22.07.2021

„Geld mit Ablaufdatum“ und „totale Kontrolle“: Der digitale Euro wird zur Dystopie

Der digitale Euro, ein Segen? Die Hoffnung lebt, aber die Töne von Notenbankern und Ökonomen sind besorgniserregend: Von „totaler Kontrolle“ ist die Rede - und von „Geld mit Ablaufdatum“.
/artikel/digitaler-euro-wird-zur-dystopie
brutkasten-Kolumnist Nikolaus Jilch
brutkasten-Kolumnist Nikolaus Jilch | Hintergrund © Adobe Stock

Das Bargeld ist wieder unter Beschuss, die EU will seine Nutzung weiter einschränken. Das ist keine gute Idee. Aber dass die Digitalisierung vor Geld und Finanzen nicht Halt macht, ist auch offensichtlich. Bitcoin ist dafür der beste Beweis, aber auch im Bereich FinTech, Banken und Zahlungsverkehr ticken wir immer digitaler.

Deswegen muss man die jüngste Attacke der EU-Kommission auf das Bargeld auch vor dem Hintergrund des „digitalen Euro“ verstehen. Der soll kommen, sagt die Europäische Zentralbank (EZB). Er soll eine Art „digitales Bargeld“ werden. Aber nicht ganz. Und auch sonst sind viele Details offen.

Was hinter dem Projekt „digitaler Euro“ steckt

Hier habe ich schon einmal geschrieben, dass man vor den E-Euro keine Angst haben soll. Dass der Schritt vor dem Hintergrund der Digitalisierung logisch und nötig ist. Aber es gibt natürlich viele gute Gründe, skeptisch zu sein. Die aktuelle Bargelddebatte erinnert uns an diese Gründe.

Denn die Notenbanken planen mehr, als das alte Bargeld durch eine neue, digitale Version zu ersetzen. Sie wollen sich die neuen Möglichkeiten der Kontrolle nicht entgehen lassen. Und das ist ein Problem.

Die Notenbanken wollen alles kontrollieren

Zusammengefasst hat es Augustine Carstens, der Chef der Bank of International Settlements (BIS). Das ist die halbgeheime Zentralbank der Zentralbanken, eine Eliteeinrichtung allerhöchster Güte. Die BIS ist ein Machtfaktor seit Jahrzehnten. Gegründet wurde sie ursprünglich, um die Bezahlung der deutschen Kriegsschulden nach dem ersten Weltkrieg abzuwickeln. Aber wie das mit Bürokratien nun mal so ist, hat sich die BIS stets neue Aufgaben gesucht und ist heute einflussreicher denn je. Wer mehr wissen will, sollte zu diesem Buch greifen: „The tower of Basel“.

Carstens, jedenfalls, hat zu digitalen Zentralbankwährungen folgendes zu sagen: „Central banks will have absolute control on the rules and regulations that will determine the use…& we will have the technology to enforce that.“

Nicht einfach nur Kontrolle.

Nein.

Absolute Kontrolle.

Danke für diese Ehrlichkeit, Herr Carstens. Aber wie soll man als Bürger damit umgehen? In China wird das digitale Geld bereits eng mit dem Überwachungsstaat verknüpft. Jede Ausgabe wird verfolgt. Wer sich nicht nach den Vorstellungen der Diktatur verhält, kann bestraft werden. Wollen wir in so einer Welt leben?

Man darf nicht vergessen: Macht ist verführerisch.

Kann man den Regeln der EZB trauen?

Die EZB wird sich Regeln auferlegen. Sie wird die Privatsphäre garantieren. Zumindest ein bisschen. Aber wie lange? Die Regeln der Notenbank sind nur gültig, bis sie gebrochen oder geändert werden. Das haben wir in den zwei Jahrzehnten seit Euro-Einführung immer wieder gesehen. Aber natürlich, bevor wir hierzulande das chinesische Überwachungsgeld nutzen, sollten wir einen Gegenentwurf vorlegen. Der digitale Euro sollte den Anspruch erheben, die beste, sicherste, privateste und liberalste aller digitalen Staatswährungen zu sein.

