03.06.2024
EUROPÄISCHE UNION

„Ein mittelmäßiges Gesetz mit vielen Schwächen“: Was bedeutet der AI Act für die Arbeitswelt von morgen?

Im EU-Parlament ist man sich ungewöhnlich einig: Mit dem AI Act sei Europa ein globaler Vorreiter, was die Regulierung von künstlicher Intelligenz betrifft. Aber stimmt das wirklich? Und wie werden Arbeitnehmer:innen geschützt, die befürchten, von KI verdrängt oder überwacht zu werden? brutkasten hat mit österreichischen EU-Politiker:innen gesprochen, die am 9. Juni zur Wahl antreten, und einen EU-Digitalexperten um seine Einschätzung gebeten.
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Wie stark ist das neue EU-Gesetz zur künstlichen Intelligenz wirklich? (c) Adobe Stock, generiert mit KI

Der AI Act hat seine letzte Hürde genommen. Vor knapp zwei Wochen hat der EU-Rat das Gesetz zur Regulierung von künstlicher Intelligenz final verabschiedet, noch dieses Jahr soll damit begonnen werden, es schrittweise auszurollen. Auf die Frage, was KI für die Zukunft unserer Arbeitswelt bedeute, lassen Politiker:innen quer durch die Reihen und Fraktionen des Europäischen Parlaments eine ähnliche Einschätzung vom Stapel: Künstliche Intelligenz berge großes Potenzial für Wirtschaft – aber auch ernstzunehmende Risiken für Arbeitnehmer:innen. Es häufen sich die Bedenken, man könne in Zukunft am Arbeitsplatz dauerüberwacht und -kontrolliert werden. Gleichzeitig wird Branchen wie beispielsweise Marketing, Journalismus und Softwareentwicklung medial bereits die Trauerrede gelesen.

Nie mehr Langeweile

Verständlich also, dass viele Menschen Angst davor haben, ihren Schreibtisch künftig mit KI teilen zu müssen. Andere hingegen prognostizieren kein Gegeneinander, sondern ein symbiotisches Miteinander von Mensch und Maschine; so auch Sead Ahmetovic, selbst Softwareentwickler und CEO des Wiener Startups WeAreDevelopers. In seiner Keynote am diesjährigen 4Gamechangers-Festival malte er ein eher blumiges Zukunftsbild von einer KI-gestützten Arbeitswelt: „Wenn ein Journalist mich fragt, ob ich Angst hätte, als Entwickler meinen Arbeitsplatz zu verlieren, sage ich nein. Endlich kann ich meine Expertise, meine Fachkenntnis für sinnvolle Aufgaben verwenden. Die KI ist nicht hier, um unsere Arbeitsplätze wegzunehmen. Sie ist hier, um die langweiligen Aufgaben zu übernehmen, die wir ohnehin nicht machen wollen“, so Ahmetovic.

AI Act: „Progressive Kräfte“ versus „Überwachungsfantasien“

Auch im EU-Parlament gehen die Meinungen an dieser Stelle auseinander. Während die einen vor dystopischen Überwachungssystemen warnen, sprechen sich andere dagegen aus, das Potenzial von künstlicher Intelligenz durch Regulierungen zu beschneiden. Die Debatte zog sich durch den gesamten Entstehungsprozess des Gesetzes; so verkündete beispielsweise NEOS-Abgeordnete Claudia Gamon bei einer Abstimmung zum AI Act im März: „Die progressiven Kräfte konnten die Überwachungsfantasien der EVP erfolgreich abwehren und die Regelungen deutlich entschärfen.“

Auch Anna Stürgkh, die für die Wahl am 9. Juni den zweiten Listenplatz der NEOS belegt, plädiert für eine offene Haltung gegenüber künstlicher Intelligenz. „Gerade für junge Menschen ist KI eine super Basis für die Zukunft. Aber sie macht die Arbeit auch nicht für uns“, so Stürgkh in einem Gespräch mit brutkasten. „Ich arbeite als Trainerin in Kommunikation und Führung. Wir hatten einmal ein Seminar, in dem zwei Gruppen Aufgaben bekommen haben. Die Gruppe, die KI als Basis genutzt und dann darauf aufgebaut hat, hat die volle Punktzahl bekommen.“

Big Brother is employing you

Was sind also diese „Überwachungsfantasien“, die anderen Parteien vorgehalten werden? Vor allem der Punkt biometrische Identifikation wurde in den Gesprächen rund um die Beschließung des AI Acts immer wieder kritisiert. Es sei zu verhindern, dass individuelle Personen identifiziert und eine Massenüberwachung möglich gemacht werden könnten. Lukas Mandl, fünfter auf der Liste der ÖVP-Kandidat:innen für die EU-Wahl, spricht von einem „Orwell’schen Risiko“, das von künstlicher Intelligenz ausginge. Gegenüber brutkasten äußert er Bedenken, dass sich Szenarien wie in dem Roman „1984“ auch an den Arbeitsplätzen der Zukunft abspielen könnten: „Beispielsweise um zu tracken, wer wie oft aufsteht von seinem Schreibtisch, wie lange ein E-Mail braucht, um bearbeitet oder beantwortet zu werden und verschiedenes mehr, was dem Arbeitsprozess des einzelnen Mitarbeiters, der einzelnen Mitarbeiterin obliegt“, so Mandl. Durch den AI Act habe man jedoch sichergestellt, dass eine solche Überwachung am Arbeitsplatz nicht erlaubt sei.

