17.08.2023

Die Vollpension hat ihre Digitalisierungsmaßnahmen kritisch durchleuchtet – und daraus gelernt

Im Rahmen eines von der Wirtschaftsagentur Wien geförderten Projekts wurden die bisherigen Digitalisierungsmaßnahmen des Sozialunternehmens Vollpension mit dem Konzept des "Digitalen Humanismus" aus ethischer Sicht analysiert und kritisch durchleuchtet. Mit Erkenntnissen, die als Vorbild für andere Unternehmen gelten könnten.
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Vollpension, digitaler Humanismus
(c) Vollpension - Das Vollpension-Team begibt sich unter den Mantel des Digitalen Humanismus.

Das Wiener Sozialunternehmen Vollpension mit Fokus auf Generationendialog und Reduktion von Altersarmut und -einsamkeit trat ursprünglich in der Gastronomie mit diesen beiden Impactzielen an. Es betreibt zwei Generationencafés und einen To-Go Standort in Wien, und hat Covid-19-krisenbedingt immer mehr auch die Digitalisierung als Sweet Spot für Social Impact ausgemacht.

Vollpension: ein Mittler zwischen Generationen

So entstanden mit der “Vollpension Backademie” beispielsweise Online-Backkurse von Omas und Social Media-Kampagnen als “bunte Mittler” zwischen den Generationen. Dem Team wurde dabei eines klar: “Die Digitalisierung ist ein Hebel, um mit dem Social Business noch wirkungsstärker ältere Menschen bei der Inklusion und im Generationendialog zu fördern.”

Im Laufe der Zeit rückte jedoch eine Frage immer mehr in den Fokus: Wie sieht es mit ethischen Aspekten der Digitalisierung aus?

Im Rahmen eines von der Wirtschaftsagentur Wien geförderten Projekts wurden – um diesen Punkt zu durchleuchten – die Digitalisierungsmaßnahmen mit dem Konzept des “Digitalen Humanismus” aus ethischer Sicht analysiert, kritisch durchleuchtet und, im Falle von ethischem Handlungsbedarf konkrete Lösungsansätze entwickelt. Das dabei entstandene Paper soll als Praxisleitfaden für andere (Sozial-)Unternehmen dienen.

Mensch im Mittelpunkt

Mit diesem Konzept sollen diese angeregt werden, den Menschen bei technologischen Projekten stets im Mittelpunkt zu behalten. Menschen und Natur sollen als Menschen bzw. als Natur respektiert und nicht als Maschinen verstanden werden, so das Vorhaben.

Zur Einordnung: 2019 wurde das an der TU Wien von vielen Expert:innen verfasste “Wiener Manifest zum Digitalen Humanismus” unterzeichnet und vorangetrieben. Eine dieser Maßnahmen ist der Call “Roadmaps digitaler Humanismus” der Wirtschaftsagentur Wien. Gemeinsam mit Peter Kirchschläger, dem Vorsitzenden des Instituts für Sozialethik an der Universität Luzern, setzte sich die Vollpension schließlich zum Ziel, einen Praxisleitfaden für kleine und mittelständische Unternehmen zu schaffen, der dabei helfen soll, die wesentlichen Fragen des Digitalen Humanismus bei der voranschreitenden Digitalisierung von Unternehmen zu durchleuchten und sinnvolle Schritte zu setzen.

“Den meisten Unternehmen ist gar nicht klar, wie viel Datenverarbeitung im Tagesgeschäft stattfindet. Es sollte auch nicht die Aufgabe von Unternehmen sein, sich damit zu beschäftigen. Es braucht hier klare Regularien nach dem Wertekatalog des digitalen Humanismus, damit hier langfristig gewährleistet wird, dass wir uns in Fragen der Digitalisierung in die richtige Richtung bewegen”, so Kirchschläger.

Digitaler Humanismus

Definition: “Der Digitale Humanismus stellt den Menschen ins Zentrum der digitalen Transformation. Viele Mythen seit der Antike bis ins heutige Hollywood kreisen um dieses Verhältnis Mensch bzw. Maschine. In manchen Mythen ist der Mensch nur eine Maschine, in anderen ist die Natur als Ganzes eine Maschine, in anderen unterjochen Maschinen Menschen, und manche Utopisten glauben, dass das endgültige Reich der Freiheit darin bestehen wird, ausschließlich Maschinen arbeiten zu lassen”, heißt es in der Studie.

