12.07.2021

Fleisch-Kapitalismus

In seiner aktuellen Kolumne beschäftigt sich Mic Hirschbrich mit dem Fleisch-Konsum der Gesellschaft und den Alternativen dazu.
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Mic Hirschbrich über
Brutkasten-Kolumnist Mic Hirschbrich | Hintergrund: (c) Adobe Stock - puhhha
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Haben Sie schon mal von Nusret Gökçe gehört? Ziemlich sicher haben Sie schon mal ein Video mit ihm gesehen. Der als „salt bae“ bekannt gewordene Fleisch-Millionär, der ein wenig Johnny Depp ähnlichsieht, hat es in die Promi-Welt geschafft. Der kurdisch-türkische Unternehmer mit Italo-Charme, hat eine Restaurant-Kette namens „Nusr-Et“ aufgebaut und wird mittlerweile auf ein Vermögen von 200 Millionen Euro geschätzt. In Kurzvideos auf Social Media wähnt man ihn ein wenig zwischen Genie und Wahnsinn, wenn er Gold-überzogene Steaks um 1.000,- Euro zerteilt, als würde er damit den exklusivsten Event zwischen Ost und West zelebrieren, gleich nach der Wahl des Papstes. „Habemus Steakam“, sozusagen.

Wenn er sein frisch zerteiltes, sichtbar saftiges und resch angebratenes Fleisch salzt, streut er es mit den Fingern über den angewinkelten Unterarm und Ellbogen großzügig auf den Teller. Sein Aussehen, seine Kleidung, seine Aura, es zieht die Promis an wie das Licht die Motten. Jason Statham oder Leonardo di Capro wollen ebenso von ihm mit Fleischeslust verwöhnt werden, wie die weiblichen Sex-Idole aus Hollywood und Social Media. Mit ihren tiefen Dekolletees und überstreckten Kopf, rekeln sie sich mit lasziv weit geöffnetem Mund sehnsüchtig dem saftig angebratenen Rinderstück entgegen. Der Meister nutzt dabei keine Gabel sondern ein langes, archaisches Messer, mit dem Filet aufgespießt und lässt es in den Mund der Schönen gleiten, bevor die Damen in vollem Genuss auf ihren Restaurant-Stuhl zurück sinken und den Moment genießen, als hätten sie gerade die Salbung vom Herren persönlich erhalten. Sie mögen vielleicht schmunzeln, aber das müssen Sie als Fleischhauer erstmal schaffen.

Fleisch: Vom kaum erschwinglichen Luxus zum Massenprodukt

Die Generationen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts aßen Fleisch meist nur am Sonntag, es war für sie teuer und kostbar. Ein Tier zu schlachten war etwas Besonderes. Aber über die letzten Jahrzehnte entwickelte sich eine Fleischindustrie, die allen das bieten konnte, was sie sich ersehnten. Die Sparefrohs verschlingen heute dank hoch effizienter Massentierhaltung Schweinekoteletts um Euro 1,40 das Stück, während die Elite Edel-Rindfleisch schmaust, das unter Mozart-Klängen und Bauchmassagen mit Bier-Kuren zur Perfektion gezüchtet wurde. Kapitalismus kann eben jede Nachfrage bedienen.

Rund zwei Drittel der Österreicher*innen essen fast täglich Fleisch. Vegetarisch oder vegan ernähren sich, je nach Umfrage, gerade mal unter fünf Prozent der Bevölkerung. Dies widerspricht klar unserer öffentlichen Wahrnehmung.

Viele von uns plagt wegen des (häufigen) Fleischverzehrs das schlechte Gewissen, obwohl man gelernt hat, es erfolgreich zu verdrängen. Gründe dafür gäbe es genug: Das oftmals unnötige Tierleid in den Fabriken, die Nachteile für unsere Gesundheit bei übermäßigem Verzehr und, immer präsenter werdend, die Folgen für den Klimawandel.

Sieht man sich die erhobenen Daten der Statistik Austria an, erkennt man den ungebrochenen Megatrend Fleisch. Der Rinderbestand im Land dürfte heuer oder nächstes Jahr die zwei Millionen-Marke knacken, der Schweinebestand sogar die drei Millionen.

Innovation als Rettung?

Es gibt kaum eine Industrie, wo Innovation so dringend gebraucht wird, wie in der Fleischproduktion. Und zwei sehr verschiedene Innovations-Richtungen scheinen einen Weg aus dem Dilemma zu weisen.

1. Zell-Fleisch statt Nutztierhaltung

Wer auf echtes Fleisch nicht verzichten möchte, aber damit kein Tierleid verursachen möchte, wird sich darüber freuen. Kostete der erste Rindfleisch-Burger aus dem Labor noch 300.000 Dollar, sind die ersten Produkte der rund 50 “In-Vitro-Fleisch”-Unternehmen heute konkurrenzfähig (z.B. In-Vitro-Chicken-Nuggets in Singapur und Burger-Fleisch im Silicon Valley). Die Produzenten entnehmen zur Erzeugung Stammzellen aus dem Muskelgewebe gesunder, lebender Tiere und züchten dieses im Labor weiter, mit dem Ziel, eine faserige Textur ähnlich dem echten Gewebe zu erreichen. Tech-Größen wie Bill Gates oder die Google-Gründer haben früh in diese Industrie investiert. Ein wenig werden die Forscher noch brauchen, um mit mehreren Produkten den Massenmarkt zu erreichen. Aber die Nachfrage ist hoch, weshalb auch die Zuwendungen von Investoren in diese Startups groß sind.

