03.05.2021

Apple hui, Impfpass pfui?

In seiner aktuellen Kolumne beschäftigt sich Mic Hirschbrich mit der Datenschutz-Diskussion rund um den "grünen Pass".
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Mic Hirschbrich: Grüner Pass: Übertriebene Datenschutz-Diskussion um den EU-Impfpass
brutkasten-Kolumnist Mic Hirschbrich | Hintergrund: (c) Adobe Stock / rarrarorro

Sie haben es vielleicht mitbekommen, der neue grüne Impfpass der EU wird medial heftig diskutiert. Auch wegen der “offensichtlichen Datenschutz-Probleme”, heißt es.

“Wer hat Interesse an unseren Daten? Wer profitiert vom Datenberg? Und droht die totale Kontrolle? Ist der Datenschutz in Gefahr?”, fragte sich dazu eine Runde auf ServusTV. Und auch auf etlichen anderen Sendern in Österreich und Deutschland diskutierten Politiker, Journalisten und Datenschutzexperten über Chancen und Risiken des Impfpasses.

Grüner Pass: Wird der Impfpass besser angenommen als die Stopp-Corona-App?

Wir wissen, dass die Mehrheit der europäischen Bevölkerung die Tracing-App (bei uns bekannt als “Stopp-Corona”) ablehnte, weil sie Sicherheitsbedenken hatte. Die höchste Durchdringung schaffte Island mit rund 40 Prozent der Bevölkerung, welche die App nutzen. In Österreich dürften Schätzungen zufolge bis heute etwa 1,4 Millionen Menschen die App installiert haben. Das wären aber nur 16 Prozent der Bevölkerung. Um einen echten Nutzen zu stiften, müsste sie von 60 bis 75 Prozent verwendet werden. Ein harmloser “Bluetooth-Sniffer”-Test, der die Signal-ID von eingeschalteten Corona-Apps aufspüren kann, hat gezeigt, dass die App meist entweder wieder gelöscht oder deaktiviert wurde. Denn an allen getesteten und belebten Orten wurden so gut wie gar keine Signale gefunden.

Chancen für Impfpass-Akzeptanz hoch

Die Chance, dass der digitale Impfpass besser angenommen wird, ist dennoch intakt. Denn zwar misstrauen die Menschen offensichtlich staatlichen Technologien hier im Land mehr als etwa privaten aus den USA, doch der grüne Pass hat gleich zwei wesentliche Vorteile: 1. Anders als die Stopp-Corona App, hat er eine grundsätzlich positive Nutzenstiftung und gibt dem Nutzer heiß ersehnte Freiheitsrechte. 2. Man wird den Impfpass nur gezielt einsetzen, etwa beim Einchecken, Eintreten oder Überschreiten einer Grenze und sie nicht dauernd in Betrieb haben.

Übertriebene Datenschutz-Diskussion als üblicher Hemmschuh

Verfolgt man die Diskussionen zu den beiden Pandemie-Apps, fallen zwei Dinge auf:

  1. Es scheint neben den jeweilig angebotenen und eher minimalistischen Funktionen der Apps wieder das Angstthema Datenschutz zu dominieren.
  2. Während wir uns etwa in medizinischen Fragen zur Pandemie selbstverständlich von Fach-Experten alles mehrfach detailliert erklären lassen, lässt man die Menschen bei Technologie-Fragen völlig auf sich allein gestellt. Und das, obwohl so viel Aufklärung nötig wäre. Gleichzeitig werden Tech-Dystopien und Ängste befeuert.

Absolute Sicherheit ist eine Selbstverständlichkeit – auch beim EU-Impfpass

Dass auch eine (offizielle) App absolut sicher sein muss, ist eine Selbstverständlichkeit. Das sollte nicht bei jedem Thema alarmistisch breitgetreten und damit die Menschen immer wieder neu verunsichert werden. Digitale Sicherheit ist ein komplexes Thema, um das sich sehr gut ausgebildete und erfahrene Experten kümmern. Weshalb belasten wir die Einführung so gut wie einer jeden (heimischen) Innovation mit dieser überzogenen Datenschutz-Debatte? Ist das schon so etwas wie ein gewohnter Reflex? Jemand sagt “heimische App für…” und schon schreit eine darauf konditionierte Gruppe laut “Datenschutz in Gefahr!”?

