26.11.2015

Europäischer Datenschutz? „StudiVZ ist daran zugrunde gegangen“

Ob ein starker Datenschutz Fluch oder Segen ist, hängt manchmal ganz von der Perspektive ab. Die EU lässt sich mit einer neuen Datenschutzverordnung Zeit, um jedes Für und Wider abzuwägen.
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Der Datenschutz dürfe nicht die Oberhand gewinnen, wenn Europa bei der Digitalisierung vorne mitspielen möchte. Mit dieser Aussage stieß die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang November Vielen vor den Kopf. Der Datenschutz ist in Europa unantastbares Grundrecht und das bekommen ausländische Firmen regelmäßig zu spüren. Genau das ist für europäische Firmen auch oft ein gutes Verkaufsargument – wenn heikle Kundendaten auf Servern in Europa gelagert werden, fühlt man sich sicherer. Kann der Datenschutz tatsächlich ein Hemmnis für Innovationen sein?

Nach wenigen Jahren „ausgegruschelt“

Jodok Batlogg war früher CTO bei StudiVZ – einst ein großes europäisches Social Network, zumindest, bis der US-Konkurrent Facebook nach Europa drängte. „Ich habe lange geglaubt, dass der europäische Datenschutz für Firmen ein Vorteil ist. Es war aber de facto ein großer Nachteil und einer der Hauptgründe, warum StudiVZ gestorben ist“, meint Batlogg im Gespräch mit dem Brutkasten.

Als Facebook 2008 nach Europa kam, hatte es in Frankreich und Großbritannien leichtes Spiel. In Deutschland aber sahen viele Nutzer, keinen Grund zu wechseln. StudiVZ hatte zu Spitzenzeiten 16 Millionen Nutzer – es wurde eben lieber „gegruschelt“ als „gestupst“. Facebook versuchte sogar StudiVZ zu übernehmen – erfolglos. Dann ging es allerdings rasch bergab. 2011 überholte Facebook den deutschen Konkurrenten und spätestens 2013 waren die VZ-Netzwerke verwaist.

„Bei StudiVZ hätten sich Mitarbeiter strafbar gemacht“

„Das Problem ist, dass in Europa der europäische Datenschutz für US-Firmen nicht durchgesetzt wird“, meint Batlogg. Bei StudiVZ hätte man sich an alle Auflagen gehalten und sei deshalb gegenüber Facebook ins Hintertreffen geraten: „Wir durften keine anderen User vorschlagen, die man kennen könnte. Wir durften die Nachrichten der Nutzer auch nicht für Werbezwecke auswerten, wie das Facebook tut. Bei Facebook hat die ganze Firma Zugriff auf die private Kommunikation – bei uns hätten sich die Mitarbeiter strafbar gemacht. Auch das Markieren von Personen auf Fotos war problematisch, genauso wie das Recht am eigenen Bild“.

Datenschutz-Entwurf nach drei Jahren

Während Facebook auf das europäische Recht lediglich mit der nachträglichen Möglichkeit des Opt-out eingegangen ist, musste StudiVZ bei jeder Funktion ein Opt-in anbieten. „Im Consumer-Bereich killen die ganzen Datenschutz-Maßnahmen jede Viralität und jede exponentielle Verbreitung“, so Batlogg. Mit der nächsten Datenschutzverordnung der EU könnte es in diesem Bereich ein wenig Erleichterung geben. Im Juli hatten sich die Mitgliedsstaaten nach dreijährigen Verhandlungen auf eine Linie zur Datenschutzzukunft geeinigt. Darin sind die Regelungen zur Verwendung von Daten durch Dritte gelockert, insofern es ein berechtigtes Interesse gibt, das stärker wiegt als das Interesse der Betroffenen. Der Entwurf liegt nun im EU-Parlament.

Safe-Harbour ausgesetzt

“Wir können uns also gar nicht ausmalen, wie viele unangenehme Details das Internet in 20 Jahren hochspült“

Selbst, wenn es zu Lockerungen kommt, wird das kaum etwas an der Situation von Unternehmen wie StudiVZ ändern. „Europäische Firmen haben auf demselben europäischen Grund ganz andere Voraussetzungen als US-Firmen“, meint Batlogg, der mittlerweile ein eigenes Startup gegründet hat und mit Crate Datenbanklösungen für Big-Data-Anwendungen anbietet. Derzeit ist die Situation besonders verfahren, da der Europäische Gerichtshof Anfang Oktober das Safe-Harbour-Abkommen mit den USA gekippt hat. Darin wurden der Umgang und die Übermittlung von personenbezogenen Daten durch US-Firmen geregelt. Die EU und die USA wollen bis zum Jahreswechsel ein neues Abkommen aushandeln.

Unerfahrene Menschen schützen

Ob man überhaupt eine Lösung finden kann, mit der alle Seiten glücklich sind? „Ich denke, dass es immer ein Kompromiss sein wird“, sagt Batlogg. Der Datenschutz sei ein wichtiger Teil der europäischen Kultur und auch Batlogg ist der Meinung, dass Datenschutz ein Grundrecht bleiben müsse, „das auch unerfahrene Menschen schützt“. „Es werden bereits jetzt ab und zu alte Fotos ausgegraben, die Politiker oder Prominente in unangenehme Situationen bringen. Diese Bilder wurden vor 20 Jahren ins Internet gestellt. Damals gab es bei weitem nicht so viele Daten wie heute. Wir können uns also gar nicht ausmalen, wie viele unangenehme Details das Internet in 20 Jahren hochspült“.