Und weiter: “Ein digitaler Humanismus transformiert den Menschen nicht in eine Maschine und interpretiert Maschinen nicht als Menschen. Er hält an der Besonderheit des Menschen und seiner Fähigkeiten fest und bedient sich der digitalen Technologien, um diese zu erweitern, nicht um diese zu beschränken. Der Digitale Humanismus strebt nach einer humanen und gerechten Zukunft für die Menschheit. Digitalisierung wird dafür als Mittel verstanden, das die Menschen von unnötigen Aufgaben entlasten soll. In der Verantwortung bleiben dabei die Menschen, denn Maschinen wird die Möglichkeit der Verantwortungsübernahme abgesprochen.”

Vollpension und die drei Schritte

Die Vollpension hat, mit dieser Prämisse, in einem ersten Schritt die Ideen des Digitalen Humanismus, die Inhalte des “Wiener Manifest für Digitalen Humanismus” sowie dazu ergänzend die Prinzipien des Projekts einer Internationalen Agentur für Datenbasierte Systeme (IDA) in einen Fragenkatalog transformiert, mit denen die Geschäftstätigkeit des Sozialunternehmens dahingehend untersucht werden konnte, wo aus ethischer Sicht mögliche Handlungsfelder bestehen würden.

In einem zweiten Schritt wurde überprüft, welche Fragen für die Vollpension von konkreter Relevanz sind bzw. zu welchen Fragen das Sozialunternehmen einen Beitrag leisten könnte. Um mit diesen Inhalten des Digitalen Humanismus im Unternehmen konkret arbeiten zu können, wurden in einem dritten Schritt thematische Cluster (etwa Datenschutz) gebildet und diese mit konkreten Handlungsfeldern inhaltlich gefüllt. Konkret hier nachzulesen.

Eine der Erkenntnisse dabei war, dass sich die Zusammenarbeit mit Anbieter:innen bzw. das Vertrauen in deren Praxis und deren Informationen als wesentlich erweise. Aus einer ethischen Perspektive lässt sich diesbezüglich erkennen, dass es die Möglichkeiten übersteigt und außerhalb der Expertise eines Unternehmens liege sowie nicht zu den Kernaufgaben eines Unternehmens gehöre, selbst zu überprüfen, ob sich Anbieter:innen an das Menschenrecht auf Datenschutz und Privatsphäre halten oder nicht.

Dies wurde auch, laut dem Unternehmen, deutlich sichtbar, als die Vollpension eine entsprechende Abklärung bei einer/m Anbieter:in vorgenommen und folgende (in der Studie veröffentlichte) Antwort erhalten hat:

“Ja, Recht auf Datenschutz steht für uns ganz weit oben, weil es ja auch irgendwo Alleinstellungsmerkmal unseres Tools ist. Aber gleichzeitig auch, weil wir natürlich daran glauben, dass die Daten in den Händen der falschen Menschen großen Schaden anrichten können und dementsprechend ist bei uns alles konsensbasiert. Es ist ein bisschen schwierig. Ich versuche mal so ein bisschen auszuholen. Ich sehe das so, dass die Datenschutzbestimmungen in der Europäischen Union sicher nicht die restriktivsten international sind. Wir versuchen, nach Kräften zu entsprechen und auch mit aktueller Rechtsprechung immer mitzuhalten, haben das auch an vielen Orten schon übererfüllt, was sich dann im Nachhinein gelohnt und auch für unsere Kunden tatsächlich gelohnt hat, weil die Rechtsprechung dann oft nachgezogen hat. Wir haben zum Beispiel immer unseren Kunden empfohlen, ausschließlich konsensbasiert die Dinge zu verschicken. Gleichzeitig ist das natürlich ein Stück weit auch ein Werkzeug. Sprich: Wir können nicht überwachen, welche Daten jemand von einer Liste zum Beispiel abliefert. Wir zwingen ihn dann auch immer dazu, einen Grund anzugeben, warum er mit diesen Daten arbeiten darf. Wir können dies natürlich nicht überprüfen. Das ist einfach außerhalb unserer Möglichkeiten zu überprüfen, ob der dabei lügt. (…) Aber natürlich können wir nicht kontrollieren, wenn er zum Beispiel eine Liste hochlädt, wo diese Daten tatsächlich herkommen.»

