realistischer zu machen.

Der Name selbst “Parlai” ist vielleicht manchen aus dem “Fluch der Karibik-Franchise” bekannt und stammt vom französischen Wort “parler” (sprechen). Für seine Idee erhielt das Startup eine AWS-Förderung in Höhe von 37.000 Euro.

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