19.12.2024
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Fuß-Noten und Wände mit dem Namen Howard: Die Rituale der Startup-Welt

Rituale sind für die meisten Menschen von immenser Bedeutung, um sich im Wirrwarr des Alltags leitende Linien zurechtzulegen. Oftmals als Aberglaube verschrien gibt es jedoch mehr als das alltägliche Frühstücksritual, um als Founder oder Founderin Ziele zu manifestieren und sie zu erreichen. Ein Blick in die heimische Startup-Szene.
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(c) Hello Again/zVg/Hadia/Die Abbilderei/Storebox/schon nice gmbh/Victor Malyshev - (o.v.l.) Franz Tretter von Hello Again, Romana Dorfer von Factinsect, Anna Lauda von Hadia, Bernadette Frech von Instahelp/ Johannes Braith von Storebox, Saad Wohlgennannt von Dental Armor und Martin Granig von monkee.

Dieser Artikel ist im brutkasten-Printmagazin von Dezember 2024 erschienen. Eine Download-Möglichkeit des gesamten Magazins findet sich am Ende dieses Artikels.


Ein Pythonkopf aus Stein ragt aus der Dunkelheit hervor. In Kreisen angeordnete, farbenfrohe Speerspitzen verzieren den kalten Höhlenboden; manche davon stammen aus Hunderte Kilometer entfernten Gegenden. Am Ende der Höhle erstreckt sich ein kleiner, versteckter Raum, der Platz für eine Person bietet; üblicherweise versteckt sich ein Schamane darin und spricht zu seinem Stamm, sodass es scheint, die steinerne Schlange selbst lasse donnernde Worte erklingen.

Diese Verehrung des majestätischen Reptils fand vor rund 70.000 Jahren in der Kalahari-Wüste am Fuße der Tsodilo Hills im heutigen Botswana statt. Dies hat im Jahr 2012 die Archäologin Sheila Coulson herausgearbeitet und, so heißt es, damit das älteste wissenschaftlich belegte Ritual der Welt entdeckt.

Seitdem haben sich Rituale in Gesellschaften im Großen und Kleinen gehalten und weiterentwickelt – von religiösen Gepflogenheiten über politisches Zeremoniell bis hin zu privaten, sich wiederholenden Gewohnheiten sind sie in tausendfacher Weise etabliert. Das Küssen des Balls im Sport, das Aufstehen mit dem „richtigen Fuß“, Salz über die Schulter werfen, auf Holz klopfen, Dinge nicht verschreien, Braut und Bräutigam nicht vor der Hochzeit sehen, zu bestimmten Jahreszeiten fasten, den Jahreswechsel laut feiern oder die zum Ritual gewordene Morgen-Rou­tine wiederholen.

Spiritualität und Ordnung

All dies lässt sich komprimiert und per Definition in zwei Bedeutungen unterteilen: in eine spirituelle Handlung und in ein „wiederholtes, immer gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung“. Exakt diese Ordnung (also die zweite Definition) ist es, die auch manchen Startup-Gründer:innen dabei hilft, den stressigen Joballtag zu bewältigen, Klarheit zu schaffen und Erfolge zu erreichen.

Sohlen und Poster

So zeigt sich etwa Johannes Braith vom österreichischen Scaleup Storebox als großer Anhänger davon, sich klare Ziele zu setzen und diese zu visualisieren.

„Dabei halte ich es für wichtig, einerseits eine große Vision zu definieren und diese in kleinere Meilensteine herunterzubrechen“, sagt er. „Diese verhältnismäßig kleinen Meilensteine sind leichter zu erreichen, greifbarer und man kann entsprechend auch früher Erfolge verbuchen. Das Wichtigste ist, konstant dranzubleiben. Erfolg ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“

Das Visualisieren definierter Ziele wurde bereits früh als Ritual bei Storebox eingeführt: Im Office des Logistikunternehmens prangen Vision und Werte als Poster an der Wand und OKRs (Objectives and Key Results) werden in Echtzeit mittels Soll/Ist-Vergleich auf Bildschirmen angezeigt.