An diesem Beispiel wird deutlich: Hinsichtlich der Durchsetzung der Menschenrechte – in diesem Fall des Menschenrechts auf Privatsphäre und Datenschutz – wäre es laut der Vollpension notwendig, dass der liberale Rechtsstaat bzw. die internationale Gemeinschaft Unternehmen gezielt entlasten, die Achtung der Menschenrechte gewährleisten, für Rechtssicherheit sorgen und rechtliche Normen, die offline selbstverständlich durchgesetzt werden, auch online bzw. im digitalen Bereich ebenfalls konsequent durchsetzen würde.

Bisher sei dies nicht oder zu wenig der Fall. Daher wäre, laut dem Impact-Startup, die Schaffung einer Internationalen Agentur für Datenbasierte Systeme (IDA) bei der UN notwendig, die als Plattform für die technische Zusammenarbeit im Bereich der digitalen Transformation und datenbasierten Systemen (DS) zur Förderung von Menschenrechten, Sicherheit und friedlicher Nutzung von DS agieren soll.

Ein Leitfaden?

Neben weiteren Erkenntnissen zu Bewusstsein, Verantwortung, datenbasierten Systeme und technologischen Hilfsmittel (für Senior:innen) konnte das Unternehmen im Rahmen des Projekts konkrete Hausaufgaben für sich selbst identifizieren. Die womöglich auch für andere als Leitfaden dienen könnten. Hier die einzelnen Punkte:

1. Nicht alle Anbieterinnen sind aus der EU und unterliegen der DSGVO. Es ist nun zu prüfen, ob dies gewährleistet werden kann, damit die Einhaltung der DSGVO vorausgesetzt werden kann.

2. Bisher hat Vollpension ausschließlich digitale Bewerbungswege eröffnet, um bereits im Zuge des Bewerbungsprozesses eine erste Vorselektion hinsichtlich Medienkompetenz geschehen zu lassen, welche dann später im Arbeitsalltag gebraucht wird. Die Vollpension wird nun diesen Punkt dahingehend anpassen, den Bewerbungsprozess inklusiver zu gestalten und zu ermöglichen, die für die Ausübung des Berufs notwendige Medienkompetenz auch nachträglich durch eine gründliche Einschulung zu erreichen.

3. Darüber hinaus hat das Sozialunternehmen für sich den Weg gewählt, im Rahmen dieses Projektes einige Schwerpunkte zu setzen und mit einigen Clustern zu beginnen. Weitere Aspekte sollen nun in Zukunft angegangen werden.

4. U. a. wird das Sozialunternehmen stets prüfen, wie datenbasierte Systeme zu mehr Produktivität im Unternehmen führen können, ohne gleichzeitig aber Arbeitsplätze wegzurationalisieren und die Inklusion der für den Bereich relevanten Mitarbeiterinnen zu gefährden. Dies betrifft alle Unternehmensbereiche – von der Verteilung von Aufgaben innerhalb des Unternehmens über Projektmanagement hin zur Verarbeitung von E-Mails.

5. Das Sozialunternehmen verfolgt das Ziel, eine moderne Organisation zu sein und datenbasierte Systeme im Sinne erhöhter Effizienz einzusetzen. Alle Mitarbeiter:innen, die innerhalb des Unternehmens mit digitalen Systemen arbeiten, haben zur Aufgabe, datenbasierte Systeme-Tools zu finden und in ihre Prozesse zu integrieren, um erhöhte Produktivität vor allem bei sich wiederholenden Aufgaben herzustellen. Gleichzeitig haben im Sozialunternehmen Inklusion und das soziale Klima einen erhöhten Stellenwert.

Eine Organisationsentwicklung, die beides berücksichtigt, sei an dieser Stelle essentiell, wenn digitaler Humanismus die Zukunft des Unternehmens prägen soll. Hierzu werde es Prozesse mit externen Beratern geben, um diesbezüglich mit Hilfe eines Außenbildes eine kohärente Lösung schaffen zu können.

