24.04.2023

Finn-CEO gibt nach brutkasten-Recherche sexuelle Belästigung zu

Im Dezember 2022 veröffentlichten Cigdem Elikci und Carolin Rainer im Rahmen ihrer Initiative #growrespect einen anonymen Erfahrungsbericht über die Weihnachtsparty eines deutschen Startups, die 2021 völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Insgesamt hat der Finn-CEO Max-Josef Meier an einem Abend neun Angestellte sexuell belästigt. Nun hat Meier das Fehlverhalten eingeräumt.
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Max-Josef Meier. CEO und Co-Founder von Finn, hat nach brutkatsen-Recherche auf einer Weihnachtsfeier in 2021 neun Frauen sexuell belästigt. (c) Pixel-Shot

Im Dezember 2022 berichteten zwei brutkasten-Redakteurinnen, Cigdem Elikci und Carolin Rainer, im Rahmen ihrer Initiative #growrespect über die mehrfachen sexuellen Belästigungen auf der Weihnachtsfeier eines deutschen Startups. Der CEO des besagten Unternehmens hatte auf einer Party neun Frauen sexuell belästigt. Drei weitere Frauen hatten sich freiwillig auf ihn eingelassen.

Zu diesen Erkenntnissen kamen die brutkasten-Redakteurinnen nach einem ausführlichen Interview mit zwei Angestellten bei Finn, die selbst von den Übergriffen betroffen waren. In einem anonymen Erfahrungsbericht verschriftlichten Elikci und Rainer die Vorfälle und achteten stets darauf, die Identität der Finn-Angestellten zu schützen. Auch der Name des Startups sowie Angaben zur Person des CEOs wurden zum damaligen Zeitpunkt von den Redakteurinnen nicht bekannt gemacht.

Der Artikel schockierte nach Publikation viele Leser:innen und Vertraute der österreichischen und deutschen Startup-Szene. Wie von vielen weiteren Artikeln bekannt, ging die Empörung rund um den Beitrag “1 CEO, 1 Weihnachtsfeier, 9 Belästigungen: Wie ein Startup kläglich an der Aufarbeitung scheiterte” nach einigen Wochen zu Ende. Doch am 11. April 2023 erhielt die brutkasten-Redaktion eine E-Mail von einem weiteren Angestellten bei Finn, Emin S.

In seiner E-Mail schreibt der Programmierer: “Ich habe den Namen des CEOs auf meinem LinkedIn-Profil veröffentlicht” und lässt die Redaktion wissen, dass er auch den brutkasten-Artikel darunter verlinkt hat.

Als mehr und mehr Menschen von den sexuellen Übergriffen bei Finn lesen und diese Vorfälle auf Max-Josef Meier zurückführen, wurden deutsche Wirtschaftsmagazine auf das Thema aufmerksam. Capital griff die Recherchen der brutkasten-Redakteurinnen Cigdem Elikci und Carolin Rainer auf und konfrontierte den CEO mit den Vorwürfen. Auch Gründerszene berichtete über den Fall.

Finn-CEO räumt Vorwürfe über sexuelle Belästigung ein

Erfahrungsgemäß streiten viele Beschuldigte von #metoo-Fällen jegliche Vorwürfe ab. Nach Bekanntwerden der Vorfälle und den Namensnennungen passiert bei Finn dann das, worauf sowohl Emin S., als auch viele weitere Angestellte und Betroffene der sexuellen Belästigungen seit 16 Monaten gewartet haben.

Der CEO räumt in einem Gespräch mit Capital die Beschuldigungen ein. “Nach den Schilderungen habe ich an dem Abend, in Anwesenheit von anderen, gegenüber mehreren Frauen übergriffige verbale Äußerungen und Aufforderungen gemacht, sie am Gesäß angefasst und versucht, einige von ihnen ohne Einvernehmen zu küssen”, sagt Meier, Co-Founder und Geschäftsführer von Finn und ergänzt: “Die Situation war für uns alle eine völlig neue und wir haben versucht, das Bestmögliche zu tun.”

Das Fehlverhalten tut mir bis heute unendlich leid und ich möchte mich erneut bei den Betroffenen entschuldigen, aber auch bei meiner Partnerin und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Finn.

Max-Josef Meier, CEO und Co-Founder von Finn

Im brutkasten-Interview erklären zwei Betroffene der sexuellen Übergriffe von Meier, wie das Unternehmen versucht hat, die Vorfälle aufzuarbeiten und kläglich scheiterte. “Das Fehlverhalten tut mir bis heute unendlich leid und ich möchte mich erneut bei den Betroffenen entschuldigen, aber auch bei meiner Partnerin und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Finn”, sagt der CEO. Mittlerweile habe das Startup Finn auch interne Richtlinien für den verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol auf betrieblichen Feiern ausgearbeitet.

