29.08.2019

Insolvenz: Was passiert, wenn man Gehälter nicht mehr zahlen kann?

Sobald ein Unternehmer seine finanziellen Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen kann und eine Insolvenz droht, setzt sich ein komplexer Prozess in Gange, der verschiedene Ausgänge für das Unternehmen zur Folge haben kann. Im Gespräch mit dem brutkasten erklären Prokurist Maximilan Fürst und Anwältin Eva Riess die Eigenheiten der Rettungsinstrumente Insolvenzantrag und Sanierungsplan.
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Es ist der Alptraum jedes Unternehmers: Man kann finanzielle Verbindlichkeiten wie Gehälter nicht mehr bezahlen. Das Ende der Firma und deren Veräußerung (Verwertung) schweben wie ein Damokles-Schwert über dem Kopf. Situativ gibt es verschiedene Szenarien, die auf Zahlungsschwierigkeiten folgen können: Entweder zeigen sich Gläubiger, also auch Mitarbeiter, oder Vertragspartner geduldig und geben dem Gründer Zeit, sich aus der schwierigen Lage zu befreien. Oder sie schalten das zuständige Gericht beziehungsweise im Fall von Angestellten die Arbeiterkammer ein. Sollte dies der Fall sein und es kommt zu einer Insolvenz, muss das dennoch nicht das Ende des Unternehmens bedeuten. Ein Insolvenzantrag löst eine Reihe von Schritten aus und kann das Unternehmen auch retten.

⇒ Teil 2: Was können Mitarbeiter tun, wenn Gehälter ausbleiben?

Insolvenz auf Antrag eines Schuldners oder Gläubigers

Zur Definition: Insolvenz bedeutet Zahlungsunfähigkeit. Kann sich ein Arbeitgeber infolge von Schwierigkeiten etwa Zahlungen von Gehältern, Löhnen und anderen Verbindlichkeiten nicht mehr leisten, besteht die Möglichkeit eines Insolvenzverfahrens beim zuständigen Gericht (Landes-/ in Wien: Handelsgericht). Die Eröffnung eines solchen Verfahrens geschieht auf Antrag eines zahlungsunfähigen Schuldners (Arbeitgeber) oder eines Gläubigers (meist Arbeitnehmer), sofern das Vermögen des Schuldners die Verfahrenskosten von 4000 Euro deckt. Kann jener diese finanzielle Hürde nicht stemmen, so wird das Verfahren abgelehnt. Im diesem Fall schaltet sich die Staatsanwaltschaft ein und prüft, ob gegen Vorschriften des GmbHG – Insolvenzverschleppung/Krida oder Bankrott – verstoßen wurde. Es drohen Haftstrafen.

Bei bilanzieller Überschuldung herrscht Insolvenzantragspflicht

Doch ab wann ist man insolvent und dazu verpflichtet sich sich zu melden? “Grundsätzlich ist mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise bei Kapitalgesellschaften bereits mit Eintritt der bilanziellen Überschuldung die Insolvenzantragspflicht gegeben. Innerhalb von 60 Tagen nach Eintritt dieses Ereignisses muss der Insolvenzantrag eingebracht werden”, erklärt Maximilan Fürst, Prokurist beim Insolvenz Entgelt Fonds (IEF).

+++ 4 Tipps: Wie man eine drohende Zahlungsunfähigkeit abwenden kann+++

Verspätete Zahlung ist noch keine Insolvenz

Nach der Rechtssprechung des OGH gilt in Sachen Fristen folgende Definition: Wenn er heute feststellt, dass er eine Verbindlichkeit nicht fristgerecht zur vereinbarten Fälligkeit bezahlen kann, muss sich der Unternehmer ansehen, ob in den nächsten drei Monaten so viele liquide Mittel hereinkommen, dass er alle Verbindlichkeiten (inklusiver derer, in die in dieser Zeit noch auflaufen) bezahlen kann. Wenn diese Analyse eine Deckung unter 95 Prozent ergibt, liegt Zahlungsunfähigkeit vor.