6. Zukünftig wird vor Inbetriebnahme von neuen Tools ein Wertekatalog herangezogen und verantwortliche Mitarbeiter:innen werden darauf sensibilisiert. Digitaler Humanismus wird Teil der Mitarbeiter:innen-Akademie und in Grundlagen allen Mitarbeiter:innen beim Onboarding näher gebracht.

7. Im Rahmen dieses Projekts wurde deutlich, dass viele Anliegen nur im Zusammenwirken mit Anbieter:innen umgesetzt werden können.

8. Schließlich hat sich die Notwendigkeit herauskristallisiert, dass der liberale Rechtsstaat und die internationale Gemeinschaft hinsichtlich der digitalen Transformation und dem Einsatz von datenbasierten Systemen dringend – auch zur Entlastung von Unternehmen – Rechtssicherheit sowie die Durchsetzung der Menschenrechte nicht nur offline, sondern auch online bzw. im digitalen Bereich garantieren muss.

Vollpension: “Digitale Transformation birgt Chancen und Risiken”

“Dies ist aktuell noch nicht der Fall. Die digitale Transformation und datenbasierte Systeme (DS) bergen ethische Chancen und ethische Risiken. DS können die Menschenrechte und die Nachhaltigkeit fördern, aber auch die Menschenrechte verletzen und unseren Planeten zerstören. (…) Daher ist es notwendig, so im Report beschrieben, ethische Chancen und ethische Risiken sowie menschenrechtsfördernde Chancen und menschenrechtliche Risiken genau und frühzeitig zu identifizieren, um die Chancen nachhaltig nutzen und die Risiken beherrschen oder vermeiden zu können.”

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Die Prewave-Gründer:innen Lisa Smith und Harald Nitschinger | (c) Viktoria Waba / brutkasten

Dieser Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe unseres Printmagazins – “Kettenreaktion”. Eine Downloadmöglichkeit findet sich am Ende des Artikels.

Es ist Anfang August. Draußen klettert das Thermometer auf über 30 Grad, doch im Office von Prewave am Austria Campus im zweiten Wiener Bezirk herrscht angenehme Kühle. Im Inneren des modernen Bürogebäudes wirkt es ruhig, fast schon gelassen. Von außen deutet nur ein kleines Schild an einer unscheinbaren Glastür darauf hin, dass hier Prewave seinen Sitz hat. Das 2017 von Lisa Smith und Harald Nitschinger gegründete Unternehmen zählt aktuell zu den erfolgreichsten Scaleups Österreichs: Erst Ende Juni gab das Unternehmen den Abschluss seiner Series-B-Runde in Höhe von 63 Millionen Euro bekannt. Es handelt sich hierzulande um die zweitgrößte Finanzierungsrunde im ersten Halbjahr 2024. Prewave ermöglicht mit seiner Plattform derzeit über 200 Großunternehmen, Risiken in der globalen Lieferkette zu erkennen und zu minimieren. Zu den Kunden zählen bekannte Global Player, darunter BMW, Lufthansa oder Ferrari.

Wer das Büro betritt, muss sich registrieren – ungewöhnlich in der oft legeren Startup-Welt. Sicherheit wird jedoch bei Prewave großgeschrieben. Das gilt nicht nur für die Serverräume im Inneren des Gebäudes, sondern auch für externe Besucher:innen. Im Empfangsbereich sind Plakate an der Wand angebracht: „Protect your People, Protect your Planet“ prangt hier in großen Lettern – ein Leitmotiv von Prewave. Es wirkt fast wie ein Mantra, das die Werte des Unternehmens für die mittlerweile über 200 Mitarbeiter:innen von Prewave klar definiert. Hier geht es um mehr als nur Risikomanagement der Lieferkette: Prewave ist mit der Mission angetreten, Transparenz und Verantwortung in globalen Lieferketten zu fördern.