Gewerkschaften als Zweitinstanz

Wie KI die Arbeitnehmer:innen der Zukunft beeinflussen könnte, wurde naturgemäß auch für die Sozialdemokratie zu einem wichtigen Thema im Wahlkampf. Andreas Schieder, die SPÖ-Spitze des EU-Wahlkampfs, betont gegenüber brutkasten die Rolle der Gewerkschaften in der Koordination von KI im Job: „Ich glaube, es ist wichtig, dass der Einsatz von AI-Technologie je nach Arbeitsplatz nur in Absprache mit dem Betriebsrat erfolgen kann oder darf. Und dass es auch Bereiche gibt, wo es sehr reglementiert sein muss – Justiz, Ermittlungsmethoden und dergleichen. Gewerkschaften und Personalvertretern in Betrieben kommt, glaube ich, eine zentrale Rolle zu. Sie werden nämlich die Stelle sein, die mit dem Unternehmen zu verhandeln hat und abklärt: Wird das eingesetzt? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? Und ich glaube, sie werden auch eine wichtige Beschwerdeinstanz. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Gefühl haben, da läuft etwas in die falsche Richtung, dann sind Betriebsrat und Gewerkschaft eine der ersten Ansprechstellen, wo man diese Probleme mal erörtern kann.“

„Vorreiter ist ein neutraler Begriff“

Die Überlegung, in Zukunft zusätzlich zum AI Act noch weitere Kontrollinstanzen einzuschalten, wirft die Frage auf: Wie wasserdicht ist die EU-Regulierung gegen einen Job wie in Orwells Ozeanien? Laut Jan Penfrat hätte sie durchaus noch verschärft werden sollen. Der Digitalexperte ist Teil der Organisation EDRi (European Digital Rights), die ebenfalls in Brüssel sitzt – die perfekte Lage, um der Europäischen Union bei der Arbeit im Digitalbereich auf die Finger zu schauen. Dass sich die EU selbst als globaler Vorreiter bezeichnet, was die Regulierung von KI betrifft, kommentiert Penfrat zynisch: „Vorreiter ist ja erstmal ein neutraler Begriff. Das ist ja nicht in sich eine gute Sache, wenn man in irgendwas schlecht und ein Vorreiter ist. Also ja, Vorreiterrolle kann man sagen. Aber das heißt nicht, dass das ein gutes Gesetz geworden ist. Es ist ein mittelmäßiges Gesetz geworden mit vielen Schwächen.“

Laut Penfrat liege das vor allem am Lobbying von KI-Unternehmen. „Zu viele Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger haben sich, sag ich mal, einnebeln lassen“, so seine Einschätzung. „Manchmal reicht es im Politikbetrieb schon, dass man einfach das Label Innovation draufklebt und sagt, guck mal, das ist neu, was man da alles Tolles machen kann. Dann ist natürlich einfach sehr viel Geld im System und sobald da mit großen Zahlen gehandelt wird, hinterlässt das einen Eindruck in der Politik.“

Leere Versprechung, unterirdische Ausführung

Das EU-Parlament habe sich also von Versprechungen blenden lassen. Versprechungen zu Anwendungen, die laut Penfrat eindeutig darauf abzielen würden, menschliche Arbeit zu ersetzen. Hier gibt der Digitalexperte jedoch eine vorsichtige Entwarnung: „Die Anwendungen können bisher oft qualitativ nicht mithalten mit den Versprechen, die die Unternehmen machen. Hier schaue ich jetzt insbesondere auf Large Language Models wie ChatGPT, aber auch andere Generative-AI-Anwendungen, die zwar groß angekündigt werden, aber unterirdisch sind, was die Akkuratheit des Outputs angeht“, so Penfrat. Nach jetzigem Stand bereits ganze Branchen für obsolet zu erklären, dürfte also etwas überstürzt sein.

