12.10.2022

Gleichbehandlungsanwaltschaft: “Sexuelle Belästigung kommt in Startups versteckter vor”

Im zweiten Teil des brutkasten-Interviews spricht Sandra Konstatzky, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft, über sexuelle Belästigung und Diskriminierung in Startups und erklärt, warum Intersektionalität die Wahrscheinlichkeit von Belästigungen erhöht.
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Sandra Konstatzky ist Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft. @Nurith wagner-Strauss

Sandra Konstatzky, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW), erklärte im ersten Teil des brutkasten-Interviews, wie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz definiert wird und betonte: “Es gibt keinen ersten Po-Grabscher gratis”. Dabei sprach sie über die kostenlosen Beratungsmöglichkeiten bei sexueller Belästigung und erklärte, wie die GAW bei einem gemeldeten Fall vorgeht und diesen an die Gleichbehandlungskommission überträgt.  

Im zweiten Teil des Gesprächs verrät Konstatzky, warum das Thema sexuelle Belästigung und Diskriminierung vor allem in Startups verschwiegen wird und erklärt, weshalb intersektionale Personen häufiger von diesen Problemen betroffen sind. 

Die Startup-Szene ist für ihre Wokeness bekannt. Wie gehen Jungunternehmen mit sexuellen Belästigungen um? 

Aus meiner Beratungserfahrung kann ich sagen, dass das Thema sexuelle Belästigung in Startups versteckter vorkommt. Das kommt daher, da Jungunternehmen sich oft als offen, lustig und sozial zeigen. Es wird geglaubt, dass das bei ihnen kein Thema ist, aber erst dann wird es zum Problem. Gerade in Arbeitsplätzen, wo man ein befreundetes Verhältnis sowohl mit den Kolleg:innen als auch mit dem CEO hat, muss man darauf achten, dass man einen Arbeitsraum schafft, wo Strukturen wachsen können. Das “wir sind eine große Family”-Motto in vielen Startups macht es oft schwieriger, diese Themen anzusprechen. Denn ein Arbeitsverhältnis ist nie auf Augenhöhe. 

Wie sieht es in IT-Unternehmen aus? Gibt es mehr Awareness für diese Themen, da die Frauenquote in dieser Branche langsam aber dennoch steigt?

Nur weil Frauen in der Technik sind, heißt es nicht, dass sexuelle Belästigungen und Diskriminierungen nicht mehr vorkommen. Junge Menschen sind eher dazu geneigt, darüber zu reden. Die Gefahr besteht darin, dass Startups alle auf Augenhöhe und gleich sehen. Dadurch glauben Arbeitgeber:innen, dass sie sich nicht mehr mit diesen Problemen beschäftigen bzw. sich Gedanken darüber machen müssen. Wenn Angestellte das von oben so kommuniziert bekommen und wissen, dass nichts passiert, was ist dann das für ein Arbeitsverhältnis?

Wenn man Frauen statt fachlichem Feedback Komplimente über ihr Aussehen gibt, muss man sich nicht wundern, wenn es Entgeltdiskriminierungen in einem Unternehmen gibt.

Sexuelle Belästigung ist eine spezielle Form der geschlechtsbezogenen Diskriminierung. Zur Diskriminierung auf Basis des Geschlechts gehören aber auch andere Sexismus-Erfahrungen. Wie sieht es mit der Gleichstellung von Geschlechtern in Unternehmen aus?

Wenn man Frauen statt fachlichem Feedback Komplimente über ihr Aussehen gibt, muss man sich nicht wundern, wenn es Entgeltdiskriminierungen in einem Unternehmen gibt. Das ist kein Wunder, weil Frauen nicht mit ihren fachlichen Kompetenzen, sondern mit ihrem Aussehen wahrgenommen werden. Solange die Strukturen sich in einem Unternehmen nach Frau und Mann teilen, muss man sich auch nicht wundern, warum Frauen nicht befördert werden und warum sie nach der Karenz im hintersten Kammerl des Büros landen. 

Gibt es Branchen, in denen sexuelle Belästigung häufiger vorkommt?

In Unternehmen, wo Geschlechterrollen eingefleischt sind, ist es immanent, dass Belästigungen jeglicher Formen vorkommen und ein Boden dafür sind. Die klassischen Beispiele sind Pilot und Stewardess oder Chef und Sekretärin. 

Gibt es ein Beispiel, das fast alle Frauen betrifft?

Fahrschulen sind zum Beispiel sehr starke Stereotypen-Räume. Ich glaube, es gibt keine Frau, die in einem Fahrschulauto von ihrem Fahrer nicht belästigt worden ist. Autos sind derart sexualisiert, das ist unfassbar. Man glaubt nicht, wie platt die Belästigungen in Fahrschulautos sind. Bei einer Befragung würden wahrscheinlich 99 Prozent der Fahrschülerinnen angeben, dass sie im Fahrschulauto sexuell belästigt worden sind. Die Fahrschule ist bei uns ein Klassiker. 