Schulfreundschaft und akademische Ausgründung

Die Wurzeln von Prewave liegen im akademischen Umfeld. Lisa Smith begann 2012 ihre Forschung an der Technischen Universität Wien im Bereich Wirtschaftsinformatik. Ihr Schwerpunkt lag dabei auf Supply Chain Management. In ihrer Doktorarbeit beschäftigte sich Smith mit maschinellem Lernen und Datenanalyse. Sie bilden die Grundlage, um weltweit lokale Ereignisse anhand von öffentlichen Medien, Social Media oder internationalen Handelsdaten in Echtzeit zu erkennen. Parallel zu ihrer akademischen Arbeit nahm Smith an mehreren Inkubationsprogrammen teil. „Wir wurden dazu motiviert, ‚out of the box‘ zu denken und unsere Forschung in Pitchdecks zu verwandeln. In dieser Zeit ist auch der Gedanke immer mehr gewachsen, gemeinsam mit Harald ein Unternehmen zu gründen“, erzählt Smith.

(c) brutkasten / Viktoria Waba

Kennengelernt hatten sich Smith und Nitschinger schon 2002: an ihrem ersten Schultag in der HTL Spengergasse in Wien. Beide waren in derselben Klasse – ein Zufall, der den Grundstein für eine langjährige Zusammenarbeit und Freundschaft legen sollte. „Wir haben gemeinsam Programmieren gelernt und fünf Jahre lang die HTL durchschritten“, erinnert sich Nitschinger “Viele der ersten Mitarbeiter unseres späteren Unternehmens waren ebenfalls aus unserer HTL Abschlussklasse.“ Beide verband eine enge Freundschaft: „Wir waren gut befreundet und sind nach der Matura in Kontakt geblieben. Lisa und ich haben immer das Hobby des Wanderns geteilt“, erzählt Nitschinger weiter. Beim Wandern tauschten sie sich oft über ihre beruflichen Pläne aus. Der Entschluss zur Unternehmensgründung fiel schließlich im September 2016. „Harald und ich waren in einem indischen Restaurant essen und haben darüber gesprochen. Es war keine große Überzeugungsarbeit auf beiden Seiten nötig. Wir haben uns dann entschieden: Wir machen das gemeinsam“, so Smith.

Komplementäre Fähigkeiten

Während Smith ihren PhD-Background an der TU Wien hat, studierte Nitschinger an der FH Joanneum in Graz Internationales Management. Später sammelte er über drei Jahre Erfahrung im Vertrieb einer Grazer Softwarefirma. „Ich würde sagen, wir ergänzen uns auf jeden Fall, haben aber auch einen großen Overlap“, erklärt Smith in Bezug auf die komplementären Fähigkeiten des Gründerduos. „Harald hat auch ein starkes Verständnis für die technischen Themen. Umgekehrt habe ich aber auch Wirtschaftsinformatik studiert und deshalb ebenso ein Verständnis für die betriebswirtschaftlichen Aspekte.“ Und sie ergänzt: „Dieses ganze Thema rund um EnterpriseSoftware-Sales war für mich allerdings komplett neu. Es ist eine ganz andere Denkweise als im akademischen Bereich, wo man sehr genau und exakt arbeitet.“ Ihr Co-Founder fügt schmunzelnd hinzu: „Enterprise-Software-Sales ist mehr eine Kunst als eine Wissenschaft.“

Enterprise-SoftwareSales ist mehr eine Kunst als eine Wissenschaft.

Harald Nitschinger

Unternehmensgründung und Product-Market-Fit von Prewave

Die Unternehmensgründung von Prewave im Sommer 2017 folgte einer klaren Vision. „Unser Ziel war es immer, eine globale Plattform zu bauen, die sich wiederholbar verkaufen lässt“, so Smith. Nitschinger ergänzt: „Es war erstaunlich konstant, wir haben eigentlich nicht wirklich gepivotet. Wir hatten aus Lisas Forschung bereits einen funktionierenden Prototyp, aber es hat uns trotzdem gut zwei Jahre gekostet, den richtigen Product-Market-Fit zu finden.

