26.12.2023

Künstliche Intelligenz im Jahr 2023: Mitten in einem epochalen Shift

Gastbeitrag. Clemens Wasner ist Mitgründer von AI Austria und CEO des Startups enliteAI. Für brutkasten blickt er auf die wichtigsten Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz im Jahr 2023 zurück.
/artikel/ki-jahr-2023
Schönherr Artificial Intelligence
Foto: Adobe Stock

AI goes mainstream

Vergangenes Jahr hatte ich an dieser Stelle 2022 als das Breakout Jahr für AI bezeichnet, da es mit Bildgenerierungstools und dem damals erst 1 Monate jungen ChatGPT erstmals KI-Produkte gab, die von Enduser*innen ohne jeglich Vorkenntnisse verwendet werden konnten.

Rückblickend betrachtet war diese Einschätzung zwar richtig, was gut fürs eigene Ego ist, aber bei weiterem zu kurz gegriffen. Mittlerweile kann man guten Gewissens sagen, dass wir uns mitten in einem epochalen Shift befinden, vergleichbar mit der Einführung von Computern oder der Erfindung des Automobils.

Fast täglich kündigen Unternehmen an generative künstliche Intelligenz (genAI) in ihre Produkte und Services zu integrieren, dieser Trend wird sich auch in 2024 noch fortsetzen.


AI goes business

© Clemens Wasner

Die rasante Verbreitung von genAI war dabei nicht auf Enduser*innen beschränkt, sondern hat sich quer durch alle Unternehmensfunktionen und Branchen gezogen. 

Beeindruckend daran war die Geschwindigkeit, mit der sich AI vom niederschwelligen Tool, das dabei helfen kann Maildrafts zu schreiben, über potentielles Datenleak bis hin zur lokal trainierten und ausgerollten Lösung entwickelt hat. Diesen Zyklus durchlaufen in ähnlicher Weise die meisten Technologien die in Unternehmen Einzug halten, selten passierte dies in solch komprimierter Form.

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig:

  • Consumerization of Technology: Wie bei Smartphones und SaaS fand auf User*innen Seite eine intensive Auseinandersetzung mit genAI statt. Daraus resultierte der Wunsch diese Tools im Arbeistalltag einzusetzen und führte zu einer Fülle von Ideen, wie diese im Unternehmen eingesetzt werden können.  
  • Erlebbarer Effekt: KI-Systeme in den 2010er Jahren waren ebenfalls performant, jedoch zumeist auf spezielle b2b Nischenanwendungen fokussiert, bei denen eine Überprüfung des Effektes erst viel später erfolgen konnte. Dem gegenüber kann man den Produktivitätszuwachs der neuen Generation von Tools unmittelbar spüren und auch messen
  • Open Source: Die Schlagzeilen mögen von openAI geprägt worden sein, die Story aus Business Sicht war das Aufkommen von Open-Source-Pendants zu GPT-4 und Dall-e3, welche über ähnliche Performance verfügen und autark auf eigener Hardware lauffähig und adaptierbar sind.

What is an AI startup?

Das Open-Source-Geschehen blieb im Startup-Bereich nicht unbemerkt und man konnte ab der zweiten Jahreshälfte beobachten, dass bestehende Techstacks durch Open-Source-LLMs ersetzt wurden – oder in manchen Fällen ein Pivot zum GenAI-Dienstleister stattfand.

Während KI-Startups in den letzten Jahren Founder:innen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich vorzuweisen hatten, zumeist auf PhD-Level, ähnelt die neue Generation von Founding Teams klassischen SaaS-Startups, wie wir sie aus den 2010er-Jahren kennen. 

Aus Sicht von Investoren und Fördereinrichtungen stellt dies ein interessantes Dilemma dar, da die typischen Förder- und Bewertungskriterien wie etwa ein technisches Alleinstellungsmerkmal (bzw. Technical Moat), sich in einer Open-Source-Welt nur schwer darstellen lassen. 


AI in Austria

In der AI Landscape Austria 2023 sind mittlerweile knapp 400 Unternehmen, Forschungsrichtungen und Universitäten vertreten, Tendenz stark steigend. 

Leider ist es nach wie vor nicht gelungen eine zukunftsgerichtete KI-Strategie zu entwickeln und diese mit entsprechenden Mitteln auszustatten. Trauriges Highlight war das Ignorieren eines hochkarätigen Konsortiums rund um die Johannes Kepler Universität Linz bei der Cluster-of-Excellence-Vergabe

Der jetzigen Bundesregierung fehlte es in Summe an Mut und Gestaltungswillen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Daran konnten auch engagierte Akteure wie Staatssekretär Tursky nur bedingt etwas ändern, da die großen Weichenstellungen ressortübergreifend getroffen werden müssen.

In diesem Kontext wird die “Zukunftsrede” des Kanzlers, in der von einem Autoland Österreich und eFuels die Rede ist, als kuriose Episode verfehlter Standortpolitik in Erinnerung bleiben.

Leider ist die allgemeine Apathie nicht auf die Bundesregierung beschränkt, sondern zieht sich durch einen Großteil des politischen Spektrums. Es würde mich nicht wundern, wenn dieses Vakuum in 2024 verstärkt von Interessenvertretungen und Gewerkschaften gefüllt wird, da sich Unternehmen und  Arbeitnehmer*innen keine weitere passive Bundesregierung leisten können.