Die EZB steht schon heute über dem Nationalstaat. Mithilfe der Digitalisierung könnte sie den Euro zu einer echten Weltwährung machen, die auch im Alltag vieler Menschen außerhalb Europas eine Rolle spielt. Aber das wird nur geschehen, wenn sie eine echte, glaubwürdige Alternative zum anonymen Bargeld bietet. Einen „digitalen Euro“, der die Privatsphäre und Bürgerrechte achtet. Eine Währung, bei der die Notenbanken bewußt auf Kontrolle verzichten.

Die Franzosen denken schon weiter – in die falsche Richtung

Leider ist zu befürchten, dass dieser Plan nicht verfolgt wird. Notenbanker leben in der Illusion, die Wirtschaft zentral steuern zu können. Und sie werden sich die Möglichkeit wohl nicht nehmen lassen, auch den digitalen Euro in diesem Sinne zu gestalten. Das zeigen die Kommentare von Carstens und die Attacken aufs tatsächlich anonyme Bargeld.

Und schon jetzt sprechen „einflussreiche“ Ökonomen wie der Franzose Philippe Martin offen aus, welch originellen Pläne sich mit digitalem Zentralbankgeld umsetzen ließen. Helikoptergeld etwa, also die Auszahlung von frisch „gedruckten“ Euros an jeden Bürger.

Die digitale Dystopie nimmt Form an

Eine nette Einstiegsdroge in die digitale Dystopie der Notenbanken. Der nächste Schritt sieht dann so aus, sagt Martin: „Wenn es den digitalen Euro geben würde, die Bürger also direkt Konten bei der Zentralbank hätten, wäre das einfach: Wird das Geld nicht ausgegeben, verfällt es, beispielsweise nach einem Jahr.“

Geld mit Ablaufdatum und der totalen Kontrolle durch Bürokraten. Da sind wir noch gar nicht bei der Durchsetzung von Negativzinsen auf privaten Konten und anderen lustigen Ideen wie der direkten Steuerung des Konsums.

Wenn das mal nicht schief geht.

Im Oktober 2020 habe ich zum digitalen Euro geschrieben: „Das Projekt jetzt schon zu verdammen, ist sicher der falsche Weg.“ Das stimmt weiterhin. Aber je mehr Details bekannt werden, desto größer wird die Skepsis.

Zum Autor

Niko Jilch ist Finanzjournalist, Podcaster und Speaker. Website: www.nikolausjilch.com Twitter: @nikojilch


Disclaimer: Dieser Text sowie die Hinweise und Informationen stellen keine Steuerberatung, Anlageberatung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar. Sie dienen lediglich der persönlichen Information. Es wird keine Empfehlung für eine bestimmte Anlagestrategie abgegeben. Die Inhalte von brutkasten.com richten sich ausschließlich an natürliche Personen.

Deine ungelesenen Artikel:
13.09.2024

bee produced: Wie ein Wiener Startup die europäische Elektronikproduktion fördern will

Sucht ein Unternehmen einen Produzenten zur Bestückung von Leiterplatten, war bisher eine langwierige Abstimmung nötig. Das Startup bee produced hat nun eine Software für einen digitalen Marktplatz entwickelt und dafür ein sechsstelliges Investment erhalten. Beteiligt war unter anderem i5invest-CEO Herwig Springer.
/artikel/bee-produced-wie-ein-wiener-startup-die-europaeische-elektronikproduktion-foerdern-will
13.09.2024

bee produced: Wie ein Wiener Startup die europäische Elektronikproduktion fördern will

Sucht ein Unternehmen einen Produzenten zur Bestückung von Leiterplatten, war bisher eine langwierige Abstimmung nötig. Das Startup bee produced hat nun eine Software für einen digitalen Marktplatz entwickelt und dafür ein sechsstelliges Investment erhalten. Beteiligt war unter anderem i5invest-CEO Herwig Springer.
/artikel/bee-produced-wie-ein-wiener-startup-die-europaeische-elektronikproduktion-foerdern-will
bee produced, Leiterplattenbestückung, leiterplatten, pcb assembly, Wilfried Lepuschitz (CEO), Timon Höbert (CTO), Sandra Stromberger (CMO), Munir Merdan (CSO).
Das bee produced-Founder:innenteam: Wilfried Lepuschitz (CEO), Timon Höbert (CTO), Sandra Stromberger (CMO), Munir Merdan (CSO) (c) Simon Kupferschmied