Nachdem es Smith und Nitschinger gelungen war, die Technologie in ein konkretes Produkt zu überführen, begann Prewave, richtig Fahrt aufzunehmen. Erste finanzielle Unterstützung erhielten sie unter anderem durch eine Förderung der Austria Wirtschaftsservice (aws). Durch zahlreiche Pilotprojekte und enge Zusammenarbeit mit ersten Kunden konnten sie die Technologie verfeinern und auf die Bedürfnisse des Markts zuschneiden. Heute nutzen über 200 Unternehmen weltweit die Plattform von Prewave, um globale Ereignisse in Echtzeit zu erkennen. Im Zentrum steht das Erkennen von Risiken, um anschließend Aktionen setzen zu können.

(c) brutkasten / Viktoria Waba

Von Naturkatastrophen über politische Unruhen bis hin zu Menschenrechtsverletzungen – Prewave überwacht eine Vielzahl von Risiken und warnt Unternehmen frühzeitig. „Unsere Plattform analysiert über 1,3 Millionen Lieferanten in mehr als 400 Sprachen“, erklärt Smith. „Wir können aktuell über 150 verschiedene Risikoereignistypen in Echtzeit erkennen. Das reicht von Umweltverstößen über Streiks bis hin zu Schließungen von Fabriken.”

Die Macht der Daten

Prewave setzt auf öffentlich zugängliche Datenquellen wie Nachrichtenmedien, soziale Netzwerke oder Websites von lokalen Regierungen sowie Sanktionslisten. Für das sogenannte Lieferketten Mapping werden zudem Lieferkettendaten von Kunden hinzugezogen. Diese Informationen werden von der KI in Echtzeit verarbeitet und gefiltert. Ziel ist es, die wichtigsten Risikofaktoren zu identifizieren.

Die größte Herausforderung ist es, die relevanten Daten aus einer riesigen Menge an Informationen herauszufiltern“, sagt Smith. „Wir reden hier von Millionen von Nachrichtenmeldungen täglich. Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.“ In der Arbeit von Prewave geht es nicht nur darum, die Risiken zu erkennen, sondern sie auch verständlich und handhabbar für die Kunden zu machen. Prewave fasst die Daten zusammen, filtert sie nach Relevanz. „Der erste Schritt ist es, relevante Inhalte aus einer Vielzahl von Quellen zu identifizieren. Step zwei ist dann, diese Informationen zu clustern und in eine verwertbare Meldung, einen ‚Actionable Alert‘, für unsere Kunden zu verwandeln“, so Smith.

Reaktives und aktives Handeln

Die Prewave-Technologie zur Überwachung von Lieferketten findet branchenübergreifend Anwendung, einer der Hauptkundenstämme der Plattform ist jedoch die Automobilindustrie. “Gerade in der Automotive-Industrie, die sehr stark von Lieferketten abhängig ist, helfen wir, Risiken frühzeitig zu identifizieren und Maßnahmen zu ergreifen“, so Nitschinger. Als Beispiel führt er BMW an: Der deutsche Automobilhersteller verfügt über 50.000 Lieferanten weltweit. BMW nutzt aktuell die Plattform von Prewave, um frühzeitig Informationen über Risiken in der Lieferkette zu erhalten, bevor diese in westlichen Medien auftauchen. „Es gab Fälle, in denen wir Informationen über Umweltverschmutzung in Entwicklungsländern schon Monate vorher an BMW übermittelt haben, bevor es in westlichen Medien wie dem ‚Spiegel‘ oder der ‚Frankfurter Allgemeinen‘ berichtet wurde“, erklärt Nitschinger. BMW oder andere Kunden von Prewave können so „rechtzeitig darauf reagieren“ und proaktiv Maßnahmen ergreifen. „Das Ziel ist nicht, die Lieferanten abzustoßen, sondern sie zu verbessern“, so Nitschinger.

Unsere Plattform analysiert über 1,3 Millionen Lieferanten in mehr als 400 Sprachen.

Lisa Smith

Prewave versteht sich jedoch nicht als Consulting-Unternehmen, sondern arbeitet im Bereich von Maßnahmen mit Partnern zusammen. „Ein Beispiel ist der TÜV Süd, einer der weltweit größten Auditoren, der Teil unserer Action-Plattform ist. Dort schlagen wir unseren Kunden vor, in bestimmten Fällen Audits oder Trainings mit Partnern durchzuführen, um Risiken in der Lieferkette zu minimieren“, erläutert Nitschinger. Es geht jedoch nicht nur um das reaktive Handeln „Interessanter ist eigentlich fast noch der proaktive Teil. Hier schauen wir uns bereits im Vorfeld an, wo die riskanten Stellen in der Lieferkette sind“, so Smith.