2. “Beyond Meat”, das McDonalds der Zukunft?

Auch wenn das Vertriebskonzept ein anderes ist, erinnert Beyond Meat aufgrund seines disruptiven Charakters ein wenig an McDonalds. Dieser hat in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts begonnen, die industrielle Fleischverarbeitung zu entwickeln und gekoppelt mit seinem Franchise-Prinzip globale Erfolge gefeiert. Der Hamburger um einen Euro symbolisiert wie kaum ein anderes Produkt den Druck des Marktes, Konsumenten für möglichst wenig Geld so etwas wie Fleisch anzubieten.

Beyond Meat wiederum ist ein grade mal zwölf Jahre alter Nahrungsmittelproduzent aus Kalifornien, der mit 700 Mitarbeiter*innen pflanzenbasierte Fleischprodukte in alle Welt verkauft. Er wurde mit seinen Burgern, Würsten und Faschiertem zum am schnellsten wachsenden Lebensmittelproduzenten der USA. Finanziell ermöglicht haben das – erraten – Investoren aus dem Silicon Valley, wie der VC Kleiner Perkins. Laut Eigenangaben sind Beyond Meat Produkte auch in 1.140 Geschäften in Österreich erhältlich.

Unter den heimischen Fleisch-Industrie-Disruptoren ist unter anderem die Firma “Rebel Meat” einen Versuch wert, die einen eigenen, spannenden Weg gefunden hat. Sie mischen heimisches-Bio-Fleisch mit vegetarischen Zutaten und suchen sozusagen den nachhaltig schmackhaften Mittelweg – der brutkasten berichtete.

Ein Ausblick

Es ist gut vorstellbar, dass in ferner Zukunft Schüler*innen in ihrem Unterricht fassungslos den Kopf schütteln werden, wenn sie lernen, wie unethisch wir unseren Hunger auf Fleisch haben stillen lassen.

Wie bei so vielen Fragen, die wir in dieser Kolumne behandeln, kann Innovation die Rettung sein, die unseren menschlichen Süchten und Trägheit im Wandel aus der Falle hilft. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis Zell-Fleisch und pflanzlicher Fleischersatz in der Breite ankommen. Aber darin steckt die Chance für mehr Menschen, vegetarisch leben zu können oder zumindest von 5 bis 7 Mal pro Woche Nutztier-Fleisch und Wurst am Teller auf 1-3 Mal runter zu kommen. Weil man damit dann die Lasagne, den Burger oder die Jause ähnlich schmackhaft zubereiten und deshalb einfacher wechseln kann. Es gab schon blödere Trends!

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Die Levy Health-Gründerinnen (v.l.): Caroline Mitterdorfer, Silvia Hecher und Theresia Vilsmaier | © Levy Health
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Wenn es mit dem Kinderwunsch nicht klappt, kann es oft sehr lange dauern, bis eine Diagnose gestellt wird und eine Behandlung gestartet werden kann. Dabei kann es genau auf diese Zeit ankommen, meinen die drei Gründerinnen des Startup Levy Health. Mit ihrer SaaS-Lösung werden Patienten und Kliniken dabei unterstützt, diesen Zeitraum zur Diagnose erheblich zu reduzieren – brutkasten berichtete bereits. So soll die “Time to Treatment” dadurch laut Startup von durchschnittlich 145 Tagen auf 45 Tage sinken.

Österreichische Levy Health-CEO mit intensiver persönlicher Erfahrung

Dazu erstellt die Software unter anderem auf Basis von Fragebögen und Laborwerten eine Vorauswahl von einer Handvoll plausiblen Unfruchtbarkeits-Diagnosen aus insgesamt 110 möglichen. Diese Art von Software ist im Medizinbereich mitunter schon gängig, konkret im Bereich Fruchtbarkeit aber neu. “Wir sehen Levy Health als einen virtuellen Therapie-Koordinator für Kinderwunschkliniken”, erklärt die aus Österreich stammende Co-Founderin und CEO Caroline Mitterdorfer. “Unsere Plattform kümmert sich um alles, von der Diagnostik bis zur Patientenaufklärung, so dass sich die Kliniken bereits bei der ersten Konsultation auf die Behandlungsplanung konzentrieren können.“

Mitterdorfer hat durch eine Gebärmutterhalskrebs-Diagnose im Alter von 28 Jahren intensive persönliche Erfahrungen mit dem Thema gemacht, bevor sie später gemeinsam mit Silvia Hecher und Theresia Vilsmaier in Berlin Levy Health gründete. Mittlerweile hat das Startup seinen Hauptsitz nach San Francisco verlegt, denn die USA sind der wichtigste Markt für das Unternehmen.

Millioneninvestment in den USA

In den USA holte sich Levy Health kürzlich auch weiteres Kapital. Unter dem Lead von XYZ Venture Capital investieren auch Atlantic Labs und Possible Ventures insgesamt 4,5 Millionen US-Dollar in das Startup, an dem auch der heimische VC Calm/Storm aus einer früheren Runde beteiligt ist. Das Kapital verwende man für den weiteren Aufbau des Teams und der Technologie, aber auch für die Finanzierung klinischer Studien in Bereichen wie Fruchtbarkeit und Einfrieren von Eizellen, sagt Mitterdorfer gegenüber dem US-Magazin TechCrunch.

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