Welches Thema spielt Intersektionalität bei sexuellen Belästigungen und Diskriminierungen am Arbeitsplatz? 

Frauen, die noch keinen Status sowie einen anderen intersektionellen Aspekt im Package haben, sind davon mehr betroffen. Das Exotisierende und Sexualisierte steht dabei im Vordergrund. Gerade junge migrantische Frauen, die erst in die Berufswelt einsteigen, sind gefährdet. Sobald das Thema Race dazukommt – oder etwas zusätzliches – ist die Gefahr der Belästigung und Diskriminierung stärker. 

Wir haben beinahe kaum Transpersonen, die sich an uns wenden. Aber wenn, dann sind es überwiegend Transfrauen. Im letzten Jahr hatten wir ungefähr zehn Personen. Hier geht es um Belästigungen wie Abwertungen. Ich denke aber, dass sie auch massiven sexuellen Belästigungen ausgesetzt sein können. Die Fälle, die wir bisher hatten, zeigen, dass Transpersonen schwer in der Arbeitswelt Fuß fassen. Vor allem in der Güter- und Dienstleistungsbranche steigt die Zahl der Belästigungen. 

Wenden sich auch Männer an die Gleichbehandlungsanwaltschaft?

Nach wie vor wendet sich das weibliche Geschlecht verstärkter an uns, aber wir hatten schon einige Fälle, die Männer betroffen haben. Diese wurden von uns an die Gleichbehandlungskommission übergeben. Die patriarchale Dividende zeigt sich sogar in der Hierarchie, wenn eine Abteilungsleiterin von einem Mitarbeiter belästigt wird. Jedoch hatten wir auch Fälle, in denen Frauen, die hierarchisch höher gestellt waren, männliche Angestellte belästigt haben. Dabei ging es um Situationen, dass der Angestellte ihr sexuell dienen sollte. Das passiert auch, wenn Männer von einer weiblichen Führungskraft abhängig sind. Beispiele wären, wenn eine Chefin für Lohnerhöhungen zuständig ist und um unangebrachte Leistungen fragt oder eine Filialleiterin einen Mann kündigt, weil er mit ihr keine Affäre eingehen möchte. Männer tun sich in solchen Fällen viel schwerer, eine Art Opferhaltung einzunehmen. “Er soll sie doch flachlegen, damit eine Ruhe ist” – hören Männer sehr oft. Auch Frauen sagen, dass sie nachgegeben haben, damit Ruhe ist. Bei Männern geht es um das Machtgefüge, das ist nicht gleich zwischen Mann und Frau. 

Wir müssen Frauen kommunizieren, dass sie auch gegen bedrohliche Gegner gewinnen können

Gibt es auch Fälle, wo Frauen sich von anderen Frauen oder Männer von anderen Männern belästigt fühlen? 

Wir hatten mal einen Fall, da ging es nicht direkt um Belästigung, sondern darum, dass sich die Person belästigt fühlte. Eine Lehrerin an einer katholischen Schule hatte sich geoutet und bekannt gegeben, dass sie lesbisch ist. Daraufhin meldete sich eine andere Lehrerin dieser Schule bei uns, da sie sich von der lesbischen Kollegin belästigt fühlte. Wir haben diesen Fall als Gleichbehandlungsanwaltschaft nicht vertreten, weil es eine homophobe Anhaltung war. Bei Männern gibt es einen Mythos, dass homosexuelle Männer Angestellte mit ihrem Interesse verfolgen. Das Begehren wird dann auf einer Machtebene ausgeübt. Es gibt Männer, die andere Männer unterdrücken. 

Wie ist sexuelle Belästigung im Privatleben sowie am Arbeitsplatz zu unterscheiden?
Sobald eine Angestellte am Arbeitsplatz etwas angeboten bekommt, muss die Möglichkeit bestehen, dass sie darauf nein sagen kann. Das heißt, dass ein Chef sich mehr Gedanken darüber machen muss, wenn er eine Angestellte auf ein Abendessen einlädt und sicherstellen, ob die Person darauf auch nein sagen kann. Es macht einen Unterschied, ob ein Arbeitskollege oder der CEO eine Angestellte zum Essen einlädt. Da greift das Gleichbehandlungsrecht sehr schnell. Im Strafrecht – das im privaten Kontext greift – ist es aber so, dass das Streifen am Oberschenkel nicht als sexuelle Belästigung wahrgenommen wird, aber im Gleichbehandlungsgesetz, sobald es am Arbeitsplatz passiert, schon. Das Strafrecht hat eine höhere Grenze, aber seit 2008 – durch die Istanbul-Konvention – ist auch ein Pograbscher strafrechtlich relevant. Also alles, was die primären Geschlechtsteile betrifft. 