So reagierten die Investor:innen

Doch wie kann es sein, dass ein CEO nach neun sexuellen Belästigungs-Fällen auf der betrieblichen Weihnachtsfeier für 16 Monate ungestraft bleibt? Eine Frage, die viele nach Bekanntwerden der Vorfälle beschäftigt hat. Laut internen Dokumenten wurden alle Investor:innen und Fonds über die Fälle informiert. “Ich habe auch meinen Rücktritt angeboten”, sagt Meier. Doch die Investor:innen nahmen ihn nicht an – und Meier durfte bleiben. Die Kapitalgeber haben dem Startup lediglich empfohlen, die Vorfälle intern aufzubereiten und Transparenz zu bewahren. Auch mit der von den betroffenen Frauen als “kläglich” bezeichneten Vorbereitungsarbeit seien die Investor:innen zufrieden gewesen, was nun von vielen in der Szene aktuell stark kritisiert wird.

brutkasten-Initiative #growrespect gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Mit der brutkasten-Initiative #growrespect bieten Cigdem Elikci und Carolin Rainer Frauen die Möglichkeit, Belästigungs- und Diskriminierungserfahrungen im Arbeitsalltag zu thematisieren. Auch die beiden Finn-Angestellten kamen Ende 2022 auf die #growrespect-Initiatiorinnen zu, um ihre Erfahrungen, die sie auf der Weihnachtsfeier von Finn gemacht haben, mit weiteren Menschen zu teilen. Nicht nur Betroffene bei Finn, sondern viele Frauen sind in ihrem Arbeitsumfeld nach wie vor mit sexueller Belästigung konfrontiert. Die Startup- und Investor:innen-Szene ist bis heute von einer männerdominierten Arbeitswelt geprägt. Die Initiative #growrespect hat es geschafft, durch die Recherchen von Cigdem Elikci und Carolin Rainer sowie ihre Berichterstattung über die sexuellen Überfälle bei Finn, erfolgreich auf die Probleme in der Startup- und Innovation-Szene aufmerksam zu machen.

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Wiener-Börse-CEO Christoph Boschan
Wiener-Börse-CEO Christoph Boschan | Foto: brutkasten / Wiener Börse (Hintergrund)

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach, darunter etwa FFG-Geschäftsführerin Henrietta Egerth, mit PlanRadar-Co-Founder Sander van de Rijdt und mit Storebox-Co-Founder Johannes Braith.

Zum Thema Kapitalmarkt haben wir nun bei Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse, nachgefragt.


brutkasten: Die Regierungsverhandlungen befinden sich in der entscheiden Phase. Was sind die wichtigsten Maßnahmen, die in Österreich umgesetzt werden sollten, um Kapitalmarkt und Börse zu stärken?

Christoph Boschan: Die schnellste und einfachste Maßnahme wäre die Wiedereinführung der Behaltefrist für Wertpapiere bzw. die Einführung eines Vorsorgedepots. Das lag alles fix fertig auf dem Tisch und stand im letzten Regierungsprogramm.

Gewichtiger wäre eine bessere Abstimmung des Pensionssystems auf den Kapitalmarkt, also eine teilweise Veranlagung der ersten Säule am Aktienmarkt. Da spreche ich übrigens nicht mit dem reinen Blick durch die “Kapitalmarkt-Brille”. Das würde zugleich den Staatshaushalt entlasten und die Pensionsfinanzierung nachhaltig absichern und Geld für die Innovations- und Wachstumsfinanzierung bereitstellen.

Sie haben in einem brutkasten-Studiotalk im September gefordert, “zentrale, mächtige, große Kapitalsammelstellen zu errichten”. Was genau verstehen Sie darunter, beziehen Sie sich primär auf Pensionsfonds oder verstehen Sie das Konzept breiter?

In der teilweisen Veranlagung der ersten Säule am Kapitalmarkt liegt tatsächlich das größte Potenzial, ein bis zwei Prozent machen hier auf einige Jahre gesehen bereits viel aus. Die zweite Säule könnte mit einer verpflichtenden betrieblichen Vorsorge gestärkt werden. Oder man kreiert einen Staatsfonds nach norwegischem Vorbild.

Abseits davon gibt es in Österreich 330 Mrd. Euro an niedrigverzinstem privatem Kapital, die nicht nur keine Rendite abwerfen, sondern den Unternehmen auch bei der Innovationsfinanzierung fehlen. Die Liste an Möglichkeiten ist lang, wie auch jene der schon existierenden Blaupausen in Europa.