“Die verspätete Zahlung an sich ist keine Insolvenz. Bei Arbeitnehmern ist zu beachten, dass die Nichtzahlung von Gehalt diese zum Austritt aus dem Dienstverhältnis berechtigt, also ein Verlust von Know-How drohen kann. Bei Lieferanten sollte man verspätete Zahlungen jedenfalls im Sinne einer partnerschaftlichen Beziehung rechtzeitig kommunizieren, also bevor man eine Mahnung erhält”, so Fürst weiter.

Drei Wege zur Sanierung

Ist es jedoch soweit und man kann Zahlungen nicht bewältigen, gibt es für Unternehmer unterschiedliche Möglichkeiten, den Betrieb zu retten, mit denen man immer bei einem Begriff landet: Sanierung. Dabei gibt es Unterschiede.

1. Außergerichtliche Sanierung

Eine übliche Art der Sanierung ist die “außergerichtliche” mit einem “Schuldenschnitt”. Rechtlich gesehen handelt es sich dabei um einen Vergleich. Sie ist in jeder Phase der Krise anwendbar (sogar noch in der 60-Tages-Frist nach Eintritt der materiellen Insolvenz) und wird in der Regel mit fachkundiger Begleitung betrieben.

Hierbei müssen alle Gläubiger der außergerichtlichen Sanierung zustimmen (außer denjenigen, die voll befriedigt waren), jedoch gilt: Alle Gläubiger müssen den gleichen Informationsstand haben, sonst droht die Möglichkeit einer Irrtumsanfechtung.

Voraussetzungen für eine außergerichtliche Sanierung sind eine überschaubare Zahl der Gläubiger (maximal 50), eine passende Gläubigerstruktur, vergleichsweise geringe Außenstände bei der Finanz und bei der Sozialversicherung und eine verlässliche Buchhaltung. Das “Übersehen” einzelner Gläubiger kann straf- und zivilrechtliche Konsequenzen haben.

Weitere Punkte, die einer außergerichtlichen Sanierung zugute laufen, sind das Interesse der Gläubiger und Stakeholder am Fortbetrieb des Unternehmens, ein positiver Cashflow und ein realisierbares Sanierungskonzept.

2. Gerichtliches Sanierungsverfahren

Wird wiederum ein Antrag auf Durchführung eines “gerichtlichen Sanierungsverfahrens” gestellt, muss das Gericht innerhalb von 60 bis 90 Tagen eine Abstimmung über den – mit dem Antrag vorgelegten – Sanierungsplan (vom Schuldner eingebracht) ansetzen. Wird dieser Antrag von den Gläubigern mit jeweils 50-prozentiger Mehrheit angenommen, erfolgt eine rechtskräftige Bestätigung durch das Gericht nach Bezahlung etwaiger Masseforderungen und der Verfahrenskosten. Den Gläubigern muss eine Quote von zumindest 20 Prozent zahlbar innerhalb von zwei Jahren angeboten werden.

“Am Sanierungsplan nehmen auch Forderungen teil, die nicht in der Insolvenz angemeldet wurden. Die gesetzliche Mindestquote beträgt jene 20 Prozent, jedoch wird ein Insolvenzverwalter prüfen, ob das angemessen ist. Das heißt, ob die Quote über einem möglichen Erlös bei Abwicklung und Verwertung des Unternehmens liegt”, erklärt Fürst.

+++ Wenn die Bank plötzlich alles fällig stellt +++

3. Sanierung nach Konkursverfahren

Bei einem Konkursverfahren, das grundsätzlich in eine Verwertung des Unternehmens beziehungsweise seines Vermögens mündet, setzt das Gericht binnen maximal 90 Tagen eine Berichtstagsatzung an, in der der Insolvenzverwalter darüber zu berichten hat, ob die Voraussetzungen für eine sofortige Schließung des Unternehmens oder für eine Fortführung gegeben sind.