Die Grüner Pass-App dürfte relativ trivial gebaut werden. Sie wird eine ID des Nutzers verwalten und vermutlich drei Status kennen, die z.B. in einem fälschungssicheren QR-Code eingebettet sein werden: Ist man geimpft, genesen und/oder getestet. Sie verzeihen, aber das ist nun wirklich nicht Rocket Science.

Von der Daten-Pfütze ins Daten-Meer

Apropos, haben Sie schon von denen neuen Apple AirTags gehört? Nein? Tolle Sache. Sie werden nie wieder ihre Autoschlüssel verlegen oder Ihren Hund verlieren!

Die kleinen Teile können Sie an all jenen Dingen befestigen, die Sie sonst gerne mal verloren hatten. Ihr iPhone kann sie mittels Bluetooth aufspüren, selbst wenn sie bis zu 100 Meter weg sind. Beziwhungsweise… egal wie weit sie weg sind. Genial: z.B. Ihr poppig-roter Autoschlüssel-Tag kann auch 250 Kilometer entfernt gefunden werden oder meinetwegen “around the globe”, weil das Bluetooth-Signal nämlich auch alle anderen iPhones der Welt nutzen können wird, die das erlauben. Jaja, diese “Apple-Familien-Vernetzung” ist natürlich sicher, weil verschlüsselt.

Und ja, das ist eigentlich dieselbe Technologie, welche auch die Stopp-Corona-App nutzt(e), nur ausgelegt auf etwa einen 20 Meter Radius und darauf ausgelegt, Menschenleben zu retten.

Sarkasmus beiseite, wir müssen diesen Schritt jetzt gemeinsam meistern. Wir müssen als Gesellschaft endlich lernen, Hochtechnologie im Sinne unserer Bürger*innen einzusetzen. Es nicht zu tun, ist eine ethische Bankrotterklärung.

Sie lassen, so Sie welche besitzen, Ihren Samsung-Fernseher oder Ihre Alexa mithören, was sie zuhause sprechen, nur damit auch ihre Befehle vom Gerät verstanden werden. Ihr Amazon-Konto weiß vermutlich mehr über Sie, als alle österreichischen Ämter zusammengenommen und höchstwahrscheinlich vertrauen Sie Google und Apple sowie gängigen sozialen Netzwerken Ihre sensibelsten Daten an. Vermutlich vertrauen Sie Ihnen auch zurecht Ihre Daten an, weil Sie über einen langen Zeitraum hinweg nie enttäuscht wurden.

Vielleicht bin ich ja zu naiv mir vorzustellen, welcher enorme Schaden mit einem digitalen Impfpass verursacht werden kann. Aber ich bin erfahren genug, um zu wissen, dass so eine Anwendung keine ungewöhnlich hohen Anforderungen hat.

Daten-Ökonomie zum Nutzen aller

Wir haben 2021 und digitale Technologie kann enorm Gutes für uns tun, auch für uns als Gesellschaft. Wenn wir also das nächste Mal unser ganzes Adressbuch auf Clubhouse laden, unsere intimen Bilder mit iphoto und unsere Verträge mit Dropbox synchronisieren, all unsere Wege mit Maps planen und unsere politischen Meinungen mehr als freizügig auf Twitter teilen, wenn wir alles online eingekauft, bezahlt und privat wie beruflich dokumentiert sowie schon bald alle liebgewonnen Dinge mit ortungsbaren Bluetooth-Tags versehen haben werden, – dann denken wir doch bitte auch einmal an die Einsatzmöglichkeiten solcher Technologien für unsere Gesundheit, unseren Wohlstand, unsere Demokratie und Sicherheit. Denn wenn wir all das selbstverständlich und freiwillig mit ausländischen Unternehmen und für private Interessen schaffen, dann doch bitte auch im Einsatz für unser Land, unsere Familien, unsere Gesellschaft, Freunde, Unternehmen und … unsere Freiheit!


Zum Autor

Mic Hirschbrich ist CEO des KI-Unternehmens Apollo.AI, beriet führende Politiker in digitalen Fragen und leitete den digitalen Think-Tank von Sebastian Kurz. Seine beruflichen Aufenthalte in Südostasien, Indien und den USA haben ihn nachhaltig geprägt und dazu gebracht, die eigene Sichtweise stets erweitern zu wollen. Im Jahr 2018 veröffentlichte Hirschbrich das Buch „Schöne Neue Welt 4.0 – Chancen und Risiken der Vierten Industriellen Revolution“, in dem er sich unter anderem mit den gesellschaftspolitischen Implikationen durch künstliche Intelligenz auseinandersetzt.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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Die Partner von No Hype KI
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