Zusatz statt Ersatz

Auch Stürgkh findet beschwichtigende Worte für Menschen, die Angst haben, ihren Job an KI zu verlieren: „Ich habe Geschichte studiert. Diese Welt hat sich schon mehrfach reformiert, zum Beispiel waren viele Jobs nach der industriellen Revolution nicht mehr so wie davor. Das wird jetzt vielleicht mit KI ähnlich sein. Aber das heißt nicht, dass wir alle plötzlich arbeitslos werden; das heißt, dass auch neue Möglichkeiten geschaffen werden.“ Dem pflichtet auch Mandl bei: „Der Mensch ist kreativ genug, um etwas Neues zu entwickeln. Es wird immer genug Arbeit geben.“ Und auch Schieder betont, dass KI schlussendlich Arbeiter:innen unterstützen und nicht ersetzen solle.

Fest steht: Mit dem AI Act hat das Europäische Parlament kurz vor der Wahl ein Thema in einen gesetzlichen Rahmen gebracht, das gerade in aller Munde ist. Ein kluger Zug, um die Menschen auf die EU-Arbeit am Zahn der Zeit aufmerksam zu machen und so möglicherweise sogar zum Wählen zu mobilisieren. Ob der AI Act Arbeitnehmer:innen tatsächlich in eine glorreiche Utopie führt, in der uns nie mehr langweilig ist, oder in eine Welt wie in Orwells 1984, in der uns der “Große Bruder” auf die Finger klopft, wenn die Mittagspause mal zu lang dauert – das wird sich weisen. Auf jeden Fall wird die EU der Vorreiter dorthin gewesen sein.

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Ivo Zekic, Gründer von Pplace (c) Pplace

Man könnte meinen, dieses junge Wiener Startup operiert unter dem Motto “Parken statt warten”. Mit seiner frisch gelaunchten App, die im Apple-App-Store erhältlich ist, möchte sich das Startup Pplace einem Problem widmen, das vor allem PKW-Fahrer:innen in urbanen Regionen betrifft: Die Parkplatz-Suche.

Parkplatz suchen, finden und weitergeben

Dafür hat Ivo Zekic, Gründer und Geschäftsführer, eine App entwickelt, die er als “legale Lösung zur Parkplatz-Weitergabe” kommuniziert. Gerade in urbanen Gebieten seien “öffentliche Parkplätze Mangelware” heißt es vom Gründer.

Um seinen Parkplatz “rechtlich sicher” per App weitergeben zu können, müssen sich PKW-Besitzer:innen zunächst in der Pplace-App registrieren. Anschließend kann man den Service der App nutzen, konkret: Die Plattform zeigt freie Stellplätze auf öffentlichen Verkehrsflächen in einem gewünschten Umkreis.

Nutzende können bei der virtuellen Parkplatz-Suche Filter verwenden – unter anderem nach Größe, optional nach Anrainer-, Längs- oder Querparkplätzen. Ist der optimale und freie Parkplatz gefunden, wird dieser ausgewählt.

Parkplatz-Tausch für fünf Euro

Umgekehrt sei es Nutzer:innen indes möglich, seinen eigenen Stellplatz zum Tausch anbieten zu können. Der “Parkplatz-Anbieter” sieht dabei seinen Tauschpartner “in der App über eine Straßenkarte in Echtzeit kommen”, heißt es weiter. Dabei sollen überdies alle wesentlichen Details der Fahrzeuge übermittelt werden. Sobald der Fahrzeuglenker vor Ort eintrifft, wird der Stellplatz für ihn freigegeben, erklärt Founder Zekic.

Sollte etwas nicht klappen, soll der Pplace-Administrator als Problemlöser verfügbar sein. Für den Tauschservice zahlt der Stellplatz-Suchende fünf Euro. Davon gehen vier Euro auf das App-Konto des Parkplatz-Anbieters. Ein Euro bleibt beim App-Betreiber. Etwaige Kurzparkgebühren sind selbstständig zu entrichten, heißt es vonseiten des Founders.

Die Plattform soll vorerst in Wien starten und in naher Zukunft auf ganz Österreich ausgeweitet werden, heißt es vonseiten des Founders. Zekic ist alleiniger Eigentümer der App. Pplace ist bislang ein Einzelunternehmen.

“Der Tausch ist erlaubt”

“Der Grundgedanke hinter dieser Plattform ist nicht, mit dem Inserieren von Parkplätzen viel Geld zu verdienen”, meint Pplace-Gründer Zekic. Daher sei das Anbieten von Abstellflächen auf drei Stück pro Tag begrenzt: “Im Idealfall sollte man mit dem aufgebauten Guthaben wieder Parkplätze für sich selbst eintauschen.” Die Idee zur App kam dem Wiener schon vor Jahren, als er selbst verzweifelt auf Parkplatzsuche war.

“Laut Straßenverkehrsordnung ist das Blockieren von Parkplätzen auf öffentlichen Verkehrsflächen mit Gegenständen oder mithilfe von Personen zwar verboten”, erklärt Ivo Zekic, gibt aber im selben Atemzug Entwarnung: “Der Tausch mit einem Fahrzeug, wenn das andere kommt, ist erlaubt.” Aktuell zählt die App schon registrierte Nutzer:innen.

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