Zudem gibt Braith noch eine weitere Besonderheit aus seiner Ritualwelt preis: „Habe ich ein Etappenziel für mich definiert, schreibe ich es mir auf die Sohlen meiner Schuhe“, sagt er. „Das hilft mir, mich daran zu erinnern, dass jeder kleine Schritt zählt.“

Der Knopf des Erfolgs

Franz Tretter, Gründer des Kundenbindungs-Startups Hello Again, nutzt Rituale dazu, um Ziele und Kultur in seinem Team zu verankern. Dazu gehört ein „Global Success Button“, der bei jedem neuen Kunden gedrückt wird, mit anschließender Feier im Büro. Mitarbeiter:innen, die remote arbeiten oder unterwegs sind, werden per Mail oder Smartphone ebenso informiert; „einfach, damit man Bescheid weiß“, sagt Tretter.

Auch etwas namens „Howard 1000“ gehört zum regelmäßigen Ritual des Linzer Teams dazu. Dabei handelt es sich um eine Wand bestehend aus 1.000 Kästchen mit einer besonderen Bedeutung. „Wir haben diese aufgebaut, als wir 120 Kunden hatten. Mit jedem Kunden, den wir gewonnen haben, haben wir ein Logo hinzugefügt und haben nun knapp 900 Kästchen voll“, erklärt Tretter.

Und zu guter Letzt sind bei Hello Again die „Compliment Cards“ ein weiteres internes Ritual: „Wertschätzung ist total wichtig bei uns“, erklärt Tretter. „Wir haben eigene Kärtchen beim Eingang, da schreibt man gelegentlich etwas Nettes drauf und legt es am Abend Kollegen auf den Tisch. Die freuen sich am nächsten Morgen.“

An diesen beiden Beispielen bemerkt man bereits eine kleine Gemeinsamkeit, die zwischen den Zeilen mitschwingt: Wiederkehrendes, etwas Konstantes ist nicht bloß eine Orientierungshilfe für Startup-Gründer:innen, sondern kann als einer von mehreren Bausteinen eines spezifischen Mindsets gesehen werden; eines Mindsets, das von einem ruhigen Leadership-Skill zeugt und deutlich zeigt, dass manchmal das wilde Gefüge in einem selbst sowie auch das Äußere, das sich unter Mitarbeitenden am Arbeitsplatz entwickelt, gepflegt werden muss.

Gemeinschaft fördern

Das weiß auch Anna Maria Lauda von Hadia, einem Wiener Verein, der weibliches Unternehmertum in Afghanistan fördert. Ihr hilft eine tägliche zehnminütige Meditation, den Tag entschleunigt, entspannt und fokussiert zu beginnen.

„Dadurch kann ich klarere Prioritäten setzen und produktiver arbeiten“, sagt sie. „Früher lag mein Schwerpunkt vor allem auf individuellen Praktiken wie dem Selbstmanagement und der strikten Zeitplanung durch To- do-Listen. Doch im Laufe meiner Reise als Gründerin habe ich erkannt, dass Flexibilität und der wertvolle Austausch mit dem Team genauso entscheidend sind. Heute schätze ich Rituale, die nicht nur den persönlichen Fokus stärken, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl fördern.“

Daher veranstaltet Lauda wiederkehrende Onlinemeetings mit ihren Weberinnen in Afghanistan. „Regelmäßige Check-ins mit den Frauen sind inspirierend und motivierend. Allzu leicht verliert man in der Hektik des Alltags den Bezug zu den Menschen, für die man arbeitet. Und diese Gespräche erinnern mich daran, was unser gemeinsames Ziel ist und wie viel wir schon erreicht haben“, sagt sie.

Saad Wohlgenannt, Gründer und CEO des Zahn-Startups Dental Armor und der Kryptobörse Coinpanion, hatte im Lauf der Zeit verschiedene Rituale, die er jedoch mittlerweile fast alle ab- gelegt hat; darunter eine wöchentliche „Rückschau“, um zu überlegen, was er besser machen könnte, oder Journaling (Anm.: Blick nach innen mit schriftlicher Aufzeichnung, was in einem vorgeht).