Welche Maßnahmen bräuchte es konkret? Welche dieser Schritte können in Österreich gesetzt werden und welche nur auf europäischer Ebene?  

Die entscheidenden Schalthebel sind tatsächlich bei den Nationalstaaten. Vorlagen, die für den österreichischen Anwendungsfall angepasst werden können, gibt es genug. Norwegen mit dem Staatsfonds, Schweden mit der teilweisen Veranlagung der Pensionen am Kapitalmarkt, die Schweiz mit der verpflichtenden betrieblichen Altersvorsorge. In Deutschland kommt nun das Vorsorgedepot mit steuerbegünstigter Wertpapierveranlagung. Alles, was eine zu befürwortende Harmonisierung betrifft, etwa beim Gesellschafts-, Insolvenz- und Steuerrecht, ist auf EU-Ebene zu lösen.

Stichwort EU-Ebene. Sie sprechen auch oft von der “unvollendeten Kapitalmarktunion”. Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, um diese Kapitalmarktunion zu vollenden?

Das deckt sich mit den zuvor diskutierten Ansätzen, die jedoch in der langen Liste der – grundsätzlich zu befürwortenden – Ziele der Kapitalmarktunion nur unzureichend adressiert werden können, da derzeit die großen Kapitalsammelstellen nur durch die Mitgliedsstaaten geschaffen werden können. Ohne große Kapitalsammelstellen werden wir die europäische Konkurrenzfähigkeit nicht entscheidend ankurbeln können.

Inwiefern können Kapitalreserven in privaten Altersvorsorgesystemen oder Pensionsfonds als „Treibstoff“ für tiefe und liquide Märkte dienen? 

Indem sie in börsennotierte Unternehmen investieren. Damit schaffen wir die besagten großen Liquiditätspools bzw. Kapitalsammelstellen. Die Unternehmen haben somit eine umfassendere Kapitalquelle für Innovation und Wachstum. Das erklärt auch, warum wir in Europa mit Abwanderung von Listings in Richtung USA zu kämpfen haben. Wachstumsorientierte Unternehmen gehen dorthin, wo sie potenziell das meiste Kapital bekommen können.

Wenn wir wollen, dass das nächste Google, Meta oder Amazon aus Europa kommt, müssen wir hier anpacken. Volkswirtschaften mit entwickelten Kapitalmärkten wachsen schneller und erholen sich rascher von Krisen.

Sie haben bereits angesprochen, dass die nun scheidende Regierung die Wiedereinführung der Behaltefrist für Aktien im Regierungsprogramm vereinbart hatte, ohne sie dann tatsächlich umzusetzen. Für wie wichtig – verglichen mit anderen Möglichkeiten, Anreize zu schaffen – wäre diese Maßnahme, um die private Vorsorge über die Börse attraktiver zu gestalten?

Ich bin immer dafür, Individuen zu ermächtigen und zu stärken und genau das macht die Behaltefrist. Die Befreiung von der KESt (Kapitalertragssteuer) für die langfristige Altersvorsorge ist als Anreiz nicht zu unterschätzen. Sie ist längst überfällig.

Versteuertes Arbeitseinkommen wird in Unternehmen investiert, diese schütten mit Körperschaftsteuer besteuerten Gewinn aus, auf den nochmal 27,5 Prozent geltend werden. Diese steuerliche Eskalation ist immens. Wer vorausschauend agiert und für sein Alter vorsorgt, sollte dringend entlastet werden.

Sie vertreten mit der Wiener Börse die österreichische Nationalbörse. Aktuell kursieren einige Vorschläge, die einen anderen Bereich, nämlich den vorbörslichen Kapitalmarkt betreffen und diese attraktiver machen sollen, etwa die Schaffung eines Dachfonds, der in bestehende Venture-Capital-Fonds investiert, oder einen Beteiligungsfreibetrag für Business Angels und andere private Kapitalgeber. Wie blicken Sie darauf?

Ich halte Ansätze, die Innovation, junges Unternehmertum und Wachstum fördern immer für begrüßenswert. Von jungen Unternehmen, die am Beginn ihrer Reise mit genügend Kapital ausgestattet werden, wird in weiterer Folge auch die Börse, die am oberen Ende der Finanzierungsstufen steht, profitieren.


Aus dem Archiv: Christoph Boschan im brutkasten-Studiotalk (September 2024):


Aus dem brutkasten-Printmagazin: Warum ein Börsengang nicht nur etwas für Großkonzerne ist


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