Ein Ereignis, das viele Unternehmen unerwartet getroffen hat, war der Ukraine-Krieg. Viele hätten erst zwei bis drei Wochen nach Kriegsbeginn bemerkt, dass ihre Lieferkette betroffen war, erklärt Nitschinger. „Es kam oft vor, dass Unternehmen erst nachträglich herausfanden, dass Lieferungen nicht mehr kommen, weil sie nicht vom direkten Lieferanten, sondern von einem Unterlieferanten in der zweiten oder dritten Stufe aus der Ukraine stammten.“ Besonders Automobilhersteller waren betroffen, die aufgrund dieser Unterbrechungen mehrere Wochen schließen mussten. Prewave half seinen Kunden, diese Risiken frühzeitig zu identifizieren und das gesamte Liefernetzwerk besser zu verstehen. “Heute zeigen wir unseren Kunden nicht nur, was passiert, sondern auch, was die nächste ‚Ukraine-Situation‘ sein könnte, etwa durch Szenarien wie Taiwan. So können sie schon jetzt proaktive Maßnahmen ergreifen, etwa alternative Lieferanten als Plan B identifizieren“, erläutert Nitschinger.

Prewave: Verdreifachung des Umsatzes im Jahr 2023

In den vergangenen Jahren haben sich geopolitische Unsicherheiten stark auf globale Lieferketten ausgewirkt, etwa die Spannungen zwischen den USA und China oder die Konflikte im Nahen Osten. Hinzu kommen immer strengere Regulierungen, etwa das EU-Lieferkettengesetz, die Batterieverordnung oder die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR). „Das alles zusammen erzeugt einen enormen Bedarf, dass sich alle Unternehmen von Groß bis Klein softwaremäßig neu aufstellen müssen“, erklärt Nitschinger. Das EU-Lieferkettengesetz wird von den beiden Gründer:innen als wichtiger Rückenwind für das Wachstum der Plattform gesehen, allerdings nicht als der einzige Treiber.

(c) brutkasten / Viktoria Waba

Prewave verdreifachte 2023 den Umsatz – genaue Angaben zur Höhe des Umsatzes machen die beiden Gründer:innen allerdings nicht. Smith hält jedoch fest: „Wir sehen gerade eine sehr große Welle vor uns. Mit unserer All-in-one-Lösung können wir Disruptionsrisiken, Nachhaltigkeitsrisiken und Compliance-Risiken bearbeiten. Wir befinden uns im Epizentrum dieser drei Segmente.“

Während viele heimische Scaleups im vergangenen Jahr ihr Wachstum der Profitabilität unterordneten, liegt der Fokus bei Prewave klar auf Umsatzwachstum. „Wir sind ein klassisches VC-finanziertes Startup, bei dem Profitabilität aktuell nicht an erster Stelle steht“, so Smith. Die nächsten drei bis fünf Jahre sieht die Gründerin als „Window of Opportunity“, in dem das Unternehmen so viel Marktanteil wie möglich gewinnen will. „Unsere Aufgabe ist es, jetzt möglichst viel von diesem Markt zu besetzen“, so Smith. Das Ziel ist es, ein initiales Wachstum zu erzielen, bevor es langfristig um Profitabilität und einen möglichen Börsengang (IPO) geht. Ein solcher käme jedoch frühestens in fünf Jahren infrage.

63 Millionen Euro Finanzierungsrunde von Prewave

Die jüngste SeriesB-Finanzierungsrunde in Höhe von 63 Millionen Euro beschreibt Smith als sehr kompetitiv. „Natürlich ist Fundraising immer viel Arbeit, aber es gab viel Nachfrage, was den Prozess erleichtert hat“, so die Gründerin. Die Runde wurde von der britischen Investmentgesellschaft Hedosophia angeführt, weiters beteiligten sich die Bestandsinvestoren Creandum, Ventech, Kompas, Speedinvest und Working Capital Fund. Innerhalb des Teams haben Smith und Nitschinger eine klare Rollenverteilung: „Ich bin die Fundraiserin und Harald ist der Seller. Wir holen beide das Geld aus unterschiedlichen Bereichen rein“, so Smith.