Heute plant er an jedem Geburtstag, was er im kommenden Jahr erreichen möchte. Meistens setzt sich der Founder dabei ein monetäres Ziel für sein Business sowie ein paar persönliche Ziele, wie etwa einen neuen Sport zu erlernen, ein Land zu bereisen oder ein bestimmtes Problem zu lösen.

„Die wichtigsten Rituale, die mir langfristig helfen, meine Ziele zu erreichen, haben meistens den Effekt, mich kurzfristig vom Arbeiten abzuhalten“, sagt er. „Zum Beispiel beginne ich meinen Tag mit ein paar Mobility-Übungen, Liegestützen, Klimmzügen und einer kalten Dusche – erst danach schaue ich in meine E-Mails und starte richtig durch. Ab 20.30 Uhr ist mein Handy auf ‚Nicht stören‘, und dann bin ich nur noch schwer erreichbar.“

Drei und nicht mehr

Romana Dorfer beschäftigt sich mit ihrem Startup Factinsect damit, die Fülle an Fake News im Netz aufzulösen und User:innen gesicherte Informationen zur Verfügung zu stellen. Sie selbst hat sich früher oft viele, unspezifische und große Ziele vorgenommen, die jedoch innerhalb eines Tages kaum zu erreichen waren. Dabei waren Fortschritte nur schwer messbar und am Ende des Tages wurde kein Ziel erledigt, wie sie gesteht. Dadurch ist oft das Gefühl entstanden, wenig erreicht zu haben.

Heute greift sie maximal auf drei Vorhaben pro Tag zurück. „Der Vorteil ist, dass ich fast immer alle Ziele für den Tag erreiche und dadurch meine Motivation steigt. Meistens arbeite ich dann noch an weiteren Themen“, sagt Dorfer.

Bei Martin Granig, Gründer der Spar-App monkee und Vater einer siebenjährigen Tochter, sehen die Morgen oftmals chaotisch aus. Um dem entgegenzuwirken, hat er eine Morgenroutine entwickelt: „Ich stehe meist 30 Minuten früher auf. Das gibt mir die Gelegenheit, mich in Ruhe im Bad fertig zu machen“, sagt er. „Während des Zähneputzens mache ich ein paar Übungen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen, bevor ich Frühstück für meine Tochter und Kaffee für meine Frau und mich zubereite. So habe ich noch ein paar ruhige Momente für mich, bevor der Trubel beginnt.“

Am Ende seines Arbeitstags führt der Gründer einen kurzen Check-in durch und klärt für sich, was er heute schaffen möchte, was er tatsächlich geschafft hat und was er noch anpassen muss.

„Das hilft mir, mein Time-Boxing im Kalender zu optimieren, gerade für die Aufgaben, die zwar wichtig sind, aber erst in der Zukunft anstehen“, erklärt er. „Ich habe gelernt, dass es notwendig ist, solche Dinge bewusst zu planen, bevor sie von den dringenden, aber weniger wichtigen Aufgaben verdrängt werden.“

Raus aus der Bubble

Für Granig gibt es zudem noch ein persönliches Highlight der Woche: Freitagabend-Basketball. „Das mag zwar kein typisches Gründer-Ritual sein, aber für mich ist es essenziell. Es hilft mir, Stress abzubauen, den Kopf frei zu bekommen und in einer entspannten Atmosphäre mit Freunden zu lachen. Danach starte ich erfrischt ins Wochenende – und am Montag wieder voller Energie in die neue Woche“, so der Tiroler, der früher oft von „dringenden Dingen“ stark getrieben war, die dazu führten, dass wichtige strategische Aufgaben oftmals zu kurz kamen.