Falls für diese Zeit der Fortbestand des Unternehmens, etwa durch eine Kaution, sichergestellt ist, wird es bis dahin nicht veräußert. Dann kann ein Sanierungsplan-Antrag innerhalb von 14 Tagen eingebracht werden – auch hier gilt dann die Verwertungssperre. Wird der Sanierungsplan vorgelegt, kommt es innerhalb von sechs Wochen zur Abstimmung über eine Annahme.

Sanierungsverfahren: “Tolles Instrument”

Anwältin Eva Riess nennt das Sanierungsverfahren ein “tolles Instrument”, um ein Unternehmen, das in eine Schieflage geraten ist, zu retten. Damit es zu einer derartigen Rettung kommt, müssen zusammengefasst folgende Punkte geklärt sein:

  • Der Sanierungsplan muss schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgelegt werden.
  • Zudem muss der Unternehmer nachweisen, dass mindestens 20 Prozent der Schulden innerhalb von zwei Jahren bezahlt werden können.
  • Am Ende müssen die Gläubiger innerhalb von 90 Tagen dem Sanierungsplan zustimmen.

+++ 10 Rechtstipps für Startups: Die wichtigsten Gesetze und Regelungen +++

Nur Zahlungen für Geschäftsbetrieb zulässig

Besonders für Gründer sei bei Insolvenz-Fragen auch die zivilrechtliche Komponente von enormer Bedeutung, wie Fürst einbringt. Laut dem GmbHG und dem AktG dürfen nach Eintritt der materiellen Insolvenz keine Zahlungen vom Geschäftsführer auf Altverbindlichkeiten mehr geleistet werden. Das gilt als “massenschmälernde” Handlung. Erlaubt ist nur, was zur Aufrechthaltung des Geschäftsbetriebes unbedingt nötig ist (Löhne samt Sozialversicherungsbeiträge, Zug-um-Zug-Geschäfte, Energie), sowie fiktive Kosten der Verwaltung der Masse.

Bis zu zehn Jahre Haft möglich

Weiters gilt laut Gesetz: Wer einen Bestandteil seines Vermögens verheimlicht, veräußert, eine nicht bestehende Verbindlichkeit vortäuscht, sonst sein Vermögen wirklich oder zum Schein verringert und dadurch die “Befriedigung seiner Gläubiger” vereitelt oder schmälert, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Übersteigt der Schaden 300.000 Euro, drohen Freiheitsstrafen von einem bis zu zehn Jahren. Auch wer nach Eintritt seiner Zahlungsunfähigkeit einen Gläubiger begünstigt und dadurch andere benachteiligt, muss mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren rechnen.


⇒ IEF

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Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith | Foto: brutkasten

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach.

Storebox-Co-Founder und -CEO Johannes Braith sieht im brutkasten-Interview auch Chancen, die die Krise biete, formuliert aber konkrete Maßnahmen, die dazu nun auf politischer Seite ergriffen werden müssten.


brutkasten: Düstere Prognosen und drastische Appelle stehen aktuell in der Wirtschaftsberichterstattung an der Tagesordnung. Wie beurteilst Du die Situation? Ist sie wirklich so dramatisch?

Johannes Braith: Ich beobachte die Großwetterlage natürlich laufend. Allerdings halte ich es für gut, wenn man sich in seinen daily Operations als Founder nicht zwangsläufig beunruhigen lässt. Gerade Startups sind es gewohnt Krisen zu managen bzw. mit ihnen umzugehen. In manchen Fällen kann dadurch sogar etwas Positives entstehen. Denn Krisen erzwingen oft Veränderungen, welche wiederum oft Chancen beinhalten.