Über 2.000 Unternehmen in Europa betreiben Leiterplattenbestückung (PCB Assembly). Knapp 40.000 Unternehmen benötigen genau diese Bestückung mit Bauteilen, können das aber nicht selbst tun. An dieser Schnittstelle setzt bee produced an. Das Wiener Startup hat eine Software entwickelt, die Matchmaking zwischen diesen beiden Seiten betreiben soll.

Dafür wurden auch die Skills des Gründer:innenteams kombiniert: Drei der vier Founder:innen stammen aus dem technischen Bereich. CEO Wilfried Lepuschitz hat beispielsweise in Elektrotechnik an der TU Wien promoviert und lange in der Forschung gearbeitet. Die heutige CMO, Sandra Stromberger arbeite im Online-Marketing und hat zum Beispiel Industry meets Makers aufgebaut – ein Matchmaking-Format, das Inudstrie und freie Entwickler:innen zusammenbringt.

Erster digitaler Marktplatz für Elektronikproduktion

Was ist nun die Idee hinter bee produced? “Wir sind der erste digitale Marktplatz für Elektronikproduktion in Europa”, sagt Lepuschitz. Grundsätzlich ist das Startup ein Software-Unternehmen, dass die europäische Elektronikproduktion stärker vernetzen möchte. Lepuschitz bringt das im brutkasten-Gespräch mit der Biene im Firmen-Logo in Verbindung: Auch Bienen würden nur in einem Netzwerk gut zusammenarbeiten können.

Bisher machen sich Firmen mithilfe von Google-Suchen und Eigenrecherche auf die Suche nach dem passenden Elektronikproduzenten für die gewünschte Leiterplattenbestückung. Bis hier die richtige Lösung gefunden wird, dauert es. Emails werden ausgetauscht, Excel-Listen hin- und hergeschickt, Anrufe getätigt. Kurzum: Ein oft langwieriger und unstrukturierter Prozess, der auf beiden Seiten Arbeitszeit kostet.

Ein Matching-Algorithmus bringt beide Seiten zusammen

Bei bee produced können Unternehmen ihre Stücklisten (BOM), Bestückungskoordinaten (CPL-Daten), Gerber-Dateien und andere relevante Dokumente hochladen. Die Software erkennt die Daten dann automatisch und macht daraus standardisierte Daten für die Abstimmung mit Produzenten, die zuvor einen Onboarding-Prozess mit bee produced durchlaufen haben.

Der Matching-Algorithmus des Startups findet dann über den Elektronikmarktplatz genau die europäischen, lokalen Produzenten, die optimal zu den Anforderungen passen. Über ein Kollaborationstool können danach Details abgestimmt und Angebote verglichen werden. Der Fokus auf lokale Produzenten sei wichtig gewesen, sagt Lepuschitz. Immer mehr Unternehmen wollen weltweiten Supply-Chain-Krisen entgehen und wieder lokaler produzieren. Auch der Umweltfaktor spiele hier eine Rolle.

Im besten Fall endet dieser Prozess in einer Bestellung von Leiterplatten bei dem so gefundenen Produzenten. War die Vermittlung erfolgreich, erhält bee produced eine transaktionsabhängige Gebühr. Alternativ kann die Software auch als White-Label-Lösung in eine bestehende Unternehmenslösung integriert werden, um die Kundenkommunikation zu verbessern. Dann wird eine Lizenzgebühr verlangt.

Drei Jahre Forschung

Das Team von bee produced kennt sich teilweise schon seit Jahren. Wilfried Lepuschitz und Munir Merdan (heute CSO) arbeiten bereits seit 2005 zusammen, damals noch an der TU Wien. Seit 2015 war Timon Höbert (heute CTO) Mitarbeiter in dem Robotik-Forschungsinstitut von Lepuschitz und Merdan. Sandra Stromberger kam dann über Industry meets Makers mit den dreien in Kontakt.