„Man arbeitet in so einem Fall zu viel ‚in the business‘ statt ‚on the business‘“, sagt er. „Heute habe ich meine Timeboxing-Routine deutlich verbessert, damit genau diese wichtigen Dinge nicht untergehen. Früher musste ich auch keine Rücksicht auf Familie und Kind nehmen. Das hat sich natürlich geändert, und ich musste Wege finden, trotz all der Verantwortung auch noch Zeit für mich zu schaffen. Daher meine Morgenroutine und mein Freitagabend-Basketball. Dort geht es einfach nur ums Spielen und um entspannte Gespräche über deutlich unkompliziertere Dinge als Startups, Karriere oder Business. Das tut gut und gibt mir Energie.“

Ankerpunkte fürs Wesentliche

Ähnlich ergeht es Instahelp-Founderin Bernadette Frech. Für die Gründerin des Grazer Health-Startups sind Rituale bewusste Ankerpunkte, um den Fokus auf dem Wesentlichen zu halten – im Beruf wie im Privatleben.

„Eines der wichtigsten Rituale habe ich mit meinen Kindern: Jeden Morgen beginnen wir den Tag mit einer vollen Minute Umarmung, ohne Worte, nur Nähe. Das stärkt unsere Bindung und gibt uns einen liebevollen Start in den Tag“, sagt Frech. „Abends reflektieren wir gemeinsam: Beim Rückenkraulen sprechen wir über Belastendes, bei der kitzligen Fußmassage teilen wir schöne oder lustige Momente und bei der Kopfmassage besprechen wir, wofür wir dankbar sind und was uns gut gelungen ist.“

Ambition vs. Balance

Auch bei ihr haben sich Rituale über die Jahre verändert und sich immer wieder ihren Lebensumständen angepasst. Früher, als berufliche Ambitionen im Vordergrund standen, hatten Frechs Rituale viel mit persönlicher Effizienz und beruflicher Zielerreichung zu tun. Heute, als dreifache Mama und Unternehmerin, haben sich die Prioritäten verschoben.

„Es geht mir jetzt viel stärker darum, eine Balance zwischen Karriere und Familie zu finden, ohne den Fokus auf meine eigene mentale Gesundheit zu verlieren“, erklärt sie. Das Ritual mit ihren Kindern sei ein Beispiel dafür, wie sich Rituale an neue Lebensphasen anpassen.

„Früher hätte ich vielleicht nicht gedacht, dass eine Umarmung am Morgen oder ein Ritual vor dem Schlafengehen so kraftvoll sein könnten. Heute sind es genau diese Momente, die mich erden und mir und meinen Kindern Energie geben“, erzählt sie. „Was sich jedoch nie geändert hat, ist meine wöchentliche psychologische Beratung. Sie ist seit Jahren eine Konstante, die mich sowohl beruflich als auch persönlich auf Kurs hält, auch wenn sich die Themen im Laufe der Zeit wandeln.“

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Bodo B. Schlegelmilch, Dekan der WU Executive Academy, und der Leadership-Experte Kussai El-Chichakli über das
Bodo B. Schlegelmilch, Dekan der WU Executive Academy, und Leadership-Experte Kussai El-Chichakli | (c) WU Executive Academy

Auch wenn es auf den ersten Blick eigenartig klingen mag, ein “Nein” kann so viel mehr bedeuten als Ablehnung, Zweifel oder Skepsis: Wertschätzend formuliert und transparent argumentiert wird es gerade in unserer turbulenten Business-Welt zur unverzichtbaren (Self-) Leadership-Ressource und zum effektiven Führungsinstrument.

In einer Welt ständig wachsender Anforderungen und zunehmender Komplexität ist das Setzen von Prioritäten eine der wesentlichsten Kompetenzen von Führungskräften. Doch das gezielte Nein-Sagen gestaltet sich in der Praxis häufig schwieriger, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

Warum Nein-Sagen für Führungskräfte so wichtig ist

“Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht”, bringt es Bodo Schlegelmilch, Dekan der WU Executive Academy, pointiert auf den Punkt. “Klare Prioritäten zu setzen bedeutet, zwischen dem zu unterscheiden, was für das Unternehmen und die eigene Position wirklich wichtig ist, und dem, was ablenkt oder unnötig Ressourcen bindet und damit Zeit und Energie kostet.” Auf dem Schreibtisch des Dekans ist nicht ganz zufällig das Geschenk eines Kollegen platziert: Mit Drücken des roten, batteriebetriebenen “No-Buttons” ertönt ein No, das bei mehrmaligem Drücken immer vehementer wird.