Wir reden hier von Millionen von Nachrichtenmeldungen täglich. Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Lisa Smith

Mit dem gesammelten Kapital setzen die beiden Gründer:innen zwei Prioritäten: „Zum einen werden wir weiterhin in unsere Produktentwicklung und das AI-Modell investieren, um unsere Technologieführerschaft auszubauen. Zum anderen liegt der Fokus auf der internationalen Expansion, vor allem in Europa, wo wir uns als Marktführer positionieren wollen“, sagt Smith.

Prewave legt den Fokus aktuell klar auf den europäischen Markt. Dieser entwickle sich aufgrund von Regulierungen und eines starken Nachhaltigkeitstrends besonders dynamisch. „Der Markt in Europa ist gerade wahnsinnig spannend, und vieles wird durch die europäischen Werte und die Regulatorik getrieben. Deshalb liegt unser Hauptaugenmerk darauf, uns hier als europäischer Marktführer zu etablieren“, sagt Nitschinger. Obwohl der amerikanische Markt ebenfalls interessant ist und Prewave derzeit plant, den ersten Schritt in die USA zu machen, steht Europa im Vordergrund: „Wir befinden uns in der ungewöhnlichen Situation, dass der europäische Markt momentan attraktiver ist als der amerikanische. Europa ist der Hotspot, und alle schauen hierher“, betont Nitschinger.

Die Herausforderungen des Wachstums von Prewave

Prewave wächst rasant – die Mitarbeiter:innenzahl verdoppelte sich innerhalb eines Jahres. Dies stellt das Unternehmen jedoch auch vor eine Reihe von Herausforderungen. „Natürlich ist es nicht einfach, wenn man so schnell wächst. Es geht nicht nur darum, ein bestehendes, laufendes Geschäft erfolgreich zu halten, sondern auch darum, gleichzeitig neue Dinge zu entwickeln und weiterhin innovativ zu bleiben“, erklärt Smith.

Ich bin die Fundraiserin und Harald ist der Seller. Wir holen beide das Geld aus unterschiedlichen Bereichen rein.

Lisa Smith

Eine wichtige Erkenntnis dabei ist, proaktiv zu sein, insbesondere bei Management Entscheidungen. „Man muss immer vorausdenken und sich darauf einstellen, was die Organisation in sechs oder zwölf Monaten braucht“, betont Smith. Ein weiteres Learning ist, dass Change Management mit zunehmender Unternehmensgröße immer komplexer wird. Es ist entscheidend, die Kommunikation und Einbindung aller Mitarbeiter:innen sorgfältig zu planen, um Überraschungen zu vermeiden. Neben diesen organisatorischen Aspekten hebt Nitschinger hervor, dass Qualität vor Quantität stehen muss: „Es sind nicht immer nur mehr Leute die Lösung, sondern die richtigen Leute.”

Trotz der Herausforderungen des schnellen Wachstums sind die beiden Gründer:innen fest entschlossen, neue Maßstäbe im globalen Lieferkettenmanagement zu setzen. „Je größer Prewave wird, desto stärker ist unser Impact; mit jedem neuen Kunden“, sagt Smith über ihre Vision, Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße in Lieferketten zu vermeiden. Und sie merkt an: „Wir wollen es so machen, dass das Ganze zu besseren Lieferketten führt und nicht zu Bürokratie oder anderen Effizienzverlusten.“ Und so bleibt die Botschaft an der Wand im Prewave Office, „Protect your People, Protect your Planet“, mehr als nur ein Slogan – sie ist auch der persönliche Antrieb der beiden Gründer:innen, die sich einst an ihrem ersten Schultag an der HTL kennenlernten. Zum Abschluss geben Smith und Nitschinger jungen Gründer:innen noch einen Rat mit auf den Weg: „Fragt euch, ob ihr bereit seid, die nächsten zehn Jahre eures Lebens in diese eine Sache zu investieren“, so Smith. Und Nitschinger ergänzt: „Wenn die Antwort Ja ist, dann macht es. Wenn nicht, dann lasst es.”



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