23.03.2016

Innovatives Betriebssystem: Holacracy beschleunigt Entscheidungsprozesse

Holacracy ist ein innovatives „Betriebssystem“ für Unternehmen und soll Entscheidungsprozesse beschleunigen. Das österreichische Startup dwarfs and Giants hat die Organisationsform von Anfang an verinnerlicht und berät andere Unternehmen bei der Umsetzung. Mitgründer Gerald Mitterer hat mit dem Brutkasten über die zunehmende Beliebtheit von Holacracy und den Erfolg des Unternehmens gesprochen.
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Bei Holacracy stehen Rollen und nicht Personen im Vordergrund - Konstantin Yuganov Fotolia.com

Den ersten Kontaktpunkt mit Holacracy hatte Gerald Mitterer vor vier Jahren bei seinem früheren Arbeitgeber, der Beratergruppe Neuwaldegg. “Wir haben Holacracy relativ rasch als Möglichkeit für das Unternehmen identifiziert”, sagt Mitterer zum Brutkasten. Vereinfacht gesagt ist Holacracy eine neue Art der Unternehmensorganisation, die auf klassische Hierarchien verzichtet und Macht sowie Verantwortung auf alle Mitarbeiter verteilt – Rollen, nicht Personen, stehen im Mittelpunkt. “Die Umstellung war eine schwierige Phase, es ist uns aber im Endeffekt gut gelungen”, so der Unternehmer.

+++ Mehr zum Thema: Konzerne wagen sich an Holacracy heran +++

Holacracy ist nur ein Betriebssystem

Nach der Umsetzung stand für Mitterer eines fest: Das Konzept hat noch viel größeres Potenzial, für Startups ebenso wie für größere Organisationen. Also gründete er gemeinsam mit Sascha Bernardis, Gerhard Hochreiter und Matthias Lang das Beratungsunternehmen dwarfs and Giants. Mittlerweile habe man 10 Mitarbeiter und sei stark gewachsen, so Mitterer. “Wir sind von Beginn an mit Holacracy als Organisationsform gestartet und merken bei uns selbst, wie stark das Konzept ist”.

Die Strukturen seien extrem eigenverantwortlich organisiert und auf rasche Entscheidungsfindung optimiert. Das sei gerade in einer der „Pionier-Krisen“ sehr hilfreich, wenn Startups in der Frühphase mit vielen Entscheidungen auf einmal konfrontiert – und oftmals überfordert – werden. “Holacracy ist nur ein Betriebssystem, das die Organisation radikal in den Mittelpunkt stellt und sich nicht um Persönlichkeiten kümmert. Es ist ein Befreiungsschlag”, sagt Mitterer.

Die größte Schwierigkeit bei Holacracy ist laut dem Berater das Umlernen – wie “von Fußball auf Eishockey”. Interaktion findet nicht mehr zwischen Personen, sondern ausschließlich zwischen Rollen statt. Das zu lernen sei sehr herausfordernd. Die Hürde dabei: Räume finden, in denen Mitarbeiter weiterhin persönliche Beziehungen pflegen können. “Am Beginn ist dieser Prozess extrem ungewöhnlich”, so Mitterer.

+++ Auch interessant: Was Startups von Organisations-Profis lernen können +++

Holacracy bereits auch in Corporates

Trotzdem zeigen auch große Unternehmen zunehmend Interesse an dem System der “Selbst-Organisation”, das von dem Entrepreneur und Softwareentwickler Brian Robertson in den USA entwickelt wurde und auf einer eigenen Verfassung mit fünf Artikeln basiert.”Wir bekommen wöchentlich neue Anfragen von großen Firmen und führen momentan vier Pilotprojekte mit Holacracy durch”, sagt der Mitgründer von dwarfs & Giants. Es handle sich um Unternehmen mit mehr als 1500 Mitarbeitern, vor allem aus der DACH-Region, die Holacracy in einzelnen Abteilungen testen wollen. Es gebe aber auch Anfragen aus Italien und den Niederlanden. Einzelne Unternehmen seien auch dabei gescheitert, in einem ersten Anlauf Holacracy auf eigene Faust einzuführen, und würden sich nun an die im Wiener Impact Hub beheimateten Berater wenden.

Die größte Herausforderung für dwarfs & Giants sei es, “ohne Qualitätsverlust wachsen zu können”. Es gehe darum, Holacracy nicht als vorübergehenden Boom, sondern vielmehr als ein nachhaltig erfolgreiches Konzept zu betrachten. “Wir wollen uns mit Augenmaß weiterentwickeln”, sagt Mitterer.

+++ Zum Weiterlesen: Holacracy – “Das wird das Ende für Rocket Internet sein” +++

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Nachlese. Wo steht die österreichische Wirtschaft bei künstlicher Intelligenz zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT? Dies diskutieren Doris Lippert von Microsoft und Thomas Steirer von Nagarro in der ersten Folge der neuen brutkasten-Serie "No Hype KI".
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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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