Europe goes nowhere

Anfang Dezember hat es der European AI Act über die Ziellinie geschafft. Als Regelwerk schafft dieser vor allem für Unternehmen Rechtssicherheit, wenn es um die Entwicklung und Anwendung von KI-Lösungen geht. Angesichts von 150+ Millionen ChatGPT-User:innen wage ich die Behauptung, dass es seitens der Enduser*innen ohnehin keine Berührungsängste gibt.

Dennoch verliert Europa schneller denn je an Boden. So existiert nach wir vor kein Plan, wie man die Wettbewerbsfähigkeit erhalten will. 

Die Abwesenheit einer Sicherheits- und Verteidungungspolitik äußert sich nicht in der Hilflosigkeit bei jeder internationalen Krise und stellt gleichzeitig einen immensen Wettbewerbsnachteil für Techologieunternehmen dar, die in anderen Regionen auf direktes Funding aus dem Defense Bereich zurückgreifen können, oder diesen als ersten Kunden gewinnen können.

Rund um das Thema Migration wird seit Jahren Scheindebatte rund um illegale Migration geführt ohne das eigentliche Problem anzusprechen: Talentemangel, Braindrain und alternde Gesellschaften. Europa ist Schlusslicht wenn es um skilled Migration geht, was ein selbstverschuldetes Problem ist. 

Angesichts dieser Ausgangslage stellt sich die Frage, ob die 20er-Jahre dieses Jahrhunderts als jene Periode in die Geschichte eingehen werden, in der die Weichen für ein nachhaltiges Abrutschen gestellt wurden. Die USA und China werden gerne als Beispiele genannt und die Frage gestellt, ob “wir diese noch einholen“ könne. Tatsächlich lautet die Frage mittlerweile aber, wie sich Europa mit einem Abrutschen hinter Indien in den 2030ern arrangieren wird.

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Tractive
(c) Tractive - (v.l.) Wolfgang Reisinger, COO/CFO bei Tractive und Founder Michael Hurnaus.

Was im Mai 2024 – siehe hier – angekündigt wurde, ist nun wahr geworden. Damals hatte Tractive CEO Michael Hurnaus gesagt, man bewege sich noch heuer auf über 100 Millionen Euro ARR (Annual Recurring Revenue – eine wichtige Kennzahl für Startups mit Abo-Modellen) zu. Nun ist dieser Milestone geschafft.

Tractive erreicht Ziel, das nur wenigen Abonnementunternehmen gelingt

Wie der Gründer auf Linkedin beschreibt, haben er und sein Team nach zwölf Jahren harter Arbeit, Hingabe und der Verbesserung des Lebens von Millionen von Haustiereltern ein lang angestrebtes Ziel erreicht: “100 Mio. € ARR bei Tractive – etwas, das nur sehr wenige Abonnementunternehmen jemals erreichen”.

Er sagt: “Wir sind besonders stolz darauf, dass wir dieses Niveau erreicht haben, während wir Hunde- und Katzenbesitzern helfen, indem wir Produkte entwickeln, die das Leben unserer Kunden wirklich zum Besseren verändern – und das mit viel Spaß.”

Das Abo-Modell

Damit Abo-Modelle wie jene von Tractive funktionieren, müsse man, laut Hurnaus Worten aus dem Spätfrühling, “dem Kunden zuerst erklären, dass es Sinn macht, ein Abo abzuschließen, und dass das nicht reine Abzocke ist”. Nach Erfahrungswerten bot das Scaleup schließlich ein Monats-, Jahres- und Zweijahres-Abo an – jeweils in einer Basic- und Premium-Variante.

Damit, so hieß es damals, gewinne man deutlich mehr Nutzer:innen für das Jahresabo – konkret um 20 Prozent mehr. Schließlich falle der Monatspreis mit der Abo-Dauer. Bezahlt wir das Abo im Voraus.

“Unser ständiges Bemühen, Produkte zu entwickeln, die in ihrer Kategorie führend sind, zahlt sich aus”, so Hurnaus auf Linkedin weiter. “Wir haben das Unternehmen fast aus dem Nichts aufgebaut und benötigten im Laufe der Jahre nur sehr wenige Finanzmittel.”

Tractive: USA als Erfolgstreiber – das Valley aber nicht als Vorbild

Das Tractive-Team hat während seiner gesamten Reise jeden einzelnen Euro in die Verbesserung ihrer Produkte, in die Einstellung von Mitarbeiter:innen aus der ganzen Welt und in den Aufbau der Unternehmenskultur investiert.

“Unser Team besteht aus rund 270 talentierten Mitarbeiter:innen und wir wachsen weiter. Wir sind auch weiterhin auf der Suche nach den besten Talenten und werden noch selektiver vorgehen, um nur die außergewöhnlichsten Mitarbeiter einzustellen, die wir finden können”, so Hurnaus weiter.

Seit knapp dreieinhalb Jahren ist das Pet-Tech auch in den USA vertreten. Im Vorjahr konnten die Staaten sogar Deutschland bei der Anzahl der Tractive-Kunden überholen. Hurnaus dazu: “Die USA sind nach wie vor unser am schnellsten wachsender Markt, und wir werden dieses Wachstum weiter vorantreiben.”

Nach zwölf Jahren erwartet Tractive, dass sich diese Dynamik fortsetzt, und prognostiziert ein Wachstum von rund 40 Prozent im Jahr 2025. “Ein gesundes Wachstum, das heißt: nachhaltig, ohne Massenkündigungen oder übermäßige ineffiziente Marketingausgaben”, erklärt Hurnaus abschließend. “Das ist der österreichische Weg, im Gegensatz zum Silicon-Valley-Ansatz (der für viele Unternehmen funktioniert, aber nicht unser Stil ist)”.

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