Doch Nein zu sagen, bedeutet nicht, egoistisch zu handeln. Im Gegenteil: Ein gut begründetes Nein, ob an ein Teammitglied oder auch an einen Vorgesetzten, ist laut Schlegelmilch vielmehr ein Zeichen von Wertschätzung und Klarheit. “Wenn ich erklären kann, warum ich Nein sage, zeigt das, dass ich meine Prioritäten durchdacht habe und die Auswirkungen und Folgen meiner Entscheidung für mich und andere am Radar habe und auch beherzige.”

Die Sache mit den Over-Achievern und den People-Pleasern

“Nein zu sagen ist oft eine persönliche Herausforderung, die ein gewisses Maß an Selbstreflexion erfordert, um die eigenen und vor allem auch die Grenzen anderer zu erkennen und zu respektieren“, sagt Kussai El-Chichakli, langjährige Führungskraft bei Procter & Gamble und Coca-Cola und Gründer der Management-Beratung The Center.

Für viele Führungskräfte sei ein Nein besonders schwer zu artikulieren, weil sie entweder Over-Achiever seien oder zur Kategorie der People-Pleaser zählen würden. “Klassischerweise steigen Führungskräfte auf, weil sie die Erwartungen und Anforderungen an ihren Job übertreffen und mehr tun als andere – also zu den Over-Achievern gehören”, sagt El-Chichakli. Allerdings könne das stetige Mehr an Arbeit und die wachsende Verantwortung zur Überlastung führen. Aus der (eigentlich guten) Gewohnheit, immer die extra Meile gehen zu wollen, würden viele Over-Achiever schließlich das Gespür verlieren, wann ein “Nein” wichtig und notwendig wäre.

Aber auch People-Pleaser sind laut El-Chichakli nicht selten in den Führungsriegen zu finden. Ein klassisches Zeichen von People Pleasing sei es, Wünsche anderer stets erfüllen zu wollen: “Um niemanden zu enttäuschen, sagen sie oft Ja, selbst wenn sie wissen, dass sie eigentlich Nein sagen sollten. Dieses Verhalten kann dazu führen, dass sie ihre eigenen Prioritäten, Werte und Prinzipien aus den Augen verlieren – denn für sie ist dringlich und wichtig, was andere für dringlich und wichtig halten. People-Pleasing durch ständiges Ja-Sagen hat aber – anders als ursprünglich intendiert – weder für die Mitarbeiter noch für die Führungskraft einen Mehrwert und kann genauso schnell zu Überlastungsreaktionen und Orientierungslosigkeit führen wie bei Over-Achievern“, so El-Chichakli.

So kann Nein-Sagen in der Praxis gelingen

Wie Nein-Sagen allerdings zu einem wertvollen und unverzichtbaren Führungsinstrument werden kann, haben sich die beiden Leadership-Experten im Folgenden genauer angesehen. Hier sind ihre Tipps für die Praxis:

1. Das Nein zum Zeit- und Selbstmanagement nutzen

Auf der Ebene des Self-Leadership ist ein klares Nein absolut notwendig, um mit den eigenen Ressourcen haushalten zu können. “Laut Management-Vordenker Peter Drucker ist die Zeit die wichtigste Ressource im Management. Limits für die eigene Zeit und Energie zu setzen, fällt allerdings vielen Führungskräften schwer. Bevor man im Sinne der Organisation ‘Nein’ sagt, sollte man aber bei sich selbst beginnen”, sagt Kussai El-Chichakli.