 

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Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith
Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith | Foto: brutkasten

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach.

Storebox-Co-Founder und -CEO Johannes Braith sieht im brutkasten-Interview auch Chancen, die die Krise biete, formuliert aber konkrete Maßnahmen, die dazu nun auf politischer Seite ergriffen werden müssten.


brutkasten: Düstere Prognosen und drastische Appelle stehen aktuell in der Wirtschaftsberichterstattung an der Tagesordnung. Wie beurteilst Du die Situation? Ist sie wirklich so dramatisch?

Johannes Braith: Ich beobachte die Großwetterlage natürlich laufend. Allerdings halte ich es für gut, wenn man sich in seinen daily Operations als Founder nicht zwangsläufig beunruhigen lässt. Gerade Startups sind es gewohnt Krisen zu managen bzw. mit ihnen umzugehen. In manchen Fällen kann dadurch sogar etwas Positives entstehen. Denn Krisen erzwingen oft Veränderungen, welche wiederum oft Chancen beinhalten.

Aber natürlich finde ich es beunruhigend, dass wir, was unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa angeht, so dramatisch den Anschluss verlieren. Ich hoffe, dass der steigende Schmerz dazu führt Regulierungen abzubauen und ein neues Selbstverständnis hinsichtlich Wirtschaft, Startups und Technologie einkehrt.

Welche gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen sollten in Österreich möglichst schnell umgesetzt werden? Was muss unbedingt ins Regierungsprogramm?

Das Thema ist leider ziemlich mühsam, da sehr, sehr gute Vorschläge seit langer Zeit am Tisch liegen, die allerdings nicht umgesetzt wurden. Ein wichtiger Punkt ist es bestimmt, Risikokapitalgeber zu incentivieren – Stichwort Beteiligungsfreibetrag.

Noch wichtiger wäre es allerdings die Steuern auf Arbeit deutlich zu reduzieren. Wir sind in einer Zeit, in der wir die Extrameile gehen müssen. Das sollte auch belohnt werden. Man könnte z.B. Überstunden steuerlich freistellen, Pensionisten incentivieren, wenn sie in der Rente arbeiten möchten – eventuell gänzlich steuerfrei, oder man kann über Modelle nachdenken, mit denen man Vollzeitarbeit nicht nur ermöglicht (Kinderbetreuung) sondern eventuell auch belohnt.

Generell stelle ich mir die Frage, wie Menschen den Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit wieder zurückerlangen können. In vielen Gesprächen und Beobachtungen sehe ich, dass die Leistungebereitschaft extrem abgenommen hat. Ob das immer durch politische Maßnahmen geheilt werden kann, bezweifle ich. Ich halte viel von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Und was sollte die neue EU-Kommission unbedingt sofort angehen?

Regulierung massiv abbauen. Ich bin mit Storebox mittlerweile in sechs Ländern und mehr als 200 Städten operativ tätig. Es kann ja nicht sein, dass wir gefühlt hunderte unterschiedliche Regulierungen vorfinden, die das Prosperieren von Unternhemen extrem erschweren.

Was wären konkret für euch als Scaleup die wichtigsten Schritte auf nationaler und EU-Ebene?

Die Lohnkosten senken, Regulierungen massiv reduzieren und die Zuwanderung hochqualifizierter Personen massiv erleichtern.

Was bräuchte es, damit die Wiener Börse bzw. zumindest eine europäische Börse für einen IPO eines Scaleups wie Storebox attraktiv ist?

Große Anschlussfinanzierungen müssen in Europa mit europäischem Kapital getätigt werden, um ab einer gewissen Stage als logischen Schritt einen IPO auch in einem europäischen Heimatmarkt zu forcieren.

Aktuell wird nicht nur im Zusammenhang mit Börsengängen die Standortattraktivität stark diskutiert. War Abwanderung aus Europa für euch jemals ein Thema?

Aktuell noch nicht. Ich lebe sehr gerne in Österreich und sehe nicht alles nur negativ. Wir leben in einem tollen Land mit vielen Möglichkeiten, toller Infrastruktur und einigermaßen stabilen Verhältnissen. Die Verwaltung dieses Zustands wird allerdings nicht ausreichen. Es muss gestaltet werden, um den Standort attraktiv zu halten.

Bitte eine Prognose: Abhängig von den Entscheidungen, die in nächster Zeit getroffen werden – was ist das Worst- und was das Best-Case-Szenario für Europa?

Das Worst-Case-Szenario: Die EU zerfällt in unterschiedliche Lager, weil es nicht möglich war, Interessen zu alignen und die großen Hebel zu betätigen. Geopolitisch wäre das eine absolute Katastrophe!

Das Best-Case-Szenario: Die Wettbewerbsfähigkeit wird durch radikale Maßnahmen wieder hergestellt. Die Menschen spüren eine deutliche Entlastung, haben Perspektiven und glauben an eine bessere Zukunft. Europa wächst weiter zusammen und bleibt ein starker und wichtiger globaler Player.

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