Was muss sich in unserer Gesellschaft ändern, damit wir diese Fälle reduzieren bzw. die Probleme eliminieren?

In Österreich haben wir sehr viele Stereotypen und somit kommt das Thema sexuelle Belästigung hier auch häufiger vor. Wir müssen gesellschaftspolitisch massiv daran arbeiten, Geschlechterstereotypen aufzulösen. Diese Themen müssen wir vermehrt auf die politische Agenda aufnehmen. Es ist wichtig, dass es machtvolle Stimmen gibt, die diese Probleme auch offen benennen. In den nordischen Ländern gibt es zum Beispiel sehr viele gute Ansätze.

Wir könnten den Rechtsschutz ausbauen und mehr Klagenfonds einrichten, damit Frauen mehr klagen können. Unternehmen sollten Code of Conducts einführen. Wenn Firmen nach Förderungen anfragen, könnte man schauen, ob sie etwas gegen sexuelle Belästigung in ihrem Unternehmen machen. Arbeitgeber:innen müssen ihre Verantwortung als Teil der Gesellschaft wahrnehmen. Man kann diese Themen auch Top-Down benennen und sagen, was nicht ok ist. Wenn so etwas im eigenen Unternehmen vorfällt, sollte man immer auf der Seite der Betroffenen stehen und etwas dagegen machen.

Wir müssen Frauen kommunizieren, dass sie auch gegen bedrohliche Gegner gewinnen können und das Mindset der Frauen ändern, damit sie sich auch trauen, diese Fälle zu melden. Dank #metoo ist schon ein Bewusstsein da. Wir müssen aber auch präventiv Vorsorge leisten, wie jährliche Schulungen zu diesen Themen.  

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Lalamu, Konkurs
(c) Lalamu

Zuerst eine Tonspur, dann das Video eines Gesichts (etwa auch auf einem Foto oder nicht allzu abstrakten Gemälde oder sogar auf einer Statue) aufnehmen – fertig. Die Aufnahmen werden vom Server mittels KI-basiertem Tool verarbeitet. Das Lip Sync-Video kommt nach ein paar Sekunden zurück und kann auf TikTok und Co gepostet werden. Das konnte das Produkt des Wiener Startups Lalamu.

Lalamu: Neben Lip-Sync auch B2B-Angebot

Die B2C-App, die in der Basis-Version kostenlos war und für die es mehrere Packages mit längerer Video-Dauer und ohne Werbung zu kaufen gab, war jedoch nicht der einzige Geschäftszweig. Lalamu wollte auch mit einem B2B-Angebot durchstarten. Konkret wandte man sich an Filmindustrie, Museen und Agenturen, die das AI-Algorithmus-basierte Tool des Startups für ihre Zwecke einsetzen sollten.

Mit diesen Vorhaben konnte man ein Investment ergattern: Das Wiener Unternehmen holte sich insgesamt 245.000 Euro von Investor:innen. Es wurde auch ins Microsoft for Startups-Programm aufgenommen, schaffte es mit der Lalamu Studio App in den Canva App Store mit mehr als 400.000 Usern und entwickelte schlussendlich die unabhängige Web-Platform lipsyncer.ai. Nun aber berichtet der Alpenländische Kreditorenverband (AKV) vom Konkurs des KI-Startups.

Konkurs eröffnet

“Die LaLaMu EntertAInment GmbH kann ihren laufenden Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Vom zuständigen Handelsgericht Wien wurde ein Konkursverfahren eröffnet”, heißt es dort.

Das sagt der Founder

Auf Anfrage erklärt Founder Matthias Spitzer, dass es in einer Zeit, in der das Startup Unterstützung gebraucht hätte, etwa für neue Developer, keine gegeben habe. Die Konkurrenz aus den USA (Runway und Sync Labs) hätten dagegen über die letzten Jahre mehrere Millionen US-Dollar an Investment erhalten.

“Das ist ein Genickbruch”, sagt Spitzer. “Da kommst du nicht mehr weiter.” Lalamu habe noch versucht mit Lipsyncer.ai “die Kurve zu kratzen”, habe die Videoqualität verbessert und optimiert, damit sie etwa bei Werbevideo-Vorproduktionen oder Erklärvideos zum Einsatz kommen kann. Doch leider hätten die vielen User:innen bloß den Free Modus-Bereich genutzt, wie der Founder erwähnt.

“Unser Umsatz hat es einfach nicht erlaubt, zu wachsen”, ergänzt Spitzer. “Wir wurden links und rechts überholt. Eigentlich waren wir ja eine Zeit lang im Sektor weltweit bekannt bzw. namhaft und spürten eine klare Bewegung nach vorne. Wir haben uns sehr erhofft mehr gesehen zu werden und eine großzügige Finanzspritze zu erhalten. Aber, was wirklich schade ist, keiner in Österreich hat sich getraut im großen Stil zu investieren.”

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