Aber natürlich finde ich es beunruhigend, dass wir, was unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa angeht, so dramatisch den Anschluss verlieren. Ich hoffe, dass der steigende Schmerz dazu führt Regulierungen abzubauen und ein neues Selbstverständnis hinsichtlich Wirtschaft, Startups und Technologie einkehrt.

Welche gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen sollten in Österreich möglichst schnell umgesetzt werden? Was muss unbedingt ins Regierungsprogramm?

Das Thema ist leider ziemlich mühsam, da sehr, sehr gute Vorschläge seit langer Zeit am Tisch liegen, die allerdings nicht umgesetzt wurden. Ein wichtiger Punkt ist es bestimmt, Risikokapitalgeber zu incentivieren – Stichwort Beteiligungsfreibetrag.

Noch wichtiger wäre es allerdings die Steuern auf Arbeit deutlich zu reduzieren. Wir sind in einer Zeit, in der wir die Extrameile gehen müssen. Das sollte auch belohnt werden. Man könnte z.B. Überstunden steuerlich freistellen, Pensionisten incentivieren, wenn sie in der Rente arbeiten möchten – eventuell gänzlich steuerfrei, oder man kann über Modelle nachdenken, mit denen man Vollzeitarbeit nicht nur ermöglicht (Kinderbetreuung) sondern eventuell auch belohnt.

Generell stelle ich mir die Frage, wie Menschen den Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit wieder zurückerlangen können. In vielen Gesprächen und Beobachtungen sehe ich, dass die Leistungebereitschaft extrem abgenommen hat. Ob das immer durch politische Maßnahmen geheilt werden kann, bezweifle ich. Ich halte viel von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Und was sollte die neue EU-Kommission unbedingt sofort angehen?

Regulierung massiv abbauen. Ich bin mit Storebox mittlerweile in sechs Ländern und mehr als 200 Städten operativ tätig. Es kann ja nicht sein, dass wir gefühlt hunderte unterschiedliche Regulierungen vorfinden, die das Prosperieren von Unternhemen extrem erschweren.

Was wären konkret für euch als Scaleup die wichtigsten Schritte auf nationaler und EU-Ebene?

Die Lohnkosten senken, Regulierungen massiv reduzieren und die Zuwanderung hochqualifizierter Personen massiv erleichtern.

Was bräuchte es, damit die Wiener Börse bzw. zumindest eine europäische Börse für einen IPO eines Scaleups wie Storebox attraktiv ist?

Große Anschlussfinanzierungen müssen in Europa mit europäischem Kapital getätigt werden, um ab einer gewissen Stage als logischen Schritt einen IPO auch in einem europäischen Heimatmarkt zu forcieren.

Aktuell wird nicht nur im Zusammenhang mit Börsengängen die Standortattraktivität stark diskutiert. War Abwanderung aus Europa für euch jemals ein Thema?

Aktuell noch nicht. Ich lebe sehr gerne in Österreich und sehe nicht alles nur negativ. Wir leben in einem tollen Land mit vielen Möglichkeiten, toller Infrastruktur und einigermaßen stabilen Verhältnissen. Die Verwaltung dieses Zustands wird allerdings nicht ausreichen. Es muss gestaltet werden, um den Standort attraktiv zu halten.

Bitte eine Prognose: Abhängig von den Entscheidungen, die in nächster Zeit getroffen werden – was ist das Worst- und was das Best-Case-Szenario für Europa?

Das Worst-Case-Szenario: Die EU zerfällt in unterschiedliche Lager, weil es nicht möglich war, Interessen zu alignen und die großen Hebel zu betätigen. Geopolitisch wäre das eine absolute Katastrophe!

Das Best-Case-Szenario: Die Wettbewerbsfähigkeit wird durch radikale Maßnahmen wieder hergestellt. Die Menschen spüren eine deutliche Entlastung, haben Perspektiven und glauben an eine bessere Zukunft. Europa wächst weiter zusammen und bleibt ein starker und wichtiger globaler Player.

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