Zu viert gründeten sie 2021 bee produced, seitdem wurden drei Jahre in die Forschung gesteckt. “Wir wissen mittlerweile, warum das bisher niemand in Europa macht. Die Elektronikproduktion ist echt die komplexeste Domäne”, sagt Sandra Stromberger im brutkasten-Gespräch. Man kenne zwar ähnliche Produktionsmarktplätze bereits von 3D-Druckern, dort sei die Digitalisierung des Produktionsprozesses aber wesentlich einfacher. Mittlerweile hat das Unternehmen neben den Gründer:innen fünf angestellte Mitarbeiter:innen.

Sechsstelliges Investment

In der Forschungsphase habe man sich durch eigene unentgeltliche Arbeit und Förderungen finanziert, vor allem von der Wirtschaftsagentur Wien. Im Rahmen von F&E-Projekten arbeite man bereits an weiteren Features, diese werden von der EU und der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gefördert. Anfang des heurigen Jahres konnte bee produced außerdem ein Investment im höheren sechsstelligen Bereich abschließen. Beteiligt waren die Investmentgesellschaften Montefiore, Blue Wonder Ventures, SweeNo Invest, Würth Real Consulting, die Lieber.Group und Zamani. Außerdem investieren einzelne Privatpersonen wie i5invest-CEO Herwig Springer und der Comedian Gernot Kulis. Rechtlich begleitet wurde die Finanzierungsrunde von der Kanzlei Taiyo Legal.

Im Juni startete die Soft-Launch-Phase der Software, die wiederum wertvolles Feedback aus dem Live-Betrieb lieferte. Mit September wurde sie nun offiziell gelauncht. Der Plan für die Zukunft ist groß: “Wir wollen in ganz Europa Fuß fassen”, sagt Wilfried Lepuschitz. Allein dieser Markt umfasse rund 50 Milliarden Euro. Derzeit fokussiere man sich aber auf den DACH-Raum und will bee produced hier zu einem “funktionierenden Unternehmen ausbauen”.

Toll dass du so interessiert bist!
Hinterlasse uns bitte ein Feedback über den Button am linken Bildschirmrand.
Und klicke hier um die ganze Welt von der brutkasten zu entdecken.

brutkasten Newsletter

Aktuelle Nachrichten zu Startups, den neuesten Innovationen und politischen Entscheidungen zur Digitalisierung direkt in dein Postfach. Wähle aus unserer breiten Palette an Newslettern den passenden für dich.

Montag, Mittwoch und Freitag

AI Summaries

„Geld mit Ablaufdatum“ und „totale Kontrolle“: Der digitale Euro wird zur Dystopie

AI Kontextualisierung

Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

„Geld mit Ablaufdatum“ und „totale Kontrolle“: Der digitale Euro wird zur Dystopie

AI Kontextualisierung

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

„Geld mit Ablaufdatum“ und „totale Kontrolle“: Der digitale Euro wird zur Dystopie

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Innovationsmanager:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

„Geld mit Ablaufdatum“ und „totale Kontrolle“: Der digitale Euro wird zur Dystopie

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Investor:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

„Geld mit Ablaufdatum“ und „totale Kontrolle“: Der digitale Euro wird zur Dystopie

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Politiker:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

„Geld mit Ablaufdatum“ und „totale Kontrolle“: Der digitale Euro wird zur Dystopie

AI Kontextualisierung

Was könnte das Bigger Picture von den Inhalten dieses Artikels sein?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

„Geld mit Ablaufdatum“ und „totale Kontrolle“: Der digitale Euro wird zur Dystopie

AI Kontextualisierung

Wer sind die relevantesten Personen in diesem Artikel?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

„Geld mit Ablaufdatum“ und „totale Kontrolle“: Der digitale Euro wird zur Dystopie

AI Kontextualisierung

Wer sind die relevantesten Organisationen in diesem Artikel?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

„Geld mit Ablaufdatum“ und „totale Kontrolle“: Der digitale Euro wird zur Dystopie