Sein Tipp für mehr Fokus auf das Wesentliche: “Schauen Sie in Ihren Kalender und fragen Sie sich: Welche Meetings würden problemlos stattfinden, auch wenn ich nicht dabei wäre? Oft erkennen Führungskräfte, dass sie einen Großteil ihrer Zeit in Termine investieren, die keinen echten Mehrwert bringen. Sie werden erstaunt sein, wie viele Ressourcen so wieder frei werden.”

2. Effektivität und Effizienz hinterfragen

Wenn eine Anfrage bzw. ein Auftrag von außen kommt, fragen Sie nach den Hintergründen. Was soll erreicht werden? Was kann mit dem dafür erforderlichen Aufwand und in der definierten Zeitspanne umgesetzt werden? Und: “Bringt die Anfrage das Unternehmen tatsächlich weiter? Projekte und Maßnahmen sollten immer den Unternehmenszielen und der Vision des Unternehmens entsprechen und diese bestmöglich unterstützen”, gibt Bodo Schlegelmilch zu bedenken.

3. Konsequenzen aufzeigen

Ein Nein sollte niemals rigoros ausfallen – sondern im Gespräch sachlich und wertschätzend begründet werden. Welche tatsächlich wesentlicheren und dringlicheren Aufgaben würden bei einem Ja vernachlässigt werden? Wie würde sich diese Aufgabe auf mögliche Zusatzbelastungen – im Team oder bei der Führungskraft selbst – auswirken? “Ein Nein ist in der Regel gut begründbar, indem man die Folgen aufzeigt – etwa, wenn dadurch ein dringliches Projekt zu kurz kommt oder eine Deadline eingehalten werden muss”, so Schlegelmilch. “Bei sachlicher Argumentation kann das Gegenüber das Nein nicht nur akzeptieren, sondern oft gelingt es auch ein echtes Verständnis für die Entscheidung zu erzeugen, was sich sowohl auf die Motivation der Mitarbeiter als auch auf das Ergebnis positiv auswirkt.”

4. Das “Ja” zum Wesentlichen betonen

Ein Nein zu unwichtigen Aufgaben bedeutet gleichzeitig ein Ja zu jenen Dingen, die wirklich zählen und deshalb besondere Beachtung erhalten sollten. “Führungskräfte können hier konkret untermauern, warum der Fokus auf das Wesentliche mehr bringt und welche greifbaren und besseren Ergebnisse daraus zu erwarten sind, als sich von weiteren Aufgaben ablenken zu lassen”, sagt Bodo Schlegelmilch.

5. Altes bewusst loslassen

Nein zu sagen, ist auch notwendig, um wichtige Change-Projekte und Transformationsprozesse in Unternehmen überhaupt erst möglich zu machen: “Ja zu Veränderung bedeutet oft ein klares Nein zu alten Verhaltens- und Denkmustern und Arbeitsweisen“, sagt Kussai El-Chichakli.

Fazit:

Erfolgreiches Nein-Sagen ist also Teil einer klaren Selbstführung – hier sind sich beide Experten einig. “Die wichtigste Ressource eines Managers ist seine eigene Zeit”, sagt Kussai El-Chichakli. “Und die wichtigste Ressource eines Leaders ist die Energie, die er oder sie selbst hat und die er gemeinsam mit anderen erzeugen kann.”

Besonders in Change-Prozessen, wo alte Muster aufgegeben und neue eingeführt werden müssen, ist Nein-Sagen eine Schlüsselkompetenz. Sie hilft dabei, den Fokus zu behalten und den Druck von Teams zu nehmen. Ein Nein von oben kann verhindern, dass überflüssige Aufgaben auf Mitarbeitende übertragen werden. Ein Nein ist daher viel mehr als eine Ablehnung. Es ist eine bewusste Entscheidung für das Wesentliche – für die Ziele der Organisation und die eigene Balance als Führungskraft. Daher gilt: “Ein klares und gut begründetes Nein führt letztlich dazu, dass Führungskräfte nicht nur ihre eigenen Ressourcen besser managen können, sondern auch ihre Teams und Organisationen effektiver führen”, sagt Bodo Schlegelmilch.

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